Am 8. März ist Internationaler Frauentag, vor 40 Jahren entstand weltweit eine Neue Frauenbewegung und heute feiern die an.schläge ihren 25. Geburtstag. Genug Gründe für ein Interview mit Lea Susemichel (* 1976), Redakteurin von an.schläge - das feministische Magazin und an.schläge TV.
Graswurzelrevolution: Der Weltfrauentag bzw. International Women’s Day wird weltweit von Frauenorganisationen begangen. Er entstand im Kampf um die Gleichberechtigung für Frauen. Heute ist umstritten, auf welche Traditionen sich der Gedenktag bezieht. Am 8. März 1917 begannen Textilarbeiterinnen in Petrograd mit der „Februarrevolution“, die den Sturz des Zaren und die Umwälzung in Russland einleiten sollte. Auch in Erinnerung an dieses Ereignis feiert die sozialistische Frauenbewegung seit 1921 den 8. März als Internationalen Frauenkampftag.
Was bedeutet der Internationale Frauentag für Dich heute?
Lea: In den letzten Jahren vor allem viel Arbeit. Es ist leider so, dass wir als feministisches Magazin, wenn überhaupt, nur zum 8. März wahrgenommen werden und deshalb jedes Jahr den Stress haben, uns zu überlegen, welche gute Aktion wir machen könnten, welche Forderungen wir jetzt noch mal präzise und möglichst spritzig in die Öffentlichkeit bringen können.
Zusätzlich machen wir immer ein Special im Heft und in den letzten Jahren auch immer eine Fernsehsendung zum 8. März.
Dadurch ist mir der Frauentag ein bisschen verleidet, alle Kräfte müssen für dieses Datum mobilisiert werden, und danach ist es dann erst einmal wieder vorbei mit dem Interesse am Feminismus. Andererseits ist es aber schön, wenn ich dann auf der Demo bin und alle Frauen sehe, die ich sonst vielleicht nicht zu Gesicht bekomme, und es eine große, schöne, laute Demo ist.
GWR: Wie wurdest Du Feministin?
Lea: Ich weiß nicht, ob ich das wirklich wurde. Ich bin in einem linken Umfeld, in einer WG aufgewachsen, und meine Mutter und auch die anderen weiblichen Bezugspersonen um mich herum waren im Grunde Feministinnen. Deswegen hatte ich wohl von Anfang an eine gewisse feministische Grundhaltung. So richtig bewusst Feministin bin ich dann aber erst im Zuge meiner linken Politisierung geworden, so mit 16, 17 Jahren. Ich komme aus Mannheim und habe mich dann im Mannheimer JUZ anfangs in einer antirassistischen Initiative engagiert, dann auch in anderen Gruppen und bin schließlich in eine Frauengruppe gekommen. Später habe ich in Wien Philosophie und Gender Studies studiert, was dann noch mal einen Schub auf einer anderen Ebene bewirkt hat. Und in Wien bin ich dann auch zu den an.schlägen gekommen.
GWR: Wie beurteilst Du die Situation des Feminismus heute?
Lea: Schwierige Frage. Wenn ihr mir die vor einem Jahr gestellt hättet, hätte ich sie wohl entschiedener beantworten können: Es ist alles schlecht, es gibt einen Riesenbacklash und alles ist furchtbar. Die Erfahrung, die ich vor allem während meines Studiums gemacht habe, war, dass Feminismus regelrecht zum Schimpfwort mutiert ist. Gerade junge Frauen haben sich selbst nie Feministin genannt, der klassische Satz war immer: „Ich bin keine Feministin, ABER ich will mein Ding machen, ich bin für Gleichberechtigung, für gleichen Lohn …“ Also durchaus feministische Forderungen, aber keine Frau wollte dieses schreckliche Wort in den Mund nehmen und sich selbst als Feministin outen.
Ich habe aber den Eindruck, dass es sich jetzt ein bisschen ändert. Vielleicht gerade deshalb, weil der schwelende Antifeminismus von Eva Herman so auf die Spitze getrieben wurde. Das hat Gegenreaktionen hervorgerufen, viele Promifrauen haben sich als Feministinnen positioniert, was uns erfreut hat.
