Nach den erfolgreichen Protesten von Heiligendamm entstand auf Initiative von X-tausendmal quer die Idee, die verschiedenen aktuellen Kampagnen und Aktionen Zivilen Ungehorsams noch stärker zu vernetzen und sich gegenseitig zu unterstützen. Nach mehrmonatiger Planung ist ein Netzwerk herausgekommen: ZUGABe - ein Kürzel, das für Ziviler Ungehorsam, Gewaltfreie Aktion, Bewegung steht. Die GWR sprach mit Rebecca Kleinheitz (32), Max Bank (26) und Holger Isabelle Jänicke (46), alle drei gehören zur koordinierenden Gruppe der "Netzwerk-PflegerInnen" bei ZUGABe.
Graswurzelrevolution (GWR): Rebecca, Max und Holger Isabelle, Ihr gehört zu den Gründerinnen des Netzwerk ZUGABe. Könnt Ihr Euch vorstellen und beschreiben, wie Ihr zum Netzwerk gekommen seid?
Holger Isabelle: Ich bin seit den Blockaden von Mutlangen Vollzeit in der gewaltfreien Bewegung aktiv und habe mich mehr und mehr auf juristische Belange rund um Aktionen Zivilen Ungehorsams spezialisiert – jahrelang vor allem bei X-tausendmal quer, inzwischen stärker bei Gendreck weg, weil da derzeit einfach mehr Prozesse anfallen und die ganze politische Frage mehr auf der Kippe steht.
Max: Mich haben vor allem die Erfahrungen von Block G8 in Heiligendamm davon überzeugt, dass der Aktionsansatz des gewaltfreien und massenhaften Zivilen Ungehorsams eine große Wirkung entfalten kann. Ich war sehr beeindruckt davon, mit welchem Knowhow einige Leute aus der gewaltfreien Bewegung zum Beispiel in den Bereichen Aktions-Logistik oder Moderation die Aktion vorangebracht haben. Da ich auch im globalisierungskritischen Jugendnetzwerk Noya aktiv bin und dort seit Block G8 das Interesse an Aktionen Zivilen Ungehorsams groß ist, ist die Mitarbeit bei ZUGABe eine gute Ergänzung.
Rebecca: Meine Vergangenheit liegt eher in eigenständigen und überschaubaren gewaltfreien Aktionsgruppen, die gut vorbereitet und wirksam eingreifen können. Erst nach und nach habe ich Großaktionen für mich entdeckt.
Inzwischen habe ich sowohl bei X-tausendmal quer als auch bei Block G8 aktiv mitorganisiert, weil es mir wichtig ist, dass auch für Unorganisierte die Möglichkeit geschaffen wird, sich deutlich in Opposition zu begeben und dabei nicht in die Eskalationsfalle zu rutschen.
GWR: Wenn Ihr schon in verschiedenen Kampagnen mitarbeitet, wozu braucht es dann noch das Netzwerk ZUGABe? Können die Kampagnen nicht eigenständig arbeiten?
Max: In den letzten Jahren ist die Zahl der Kampagnen Zivilen Ungehorsams und der entsprechenden Massenaktionen deutlich angestiegen. Und diese Entwicklung wird sich, so wie es aussieht, auch 2008 fortsetzen. Da hat es manch eine Kampagne oder Aktionsgruppe in der „heißen Phase“ schwer, alle Aufgaben einer öffentlichkeitswirksamen Aktion mit ihrem Stamm Aktiver zu leisten. Einige haben sich deshalb längst vernetzt und können z.B. auf eine Erweiterung ihres Presse- oder Logistik-Teams aus anderen Gruppen setzen, wenn sie dort um Hilfe bitten. Diese informelle „Nachbarschaftshilfe“ auszubauen ist ein Anliegen unseres neuen Netzwerkes.
