transnationales / antirassismus

Schwarze Herzen, weiße Schafe und rote Ratten

Die Schweiz nach den Parlamentswahlen

| Sebi

Ende Oktober 2007 fanden in der Schweiz Parlamentswahlen statt, bei denen die rechte Schweizerische Volkspartei mit 30 % WählerInnenanteil in der nächsten Legislaturperiode nicht nur stärkste parlamentarische Kraft bleibt, sondern sich sogar im Vergleich zum vorletzten Wahlgang noch steigern konnte.

Der vorangegangene Wahlkampf wurde mit einer Heftigkeit geführt, die für eidgenössische Verhältnisse erstaunte. Die in der Wahlkampagne der SVP verwendete Symbolik war streckenweise mit der einer NPD vergleichbar. Dennoch blieben die Reaktionen auf die äußerst provokative Kampagne der SVP innerhalb der Schweiz, von wenigen Ausnahmen abgesehen, merkwürdig verhalten.

Im Ausland sorgte sie dagegen für großes Aufsehen. Sogar der britische „Independent“ machte in der Schweiz das „dunkle Herz Europas“ aus und kritisierte mit scharfen Worte den Stil der SVP.

Scheinbar ist es dieser Partei tatsächlich gelungen, im vergangenen Jahrzehnt durch sukzessive Provokation die Toleranzschwelle für rechtes Gedankengut stark zu senken. Kostproben: Momentan prominentestes Beispiel ist ein Motiv, das drei weiße Schafe zeigt, welche gerade dabei sind, ein schwarzes Schaf mit einem Tritt vom Schweizer Boden zu befördern. 2004 lancierte die Partei eine Plakatkampagne, um eine Mehrwertsteuer-Erhebung zu verhindern.

Dabei wurde die parlamentarische Linke als rote Ratten dargestellt, die an einem Geldbeutel nagen.

Sechs Jahre zuvor propagierte die Zürcher SVP anlässlich einer Abstimmung über einen geringen finanziellen Beitrag zu einem kosovarischen Kulturzentrum den Slogan „Kontaktnetz für Kosovo-Albaner NEIN“, wobei ohne eine sehr genaue Betrachtung des Plakates lediglich „Kosovo-Albaner NEIN“ zu erkennen war.

Die SVP…

Es ist jedoch ein Fehlschluss zu glauben, dass die verwendeten Motive nur ein rechtsextremes WählerInnenreservoir abschöpfen sollen. Um den tieferen Sinn dieser Kampagnen und den Wahlerfolg der SVP zu verstehen, müssen die in der Schweiz traditionellen Gegensätze Stadt-Land, katholisch-protestantisch und Deutschschweiz-lateinische Schweiz berücksichtigt werden.

Im Lauf des letzten Jahrhunderts wurde versucht, dieses aus den Gegensätzen entstehende Konfliktpotenzial durch die Einführung des Proporzwahlsystems für die Legislative und des Konkordanzsystems für die Exekutive zu dämpfen. So gab es lange Zeit keine eigentlichen Volksparteien, da auch kleinere Parteien mit Partikularinteressen reelle Chancen hatten, sich in die nationale Politik einzubringen.

Die Klientel der SVP war protestantischen Glaubens, aus der Deutschschweiz stammend, in ländlichen Regionen wohnend und mehrheitlich im Gewerbe und in der Landwirtschaft tätig. Diese Gruppe wird noch heute durch den gemäßigten „Berner Flügel“ der Partei repräsentiert, der insbesondere für „Schweizer Werte“ und eine starke binnenwirtschaftlich ausgerichtete Politik eintritt.

Seit den 90er Jahren wurde aber durch die Zürcher Sektion unter dem damaligen Kantonalpräsidenten Christoph Blocher eine neue politische Ausrichtung forciert, die sich zwar populistisch gab und sehr provokativ agitierte, aber im Grunde stark neoliberale Ziele verfolgte.

Durch diesen Paradigmenwechsel gewann die Partei schnell an Stärke, da sie nun neben der traditionellen Klientel plötzlich auch von reichen UnternehmerInnen, die sich von der neuen Wirtschaftspolitik angesprochen fühlten, und rechtsextremen ProtestwählerInnen, die die aggressive Rhetorik schätzten, gewählt wurde. Innerhalb von etwas mehr als zehn Jahren hat es die SVP geschafft, in katholischen und städtischen Gebieten als auch im französischsprachigen Teil der Schweiz Fuß zu fassen, so dass sie heute nicht nur national, sondern auch in den meisten Kantonen wählerInnenstärkste Partei ist. Die SVP kann heute für sich in Anspruch nehmen, nicht nur die „Partei des Mittelstandes“ zu sein, sondern auch die Partei der Ober- und Unterschicht – also eine „Volkspartei“ im eigentlichen Sinne.

In ihren Kampagnen versteht sie es, die aus dem Konzept der Volkspartei notwendigerweise resultierenden Widersprüche zu übertünchen und die verschiedenen Zielgruppen gleichermaßen anzusprechen.

Ein Kontaktnetz für Kosovo-AlbanerInnen kann problemlos aus wirtschaftlichen Interessen, rassistischen Motiven oder kulturellen Beweggründen abgelehnt werden.

… Christoph Blocher …

Jedoch hat die ganze Sache einen Haken: Der kometenhafte Aufstieg der Partei ist mit einem Namen verbunden: Christoph Blocher. Der milliardenschwere Unternehmer repräsentiert die Partei und ihre Widersprüche wie kein Zweiter. Als ein begnadeter Populist versteht er es, der SVP ein charismatisches Gesicht zu geben. Er steht inzwischen so sehr für die SVP und ihre Politik, dass die übrigen Parteien ihren vergangenen Wahlkampf im Grunde darauf beschränkten, eine Anti-Blocher-Kampagne zu reiten, was die SVP ihrerseits natürlich dankend aufnahm. Überspitzt ausgedrückt waren die Parlamentswahlen im Oktober auf die Gretchenfrage beschränkt „Wie hast du’s mit Blocher?“ – obwohl dieser als Bundesrat überhaupt nicht zur Wahl stand.

