Wenn hierzulande von Häuserkampf die Rede ist, fallen uns zuerst die Hausbesetzungen in Großstädten wie Hamburg, Frankfurt und vor allem Berlin ein. Das ist nicht verwunderlich, denn sowohl 1980 als auch 1990, auf den Höhepunkten der BesetzerInnenbewegung, lebten allein in Berlin jeweils mehr als 3.000 Menschen in 160 (Winter 1980/81) bzw. 130 (Herbst 1990) besetzten Häusern. (1) Die heftigen Auseinandersetzungen z.B. in den 1980er Jahren um den Erhalt der Hamburger Hafenstraße, die brutale Räumung des BesetzerInnenzentrums in der Mainzer Straße 1990 und die aktuelle Räumungsdrohung gegen die seit 1990 legalisierte Köpi im Osten Berlins sind bis heute geradezu mythische Bezugspunkte für Teile der autonomen und anarchistischen Szene.
Die vielen sozialen Kämpfe für selbstverwalteten Wohnraum und gegen Umstrukturierung, die es auch in der Provinz gab und gibt, sind dagegen auch in libertären Zusammenhängen weitgehend unbekannt. Dabei lässt sich aus solchen Widerstandsgeschichten viel lernen.
Da ich seit 1986 in Münster lebe und seit 1989 an mehreren Hausbesetzungen teil genommen habe, möchte ich hier die Geschichte des Häuserkampfs in dieser katholischen Provinzmetropole skizzieren und somit ein Stück vergessene Geschichte von unten zugänglich machen.
In Münster studieren mehr als 50.000 Menschen an Uni und Fachhochschule. Vor allem im studentischen Milieu entwickelte sich eine vielfältige und bisweilen widerständige Subkultur, die im Kontrast steht zur Tristesse der katholischen, traditionell CDU-dominierten „Westfalenmetropole“.
Wie in vielen Universitätsstädten kam es auch hier ab Anfang der 1970er Jahre zu zahlreichen Hausbesetzungen.
Die Aktionen richteten sich gegen die Innenstadtumstrukturierungen, gegen steigende Mietpreise und spekulativen Leerstand. Sie waren immer auch Ausdruck eines politischen Konzepts, welches sich gegen den Kapitalismus richtete. Das kollektivistisch organisierte Leben in den besetzten Häusern galt als Gegenmodell zu der als entfremdet wahrgenommenen Lebensweise im kapitalistischen System.
35 Jahre Häuserkampf in Münster – eine unvollständige Chronologie
Grevener Straße 31
Am 15. November 1972 wurde das bis dahin seit einem Jahr leer stehende Haus in der Grevener Straße 31 von Studierenden besetzt. Ein Hintergrund dieser Besetzung war die katastrophale Wohnsituation in Münster. 25% der Erstsemester standen Ende Oktober 1972 auf der Straße, 2000 Studierende waren ohne Bleibe und übernachteten zum Teil in Zelten.
Am 18. November 1972 schloss der Allgemeine Studierenden Ausschuss (AStA) der Uni mit der Stadt Münster einen Vertrag über die weitere Nutzung der Grevener Straße 31 durch die BesetzerInnen. Seitdem ist das Projekt ein Symbol für erfolgreichen, gewaltfreien Widerstand gegen Abrissbagger und gegen Wohnraumpolitik als Ware. Ein kleiner Dorn im Fleisch des Kapitalismus.
Frauenstraße 24
Die erfolgreiche Besetzung der Grevener Straße 31 wirkte sich positiv auf die überwiegend studentische HausbesetzerInnenszene in Münster aus.
Wenige Wochen später wurde das abrissbedrohte Haus in der Frauenstraße 24 besetzt. Zuvor hatte ein Makler das Gebäude „systematisch verkommen lassen“ und eine Abbruchgenehmigung erreicht, „die das Grundstück zum profitträchtigen Spekulationsobjekt machte“, so die HerausgeberInnen der Schlimmer wohnen in Münster – „Broschüre gegen Umstrukturierung und Wohnungsnot“. Durch eine der längsten Hausbesetzungen in der Geschichte der Bundesrepublik, konnte der Abriss verhindert werden. Die bis heute existierende selbstverwaltete Kneipe im Erdgeschoss des Wohnhauses Frauenstraße 24 wurde von den BesetzerInnen als Treffpunkt und zur Finanzierung von Aktionen und Gerichtsprozessen betrieben.