Das sind Konjunkturen und das kann schnell wieder vorbei sein. Ich habe da vermutlich auch einen eingeschränkten Fokus. Sobald in den Medien von Feminismus die Rede ist, nehme ich das vermutlich hundertmal stärker wahr als andere, und deswegen kann es auch sein, dass ich das überschätze.
Aber ich glaube, es ist jetzt wieder ein bisschen schicker zu sagen „ich bin feministisch“, wobei man solche Entwicklungen mit Vorsicht genießen muss.
Wenn etwas ein Trend ist, dann heißt das noch lange nicht, dass sich das auch inhaltlich füllt. Aber wir können jetzt mal optimistisch sein und hoffen, dass sich daran auch eine inhaltliche Diskussion knüpfen wird.
GWR: Ich denke, auch Personen wie Anne Will, die jetzt öfter mal einen neuen Feminismus gefordert haben, haben etwas dazu beigetragen, dass sich das verbessert hat.
Lea: Auf jeden Fall. Die Feminismus-Reihe in der ZEIT, bei der Anne Will eine von mehreren Frauen war, das war sicher wichtig. Auch, dass sie sich jetzt als Lesbe geoutet hat.
GWR: Wie beurteilst Du die Situation der Frauen?
Lea: Das ist eine Riesenfrage. Da muss ich gegenfragen: Welche Frauen? Wo?
Und in welcher Situation? Wenn ich mir das global anschaue, dann ist die Situation der Frauen nach wie vor zum Heulen, da entsteht leicht der Eindruck, dass sich überhaupt nichts getan hat in den letzten 40 Jahren. Sie ist furchtbar, wenn man sich Besitzverhältnisse und Machtverteilung anschaut …
GWR: … wobei die EMMA ja gejubelt hat, dass so viele Frauen jetzt in Machtpositionen sind. Wie siehst Du das?
Lea: Erst einmal heißt das noch lange nicht, dass sie feministische Politik machen, was ja deutlich zu sehen ist. Zweitens sind es nicht so viele, die kann man an einer Hand abzählen. Und dann ist die Frage, wovon wir sprechen, von EU-Europa und US-Amerika?
Wie gesagt, es ist katastrophal, wenn man die Lage von Frauen weltweit betrachtet. Trotzdem dürfen wir nicht aus dem Blick verlieren, was sich alles schon getan hat, zumindest hier. Es ist wichtig, die Errungenschaften, die wir in den letzten Jahrzehnten erreichen konnten, zu sehen, um sich selbst zu motivieren weiter zu machen. Das ist vielleicht eine der wichtigsten feministischen Anforderungen an Aktivistinnen, sich selbst bei Laune zu halten und nicht zu resignieren angesichts der vielen Rückschläge. Dafür braucht es auch die Bestätigung, dass sich doch etwas getan hat und dass es eben doch einen Unterschied macht, ob ich vor 50 Jahren als Mädchen zur Welt kam oder ob ich heute als Mädchen geboren werde. Zweitens ist es auch deshalb wichtig, weil wir die Errungenschaften, die wir haben, verteidigen müssen. Mit dem Gefühl, dass nichts weitergeht bzw. uns alles gleich wieder genommen wird, fehlt mir auch der Biss zu verteidigen, was wir trotz allem schon erreicht haben.
GWR: Daran würde ich gerne anknüpfen, auch an das, was du eben als Backlash bezeichnet hast. Hier wird erfolgreichen Fraueninitiativen und Frauenhäusern das Budget zusammengestrichen. Ist das ein allgemeiner, überregionaler Trend?
