antimilitarismus

In unheilvoller Tradition

Von der "Neuen Wehrmacht" zur Bundeswehr

| Michael Schulze von Glaßer

Am 4. März 2008 veröffentlichte der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestags, Reinhold Robbe (SPD), den "Jahresbericht zum Zustand der Bundeswehr 2007". Neben zu dicken und - wie sollte es bei einer Armee auch anders sein - psychisch kranken Soldaten und Soldatinnen, ist Rechtsextremismus immer noch ein Problem in der Truppe. Die Wurzeln der Bundeswehr lassen sich nicht einfach abhacken.

Wurde dem Thema im Jahr 2006 noch ein eigenes Kapitel gewidmet, lässt sich „Rechtsextremismus“ im aktuellen Bericht nur noch als Unterkapitel von „Führung und Ausbildung“ wieder finden. Dabei ist die Zahl rechtsextremer Vorkommnisse in der Bundeswehr nicht signifikant zurückgegangen. Im Jahr 2007 gab es 129 Meldungen über „Besondere Vorkommnisse“ im Zusammenhang mit einem rechtsextremistischen oder fremdenfeindlichen Hintergrund – 18 Meldungen weniger als im Vorjahr. Damit weicht die Zahl der Vorkommnisse nur minimal vom Durchschnitt der letzten Jahre (von 2002-2006 kam es durchschnittlich zu 135 Vorfällen) ab. Jedoch stieg der Anteil der beschuldigten mit höheren Rängen – der der Offiziere – im Vergleich zum Vorjahr um 7 %, auf insgesamt 22 %. Die Delikte sind dieselben wie in der Vergangenheit: „Sieg-Heil“-Rufe, Hakenkreuzschmierereien, die Ausführung des Hitlergrußes und das Hören rassistischer und rechtsextremer Musik haben die Bundeswehr seit ihrer Gründung im Jahr 1955 begleitet – nicht umsonst lief die Aufstellung neuer deutscher Streitkräfte zunächst unter dem Namen „Neue Wehrmacht“. (1)

Die Gründer der „Neuen Wehrmacht“ waren bei der Kapitulation des nationalsozialistischen Deutschlands und auch danach ranghohe Militärs – beinahe alle trugen das „Ehrenzeichen“ der Wehrmacht: das „Eiserne Kreuz“.

So wundert es nicht, dass die später in „Bundeswehr“ umbenannte Armee seit jeher eine enge Verbundenheit zu den Streitkräften im Nationalsozialismus hatte und sich noch heute oft positiv auf sie bezieht. Die Frage, ob die Wehrmacht für die Bundeswehr vorbildgebend oder traditionsstiftend sein könne, beantworten offizielle Stellen seit Jahrzehnten mit einem „Nein, aber…“. (2)

In den „Richtlinien zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege in der Bundeswehr“ heißt es dazu als Grundsatz: „In den Nationalsozialismus waren Streitkräfte teils schuldhaft verstrickt, teils wurden sie schuldlos mißbraucht.“ Die Bundeswehr sieht sich nicht in der Tradition des antifaschistischen Widerstands gegen den Nationalsozialismus – nicht einmal die Attentäter vom 20. Juli 1944 werden in den Grundsätzen als Vorbilder genannt. Letztere werden von einigen Militärs gar kritisch beäugt, da sie sich gegen die militärische Hierarchie gewandt haben und gegen ihren „Führer“ meutern wollten.

Warum bezieht sich die Bundeswehr auf eine Wehrmachts-Tradition?

Bis zum Kosovo-Krieg 1999 hatte die Armee fast keine echte Einsatzerfahrung. Offiziere und andere ranghohe deutsche Militärs zierten sich mit höchsten Rangabzeichen, ohne je in einen heißen Krieg verwickelt gewesen zu sein. Die Bundeswehr war bis in die 1990er Jahre eine Kasernen-Armee. Eine eigene Tradition aufzubauen, war nicht möglich – also erinnerte man sich an Wehrmachts-Zeiten zurück und nahm die „tapferen Wehrmachtssoldaten“ als Vorbilder. Dies dauert – trotz neuerer Kriege unter deutscher Beteiligung – bis heute an und zeigt sich z.B. an der Namensgebung von Kasernen: Gegenwärtig gibt es 28 Kasernen, die nach Wehrmachtsangehörigen benannt sind. Nur zehn davon gehörten zum Widerstand. Seit 1956 wurden ganze drei Kasernen umbenannt, da die Namensgeber „problematisch“ waren. Das waren die General-Dietl-Kaserne in Füssen, die General-Oberst-Kübler-Kaserne in Mittenwald (beide 1995) sowie die Mölders-Kaserne in Visselhövede (2005). (3) In der Luftwaffe traf der Entzug des Namenszusatzes „Mölders“ beim Jagdgeschwader 74 – aufgrund eines bereits 1998 im Bundestag angenommenen Antrags, demzufolge Einrichtungen der Bundeswehr nicht nach Angehörigen der „Legion Condor“ zu benennen sind – auf Unverständnis und Ablehnung. Die Wehrmachts-Legion operierte zunächst verdeckt als Unterstützungseinheit der Nationalsozialisten für den rechtsextremen Putschgeneral Franco im Spanischen Bürgerkrieg.