Nach gescheiterten Räumungsversuchen und einem versuchten Brandanschlag auf das Gebäude wurde die „f24“ erst 1981 legalisiert. „das haus wurde vorm abriss gerettet und die kneipe blieb und ist nun seit über zwei jahrzehnten in trägerschaft des gleichnamigen vereins. dies bedeutet konkret: wir arbeiten nicht-kommerziell, eventuelle gewinne kommen der kulturarbeit zugute. und: alle wichtigen entscheidungen werden nicht von einem allein, sondern im verein gefällt und umgesetzt“, so die f24 im April 2007.
Seertürnerstraße
In Münster gründete sich die „Wohnraumrettungsinitiative“ (WRI), die sich intensiv mit dem Schwerpunktthema Wohnungsnot beschäftigte.
Die Besetzung am 26. Januar 1980 war entsprechend gut organisiert: 700 Menschen besetzten mehrere Häuser in der Seertürnerstraße.
Marienthalstraße 8
Am 13. Oktober 1980 wurde das gut erhaltene Haus Marienthalstraße 8 besetzt, welches vier Monate später, am 17. Februar 1981, durch ein großes Polizeiaufgebot geräumt wurde.
Steinfurter Straße
Im Dezember 1981 besetzten wohnungssuchende StudentInnen das ehemalige Coca-Cola Gebäude an der Steinfurter Straße. Sie forderten die Umwandlung des nicht mehr genutzten Verwaltungsgebäudes in ein Studentenwohnheim, um die katastrophale Wohnungsnot zu lindern.
In den folgenden Jahren kam es nur noch vereinzelt zu kurzen, oft eher symbolischen Besetzungen.
1989 gründete sich das „Bündnis gegen Wohnungsnot und Umstrukturierung“. Die Mitglieder dieses Bündnisses organisierten fortan zahlreiche Aktionen gegen Wohnungsnot.
Zur Unterstützung marokkanischer Studenten wurde ab August 1990 eine Notunterkunft in der Steinfurter Straße besetzt.
„Die StudentInnenschaft hatte seit Februar 1990 einen rechten AStA und dieser versuchte gemeinsam mit der Uni-Verwaltung die Marokkaner aus der Notunterkunft zu vertreiben.
Wider Willen mußten die BesetzerInnen monatelang stellvertretend die Notunterkunft besetzen“, so die autonome Häusergruppe. Die BesetzerInnen konnten schließlich die Errichtung einer Notunterkunft an der Grevener Straße erreichen.
Von September 1990 bis Herbst 1991 erschienen mit dem Untertitel „Häuserzeitung Münster“ vier Ausgaben der na warte! Dieses libertäre Blatt wurde konzipiert als lokales Sprachrohr für alle, die „gegen Umstrukturierung, Spekulanten und Vermieter, für preiswerten selbstbestimmten Wohnraum und für besetzte Häuser kämpfen (wollen).“ Der Titel ist eine Persiflage auf das kommerzielle Münsteraner Anzeigenblatt na dann…
Engelstraße
Nach intensiver Vorbereitung wurde am 19. Oktober 1990 die Engelstraße 59 von AktivistInnen der libertären Szene besetzt. Durch die Beteiligung vieler Menschen konnte eine Räumung zunächst verhindert werden. Die InstandbesetzerInnen erhielten Unterstützung aus der Bevölkerung und organisierten ihren kollektiven Alltag in dem gut erhaltenen Haus, ohne Heizung, Strom und fließend Wasser.
Nachdem das bundesweite BesetzerInnenzentrum in der Mainzer Straße in Ost-Berlin geräumt worden war, kam es auch in Münster zu Protestaktionen.
Einige Wochen später, am 4. Dezember 1990, räumten zwei Hundertschaften der Polizei und ein Mobiles Einsatzkommando (MEK) der Dortmunder Polizei unter Einsatz von Blendschockgranaten das Gebäude. Die vier im Haus verbliebenen BesetzerInnen, „bewaffnet“ mit bunten Wasserpistolen und „vermummt“ mit roten Pappnasen, wurden festgenommen, erkennungsdienstlich misshandelt und verhört. Gegen die 50 AktivistInnen, die währenddessen in der Engelstraße gegen Räumung und Abriss des Gebäudes demonstrierten, ging die Polizei mit Gummiknüppeln vor.