Lea: Ja, das kann ich zumindest bei allen Organisationen, mit denen wir in Kontakt sind, beobachten. Überall werden Basisförderungen gestrichen oder massiv gekürzt. Es gibt vor allem einen allgemeinen Trend zur Projektförderung, d.h., da wird dann für ein oder zwei Jahre ein bestimmtes Projektprofil erstellt und ein Schwerpunkt festgelegt, was jetzt gefördert wird, und alle Organisationen müssen sich dann verbiegen, um in dieses Profil reinzupassen, und schaffen es vielleicht mit Hängen und Würgen, für diesen kurzen Zeitraum eine Förderung zu kriegen. Das ist z. B. in Österreich gerade der Schwerpunkt „Gegen Gewalt an Frauen“, was natürlich wichtig und toll ist, dass es dafür jetzt mehr Geld gibt. Aber es hat keinen Sinn, da einmal Geld reinzupumpen und die Organisationen danach wieder sich selbst zu überlassen. Dass da überhaupt etwas erreicht wurde, ist der kontinuierlichen Arbeit der Frauen in den Frauenhäusern und anderen Gewaltschutz-Organisationen zu verdanken.
Die arbeiten seit Jahrzehnten und haben eine Infrastruktur aufgebaut, die es braucht und die dauerhaft finanziert werden muss, sonst hat das Ganze wenig Sinn.
Wir bei den an.schlägen versuchen z.B. kleine Kulturfördertöpfe anzuzapfen und kriegen dort mal 500 Euro und da mal ein bisschen was. Diese Anträge und dieser Bürokratiekram fressen aber viel Zeit und Energie, die uns dann woanders fehlen.
GWR: Das klingt ein bisschen frustrierend, was Du da gerade beschreibst. Wie kann frau gegensteuern, um eine kontinuierliche Arbeit zu sichern?
Lea: Wenn ich das genau wüsste oder wenn es da ein Patentrezept gäbe, sähe die Situation wahrscheinlich anders aus. Wir haben uns für feministische Medienarbeit entschieden als Gegenstrategie, weil wir denken, dass Medien ein zentraler Ort gesellschaftlicher Auseinandersetzung sind und dass es wichtig ist, da zu arbeiten und Bewusstseinsbildung voranzutreiben.
GWR: Viele GWR-LeserInnen kennen Eure Zeitung noch nicht. Kannst Du etwas zur Geschichte der an.schläge erzählen?
Lea: Die an.schläge sind 1983 gegründet worden und am Anfang vierteljährlich erschienen, dann ab 1988 monatlich. Die Zeitung hat eine bewegte Geschichte, es hat sich immer wieder viel verändert, aber was sich vielleicht als ein roter Faden durchzieht, ist der Existenzkampf des Magazins. Es gab immer wieder finanzielle Schwierigkeiten, mehrmals stand die Zeitung vor dem Aus. Anfang der 90er sind die an.schläge auch eine zeitlang eingestellt worden bzw. nur in abgespeckter Form als dünnes Infoheft erschienen. 1994 wurde sie wiederbelebt, aber auch danach gab es die Frage, ob das überhaupt noch tragbar ist, ob sie z. B. vielleicht nur noch online erscheinen soll. Letztlich haben wir immer wieder die Kurve gekriegt, und es jetzt geschafft 25 Jahre alt zu werden.
GWR: Herzlichen Glückwunsch!
Du hast es ja gerade schon angedeutet. Ihr seid ein Kollektiv und auf Eurer Homepage stehst Du nicht als „Chefredakteurin“, sondern da steht „koordinierende Redakteurin“. Wie arbeitet Ihr? Wie ist die Zeitung organisiert? Basisdemokratisch?
Lea: Auf jeden Fall, wir arbeiten als Kollektiv, das ist uns wichtig und ein Kerngedanke des Projekts. Wobei es da immer wieder Diskussionsprozesse gab. Eine Frau hat darauf gepocht, „Chefredakteurin“ genannt zu werden, vielleicht weil sie der Meinung war, dass Frauen auch bei uns genau das passiert, was ihnen sowieso immer passiert: dass ihre Arbeit nicht gesehen und ihre Leistung nicht gewürdigt wird. Das ist ein Aspekt, der sicherlich nicht ganz von der Hand zu weisen ist. Trotzdem wurde gegen diese Hierarchie wieder rebelliert, was ich gut finde, und wir sind zum Kollektivgedanken zurückgekehrt. Derzeit gibt es zwei Fixangestellte, Saskya Rudigier und mich, die die Redaktionskoordination machen. Daneben gibt es viele freie Redakteurinnen und Mitarbeiterinnen, die mit uns das Kollektiv bilden. Wir haben wöchentlich Redaktionssitzungen und legen die Themen der nächsten Nummern fest.