Der Einsatz diente nicht nur der Waffenerprobung, sondern auch dem Pilotentraining.

Werner Mölders wird in der Bundeswehr – wie auch andere Piloten der Wehrmachts-Luftwaffe – wegen des fliegerischen Könnens geehrt – die politische Dimension ausgeblendet. (4)

So war mit der Benennung der Mölders-Kaserne 1973, wie bereits zuvor beim Jagdgeschwader 51 der Wehrmacht, das Recht verbunden, ein Ärmelband mit dem „Ehrennamen Mölders“ an der Uniform zu tragen.

Was auf der militärischen Dienstkleidung auch nicht fehlen darf, sind Rangabzeichen und Medaillen.

Die Bundeswehr schreibt dazu auf ihrer Homepage: „Je mehr Bandstege von Einsatzmedaillen die Bandschnalle am Dienstanzug umfasst, desto höher das Renommee der Inhaber, vor allem in internationalen Stäben.“

Daher wurden 1980 Ehrenmedaillen und 1996 Einsatzmedaillen bei den deutschen SoldatInnen wiedereingeführt.

53 Jahre nach Gründung der Bundeswehr überlegen die Militärs auch, Tapferkeitsauszeichnungen wiedereinzuführen. Der Präsident des Reservistenverbandes, Ernst-Reinhard Beck (CDU), schlug Anfang März 2008 vor, für den Orden die Form des „Eisernen Kreuzes“ zu verwenden.

Er begründete dies damit, dass das Symbol schon heute überall von der Bundeswehr getragen würde und mittlerweile bei Auslandseinsätzen der Armee ein „Zeichen der Hilfe und Solidarität“ sei – dennoch sei er sich der Vergangenheit des Symbols bewusst. (5) Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) – der sich, wo er sich schon in der Tradition der Wehrmacht sieht und seine Truppe in Afghanistan im Angriffskriegseinsatz ist, konsequenterweise besser Kriegsminister nennen sollte – ist ebenfalls für die Einführung neuer Tapferkeitsmedaillen – ein neues Eisernes Kreuz lehnt er allerdings ab. Bundespräsident Horst Köhler billigte eine neue Auszeichnung für „außergewöhnlich tapfere Taten“ ebenfalls.

Ein Grund, sich die Symbole der Bundeswehr genauer anzuschauen: Bundeswehr und Wehrmachts-Logo sind beinahe identisch – beide zeichnen ein „Eisernes Kreuz“.

Die Begründung zur Wiedereinführung der „Tapferkeitsmedaille“ durch den Präsidenten des Reservistenverbandes scheint also konsequent – auch wenn seine Behauptung lächerlich ist, dass das „Eiserne Kreuz“ mittlerweile ein „Zeichen der Hilfe und Solidarität“ ist.

Dies ist nicht das einzige Symbol in der Bundeswehr mit einer faschistischen Tradition.

Die so genannte Odalrune ist der letzte Buchstabe des älteren Runen-Alphabets und wurde sowohl von der 7. Waffen-SS-Freiwilligen-Gebirgsdivision „Prinz Eugen“, als auch von Mitgliedern des Rasse- und Siedlungshauptamtes der SS getragen.

Außerdem war die Odalrune das Symbol der 1994 verbotenen neofaschistischen „Wiking-Jugend“ und des 1961 verbotenen „Bund nationaler Studenten“. Das Symbol wird noch heute auf der Schulterklappe der Bundeswehr-Hauptfeldwebel als Dienstgradabzeichen getragen. (6)

Die Bundeswehr schreckt nicht davor zurück, faschistische Symbole aus Zeiten des Nationalsozialismus zu verwenden!

Beispielsweise prangt über dem Eingang des Lufttransportkommandos der Bundeswehr im westfälischen Münster ein Reichsadler. Lediglich das Hakenkreuz unter dem Adler wurde weggemeißelt (vgl. GWR 325). Das Transportkommando steht in direkter Nachfolge des unter der Leitung von Ernst Sagebiel 1935 errichteten Lufttransportkommandos der Wehrmacht und scheint stolz auf seine NS-Vergangenheit zu sein.