Breul/Tibusstraße
Die Häuser Breul 32 bis 38 und Tibusstraße 30a, b und c wurden 1880 als Unterkunft für Kanalarbeiter gebaut. Diese älteste ArbeiterInnensiedlung innerhalb der Münsteraner Altstadt entwickelte sich ab 1989 zu einem Zentrum alternativen Lebens.
Die Wohnbau GmbH hatte die Häuser übernommen. Ihr Chef, der CDU-Ratspolitiker Tono Dreßen, wollte die Gebäude abreißen lassen um dort lukrative Eigentumswohnungen zu bauen. Wohnbau-Verwalter Wilhelm Wobbe bezeichnete sich selbst öffentlich als „Entmieter“. Seine Aktionen wurden von den BewohnerInnen als Psychoterror empfunden.
Schließlich musste er seinen Posten räumen, nachdem das Münsteraner Stadtblatt 1992 berichtet hatte, dass er vor den Augen von Bewohnern auf den Dachboden des Breul 34 gepinkelt hatte, um „die Substanz zu testen“ (Wobbe).
Die 57 Bewohnerinnen und Bewohner gründeten den bis heute aktiven Verein zur Erhaltung preiswerten Wohnraums (VzEpW). Schließlich konnten sie den Abriss verhindern und bis 1998 ihre Häuser sanieren.
„Zehn Jahre lang war unser Wohnprojekt abrissbedroht, die meisten Bewohnerinnen und Bewohner hatten – wenn überhaupt – nur Pseudountermietverträge, in denen uns gedroht wurde, dass die Häuser abgerissen werden und wir innerhalb von drei Monaten wieder ausziehen müssten. Wir haben uns erfolgreich gegen die Abrisspläne gewehrt, haben Straßenfeste, Benefiz-Konzerte, Demos, direkte gewaltfreie Aktionen organisiert und unsere Räumungsprozesse gewonnen. Aus einer ‚Zwangsgemeinschaft‘, die sich bilden musste, um sich gegen die Spekulanten zu stemmen, aus unterschiedlichsten Leuten ist eine Gemeinschaft von Freundinnen und Freunden gewachsen. Früher wurden wir von der Lokalpresse angegriffen als ‚Münsters Hafenstraße‘: ‚Dieser Schandfleck muss beseitigt werden.‘ Nach der Sanierung hat unser Verein zur Erhaltung preiswerten Wohnraums Preise für ökologisches und selbstverwaltetes Bauen bekommen. Von ‚Münsters Hafenstraße‘ zum Vorzeigeprojekt des Landes NRW. Wir produzieren unseren eigenen Strom“, so ein Breul-Bewohner in dem 2006 im Berliner Karin Kramer Verlag erschienenen Buch „ja! Anarchismus – Gelebte Utopie im 21. Jahrhundert“.
Schulstraße
In der Silvesternacht 1999/2000 zogen zig Menschen unbemerkt in das ehemalige Uppenbergschulgebäude in der Schulstraße ein. An der Außenwand des Gebäudes wurde ein großes Transparent mit der Aufschrift „Besetzt!“ platziert.
Ein Ziel dieser Besetzung war die Schaffung eines Raumes, „in dem sich Menschen fernab des Konsum- und Verwertungswahns treffen und ihre Träume und Utopien leben können“.
Anfang 1999 hatte sich eine Initiative für ein Libertär Unabhängiges Zentrum (LUZI) gebildet, die sich über mehrere Monate traf, Ideen sammelte und konkretisierte. Gegen Jahresende waren einige Leute auf die leerstehende, ehemalige Uppenbergschule aufmerksam geworden.
„Das schöne, 128 Jahre alte Gebäude sollte nach den Plänen der Stadt und im Einverständnis aller Ratsfraktionen abgerissen werden und einem Parkhaus oder einem modernen Luxuswohnkomplex weichen“, so eine Besetzerin in der Graswurzelrevolution Nr. 247.
Nach einer Woche Leben in akuter Räumungsgefahr teilte die Stadtverwaltung den InstandbesetzerInnen mit, dass sie bis zur Ratssitzung am 9. Februar geduldet seien und garantierten ihnen Straffreiheit.
Am 9. Februar 2000 beschloss der Rat der Stadt Münster einen „zügigen Rückbau“ des Gebäudes.
Am 10. Februar 2000, um 6 Uhr morgens, wurden die BesetzerInnen von mehr als 200 PolizistInnen geräumt. 100 BesetzerInnen legten nach der Räumung spontan für eine Stunde den Berufsverkehr lahm und demonstrierten lautstark gegen die Räumung und den sofort vollzogenen Abriss.