Wichtig ist auch, dass das Projekt zwar in erster Linie in der Herausgabe einer Zeitung besteht und dass darauf auch die meiste Kraft verwendet wird, wir darüber hinaus aber auch ein Frauenprojekt sind, das, wie man heute so sagt, Frauen empowert. Ein Projekt, das Frauen die Möglichkeit bieten soll, journalistische Erfahrungen zu sammeln, in einem Frauenprojekt Kompetenzen zu erwerben und da auch ohne die geringsten Vorkenntnisse einsteigen zu können.
Es ist gesamtgesellschaftlich ohnehin so, dass Frauen oft nicht zum Zug kommen, aber es ist auch in linken Projekten weiterhin so, dass Frauen sich viel schwerer damit tun, sich zu behaupten. Aus dieser Erfahrung heraus wollen wir auch eine andere Art des Arbeitens, einen anderen Umgang miteinander schaffen.
Ich erinnere mich an meine ersten Plena in der linken Szene, wie schlimm das für mich war, mich zu Wort zu melden. Wenn ich ein Anliegen hatte, habe ich mir vorher die Sätze zurechtgelegt, mir ein Herz gefasst und sie schließlich mit hochrotem Kopf und zitternd vorgebracht. Danach kamen dann drei Typen, die halbstündige Monologe gehalten haben, auf die ich nichts mehr erwidern konnte. Ich spreche den Gruppen nicht ab, dass da eine Reflektion stattfindet und dass das problematisiert wird, aber ich glaube, es ist grundsätzlich schwierig für junge Frauen, in so ein Projekt zu kommen und sich dann gegen die „alten Rebellen mit Erfahrung“ durchzusetzen, die belesen sind und besser argumentieren können.
Natürlich ist das bei uns in gewisser Weise auch so. Die „alten“ Redakteurinnen flößen den jungen auch Respekt ein, aber es ist ein anderes Klima, würde ich sagen. In dem es eben möglich ist, dass sie lernen, sich zu behaupten und ihre Dinge einzubringen. Da haben die an.schläge sicher viel auf den Weg gebracht. Es gibt viele Frauen, die über die an.schläge zum Journalismus gekommen sind und jetzt bei Tageszeitungen, beim ORF oder anderen großen Medien arbeiten. Oder auch in autonomen Zusammenhängen oder in Frauenprojekten geblieben sind, aber trotzdem wichtige Kompetenzen durchs feministische Zeitungsmachen erlangt haben.
GWR: Eure Themen sind sehr unterschiedlich. In der neuesten Ausgabe z.B. habt Ihr einen Schwerpunkt „PornRevolution“. Was ist darunter zu verstehen?
Lea: Das war ein Themenschwerpunkt, der sich mehr oder weniger aus der von der EMMA aufgeworfenen Debatte ergeben hat. Die EMMA hat mittlerweile die dritte PorNO-Kampagne gestartet. Wir haben im Heft eine Diskussionsrubrik, die „an.sage“, in der zwei Frauen ein bestimmtes Thema möglichst kontrovers diskutieren.
Wir haben Alice Schwarzer um einen Kommentar zur PorNO-Kampagne gebeten, den sie uns allerdings versagt hat. In der Folge haben wir die Diskussion über diese Kampagne bzw. über Pornographie insgesamt weitergeführt. Das war in dieser Ausgabe ein Beitrag über das Pornfilmfestival in Berlin, bei dem erotische Filme von Lesben, queere Erotika, künstlerische Pornos gezeigt wurden. Der zweite Bericht war ein Interview mit der feministischen Filmemacherin Nana Swiczinsky, die jetzt ihren ersten lesbischen Porno gedreht hat. Ganz allgemein ging es darum, die Frage zu klären, ob es tatsächlich so ist, dass Pornographie per se Gewalt ist, wie die EMMA das behauptet. Das ist ja eine lange Debatte im Feminismus, und die EMMA tut wie immer so, als hätte es diese Debatte nie gegeben, sondern nur eine feministische Wahrheit. Dem ist nicht so.