Holger Isabelle: Wir beginnen das Projekt auch angesichts paralleler Entwicklungen, die förmlich nach netzwerkartiger Zusammenarbeit rufen: Immer mehr Aktivistinnen des gewaltfreien Widerstands werden über ihr angestammtes Thema und ihre feste Gruppe hinaus aktiv und beteiligen sich an Gewaltfreien Aktionen zu anderen Themen und von anderen Gruppen. Zwischen den Aktionen werden der Austausch und die Zusammenarbeit auf informeller Ebene intensiver.
Gleichzeitig gibt es viele Menschen, die sich gezielt anlässlich bestimmter Aktionen einbringen und sich dann wieder Privat- und Berufsleben widmen. Da sie meist keiner Kampagne oder Gruppe fest angehören, könnten sie über das Netzwerk erfahren, wo ihr Können gebraucht wird – und bringen ihre Kompetenzen vielleicht öfter ein.
Rebecca: Wir wollen den informell vorhandenen Strukturen Substanz verleihen. Das Netzwerk wird hoffentlich einen Raum schaffen, in dem solidarisch, kritisch diskutiert und reflektiert werden kann – über die Grenzen der einzelnen Kampagnen hinaus. Unsere Idee ist es, die vorhandenen Kompetenzen an Wissen, Fähigkeiten und Erfahrungen zu bündeln, um all das bei Bedarf konzentriert anzuwenden.
GWR: Birgt ein solcher Überbau nicht auch Gefahren der Zentralisierung und Hierarchie?
Rebecca: Ich verstehe ZUGABe nicht als Überbau, sondern als einen Platz, an dem sich die Aktiven gegenseitig unterstützen und stärken können. Für die einzelnen Aktionen haben weiter die den Hut auf, die in der entsprechenden Kampagne kontinuierlich arbeiten. Sie entscheiden, welche Unterstützung sie haben wollen und wie diese ablaufen soll. Wenn also z.B. die Gewaltfreie Aktion Atomwaffen Abschaffen für ihre große Aktion im August in Büchel gerne einige Leute von X-tausendmal quer oder Gendreck weg dabei hätte, dann bestimmt die GAAA den Aktionsrahmen und bindet die Externen mit ihrem Wissen entsprechend ein.
Max: Das Schöne ist ja, dass die Strukturen offen und durchlässig für Neue sind. Ich habe es bei Block G8 selbst erlebt, wie die erfahrenen OrganisatorInnen von X-tausendmal quer mich und andere mit in die gemeinsame Arbeit einbezogen haben. Wenn es da Hierarchien gibt, dann am Ehesten in der praktischen Umsetzung, was mit großen Erfahrungsunterschieden zusammenhängt. Dafür sind diese Hierarchien aber erstaunlich flach und integrativ. Das gefällt mir.
Holger Isabelle: Trotzdem müssen wir natürlich aufpassen, wie sich das Netzwerk entwickelt. Gerade jetzt am Anfang haben wir als diejenigen, die die Initiative ergriffen haben, schon einige Vorgaben gemacht. Und es gibt einige, die sich stärker mit der Idee identifizieren als andere. Manche der angesprochenen Gruppen und Kampagnen beobachten erstmal wohlwollend, wie sich die Sache entwickelt. Aber das ist ja auch legitim.
GWR: Wie ist das Netzwerk konkret entstanden?
Holger Isabelle: Die Diskussion darüber läuft schon einige Jahre. Ein wichtiger Schritt war die Tagung ZUGABe Anfang 2006 in der Göhrde, an der 100 Aktive aus ganz unterschiedlichen Bereichen der gewaltfreien Bewegung teilgenommen haben. Dort wurde auch zum ersten Mal über eine Beteiligung an dem spektrenübergreifenden Projekt Block G8 nachgedacht. Heiligendamm hat dann gezeigt, was die gewaltfreien AktivistInnen aus den verschiedenen Kampagnen inzwischen drauf haben, wie spezialisiert und effektiv die verschiedenen Arbeitsbereiche sind, in denen wir uns organisieren.
