Hat die Generation Karl V. den zapatistischen Aufstand in Chiapas mit verursacht?
Schließlich war sie in ihren Gemetzeln gegen Bauern hier und Indigene dort nicht gründlich genug gewesen, so dass eine von beiden Milieus getragene Bewegung am Ende des 20. Jahrhunderts noch entstehen konnte. Hat nicht Michel Foucault das Werk Benito Mussolinis fortgesetzt? Auch der Philosoph hatte eine Glatze und diesen Hang zu Syndikalismus und großen Gesten. Waren die 68er nicht den „33ern“ viel ähnlicher als bisher gedacht? Auch sie waren, wie die Nazis zur Zeit von Hitlers Ernennung zum Reichskanzler, jung, gegen das System und eine Bewegung.
Alle drei Vergleiche sind offensichtlich vollkommen unsinnig, aber über den letzten wird seit Wochen ernst- und lebhaft diskutiert. In die Welt gesetzt hat ihn der Historiker Götz Aly, erstmals in der Frankfurter Rundschau (30.01.2008), seit März auch in Buchform. Nun also doch keine Abgrenzung von den alten Nazis in Familie und Regierung, kein „Generationenkonflikt“ (Norbert Elias), sondern Ähnlichkeiten. Denn jung waren sie, die Nazis 1933, wie die 1968er 1968. Nur dass sie halt ihren Kampf nicht gegen den Muff von Tausend Jahren, sondern dafür geführt haben und dabei die Professoren (nicht nur Heidegger) auf ihrer Seite und die anderen schnell aus der Universität verbannt hatten. Firlefanz!
Und gegen „das System“. Dass es 1968 radikalisiert und demokratisiert und nicht durch eine Diktatur ersetzt werden sollte, who cares. Oder dass der Ausgangspunkt des „gegen“ einmal ein völkischer Rassismus und beim anderen Mal ein antiautoritärer Sozialismus war. Historisch offensichtlich zu vernachlässigen.
Beide traten als Bewegung auf. Die Nazis hatten bei Amtsantritt 37 Prozent der deutschen Bevölkerung hinter sich, Tendenz steigend. Die „68er“ waren auch nach wohlmeinenden Schätzungen maximal 20.000 Personen in Westdeutschland und Westberlin. Wie die Bewegung aussah, ist vielleicht auch nicht so wichtig: Organisatorisch zwischen Drill, Gleichschaltung, Führerprinzip auf der einen und antihierarchischer Parteien- und Organisationsfeindlichkeit auf der anderen Seite zu unterscheiden, was soll’s.
Ach, aber das steht auch noch in der FR: Rudi Dutschke habe einst „die Machtfrage“ gestellt. Gut, es gab Strömungen innerhalb der 68er, die in dieser Hinsicht wollten, was jeder Lokalpolitiker will, der an Wahlen teilnimmt: die Machtfrage stellen. Sind jetzt alle Lokalpolitiker Nazis? Mal Aly fragen. Kommt vielleicht auf die Rhetorik an. Im Interview mit dem Wiener Standard erzählt Aly, im Rückblick komme ihm die Rhetorik von Dutschke „ein bisschen hitlerhaft“ vor. Es ist nicht unbedingt „hitlerhaft“, dass er sein Buch über 68 „Unser Kampf“ nennt. Aber es zeugt mit seiner immanenten Gleichsetzung wie all seine Thesen von einem totalen Abhandenkommen historischer Relationen. Mal ganz davon abgesehen, dass „1968“ weltweit stattgefunden hat und daher alles andere als ein nur (west)deutsches Phänomen war.
Das lang anhaltende 68er-bashing hat mit Alys Thesen einen neuen Höhepunkt, das Niveau der Auseinandersetzung einen neuen Tiefpunkt erreicht.
Dass das Buch „Irritationen“ hervorrufen werde, hatte der Verlag angekündigt. Ja. Als wenn man Bauernführer Thomas Müntzer als Hofnarr bei Kaiser Karl V. und Michel Foucault als faschistischen Gefängniswärter entlarvt hätte. Am meisten allerdings sollte irritieren, dass die absurdesten Vergleiche wie die von Aly die am breitesten diskutierten im deutschsprachigen Feuilleton sind. Vielleicht liegt es daran, dass die Nazis dabei noch weniger schlimm erscheinen. Hier werden sie schließlich zu einem kleinen Haufen aufmüpfiger Studierender zusammenhistorisiert.