Das Körperthema war immer schon sehr wichtig im Feminismus. Für Feministinnen ist es wichtig, sich den eigenen Körper, die eigene Lust, die eigene Sexualität zurückzuerobern. Das beginnt mit der Abtreibungskampagne und „Mein Bauch gehört mir“, geht über Frauengesundheit und endet jetzt bei queeren Körperentwürfen und der Forderung, den Körper selbst definieren zu dürfen und ihn eben auch geschlechtlich uneindeutig zu definieren.
In dieser Tradition denke ich, dass es richtig und gut ist, dass sich Feministinnen nun auch diesen Sektor aneignen, dass sie im Zuge dieser Rückeroberung der eigenen Lust und der eigenen Sexualität auch eigene Bilder entwerfen. Es ist ja nicht grundsätzlich verwerflich, lustvolle Bilder zu schaffen. Im Gegenteil, es ist wichtig, dass es eine feministische Antwort gibt auf Malestream-Porno, mit all dem Ekeligen, was da stattfindet. Das bestreiten wir gar nicht, dass das, was unter „Porno“ firmiert, oft Gewaltdarstellungen sind, dass Frauen dort oft entwürdigt werden etc.
Aber gerade deshalb ist es wichtig, dass Feministinnen ihre Gegenentwürfe schaffen.
GWR: In dem Sammelband „Hot topics – Popfeminismus heute“ geht es u.a. auch um Pornografie und Feminismus. Wie beurteilst Du diese Konzeption eines Feminismus, der sich sozusagen an eine jugendliche oder junge Popszene anschmiegt?
Lea: Es geht beim Popfeminismus nicht darum, junge Frauen anzusprechen und ihnen Feminismus schmackhaft zu machen, sondern es geht um eine Analyse von Popkultur und um die Frage, was Popkultur mit Unterdrückung zu tun hat.
Nebenbei bemerkt finde ich es auch o.k., die jungen Frauen manchmal da abzuholen, wo sie sind. Ein bisschen stylischer zu werden, um Frauen, die sonst größere Berührungsängste hätten, vielleicht auch anzulocken.
Aber Popfeminismus ist ja kein oberflächlicher Feminismus, sondern einer, der sich die Frage stellt, wie kulturelle Repräsentationen die Unterdrückung von Frauen fortschreiben.
Es war sehr wichtig, dass Feministinnen eine Analyse von Popkultur vorgenommen und gezeigt haben, dass sich z.B. in der Musik, im Fernsehen und in der Werbung Geschlechterbilder manifestieren und dass ihnen eine große Rolle dabei zukommt, wenn es darum geht, solche Machtverhältnisse zu stabilisieren. Insofern finde ich es toll, dass es so etwas gibt wie die Zeitschrift FIBER, ein feministisches Magazin, das sich nur mit Popkultur beschäftigt. Das spricht für die feministische Vielfalt, dass so etwas nebeneinander möglich sein kann.
GWR: Eine der erfolgreichsten Initiativen in Deutschland war die von Alice Schwarzer und EMMA initiierte „Frauen zum Bund“ – Kampagne. Heute tragen sowohl Männer als auch Frauen den olivgrünen Mörderkittel der Bundeswehr.
Wäre es nicht sinnvoller, eine antimilitaristische Kampagne für die Abschaffung des Militärs zu machen, anstatt ihm neue, diesmal weibliche Mordfachkräfte zuzusteuern? Wie siehst Du diese „Frauen zum Bund“-Kampagne?
