Das kleine Ferkel und sein Freund, der kleine Igel, verstehen nicht, was ihnen fehlen soll, wenn sie Gott nicht kennen. Sie konsultieren einen Rabbi, einen Bischof und einen Mufti, um herauszufinden, was es mit diesem "Gott" auf sich habe, und einer der frommen Geistlichen jagt ihnen mehr Angst ein als der andere. Am Ende steht die "Moral von der Geschicht'": "Wer Gott nicht kennt, der braucht ihn nicht."
Michael Schmidt-Salomon hat diese religionskritische Fabel für Kinder verfasst, und Helge Nyncke hat sie, voll auf der Höhe der Kunst der Buchillustration, liebevoll bebildert.
Seit dem Oktober 2007 ist dieses Bilderbuch aus dem Alibri-Verlag auf dem Markt, und im Januar 2008 stellte das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend einen Antrag bei der zuständigen Bundesprüfstelle, das kleine Ferkel auf den Index jugendgefährdender Schriften zu setzen.
Zensur ist immer ärgerlich; aber zweifellos gibt es Bücher, die man höchst ungern in einem Kinderzimmer sehen würde. Das „kleine Ferkel“ gehört nicht dazu.
Der eigentliche Skandal des Zensurversuchs aus dem Hause von der Leyen liegt nun darin, dass diese Ministerialen auch nach ihren eigenen Maßstäben foul spielten. Sie wollten das Ferkel gerne unter die Ladentische verbannen lassen, weil es religionskritisch ist; aber sie behaupteten, das Buch sei antisemitisch, weil der Rabbi darin noch schlechter wegkomme als Bischof und Mufti. Dieser Vorwurf ist absurd, und deswegen ein Hasardeur-Spiel: Wer alles, was ihm nicht passt, mit der Nazi-Vergleichs-Keule prügelt, relativiert und verharmlost am Ende die nationalsozialistischen Verbrechen gegen die Menschheit.
Dies ist eine Übung, die leider bei Linken ebenso verbreitet ist wie bei Rechten; aber man sollte es selbst einem Bundesministerium nicht durchgehen lassen, sich in diese trübe Tradition einzuschreiben.
Die „Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien“ hat denn auch in ihrer Entscheidung am 6. März den Antrag des Ministeriums zurückgewiesen; aber der Skandal des regierungsamtlichen Zensurversuchs bleibt bestehen.
So weit ist dieser Konflikt klar und einfach einzuschätzen.
Aber nur weil man im Bundesfamilienministerium Amok gegen ein Buch läuft, sollte dieses Buch ja nicht gegen Kritik immun sein. Also: Ich glaube, das kleine Ferkel und der kleine Igel machen sich die Sache am Ende dann doch etwas zu einfach. Nicht weil die drei gescholtenen Religionen fehlerhaft dargestellt sind – der „Mufti“ sieht eher aus wie ein Sikh; in der katholischen Kirche knien die schemenhaft dargestellten Gläubigen direkt im Altarbereich, der doch sakrosankt ist; und der Rabbi behauptet irrigerweise, dass nur Juden seinen „Tempel“ betreten dürften. Das alles sei der künstlerischen Freiheit zugestanden.
Die Problematik einer bestimmten Form von Theologie, die in der Tat in allen drei monotheistischen Schriftreligionen zu finden ist, wird ja richtig benannt und zurecht der Lächerlichkeit preisgegeben. Es ist das pfäffische Geschäft mit der Angst.
Ist damit der Zusammenhang von Angst und Religion aber schon erschöpft? Was hätte Schmidt-Salomon dagegen, wenn ein Kind, das in unserer Welt Grund genug hat, ängstlich zu sein, in seinem irrationalen Glauben an einen Schutzengel eine Stütze findet? Wieso fiel es den Nazi-Schergen in den Konzentrationslagern schwerer, die Persönlichkeit von religiösen Juden, von Zeugen Jehovas oder von „gläubigen“ KommunistInnen zu brechen, als die von Insassen, deren Weltbild nur von Relativität und Vernunft geprägt war?
Ich muss gestehen, dass bei mir sämtliche Alarmglocken läuten, wenn „Vernunft“ gegen „Religion“ in Stellung gebracht wird, wie dies bei Schmidt-Salomon geschieht, oder bei der Giordano-Bruno-Stiftung, die unser Ferkel-Buch gesponsort hat.
Als das Kinderbuch im Herbst auf der Frankfurter Buchmesse vorgestellt wurde, verlieh dieselbe Stiftung gerade ihren „Deschner-Preis“ an den britischen Biologen Richard Dawkins, dessen Buch „Der Gotteswahn“ zur Zeit Leitmedium des atheistischen Denkens ist.
Was Dawkins an die Stelle des irrationalen Glaubens zu setzen gedenkt, hat er in seinem ersten Bestseller klargemacht: „Das egoistische Gen“. Dawkins steht für den heute grassierenden biologischen Determinismus, der letzten Endes menschliche Handlungsfreiheit effektiver negiert als jede Theologie von der Erbsünde.