Rebecca: Block G8 hatte beides: Einerseits war ein entscheidender Erfolgsfaktor gerade das breite Bündnis auch mit post-autonomen Gruppen, die bereit waren, sich auf einen bestimmten Aktionsrahmen einzulassen. Andererseits hätte vieles ohne die Erfahrung der Gewaltfreien nicht funktioniert.
Für uns war es ein Aha-Erlebnis. Wir haben gemerkt, was wir leisten können, wenn wir gemeinsam agieren. Nach Block G8 ist der Zivile Ungehorsam, die Fünf-Finger-Taktik, Aktionstrainings und Bezugsgruppen plötzlich in aller Munde.
Holger Isabelle: Der eigentliche Anstoß für das Netzwerk kam dann von X-tausendmal quer. Wobei dieser Schritt eigentlich als notwendiges Nachvollziehen einer bereits eingetretenen Entwicklung angesehen wurde. Die allermeisten Leute aus der offenen Koordinationsgruppe von X-tausendmal quer sind schon längst nicht mehr nur gegen Castor-Transporte aktiv, sondern hatten z.B. 2003 die resist-Blockaden an der Frankfurter US-Airbase gegen den Irak-Krieg mitorganisiert, sind in der Freien Heide dabei oder bei Gendreck weg.
Max: Im September 2007 trafen wir uns in Arnshain als VertreterInnen verschiedener Kampagnen und Aktionsgruppen und erarbeiteten das Konzept für das Netzwerk. Dort bildete sich der Kreis der Netzwerk-PflegerInnen, um das Netzwerk weiter aufzubauen und zu koordinieren. Derzeit sind wir in dieser Gruppe zu zwölft. Ein erstes großes Treffen, das für November 2007 in Hitzacker geplant war, musste leider wegen geringer Beteiligung abgesagt werden. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir Zweifel, ob wir auf dem richtigen Weg sind.
Rebecca: Aber inzwischen hat das Treffen stattgefunden.
Mitte Februar kamen in Großgoltern bei Hannover 35 Leute aus unterschiedlichen Gruppen zusammen und obwohl oder gerade weil die Gründe, warum die Einzelnen zu diesem Wochenende gefahren sind, sehr verschieden waren, war es ein spannendes und produktives Zusammenkommen. Wir haben die Arbeitsbereiche auf den Weg gebracht und verabredet, welche Aktionen wir in diesem Jahr schwerpunktmäßig mit den Strukturen des Netzwerks unterstützen wollen.
GWR: Was hat es mit diesen Arbeitsbereichen auf sich?
Max: Die Idee kommt so ein bisschen aus der Ecke von X-tausendmal quer. Da wird seit vielen Jahren so gearbeitet, dass Leute sich in Arbeitsbereichen zusammentun, die bei einer Aktion bestimmte Aufgaben übernehmen, wie z.B. Aktive mit Erfahrung in der Arbeit mit den Medien, die als Arbeitsbereich Presse auftreten können, wobei Unerfahrene immer mit einsteigen können.
Holger Isabelle: Diese Arbeitsbereiche sind innerhalb des vorher festgelegten Rahmens relativ autonom, aber ordnen sich in die Aktionskultur der jeweiligen Kampagne ein. Deutlich wird dies gerade beim Presseteam: Das stellt nie die Pressesprecherin bei einer Aktion. Dafür ist die jeweilige Kampagne zuständig, weil da auch das Fachwissen sitzt. Der Arbeitsbereich sorgt für die Infrastruktur, weiß, wie man formal gute Presseerklärungen schreibt …
Rebecca: Im Netzwerk vereinen die Arbeitsbereiche Leute aus den unterschiedlichen Kampagnen, die sich z.B. um Juristisches bei Aktionen kümmern. Es gibt eine Reihe von – ja man kann schon sagen Spezialistinnen, die gar nicht bei einer der Kampagnen angesiedelt sind, sondern sich in erster Linie ihrem Arbeitsbereich zugehörig fühlen und dann, wenn sie angefragt werden und Zeit haben, z.B. bei der Moderation des Sprecherinnenrats bei einer Aktion mitmachen, den Polizeikontakt unterstützen oder sich um den Transport von Aktionsmaterial kümmern.