Eine Besetzerin: „Auch wenn das Gebäude zerstört werden konnte, so werden doch die Utopien, die darin verwirklicht wurden, weiter leben. Weiter leben werden viele Kontakte und Freundschaften, die in der Uppenbergschule aufgebaut wurden. Weiter leben wird auch die Erinnerung an ein Zentrum, in dem sechs Wochen lang ein kulturelles und politisches Programm auf die Beine gestellt wurde. Es wurde zusammen diskutiert, gelacht, geweint, gefeiert und getanzt und erfahren, wie wichtig selbstbestimmte Räume sind.“
Um die Gemüter der BesetzerInnenszene zu beruhigen, vermietete die Stadt ein kleines Ladenlokal in der Grevener Straße an die BesetzerInnen. Bis heute wird das heute akut von Räumung bedrohte Versetzt als libertärer Treffpunkt genutzt.
Der Kampf für ein Soziales Zentrum in Münster war damit aber keineswegs beendet.
Robert-Koch-Straße
Am 13. April 2001 wurde ein seit 1999 leerstehendes Gebäude in der Robert-Koch-Straße besetzt. In der Presseerklärung der BesetzerInnen heißt es:
„Seit dem heutigen Karfreitag existiert in Münster ein neues soziales und kulturelles Zentrum! Das ehemalige Gesundheitsamt in der Robert-Koch-Straße wird hiermit nach mehrmonatigem Leerstand endlich wieder genutzt. Wie schon in der Uppenbergschule haben wir nun erneut einen Freiraum geschaffen, um unsere Idee von einem selbstverwalteten und nicht-kommerziellen Zentrum weiterzuentwickeln. Linkspolitische Gruppen, Infoläden, Therapiegruppen, Frauen/Lesben-Initiativen, alternative MusikerInnen, Volxküche sowie preiswerter Café-/Kneipenbetrieb – all das wird schon zu lange von profitorientierten Entscheidungsträgern in Rat & Verwaltung an den Rand gedrängt. Diese Klientelpolitik setzt mit prestigeträchtigen Millionenprojekten wie der Musikhalle (oder York-Center, Hafenmodernisierung, Cineplex etc.) auf die Kommerzialisierung von Kultur und ungebremsten Konsum, statt gewachsene Strukturen und alternative Initiativen zu fördern bzw. erhalten.“
Am 19. April 2001 erzwangen 180 PolizistInnen im Auftrag der Stadtverwaltung das Ende dieses Projektes.
Die BesetzerInnenszene beschränkte sich in den folgenden Jahren auf öffentlichkeitswirksame Aktionen.
Für ein Soziales Zentrum geworben wurde fortan z.B. bei Informationsveranstaltungen des Infoladen Bankrott, im Umweltzentrum, bei den jährlich stattfindenden Festen der seit 1990 existierenden Münsteraner Wagenburg, sowie bei den alternativen Straßenfesten der abrissbedrohten Nieberdingstraße, der Grevener Straße, der Frauenstraße 24 und von Breul und Tibusstraße.
Aufsehen erregen konnte die Initiative für ein autonomes, selbstverwaltetes Kultur- und Kommunikationszentrum (ask) als sie 2005 symbolisch eine Besetzung auf dem Aasee durchführte.
Baracke, Scharnhorststr. 100
Die „B@racke“ ist seit 1997 das offizielle Gebäude der Fachschaften Politikwissenschaft, Soziologie und Wirtschaftspolitik an der Uni Münster. 1999 übernahm ein „B@rackennutzerInnenplenum“ die Organisation und Verwaltung der B@racke. „Dieses Plenum war offen für alle – sowohl Gruppen wie der Infoladen Bankrott, die Konzertgruppen und die Fachschaften als auch Einzelpersonen sollten daran teilnehmen. Mit dem Barackenplenum wurde eine basisdemokratisch funktionierende Institution geschaffen, die einen in Münster einzigartigen Freiraum erhält“, so die Selbstdarstellung auf http://www.baracke.de.ms/
2002 änderte die Landesregierung Nordrhein-Westfalen die Gesetzgebung zur Raumvergabe der Universitäten: Bisher gehörten die der Uni zugestandenen Räume dem Land, nun wurde der semiprivate Bau- und Liegenschaftsbetrieb (BLB) gegründet, der die Räume an die Uni vermietet. Hintergrund ist die fortschreitende Privatisierung im Bildungsbereich: Die Hochschule sollte die Möglichkeit erhalten, billigere oder auch mehr Räume anzumieten wie auch Räumlichkeiten abzustoßen.