Nun stellt sich aber trotz dieser Apotheose die ganz diesseitige Frage, was passieren wird, wenn der 67-Jährige von der politischen Bühne abtritt. Denn obwohl Blocher in der eigenen Partei nicht unumstritten ist, kann er doch durch seine Popularität schwelenden parteiinternen Konflikten den Sauerstoff entziehen. Doch die Brandstifter aus der zweiten Reihe warten schon. So hat ein Repräsentant des „Zürcher Flügels“ in Hinblick auf die Bundesratswahlen im Dezember den zweiten SVP-Bundesrat und Anhänger des „Berner Flügels“, Samuel Schmid, öffentlich als „lupenreinen Freisinnigen“ bezeichnet – was im Parteiverständnis einem politischen Todesurteil gleichkommt. Bekommt die straff aufgebaute Parteistruktur Risse, was bei Widerstand des „Berner Flügels“ gegen diese Intentionen sehr wahrscheinlich ist, kann davon ausgegangen werden, dass die parteiimmanenten Widersprüche zur tatsächlichen Spaltung führen werden. Somit kann davon ausgegangen werden, dass sich die SVP früher oder später selbst erledigen wird.

Auf der anderen Seite wird das Abtreten Blochers die übrigen Parteien zwingen, Kampagnen mehr auf Inhalte und weniger auf Personen aufzubauen.

Denn Angriffspunkte bietet die SVP selbst für demokratisch legitimierte Attacken genug. Beispielsweise könnten ihre ambivalenten Positionen bezüglich der staatlichen „AusländerInnenpolitik“ thematisiert werden, in der die SVP einerseits eine oppositionelle Haltung einnimmt, auf die sie anderseits angesichts ihrer Wahlerfolge aber selbst stark prägend wirkt.

… das schwarze Schaf …

Eine solche Politik, wie sie zumindest von linken Parteien eigentlich zu erwarten wäre, ist aber im Großen und Ganzen Zukunftsmusik. Viel wichtiger ist zudem an dieser Stelle die Frage, wie sich die außerparlamentarischen Gruppierungen zur SVP stellen: Inhaltlich und taktisch ideenlos, wobei das Erste weniger schwer wiegt wie das Zweite. Denn sich inhaltlich gegen die SVP als einzelne Partei zu stellen, also ohne den gesamtgesellschaftlichen Kontext zu berücksichtigen, würde zwangsläufig bedeuten, in den parlamentarischen Diskurs einzutreten und z.B. eine etwas humanere Asylpolitik zu fordern oder das Rentenalter doch nicht auf 69 Jahre anzuheben.

Die taktische Ideenlosigkeit ist insofern bedenklich, als dass in letzter Zeit mangels Alternativen Bündnisse zwischen linken Parteien, marxistisch-leninistischen Kaderorganisationen und anarchistischen Gruppierungen geschlossen werden, um gegen die Politik der SVP anzukämpfen. So geschehen z.B. im Bündnis „Das schwarze Schaf“, welches für den 6. Oktober anlässlich eines von der SVP organisierten „Marsches auf Bern“ (Rom und München lassen grüßen!) zu einem „ganz FEST GEGEN RASSISMUS“ in der Berner Innenstadt aufgerufen hat. Das Resultat: eine linke Wohlfühlveranstaltung, die mit Musikgruppen punktete, welche den Rastakult hochleben ließen, und mit Rednern auf Zustimmung stieß, deren einer im Gespräch auch mal konstatierte, dass die „SVP eine Partei ist, die keine Kultur und keine Harmonie mehr“ hätte – von wirklich emanzipatorischer oder antiparlamentarischer Politik also keine Spur. Dementsprechend verwundert es auch nicht, dass die auf dem Fest propagierte Solidarität wenige Stunden später nach dem Bekannt Werden der Sachschäden rund um die zeitgleich stattfindenden Blockaden der SVP-Demonstration sehr schnell in Vergessenheit geriet und die linken Parteien, allen voran die zumindest „ideell“ an der Veranstaltung beteiligte Berner Sozialdemokratische Partei, die Ausschreitungen in aller Form zu verurteilen suchten und für die SVP das Recht auf freie Meinungsäußerung einforderten.

… und die AnarchistInnen?

Bedauerlicherweise führte dies kaum dazu, dass in den außerparlamentarischen Gruppierungen ein Reflexionsprozess über zukünftige Zusammenarbeit mit linken Parteien einsetzte, sondern im Gegenteil zu einer fast einhelligen Ablehnung der Methoden der „linken Chaoten“. Nur dumm, dass schlussendlich diese und nicht die OrganisatorInnen den „Marsch auf Bern“ verhindern konnten.

Es wäre aber gerade jetzt wichtig, wo rechte bis rechtsextreme Positionen in der Schweiz wieder zunehmend auf offene Ohren stoßen, klare anarchistische Standpunkte in Theorie und Praxis zu vertreten.

Da sollten emanzipatorische Aufklärungsarbeit, Boykott, Sabotage betrieben und keine Rücksicht auf wahltaktische Überlegungen genommen werden.

Bürgerlicher Antifaschismus hingegen, wie er in großen Teilen der außerparlamentarischen Linken gehegt und gepflegt wird und der durch die moralische Kritik an einzelnen RepräsentantInnen rechter Parteien und Gruppierungen eine eidgenössische Adaption des Schröderschen „Aufstand der Anständigen“ darstellt, ist keine Perspektive.