Max: Entscheidend für den langfristigen Erfolg des Netzwerks ist es meiner Meinung nach, dass es uns gelingt, von den reichen Erfahrungen zu profitieren, aber gleichzeitig immer wieder neuen Leute die Möglichkeit einzuräumen, Bisheriges auch in Frage zu stellen und Neues auszuprobieren. Diese Mischung macht eine Weiternetwicklung möglich, die ich mir wünsche. Es darf nichts Statisches werden, mit einem Schablonen-Aktionskonzept zur Wiederverwertung. Da hoffe ich auch, dass die jeweiligen Aktionskulturen der verschiedenen Gruppen und Kampagnen im Netzwerk erhalten bleiben. Voneinander lernen ja, aber dabei die unterschiedlichen Rahmenbedingungen, in denen z.B. in der Freien Heide oder im Wendland agiert wird, nicht außer Acht lassen.
GWR: Wer gehört zum Netzwerk?
Rebecca: Knotenpunkte des Netzes sollen einerseits die einzelnen Kampagnen und Gruppen sein, die sich thematisch spezialisiert haben und die meist bereits viel Erfahrung mit der politischen Arbeit auf ihrem Gebiet haben. Andererseits sollen die Arbeitsbereiche das Netzwerk ausmachen. Unsere Grundidee war es, die Kampagnen, Organisationen, Aktionsgruppen und Arbeitsbereiche, die gewaltfreie Aktionen Zivilen Ungehorsams organisieren, zusammenzubringen, z.B. die Kampagnen Gendreck weg, Bomben Nein – wir gehen rein, X-tausendmal quer, Gewaltfreie Aktion Atomwaffen abschaffen, aber auch Aktionsgruppen wie die Lebenslaute, länger bestehende Bezugsgruppen, Trainingskollektive, die Werkstatt für Gewaltfreie Aktion Baden, das Archiv Aktiv.
Max: Ja, aber auch die vielen Einzelpersonen, die punktuell bis kontinuierlich an Kampagnen und/oder Aktionen mitorganisieren. Man kann es vielleicht so beschreiben, dass es erstmal ein Netzwerk von OrganisatorInnen ist, nicht in erster Linie von AktivistInnen, aber es sollte durchlässig sein.
GWR: Ist das Netzwerk nur eine Struktur zur Unterstützung und zum Austausch oder wird es auch selbst aktiv?
Max: Wir starten in der Regel keine eigenen Kampagnen oder Aktionen als Netzwerk ZUGABe. Es kann sein, dass auf einem Netzwerk-Treffen eine neue Kampagnenidee entsteht, aber die wird dann von den entsprechenden Leuten eigenständig weitergeführt. Was wir aktiv als Netzwerk betreiben, ist einerseits den Rahmen für die Zusammenarbeit aufzubauen und andererseits Werkzeuge für gemeinsame Öffentlichkeitsarbeit und Mobilisierung zu entwickeln, als Ergänzung zu dem, was die Kampagnen eigenständig weiter machen. Es wird also einen mehr oder weniger regelmäßigen Rundbrief geben, eine Webseite, einen Newsletter, und wenn wir es schaffen irgendwann auch eine Infotour zu Zivilem Ungehorsam.
