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Exzellente Demontage

Von Eliteuniversitäten, Exzellenzclustern und einem zutiefst unsozialen Bildungssystem

| Joseph Steinbeiß

Glaubt man einschlägigen Medienberichten, dann hat sich die deutsche Bildungslandschaft in den vergangenen Jahren von einem kargen Acker in eine fröhliche Festwiese verwandelt. Der Schock der Pisa-Studien scheint überwunden. Überall herrscht Betriebsamkeit. Verkrustete Strukturen werden aufgebrochen. Entschiedener Reformwille verdrängt traditionsverliebte Schwerfälligkeit. Politik, Schule, Universität und Wirtschaft schreiten einträchtig Hand in Hand einer schönen, neuen Bildungswelt entgegen.

Auch der Jargon ist zeitgemäß. Universitäten rühmen die „Event-Kultur“ ihrer Standorte und Seminare, „Leuchttürme der Forschung“ schießen wie Pilze aus dem Boden, und die erste Runde im Kampf um die Zuteilung der sogenannten Exzellenzförderung, von der weiter unten die Rede sein wird, läutete der damalige Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), Ernst-Ludwig Winnacker, mit dem Slogan ein:Brain up! Deutschland sucht seine Spitzenuniversitäten“. Man möchte meinen, es gebe keinen Ort, an den Jürgen Klinsmann und Dieter Bohlen nicht gelangen können. Bildung: eine Mischung aus Rummelplatz, Werbebörse und Casting-Show?

Kopflos zur Kopfnote

Von Epikur stammt der ebenso treffende wie zeitlos gültige Satz: „Bei den meisten Menschen ist die Ruhe nichts als Erstarrung, und die Aktivität nichts als Raserei.“ Besser kann man die deutsche Bildungspolitik kaum beschreiben. Aber was sich im Schatten der bonbonbunten Werbetafeln abspielt, ist längst nicht mehr „nur“ das unkontrollierte Zucken einer Kultusbürokratie, die nach dem „Pisa-Schock“ eilends Aktivität nachweisen mußte. Was sich abspielt, ist der wohl unsozialste bildungspolitische Kahlschlag der Nachkriegszeit.

Die jüngsten Veränderungen, schreibt der Münchner Sozialpsychologe Heiner Keupp, seien Teil einer Mobilisierungsstrategie mit dem Ziel, die deutschen Bildungseinrichtungen, allen voran die Universitäten, „ihrer kritisch-reflexiven Restbestände […] zu berauben und sie in das Getriebe des globalen Kapitalismus als unmittelbar nutzbare Ressource widerstandslos einzupassen“.

Dabei gleichen Schulen und Universitäten, was ihre Lehrtätigkeit angeht, mehr und mehr Werkshallen.

In ihnen wird das künftige Humankapital – je früher, desto besser – vorsortiert, geordnet und vor allem: etikettiert.

Wie sonst soll man die Aussage der nordrhein-westfälischen Ministerin für Schule und Weiterbildung, Barbara Sommer, verstehen, die die Wiedereinführung von „Kopfnoten“ damit rechtfertigte, die Wirtschaft habe ein Recht darauf zu erfahren, wen sie einstellen werde?

Kopfnoten, ein Relikt aus Großmutters Zeiten, ergänzen seit dem Schuljahr 2007/08 an allen weiterführenden Schulen in NRW die herkömmliche Benotung der schulischen Leistung (vgl. GWR 327). „Zensiert“ werden „Charakter“, „Teamfähigkeit“, „soziales Verhalten“ … eine Schulnote als Arbeitszeugnis. Wie man das fair und neutral machen soll, weiß niemand; am wenigsten die Schulkollegien. Aber gemacht wird es trotzdem.

Das dreizügige Schulsystem in Deutschland war selbstverständlich immer schon ein Ort der sozialen Auslese. Nun aber kann der Lebensweg eines Schülers, der „sich nicht benehmen kann“, der vielleicht wenig konforme Ansichten pflegt oder neue Wege beschreiten möchte, schon ab der vierten Klasse (!) verbaut werden. Und wer im Abschlusszeugnis nur ein „befriedigend“ nach Hause trägt, sollte sich auf dem Arbeitsmarkt nicht allzu große Chancen ausrechnen.

Bachelor und Master

Die Bachelor- und Masterstudiengänge setzen diesen Trend fort: Nur etwa 30 Prozent der Bachelor-AbsolventInnen werden – finanziell oder ihrem Leistungsniveau entsprechend – die Chance bekommen, anschließend noch einen Master zu erwerben.

Die übrigen kommen als eilausgebildete Ressource auf den Arbeitsmarkt und werden dort, wenn sie überhaupt Arbeit finden, bei gleicher Tätigkeit schlechter bezahlt werden. Die Berufsaussichten von Real- und HauptschülerInnen sinken praktisch auf den Nullpunkt.