Lea: Furchtbar. Blöd. Ich bin grundsätzlich Pazifistin und deshalb gegen jede Form der Militarisierung, egal ob die jetzt weiblich oder männlich ist. Aber das ist eine grundsätzlich falsche Argumentation vieler so genannter Gleichheitsfeministinnen, zu sagen: „Wenn man für Gleichberechtigung ist, dann muss man konsequenter Weise fordern, dass Frauen in allen Bereichen überall und ausnahmslos das Gleiche machen können.“ Das ist Quatsch, ich muss nicht jeden Scheiß machen. Feminismus bedeutet für mich eben gerade nicht, dass ich Frauen ins bestehende System reinreklamiere, sondern dass ich mich immer frage, was das System damit zu tun hat, dass Frauen in der beschissenen Lage sind, in der sie sich befinden. Ich glaube nicht, dass es funktioniert, dass ich erst Partizipation fordere und dann die Revolution mache.
Das hat sich ja auch mehrfach gezeigt, dass das der falsche Weg ist. Das muss, um es salopp zu sagen, in einem Aufwasch passieren.
Aber es gibt noch einen vielleicht nicht unwichtigen Aspekt, warum die Kämpferin oder die bewaffnete Frau auf viele Feministinnen eine gewisse Faszination ausübt. Einmal gibt es das Klischee vom friedfertigen weiblichen Wesen, gegen das sich Frauen damit sicherlich wehren wollten. Und dann ist es auch nachvollziehbar, dass eine Gruppe, die immer unterschiedlichen Gewalterfahrungen ausgesetzt war, die wehrhafte Rebellin irgendwie auch toll findet, um aus der passiven Opferrolle herauszukommen. Der Kämpfer ist außerdem eine der letzten männlichen Bastionen, symbolisch gesehen, Frauen hatten keinen Che oder ähnliches. Vielleicht gibt es deshalb diese Sehnsucht nach einer Heldin, die sich zu wehren weiß, notfalls eben auch mit Waffengewalt.
Ich weiß, dass mich Gioconda Belli immer fasziniert hat, auch ihre Schilderung, wie sie auf Kuba schießen lernt. Das jetzt aber nur als Erklärung, warum das möglicherweise für viele Feministinnen doch eine Option ist oder etwas, das sie zumindest reizvoll finden. Keineswegs ein Plädoyer für einen weiblichen Rambo.
GWR: Stichwort: Gleichheitsfeminismus. EMMA hat eine Auflage von 50.000. Sie ist in Deutschland die erfolgreichste feministische Zeitschrift, während die an.schläge, die den Feminismus auch mit Gesellschaftskritik und der Systemfrage verbindet, eher am Rande der medialen Wahrnehmung krebst. Ist die Frauenbewegung nur dort erfolgreich, wo sie die Klassengesellschaft bzw. das staatliche System nicht infrage stellt?
Lea: Was heißt erfolgreich? Auflagenstärke? Wenn ja, stimmt die These wohl. Aber das ist für mich kein Feminismus. Im Gegenteil. Für mich ist etwas, das den Namen Feminismus verdient, nicht etwas, das sich rein auf die Forderung nach Inklusion ins Bestehende beschränkt, sondern es muss die Regeln dieser Inklusion und Exklusion immer auch in Frage stellen.
Deswegen ist es umso schlimmer, dass die EMMA als DAS feministische Paradebeispiel wahrgenommen wird, denn eigentlich haben Feministinnen immer die Regeln in Frage gestellt, ganz egal, wo sie angesetzt haben. Sie haben sich selten damit begnügt, zu sagen „wir wollen jetzt hier mitmischen und wir wollen auch ein Stück vom Kuchen“, sondern sie haben letztlich immer eine Fundamentalkritik am gesamten System geübt. Ob das jetzt in der Wissenschaft war, wo es eben auch nicht darauf hinauslief, dass Frauen nur Lehrstühle gefordert haben und auch einen Nobelpreis wollten. Sondern sie haben kritisiert, wie z.B. die Geschichtswissenschaften funktionieren. Sie haben die Objektivität von Wissenschaft in Frage gestellt, sie haben gezeigt, dass Forschung immer positioniert ist usw. Bei der Gesellschaftskritik war es letztlich genauso, aber da hatten sie wieder die Doppelbelastung, dass sie, wenn sie sich linker Gesellschafts- und Staatskritik angeschlossen haben, gleichzeitig aufpassen mussten, nicht wieder zum „Nebenwiderspruch“ degradiert wurden.