Rebecca: „In der Regel“. Das hast Du schön gesagt. Der Witz ist ja, dass wir diese Regel gleich zum Start brechen. Quasi als Auftakt für das Netzwerk und für das ungehorsame Jahr 2008 leiern wir derzeit zusammen mit örtlichen Initiativen und mit Attac am 24. Mai Aktionen am Bauplatz für ein neues Kohlekraftwerk in Mannheim an. Die Inis wollen den Bau aus Klimaschutzgründen verhindern, Attac macht eine Kampagne gegen die Macht der Stromkonzerne und wir als Netzwerk ZUGABe wollen die Idee der direkten gewaltfreien Aktion in die Klimaschutz-Bewegung tragen. Entstanden ist die Idee, als wir im Winter Zweifel hatten, ob überhaupt ein größeres Treffen zustande kommt. Da war unser Eindruck: Vielleicht können die Möglichkeiten des Netzwerks am Besten durch eine solche Aktion verstanden werden. Da vom 21. bis 25. Mai in Heidelberg die Aktionsakademie von Attac stattfindet, ergeben sich spannende Synergieeffekte. Wir haben einige Tage Zeit, den Aktiven die Arbeitsweise vorzustellen, und dann geht es gemeinsam in die Aktion. Das ist auch eine gute Gelegenheit für neue Leute, in die Arbeitsbereiche reinzuschnuppern, selbst wenn sie mit Attac nichts am Hut haben.
Holger Isabelle: Die nächsten Schwerpunkte in diesem Jahr werden dann aber von den Kampagnen und nicht vom Netzwerk gesetzt: Die Feldbefreiung von Gendreck weg bei Würzburg im Juni, im August das Go-In gegen Atomwaffen in Büchel, organisiert von der GAAA und schließlich die Castor-Blockade im Wendland, voraussichtlich im November. Hier taucht dann auch der Name X-tausendmal quer wieder auf.
Max: Zwischendrin wird es das große bundesweite Klima-Aktions-Camp mit Massenaktionen Zivilen Ungehorsams geben. Da werden wir gefragt sein, unser Knowhow einzubringen. Derzeit stockt die Planung etwas, weil es in der Vorbereitungsgruppe Differenzen gibt, an denen wir aber keinen wesentlichen Anteil haben.
GWR: Insgesamt kommt mir die Geschichte etwas technokratisch vor. Wo bleiben die Inhalte? Gibt es gemeinsame gesellschaftliche Ziele? Oder seid Ihr nur die Aktions-Hausmeisterinnen und -ModeratorInnen, die man buchen kann, wie eine Küchengruppe?
Max: Na, nun beleidige mal nicht die Aktionsküchen. Die haben politisch oft mehr drauf, als manch andere, die in der ersten Reihe der Polizei gegenübertreten.
Rebecca: Unser gemeinsames Ziel ist es, noch mehr Menschen für Gewaltfreie Aktion und Zivilen Ungehorsam zu gewinnen, weil das kraftvolle Mittel der Einmischung sind. Wir glauben, wir können Bewegungen unterstützen, die in einem aktuellen Konflikt nach Möglichkeiten der Konfrontation suchen, die eine Eskalation der Gewalt vermeidet. So gesehen ist unser Herangehen erstmal schon eher funktional.
Holger Isabelle: Für viele von uns sind Gewaltfreie Aktionen Zivilen Ungehorsams mehr als nur ein effektives Mittel der politischen Einmischung. Dahinter steht die Vision einer Gesellschaft ohne Hierarchie und Gewalt. Schon auf dem Weg dahin wollen wir unsere Ideale praktizieren. Also sind die Aktionen von gegenseitiger Achtung gekennzeichnet und dem Abbau von Hierarchien. Auch in den Arbeits- und Entscheidungsstrukturen sollen Verschiedenartigkeit und persönliche Stärken nebeneinander zur Geltung kommen. Aber als Netzwerk sind wir nicht auf einen lupenreinen gewaltfrei-anarchistischen Ansatz festgelegt, auch wenn dem viele nahe stehen. Es arbeiten einerseits auch Leute mit, die eher aus einer bürgerlichen staatsbejahenden Tradition des Zivilen Ungehorsams kommen und andererseits welche, denen Bündnisse mit postautonomen Gruppen wichtig sind, die wiederum einen Ansatz von Ungehorsam pflegen, der den Begriff Gewaltfreiheit am liebsten vermeiden möchte.