Dies sind offiziell von der Bundeswehr verwendete Symbole – die SoldatInnen zieren sich und ihre Fahrzeuge aber auch selbst „inoffiziell“ mit faschistischen Symbolen. So malten in Afghanistan stationierte Soldaten der Kommando-Spezialkräfte (KSK) – eine Eliteeinheit der Bundeswehr – eine Palme auf die Tür ihres Jeeps vom Typ „Wolf“. In der Mitte der Palme prangte das Eiserne Kreuz. Das Symbol entspricht dem des Afrika-Korps des nationalsozialistischen Generalfeldmarschalls Rommel während des 2. Weltkriegs – das Hakenkreuz wurde nur durch das Symbol der Bundeswehr ersetzt. (7)

„Die Soldaten des KSK wissen genau, wo ihre Wurzeln liegen. Die Einsätze der ‚Brandenburger‘ gelten der Truppe geradezu als legendär.“

Die „Brandenburger“ waren eine Sabotage- und Diversionseinheit der Wehrmacht, die hinter den feindlichen Linien mordete. Das Zitat stammt vom ehemaligen KSK-Kommandeur Reinhard Günzel. Dieser ist für seine extrem rechte Haltung bekannt. In dem 2006 von Günzel, dem GSG-9-Gründer Ulrich Wegener und dem ehemaligen Wehrmachtsoffizier Wilhelm Walther verfassten Buch „Geheime Krieger“ stellt der ehemalige KSK-Chef die Einheit und seine Soldaten in die Tradition der Wehrmachts-Spezialdivision. Schon 1995 entgleiste er verbal: „Ich erwarte von meiner Truppe Disziplin wie bei den Spartanern, den Römern oder bei der Waffen-SS.“ – Günzel macht kein Geheimnis um seine Begeisterung für die Wehrmacht und die SS. 2003 wurde der bei seiner Truppe beliebte Brigadegeneral unehrenhaft entlassen. Kurz zuvor hatte Günzel in einem auf Bundeswehr-Briefpapier verfassten Schreiben dem (ehemaligen) CDU-Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann beigepflichtet und seine Sympathie bekundet. Hohmann war wegen einer antisemitischen Rede zum Tag der deutschen Einheit im Jahr 2003 in die Kritik geraten (vgl. GWR 288).

Die Bundeswehr sieht sich selbst in der Tradition der Wehrmacht – die Verbrechen von Hitlers Armee werden verharmlost. Heutige deutsche Militärs sprechen gerne vom Missbrauch der Wehrmacht durch die Nationalsozialisten – wollen die Armee von der damaligen Politik trennen. Dies ist nicht möglich. Jeder Wehrmachtssoldat wurde ab dem 2. August 1934 – kurz nach dem Tod Paul von Hindenburgs – vereidigt:

„Ich schwöre bei Gott diesen heiligen Eid, dass ich dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler, dem Oberbefehlshaber der Wehrmacht, unbedingten Gehorsam leisten und als tapferer Soldat bereit sein will, jederzeit für diesen Eid mein Leben einzusetzen.“

Die Wehrmacht bestand zum größten Teil aus überzeugten Nazis. Sie war bestens in die NS-Gesellschaft integriert. Dies zu leugnen, wie es viele Bundeswehr-Führungskräfte heute tun, ist Geschichtsrevisionismus. Die Tradition, in der sich die Truppe – und mehr noch ihre Führungskräfte – sehen, erklärt auch, dass die eindeutige Abgrenzung der Bundeswehr zu rechtsextremem Gedankengut zu wünschen übrig lässt. Eine geschichtliche Aufarbeitung, zu der die Armee immerhin mehr als 50 Jahren Zeit hatte, fand nur unzureichend statt.

Die 129 bekannt gewordenen rechtsextremen Vorfälle in der Bundeswehr im Jahr 2007 sind beunruhigend. Sie sind im Zusammenhang zu sehen mit der rechtsextremem Tradition, in der sich die Truppe sieht. Diese Tradition ist nicht revidierbar.

Solange es eine Armee in diesem Land gibt, wird sie sich immer in die Tradition ihrer (faschistischen) Vorgänger stellen. Was sie schon immer verband: „Blut und Ehre für das deutsche Vaterland!“

Dagegen hilft nur eins: Bundeswehr abschaffen!

(1) Detlef Bald - Die Bundeswehr: Eine kritische Geschichte 1955-2005

(2) Frank Brendle: "In Kameradschaft treu", in: Antifaschistisches Infoblatt Nr. 77

(3) Ebenda

(4) Peter Holst: "Bundeswehr und extreme Rechte", in: DER RECHTE RAND Nr. 104

(5) Spiegel online - 6.3.08 - "Jung will Tapferkeitsmedaille - aber kein Eisernes Kreuz"

(6) Buch: Musik - Mode - Markenzeichen: Rechtsextremismus bei Jugendlichen

(7) Spiegel online - 1.11.06 - KSK-Soldaten sprühten Wehrmachtssymbol auf Wagen

Anmerkungen

Michael Schulze von Glaßer (*1986) ist Utopia-Redakteur und GWR-Mitherausgeber. Er schreibt außerdem für den Schweizer Politblog "Nachrichten Heute" (www.nachrichtenheute.ch).