GWR: Es gibt ja auch einen sozialdemokratischen, feministischen Diskurs, der in den Gewerkschaftskreisen verbreitet ist, á la „Gleichberechtigung bedeutet, dass alle gleiche Löhne bekommen.“ Wie verhält sich die an.schläge, wie verhältst Du dich persönlich zu solchen Forderungen?
Lea: Ich finde, dass die ökonomische Unabhängigkeit ein zentraler Punkt ist. Dass Frauen ihr eigenes Geld haben, ist die Voraussetzung für alles weitere. Das fängt damit an, dass es wesentlich leichter ist, einen prügelnden Ehemann zu verlassen, wenn ich nicht finanziell von ihm abhängig bin. Und das hört damit auf, dass ich mir feministisches Engagement nur leisten kann, wenn ich nicht ständig meine ganze Kraft in die eigene Existenzsicherung stecken muss. Deswegen ist die Forderung nach gleichem Lohn wichtig. Aber wenn die Forderung nach Gleichberechtigung beim Lohn schon wieder aufhört, ist das natürlich erbärmlich.
Da gibt es noch eine Menge weiterer Dinge, die anstehen.
In kommunistischen Staaten ging das ja durchaus Hand in Hand, dass Frauen teilweise im Beruf gleichgestellt waren, das Gleiche verdient haben, und dann trotzdem zu Hause weiterhin den Macker sitzen hatten, der ihnen sagte, wo es lang geht, und sie trotzdem für die Reproduktionsarbeit alleine zuständig waren. Da muss schon noch etwas folgen. Und da schließt sich wieder die notwendige Systemkritik an. Ich denke, Feministinnen sind z. B. aufgefordert, Neoliberalismus feministisch zu analysieren und zu kritisieren. Aber das tun sie auch. Gerade hat Frigga Haug eine Debatte über das Verhältnis von Feminismus und Neoliberalismus losgetreten. Vor kurzem ist auch im Unrast Verlag ein Buch erschienen, in dem es dezidiert um feministische und queere Kritiken am Neoliberalismus geht.
GWR: Der Feminismus in Deutschland wird vor allem durch die Zeitung EMMA wahrgenommen, jetzt im Moment vor allem durch die BILDzeitungsverkäuferin Alice Schwarzer, die an jeder Bushaltestelle zu sehen ist mit „BILD dir deine Meinung“. Andere feministische bzw. pro-feministische Projekte, die eher eine emanzipatorische Entwicklung anstreben, also nicht nur auf Gleichberechtigung, sondern vielleicht sogar auf einen freiheitlich-sozialistischen Wandel setzen, sind im Gegensatz dazu eher in Nischen zu finden und kommen im herrschenden Diskurs so gut wie gar nicht vor. Hast Du dafür eine Erklärung?
Lea: Sie kommen vor, sie sind sogar die Mehrheit. Sie werden nicht wahrgenommen. Das ist das Problem. Ich denke, die meisten feministischen Projekte kämpfen für mehr als für „gleichen Lohn für gleiche Arbeit“ etc. Da ist die EMMA das Negativbeispiel, das unglücklicherweise so im Rampenlicht steht. Das hat einerseits mit der Politik der EMMA selbst zu tun, mit der Personalisierung durch Alice Schwarzer. Andererseits aber auch damit, dass die Medien scheinbar genau so etwas wollen, dass es keinen Modus gibt, mit dem Medien andere Formen von Feminismen aufgreifen. Da braucht es anscheinend ein Zugpferd, das ein knackiges Zitat liefert. Das ist ja unglücklicherweise nicht nur in Deutschland so. Selbst in Österreich bedeutet Feminismus Alice Schwarzer und die feministische Zeitung ist EMMA. Das ist furchtbar.