Darüber hinaus hat die Einführung von Studiengebühren allein im Wintersemester 2006/07 die Zahl der StudienanfängerInnen um fast 20 Prozent sinken lassen. Auch auf dem Ausbildungsmarkt wird es demnach eng für Menschen ohne Abitur und Hochschulabschluss.

Wenn Politik und Wirtschaft medienwirksam händeringend um junge, kreative, vernünftig (aus)gebildete Fachleute flehen, sind Bachelor-Studierende ganz sicher nicht gemeint: In sechs Semestern müssen sie ein Studium absolvieren, das ihnen keine Möglichkeiten mehr läßt, eigenen Interessen zu folgen.

Das Studium ist mittlerweile so verschult, wie es sich kein kaiserlich-deutscher Oberlehrer hätte ausmalen können.

Die Modulhandbücher, neoliberale Studienordnungen des 21. Jahrhunderts, haben den Umfang mittlerer Telefonbücher, und die Universitäten müssen eigens Fachkräfte einstellen, damit irgendjemand die Übersicht behält. Ein Wirrwarr aus Prüfungsordnungen, Leistungsanerkennungen, Teilnahmeberechtigungen, Creditpoints und hundert widersinnigen, häufig widersprüchlichen Vorschriften überfordert Lehrende und Studierende gleichermaßen. Erhöht haben sich seit Einführung der Bachelor- und Masterstudiengänge der bürokratische Aufwand, der Konformitätsdruck auf die Studierenden, die soziale Selektion und die Verwirrung. Sonst nichts.

Zum Trost wird ein Schauspiel glücklicher Marktorientierung aufgeführt, das Forschung und Lehre voneinander trennt:

Die Schulen spielen weiter ihre Rolle bei der sozialen Vorauswahl. Universitäten aber sollen künftig als Markenprodukte in einer globalisierten Shopping-Mall des Geistes glänzen. Vermittlung von Wissen ist hässlich. Forschung ist in.

Die Exzellenz-Initiative

Ein besonders sprechendes Beispiel ist die sogenannte Exzellenz-Initiative, die 2007 in die dritte Runde ging. Seither dürfen sich sechs weitere Universitäten über eine Finanzspritze von 35 Millionen Euro freuen, gestaffelt auf fünf Jahre. Dies ist die höchste Forschungsförderung, die die Bundesrepublik zu vergeben hat – aus Steuergeldern, versteht sich. Prämiert werden große, interdisziplinäre Forschungsprojekte, geleitet von etablierten Fachleuten, die versprechen, gesellschaftsrelevante Ergebnisse zu bringen. Graduiertenschulen, in denen Doktorarbeiten geschrieben und gefördert werden, sowie eine dringliche Einladung zu internationaler Vernetzung runden das Programm ab.

Auch sonst hören sich einige der Neuerungen, die die Exzellenz-Initiative – als jüngstes und liebstes Kind der DFG – bringen soll, verlockend an. So soll ein Ende gemacht werden mit dem kauzigen Hochschullehrer, der seit Jahrzehnten in immergleichen Vorlesungen sein immergleiches Garn abspuhlt. Kontakt zu Öffentlichkeit und Medien gehört zu den Voraussetzungen für eine Exzellenzförderung.

Nur: Prämiert werden „exzellente“ Forschungsvorhaben.

Es sind gerade nicht die „Spitzenuniversitäten“ – was auch immer das heißen mag -, die in ihrer Arbeit bestätigt und gefördert werden. Der schönste Antrag bekommt die Palme.

Nicht existierende wissenschaftliche Großprojekte werden mit Geld überschüttet.

Gleichzeitig haben es kleinere, häufig weit solidere Forschungsunternehmungen immer schwerer, an Gelder zu kommen. Die Exzellenz-Initiative ist so etwas wie die Stefan-Effenberg-Autobiographie der Wissenschaften: Sie markiert den Ausbruch des neoliberalen „Vorschuß-Syndroms“ in der akademischen Forschungsförderung.

Landauf, landab versuchen nun Universitäten, sich mit immer phantastischeren Anträgen und Skizzen für neue Exzellenzcluster – auf deutsch wohl am besten mit „Glanzklumpen“ zu übersetzen – gegenseitig auszustechen. Ganz freiwillig machen sie das nicht: Eine rigide Kürzungspolitik, die die Lehre an manchen Hochschulen praktisch hat zusammenbrechen lassen, hat die alte humboldtsche Festung der Universitas sturmreif geschossen.

Nun bestätigt die Vergabe der Exzellenz-Förderung an einige wenige Auserwählte den finanziellen Kahlschlag nachträglich und lädt zu weiteren Kürzungen ein – mit willkommener Hilfe der Universitäten selbst. Die anderen, so die beabsichtigte Aussage, hätten sich eben „mehr anstrengen müssen“.

Die glücklosen Gewinner

Aber auch die Siegerinnen im Kampf um die exzellente Finanzspritze werden ihres Sieges meist nicht froh. Denn tatsächlich hat ein Exzellenzcluster nach dem Willen der DFG eine aus dem normalen Universitätsalltag herausgelöste Einrichtung zu sein.