GWR: Also ist ZUGABe keine Neuauflage der Förderation Gewaltfreier Aktionsgruppen (FöGA), die in den 80er und 90er Jahren ihre gewaltfrei-ungehorsamen Handlungsansätze mit klarer anarchistischer Programmatik verbunden hat?
Holger Isabelle: Nein, eindeutig keine neue FöGA. Zum einen, weil wir politisch breiter aufgestellt sind, zum anderen, weil wir keine Organisation sein wollen, die eigene Positionen bezieht, sondern ein praxisbezogenes Netzwerk aus Individuen und Gruppen, die jeweils ihre eigene politische Programmatik verfolgen können, wenn auch in einem gewissen Rahmen, der aber nicht so klar definiert ist.
Rebecca: Ich glaube im Netzwerk ist die Reihenfolge klar: An erster Stelle steht eine Übereinstimmung über die Gestaltung von Aktionen, an zweiter Stelle kommt ein breiter Konsens über die Forderungen in den Teilbereichskämpfen, in denen wir mitmischen. Erst danach geht es um weitergehende gesellschaftliche Zielvorstellungen, in denen sich viele von uns relativ nahe sind, aber eben auch unterschiedliche Positionen vorkommen können.
Holger Isabelle: Die Geschichte der Aktionen Zivilen Ungehorsams hat gezeigt, dass es für gewaltfreie Anarchistinnen Sinn macht, teilweise mit staatsbürgerlich motivierten Ungehorsamen zusammenzuarbeiten und auch mal mit denjenigen, die nur ein taktisches Verhältnis zur Gewaltfreiheit pflegen.
Max: Ich glaube, da haben sich die Zeiten auch ein Stück gewandelt. Es gibt weniger Aktivistinnen, die davon überzeugt sind, dass die eigene gesellschaftliche Utopie die hundertprozentig richtige ist und alle anderen zu 100 % falsch. Gerade das Zusammenspiel unterschiedlicher Erklärungsmuster wird als Stärke der Bewegungen wahrgenommen, bis zu gewissen Grenzen, die wieder jede für sich anders definiert.
GWR: Wo seht Ihr das Netzwerk ZUGABe in fünf Jahren?
Holger Isabelle: Die Revolution ist vorbei und in der Revolutionsregierung ist ZUGABe nicht vertreten. Im Ernst: Ich glaube, die beteiligten Kampagnen werden schlagkräftiger, nicht nur weil sie organisatorisch nicht mehr alles allein stemmen müssen. Durch die vielfältigen Gespräche zwischen den Kampagnen und Gruppen im Netzwerk findet eine exzellente praxisbezogene Reflexion auch in den inhaltlichen Fragen statt, denen sich alle gerne stellen, weil niemand Angst haben muss, dass dabei die eigene Identität verloren geht. Das wird sich schon in fünf Jahren auf die Kraft und die Effektivität, aber auch auf die Attraktivität auswirken.
Rebecca: Mein Wunschbild: ZUGABe ist in fünf Jahren in einer Situation, in der die einzelnen Kampagnen mehr Kraft in erfolgreiche thematische Arbeit stecken können, in der vielleicht manch eine neue Kampagne sich entwickeln konnte, weil ihre Aktiven in den Anfängen bereits auf hilfreiches Knowhow zurückgreifen konnten und in der die Arbeitsbereiche eine durchlässige Struktur bieten, die viele Neueinsteiger einbindet.
Max: Das sehe ich ähnlich: Durch die Offenheit des Netzwerks werden viele junge Menschen begeistert zu ZUGABe hinzu stoßen. Das stärkt die sozialen Bewegungen insgesamt!
GWR: Herzlichen Dank.