Da gibt es ein bezeichnendes Beispiel von den FIBER-Frauen. FIBER, die Zeitschrift, die ich vorhin schon erwähnt habe, hat ein Festival organisiert, bei dem sie sich weiblichem Musikschaffen gewidmet hat. Es gab Konzerte, Filme und Diskussionen. Sie haben es geschafft, eine relativ gute Pressearbeit zu machen, auch der ORF, also das staatliche Fernsehen, kam mit einer Interviewanfrage.
Die Angefragte hat gesagt, sie muss sich noch mal mit den anderen beraten, weil sie ein Kollektiv sind und abklären möchten, wer was wozu sagt. Daraufhin wurde sie von dem Redakteur angeschnauzt, dass sie total kompliziert sei und dass es dann auch kein Wunder sei, dass sie nirgendwo vorkommen, wenn sie sich so zieren und so ein Theater machen. Das ist ein gutes Beispiel, weil es zeigt, dass es tatsächlich nicht möglich ist, eine andere Form der Kommunikation zu praktizieren und damit trotzdem Erfolg zu haben und gehört zu werden. Ich sitze jetzt hier und rede für die an.schläge. Uns ist klar, dass wir Sprecherinnen brauchen, weil es uns handlungsfähig und sichtbar macht. Aber ich spreche jetzt hier nicht und sage, das ist mein Wort und das hat absolutes Gewicht und daneben gibt es nichts.
Andere an.schläge-Frauen repräsentieren in anderen Zusammenhängen die an.schläge und haben andere Ansichten. Das halten wir aus und das halten wir für wichtig.
GWR: Es gibt verschiedene soziale Bewegungen. Eine soziale Bewegung, die derzeit eher in einer Nische zu finden ist, ist der Anarchismus, der für eine herrschaftsfreie Gesellschaft eintritt, für ein menschengerechtes Leben für alle, für Selbstorganisation und Selbstverwaltung in allen Lebensbereichen. Siehst Du eine Verknüpfung von Anarchismus und Feminismus? Was hältst du vom Anarchafeminismus?
Lea: Ich weiß nicht, ob ich mich jetzt bei euch unbeliebt mache, aber die Anarchafeministinnen sind in Wien und auch in der Szene sonst fast unterhalb der Wahrnehmungsgrenze. In Wien hat sich, glaube ich, unlängst eine kleine anarchafeministische Gruppe gebildet, aber wir stehen mit denen nicht im Austausch. Es kann sein, dass die tolle Sachen machen und dass es spannend wäre, da zu kooperieren, aber sie sind irgendwie verschwunden aus der aktiven feministischen Szene. Von daher kann ich da leider kaum etwas Qualifiziertes zu sagen. Ich kann aber sagen, dass ich es gut finde, dass es unter den Anarchistinnen Feministinnen gibt, weil das natürlich immer gut ist.
GWR: Was wünscht Du dir für die Zukunft? Für den Feminismus? Für Deine Zeitung? Für alles?
Lea: Allgemein natürlich die feministische Weltrevolution, langfristig. Mittelfristig wäre ich auch mit ein paar neuen Abos glücklich. Ich wünsche mir neue Leserinnen und vor allem auch Leser. Das ist mir wichtig zu sagen, dass wir ein feministisches Magazin sind und kein Frauenmagazin, und dass wir das toll fänden, wenn wir auch von Männern gelesen werden würden.
GWR: Dankeschön für das Interview und die tolle Zeitung.
Anmerkungen
Das Interview mit der telefonisch aus Wien zugeschalteten an.schläge-Redakteurin wurde am 14.2.08 im Studio des medienforum münster geführt und von Klaus Blödow aufgezeichnet. Es wird am 2.3. um 21 Uhr als Graswurzelrevolution-Radiosendung im Bürgerfunk Münster (Radio AM, 95,4 Mhz) gesendet und anschließend auch auf www.freie-radios.net zu hören sein: Teil 1 / Teil 2
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