Den erfolgreichen Unis wächst im schlimmsten Fall ein Januskopf: hier die alte Universitätsverwaltung, mit eher grauen Verpflichtungen für Lehre und Forschung, dort der Cluster, mit keiner anderen Aufgabe, als sich im Lichte seiner Exzellenz zu sonnen und zu zeigen. Wer hip sein will, spricht eher mit den „Cluster-Leuten“ als mit den BeamtInnen des Rektorats. Denn es versteht sich, daß in Zeiten aggressiver Durchkapitalisierung sämtlicher Lebensbereiche „gesellschaftsrelevante Ergebnisse“ nichts anderes bedeutet als: Ergebnisse, die sich gut verkaufen.

Die Ausrichtung der Hochschulforschung auf unmittelbare Verwertbarkeit ihrer Ergebnisse, ganz gleich, ob es sich um Natur- oder Geisteswissenschaften handelt, wird vor allem von den Hochschulräten vorangetrieben, die die Hochschulpolitik seit einigen Jahren maßgeblich steuern. Dort sitzen aber nicht länger Professoren im Gremium, sondern Vertreter aus Medien und Wirtschaft.

Zwar profitieren auch die Universitäten von der Vergabe einer Exzellenzförderung: Es können neue, themenbezogene Lehrstühle eingerichtet werden. Neue Materialien werden angeschafft. Die Bibliotheken wachsen. Eine Vermittlung der (erst noch zu leistenden) Spitzenforschung durch die Lehre aber ist nach den Statuten der DFG gar nicht vorgesehen.

Im Gegenteil: Der Cluster entzieht den Studierenden ihre Professorinnen und Professoren, die sich semesterweise in die Forschung verabschieden.

Manche der letztgenannten sind darüber auch gar nicht traurig…

Während so manchem das „Pisa-Geheule“ noch in den Ohren klingt, verringert das Konzept der Clusterforschung die Qualität der universitären Lehre weiter. Woher hervorragender wissenschaftlicher Nachwuchs kommen soll, wenn man Studierenden nicht früh genug Gelegenheit bietet, mit wissenschaftlicher Forschung – auch und gerade mit Forschung auf hohem Niveau – in Berührung zu kommen, mag bei der DFG niemand erklären. Es kann wohl auch niemand.

Eins, zwei, drei… Eliteuniversität

Vollends absurd wird das Spektakel, wenn man die Kriterien betrachtet, die die DFG für die Vergabe des Status einer „Elite-Universität“ festgelegt hat. Es ist in der Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik ohnehin etwas Neues, daß Bildungspolitiker öffentlich von „neuen Eliten“ schwärmen, ohne rot zu werden.

Daß ein einigermaßen freier und gleichberechtigter Zugang zur Bildung Voraussetzung für das Funktionieren eines einigermaßen freien und gleichberechtigten demokratischen Staatswesens sein sollte, hat man augenscheinlich vergessen.

Während in Frankreich ein streng auf Auslese und Elitenbildung ausgerichtetes Bildungssystem in Trümmern liegt, präsentiert die DFG unter rauschendem Applaus der Medien ihre „Elite-Universitäten“. Kaum jemand weiß, daß die Anforderungen ebenso schlicht wie aberwitzig sind: Hat eine Universität einen Exzellenzcluster und zwei Graduiertenschulen vorzuweisen, ist sie automatisch „Elite“. Das Lehrangebot, die Fächervielfalt, das Zahlenverhältnis von Studierenden zu Lehrenden, der wissenschaftliche Rang der Professorinnen und Professoren… all das spielt keine Rolle. Elite ist, wer mitspielt und sich gut vermarkten läßt; Elite ist ein Etikett; ein Werbeslogan, um eine zur reinen Kapitalressource verdinglichte Forschung auf dem Markt unterzubringen.

Daneben sind sowohl Exzellenzcluster als auch „Elite-Universitäten“ geschickte Schachzüge der DFG, um ihre Macht zu mehren.

Diese Organisation, tief verstrickt in die Machenschaften der Politik und kaum demokratischer Kontrolle unterworfen, wird zur wichtigsten Abwicklungshelferin des alten Traumes von gesellschaftlicher Bildung. Die neoliberale Offensive hat im Bildungsbereich die gleichen Folgen wie in allen anderen Bereichen der Gesellschaft auch: eine fortschreitende Entdemokratisierung und Entsolidarisierung, eine Verschärfung der Klassengegensätze bis hin zum offenen Kapitalfeudalismus – „Nur wer Geld hat, darf sich bilden!“ -, und einen geistigen Substanzverlust, der kritisches Nachdenken schon fast wie etwas Vorzeitliches erscheinen läßt.

Die katastrophalen Folgen dieser Entwicklung werden in wenigen Jahren deutlicher denn je zu erkennen sein.