In den Semesterferien des Sommers 2002 sollten die Fachschaften das Gebäude räumen, da es gegenüber dem BLB gekündigt werden sollte. Daraufhin besetzten 30 bis 40 Personen die B@racke drei Wochen lang.
„Die Besetzung der B@racke ist für die Geschichte der Hausbesetzungen in Münster relevant, weil sie erfolgreich war. Während der Verhandlungen erkannte die Uni Münster erstmals statt der Fachschaften das B@rackennutzerInnenplenum als Gesprächspartner an“, so ein Besetzer.
Unter Brandschutz-, Lärm- und Versicherungsauflagen akzeptierte die Universitätsverwaltung die weitere kulturelle Nutzung der B@racke, da sie aus dem Mietvertrag mit dem BLB nicht zurücktreten konnte.
Die B@racke ist bis heute ein kulturell und unkommerziell genutzter Ort an der Universität.
Grevener Straße 31-57
Im Dezember 2006 und Ende März 2007 wurde das Haus Grevener Straße 57 jeweils für mehrere Tage besetzt, um gegen den geplanten Abriss zu demonstrieren.
Am 1. April 2007 wurde die Grevener Str. 59 besetzt.
Die Besetzung richtete sich gegen die Pläne der Stadt, die Häuser Grevener Straße 31 bis 59 abzureißen und so preiswerten Wohnraum zu zerstören.
Die BesetzerInnen forderten ein unabhängiges Gutachten über den Zustand der Gebäude.
Mit der Besetzung sollte zudem der Forderung nach einem selbstverwalteten Sozialen Zentrum Nachdruck verliehen werden.
Die Forderungen der BesetzerInnen wurden von der städtischen Wohn- und Stadtbau ignoriert. Stattdessen wurden Fakten geschaffen: Am 24. April wurde das besetzte Haus geräumt und mit dem Abriss der Häuser 57 und 59 begonnen. Gegen zehn Hausbesetzer wurde Strafanzeige gestellt.
Nach dem Bebauungsplan soll die gesamte Häuserzeile Grevener Straße 31 bis 59 abgerissen werden um dort lukrativere Gebäude zu bauen.
„Das Handeln der Wohn- und Stadtbau ist unsozial und steht im Kontrast zu ihrer in der Presse verkündeten Gesprächsbereitschaft, ‚Geduld und Diplomatie‘.
Wir haben uns während der Besetzung von dem guten Zustand des Gebäudes in der Grevener Straße 59 überzeugen können. Eine Baufälligkeit war nicht zu erkennen.
Es ist ein Skandal, dass hier mutwillig von der Wohn- und Stadtbau gut erhaltener, günstiger Wohnraum zerstört wurde.
Wir unterstützen die Forderungen der ehemaligen BesetzerInnen und fordern die Wohn- und Stadtbau auf, die Strafanzeigen umgehend zurückzuziehen.
Von der Stadt Münster fordern wir eine Bestandsgarantie für die noch immer abrissbedrohten Häuser Grevener Straße 31 bis 55″, so ein offener Brief des Vereins zur Erhaltung preiswerten Wohnraums vom 6. Mai 2007.
Die aktuelle Räumungsdrohung gegen das alternative Wohnprojekt Grevener Straße 31
Am 6. Dezember 2007 demonstrierten FreundInnen und BewohnerInnen des selbstverwalteten Wohnprojekts Grevener Straße 31 vor und im Rathaus gegen den drohenden Abrissbeschluss durch den Stadtplanungsausschuss.
Am 1. Dezember 2007 hatte die Stadtverwaltung in einer Berichtsvorlage empfohlen, das Haus Grevener Straße 31 abzureißen, weil die von dem Architekturbüro Knoche geplante Sanierung für 710.000 Euro nicht zu finanzieren sei.
„Ich befürchte, dass unser selbstverwaltetes Wohnprojekt der konservativen Stadtregierung ein Dorn im Auge ist und die Summe von 710.000 Euro eine schon zuvor angestrebte Entscheidung in der Öffentlichkeit legitimieren soll“, so eine Bewohnerin.
Um die Gefahr von Abriss oder Zwangs-Sanierung abzuwenden, hat die Hausgemeinschaft ein alternatives Instandsetzungskonzept erstellen lassen, welches zeigt, dass eine gemeinsam mit den BewohnerInnen geplante Sanierung für 370.000 Euro, also deutlich günstiger, möglich ist. Zudem hat sie Interesse bekundet, das Haus selbst zu kaufen.
