anarchismus

„Eilhardshof“ – eine Utopie wird aufgebaut

Ein Gespräch mit Horst Stowasser, einem der Initiatoren des Projekts

| Interview: Bernd Drücke

Graswurzelrevolution (GWR): Herzlichen Glückwunsch! Wie fühlt man sich denn nun so, als Villenbesitzer?

Horst Stowasser: Danke, wir sind natürlich alle total glücklich, aber Villenbesitzer ist keiner von uns und will auch keiner werden. Die Immobilie ist Kollektiveigentum und bleibt es auch. Wir werden quasi Mieter im eigenen Haus sein.

GWR: Kannst Du uns etwas zur Entstehungsgeschichte sagen?

Horst Stowasser: Für GWR-LeserInnen wäre das ja eigentlich gar nicht nötig: Schließlich fällt ein Interview, dass du 2005 mit mir geführt hast (1), so ziemlich mit dem Beginn des Projekts zusammen.

In gewissem Sinn hat die GWR das Ganze sogar ein wenig mit wachgekitzelt…

Aber die Idee ist eigentlich schon viel älter und steht sogar schon im Projekt-A-Buch von 1985. Die Motivation ist banal: Auch Libertäre werden älter und niemand will im Altenghetto leben und sterben. Und da diese Fragen von Vereinsamung, Verarmung und einem würdigen Leben im Alter Millionen von Menschen zunehmend betreffen werden, war es an der Zeit, hierauf eine libertäre Antwort zu geben. Und zwar eine praktische. Initialzündung war schließlich die Tatsache, dass uns diese Fragen langsam selbst betreffen.

GWR: Aber der Eilhardshof wird kein alternatives Altersheim?

Horst Stowasser: Eben nicht – darum heißt es ja „generationsübergreifend“.

Unsere Jüngsten sind noch Hosenscheißer, unsere Ältesten gehen auf die achtzig zu. Und wir alle sind überzeugt, dass gerade dieser Generationenmix eine ganz besondere Lebensqualität bietet, die man nirgends für Geld kaufen kann. Vorausgesetzt, die Menschen helfen sich gegenseitig und tun noch mehr als bloß wohnen.

GWR: Apropos Geld: Was wird es denn kosten, im Eilhardshof zu wohnen?

Horst Stowasser: Die Grundmiete wird bei etwa 4,65 Euro pro Quadratmeter liegen, hinzu kommen dann noch Umlagen für Gemeinschaftsräume, falls wir die nicht anderweitig finanzieren können.

GWR: Und wie hoch ist die Einlage ins Projekt?

Horst Stowasser: Es gibt keine Einlage. Wir wollten kein Projekt, in das mensch sich „einkaufen“ kann oder muss. Dies ist ein Affinitätsprojekt, in dem es auf Sympathie ankommt, nicht auf Geld.

Wir zahlen nur die Miete, und damit refinanziert sich das Projekt auch. Und die ist so angesetzt, dass eine alleinerziehende Mutter mit wenig Geld und Multipler Sklerose ebenso im Projekt wohnen kann wie der Angestellte bei BASF. Das sind übrigens keine Metaphern, die gibt’s beide bei uns. Und falls jemand die Miete nicht aufbringen kann oder das Sozialamt nicht mitspielt, soll ein internes System der Gegenseitigen Hilfe greifen. Aber erst müssen wir mal zwei Jahre lang bauen!

GWR: Wer entscheidet, wer im Eilhardshof wohnen wird?

Horst Stowasser: Wir sind ein basisdemokratisches Projekt, bei uns werden alle Entscheidungen im Gruppenkonsens getroffen. Es kann allerdings lange dauern, in die Gruppe aufgenommen zu werden, da wir uns gut kennenlernen wollen und Vertrauen aufbauen müssen. Das braucht Zeit.

GWR: Sind dabei politische Kriterien ausschlaggebend?

Horst Stowasser: Jedenfalls keine Lippen- oder Glaubensbekenntnisse.

Es ist eine der Grundideen vom Projekt A, dass Menschen nicht nach ihren politischen Statements beurteilt werden, sondern als Menschen. Die Strukturen sind libertär, der Umgang ist es und der Geist, der hier weht. Wer so leben will, ist eigentlich libertär genug. Etiketten sind uninteressant.

GWR: Und das funktioniert?

Horst Stowasser: Sieht ganz so aus. Im Projekt gibt es in der Wolle gefärbte Anarchas genauso wie Christen und Heiden, alte Projekt-A-VeteranInnen, junge Libertäre und unpolitische Menschen.

Unser Architekt ist sogar „Anarchokatholik“, und ich als alter Atheist komme prima mit ihm aus! Gut die Hälfte der Leute hat bis vor einem halben Jahr noch nie was mit Anarchismus am Hut gehabt; die finden aber toll, was wir hier machen – und wenn das ‚anarchistisch‘ sein soll, ist das völlig okay! Viele lesen jetzt auch libertäre Bücher, aber niemand muss.

GWR: 2,5 Millionen Euro, ist das nicht ein paar Nummern zu groß?

Horst Stowasser: Kommt auf den Maßstab an. Genausoviel hat ein Verkehrskreisel gekostet, der kürzlich in Neustadt gebaut wurde. Wenn sich zehn Familien eine Doppelhaushälfte kaufen, wird das sogar teurer, und bei uns kommen doppelt so viele Leute unter.

Klar kommt das in der libertären Szene als erschreckende Summe rüber, aber auch hier reift die Zeit, um in größeren Dimensionen zu denken. Was uns angeht, so haben wir schon vor 17 Jahren auf ähnliche Weise mit der WESPE (2) den Ökohof in Neustadt finanziert. Das war auch ein Millionenprojekt, allerdings in D-Mark.

Was uns in diesem Zusammenhang total überrascht hat, ist das positive Echo auf den Aufruf, Direktkredite zu zeichnen. Ganz besonders auch aus dem Umfeld der GWR. Ich möchte hier allen, die uns unterstützt haben und noch unterstützen wollen, im Namen der Gruppe ganz herzlich danken!

Und, wenn’s erlaubt ist, noch eine Bitte nachschieben: Auf unseren Soli-Listen haben sich ganz viele Leute eingetragen – für Kredite, Bauhilfe und Beratung – manche aber leider mit unleserlichen oder überholten E-Mail-Adressen. Es wäre toll, wenn alle, die seither nichts von uns gehört haben, sich noch einmal bei uns melden würden!

(1) Projekt A / Plan B. Ein Gespräch mit Horst Stowasser, in: GWR 304, Dez. 05. Lange Version in: B. Drücke (Hg.), ja! Anarchismus. Gelebte Utopie im 21. Jahrhundert, Karin Kramer Verlag, Berlin 2006, S. 233 ff.

(2) "Werk Selbstverwalteter Projekte und Einrichtungen", Projekt A in Neustadt.

Anmerkungen

Fortsetzung in einer der nächsten Ausgaben der GWR.

Weitere Infos

www.eilhardshof.de