Besonders hat es Dawkins auf den Gott des Alten Testaments abgesehen, der ihm als „rachsüchtiger, blutrünstiger Ethnischer Säuberer“ begegnet.
Dawkins zeigt damit, dass er 2000 bis 3000 Jahre alte Texte ähnlich albern liest wie jeder religiöse Fundamentalist. Das trifft aber auch auf den Autor unseres Ferkel-Buches zu.
In einem Interview mit dem „Focus“ erklärte Schmidt-Salomon im Jahre 2005 zum Beispiel die Idee des „Jüngsten Gerichts“ so: „Jesus sagt, die Guten kommen in den Himmel, und die Bösen werden in den Ofen geworfen, die Engel selektieren an der himmlischen Rampe.“ Schmidt-Salomon vergleicht damit biblische Religion ganz bewusst mit der Shoah; aber er scheint zu vergessen, dass die nationalsozialistischen Völkermörder nicht nach religiösen, sondern nach rassistischen, also biologistischen Kriterien selektierten, durchdrungen von einer pervertierten Form der Ideen Charles Darwins. Dies ist ja gerade der mächtigste Beweis für die Ambivalenz jener Wissenschaft, die Schmidt-Salomon jetzt gegen „die“ Religion in Stellung bringen will.
So einfach ist das alles nicht! Ich habe, als ich die Ideen des Anarchismus kennen lernte, die „Gottespest“ von John Most schmunzelnd gelesen. Aber ich habe mehr von dem religiös motivierten Anarchismus eines Martin Buber gelernt, und zwar sowohl über Gott, als auch über die Menschen.
Mir fehlt die Lust daran, die religiösen Libertären als Spinner über Bord zu werfen, Leo Tolstoi, „Mahatma“ Gandhi, Rio Reiser … Für mich ist nicht die Frage wichtig, ob ein „Gott“ außerhalb der Vorstellung der Menschen existiert; aber es macht einen Unterschied, was für ein Gott in den Köpfen der Menschen spukt.
Und das „Alte Testament“ enthält nun einige der wichtigsten Grundtexte der Herrschaftsablehnung. Die „Jotham-Fabel“ z.B., im Buch der Richter, Kapitel 9, Vers 8-15, würde ich gerne einmal in einer Illustration von Helge Nyncke als Kinderbuch sehen!
Gewiss: Die meisten Pfaffen wissen von der Jotham-Fabel ebenso wenig wie das kleine Ferkel. Aber sind die Kirchen völlig unbeleckt von der egalitären Ethik ihrer heiligen Schriften?
Wenn ich mir unsere politische Diskurslandschaft so anschaue, dann zweifle ich, ob ich es begrüßen sollte, wenn z.B. einige der letzten globalisierungskritischen Stimmen, wie sie sich in kirchlichen Basisströmungen oder im schulischen Religionsunterricht noch artikulieren, verschwänden, vielleicht gar zugunsten der nackten, gen-egoistischen „Vernunft“.
Der Autor Schmidt-Salomon indes setzt am Ende des netten Ferkel-Buchs vorsichtshalber noch einen atheistischen Pflock: Nach der – agnostischen – Ferkel-Moral „Wer Gott nicht kennt, der braucht ihn nicht!“ liefert er noch ein P.S., worin er rundheraus dekretiert: „Der Gottesglaube auf dem Globus / Ist fauler Zauber, Hokuspokus.“
Das reicht mir nicht! Der Gottesglaube – das ist auch der „Seufzer der bedrängten Kreatur“, wie Karl Marx das in einem der treffendsten Texte formulierte, die in deutscher Sprache über die Religion verfasst wurden; er ist das „Opium des Volkes“, das dieses zwar benebelt, aber zugleich im Rausch auch eine zeitweise Linderung verschaffen kann. Soll ich mich da für einen rationalistischen War on Drugs begeistern?
Das Buch vom kleinen Ferkel, das als Kinderbuch durchaus empfehlenswert ist, enthüllt im Zank der Erwachsenen ganz andere Wahrheiten.
In einem der Diskussionsforen, die das Internet hierzu zu bieten hat, schreibt ein Beiträger ganz unironisch: „Wenn heutzutage jemand ein Buch wie die Bibel neu herausgeben würde, dann würde das Buch sofort zu Recht beschlagnahmt werden, wegen Volksverhetzung, Aufruf zum Mord, Sodomie, Inzest und Unterstützung terroristischer Aktivitäten. Das[s] so etwas überhaupt noch in Schulen existent sein darf, ist meiner Meinung nach ein Unding.“
Es ist vielleicht kein Zufall, wenn der pauschale Groll gegen alles Religiöse zuweilen in Forderungen nach der Zensur von Büchern mündet. – Wo bitte geht’s zur Freiheit?