„Das alternative Sanierungskonzept ist u.a. deswegen günstiger, weil es auf die Bedürfnisse der BewohnerInnen abgestimmt ist und weil es nur notwendige Maßnahmen umfasst. Weder wollen wir für teures Geld die schönen Holzfußböden mit Linoleum überdecken lassen noch benötigen wir einen Briefkasten mit Gegensprechanlage oder neue Fensterbänke. Fernseh- und Antennenanlagen, Baumfällarbeiten und Anlegen von Grünflächen, aufwändige Fassadensanierung und Sperrmüllentsorgung sind Bestandteile des von der Stadt bezahlten Gutachtens.
Daraus möchten Verwaltung und CDU-FDP-Mehrheit nur einen Schluss ziehen: Zu teuer, unwirtschaftlich – also abreißen!“
Die Hausgemeinschaft will das schöne, stadtbildprägende Haus erhalten. Das Wohnprojekt soll selbstverwaltet bleiben und auch zukünftig preiswerten Wohnraum und die Möglichkeit zu alternativem Leben bieten.
Im Falle des Hauskaufs soll ein Verein gegründet werden, um sicher zu stellen, dass das Haus nicht in das Privateigentum einiger, sondern in den gemeinsamen Besitz aller jeweiligen BewohnerInnen übergeht.
Die Vereinssatzung soll eine Selbstverpflichtung auf niedrige Mieten und soziale Kriterien enthalten.
„Auch für die Stadt Münster hätte der Verkauf des Hauses an die Hausgemeinschaft Vorteile, denn offensichtlich würde er die Wirtschaftlichkeit gewährleisten. Allerdings müsste die Stadt endlich Abstand nehmen von der Realisierung des äußerst umstrittenen Bebauungsplans aus den 1980er Jahren, der die Zerstörung preiswerten Wohnraums für den Ausbau des Straßenverkehrs vorsieht“, so die BewohnerInnen.
Durch ihre öffentlichkeitswirksamen Aktionen konnten sie erreichen, dass der Stadtplanungsausschuss seine Entscheidung über das Gebäude vertagte und zusagte, sich eingehend mit dem alternativen Instandsetzungskonzept und dem Kaufinteresse der Hausgemeinschaft auseinander zu setzen.
„Unsere Hausgemeinschaft ist das Ergebnis von selbstbestimmten Wohnen. In regelmäßig stattfindenden Hausversammlungen werden gemeinschaftliche Aktionen, anstehende Reparaturen, Finanzen etc. diskutiert und Entscheidungen getroffen. Über das gemeinsame Interesse am Erhalt des Hauses von 19 sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten hinaus haben sich etagenübergreifend Freundschaften gebildet. Es ist ein Gemeinschaftsgefühl und gegenseitiges Interesse untereinander entstanden, das unserer Meinung nach Symbolcharakter hat“, so die BewohnerInnen.
Das 1920 gebaute Haus in der Grevener Straße 31 ist seit über 35 Jahren ein Symbol für beharrlichen Widerstand gegen eine kapitalistische Wohnungspolitik, in der alternative Lebensformen unerwünscht und Häuser nur Waren sind.
Im Jahr 2008 dürfte sich entscheiden, ob die BewohnerInnen gemeinsam mit dem bundesweiten Mietshäusersyndikat und zahlreichen UnterstützerInnen das schöne, bunt bemalte „Drachen-Haus“ retten können, oder ob es dem profit- und abrissgeilen Klüngel aus CDU, FDP sowie Wohn & Stadtbau gelingt, diesen Freiraum zu zerstören.
Die aktuellen Auseinandersetzungen um die Häuser in der Grevener Straße, in der 1972 der Häuserkampf in Münster seinen Anfang nahm, zeigen, dass die Geschichte des Häuserkampfs auch in dieser Stadt noch lange nicht zu Ende ist.
(1) Siehe: Bernd Drücke, Zwischen Schreibtisch und Straßenschlacht? Anarchismus und libertäre Presse in Ost- und Westdeutschland, Verlag Klemm & Oelschläger, Ulm 1998, S. 129 ff.
Anmerkungen
Hunderte Dokumente und Infos u.a. zu den Themen Häuserkampf und Münsters Geschichte von unten finden sich unter: www.uwz-archiv.de