Das "Wort des Jahres 2007" war "Klimakatastrophe" - gäbe es ein ausschließlich linksradikales Ranking, wären "Gentrifizierung" und "Ungdomshuset" sicher unter den Top 5.
Im Sommer 2007 hatte die Bundesanwaltschaft für die Verhaftung des Berliner Soziologen Andrej Holm wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung eine erstaunliche Begründung: Er benutze wie die Gruppe „mg“ in ihren Bekennerschreiben den Begriff „Gentrifizierung“.
Der Haftbefehl wurde – auch nach internationalen Protesten – aufgehoben. Und die Räumung eines Jugendzentrums in Kopenhagen, nämlich des „Ungdomshuset“, sorgte für heftige Straßenproteste in der dänischen Metropole und für europaweite Solidaritätsaktionen. Dass und wie das eine mit dem anderen zu tun hat, darüber gibt ein im Januar im Verlag Assoziation A erschienenes Buch Auskunft: „Besetze Deine Stadt!“, herausgegeben von Peter Birke und Chris Holmsted Larsen.
„Ungdomshuset“ war ein 1982 von der Kopenhagener Stadtregierung an die HausbesetzerInnenbewegung zur Nutzung überlassenes Gebäude. Bis zum März 2007 konnte sich das linke (Jugend)-Zentrum als kultureller, sozialer und politischer Ort gegen immer wiederkehrende Angriffe unterschiedlicher Stadtregierungen behaupten.
Dann wurde es geräumt, nachdem es schon im Jahr 2000 von der Stadt an eine christlich-fundamentalistische Sekte verkauft worden war. Es folgten tagelange Straßenkämpfe und bis heute Hunderte von Aktionen, Happenings und Demos.
Hintergrund der Konflikte ist die Umstrukturierung des öffentlichen Raums in der Boomtown Kopenhagen, die sich als Musterbeispiel einer innovativen „unternehmerischen Stadt“ versteht. Alternative Projekte sollen nur dann eine Chance haben, wenn sie sich vom Stör- zum Standortfaktor wandeln.
Das meint die dänische Regierung, wenn sie von „Normalisierung“ redet. Und das Ungdomshuset lag in einem ehemaligen Arbeiterviertel, welches heute eines der Zentren der Gentrifizierung ist. Darunter versteht man eine ökonomische, soziale und kulturelle „Aufwertung“ von Stadtteilen, in deren Verlauf die bisher dort lebenden ärmeren Bevölkerungsgruppen durch besser verdienende Haushalte (die „Latte Macchiato“-Fraktion) verdrängt werden.
Freiräume wie Ungdomshuset können zwar als bunter Farbtupfer durchgehen, aber nur solange sie nicht stören. Aber genau das wollen Zentren wie dieses. Als Treffpunkt, Veranstaltungsort und Anlaufpunkt für Menschen, die nach alternativen Lebens- und Politikformen suchen, wollen sie den kapitalistischen Normalzustand in Frage stellen. Sie verweigern sich der In-Wertsetzung aller Lebensäußerungen, die als Leitmotiv der neoliberalen Internationale gelten kann.
In verschiedenen Beiträgen des Buches wird die Entwicklung analysiert, die heute die in den 1980er und 1990er Jahre entstandenen Freiräume in neuer Qualität der Räumungsgefahr aussetzt: Von welchen Ideologien und Motiven werden die Abriss-Politiker angetrieben, die es in Kopenhagen, Hamburg, Berlin und anderswo in der Sozial- wie in der Christdemokratie gibt?
Welche Hoffnungen und Träume bewegen auf der anderen Seite die NutzerInnen und VerteidigerInnen der Projekte?
Dass aber auch die Kämpfe um diese Freiräume in neuer Qualität geführt werden können, wird über die Interviews mit AktivistInnen der Bewegung anschaulich. Spannend ist hier vor allem, wie im Stadtteil Bündnisse mit den NachbarInnen genauso entstehen können wie mit dem „Grauen Block“ der Häuserkampf-Generation der 1980er Jahre. Welche Rolle dabei explizit gewaltfreie Aktionen spielen können, ließ in Kopenhagen die öffentlich für den 6. Oktober angekündigte Besetzung eines Geländekomplexes aufscheinen. Zwar wurde angesichts eines massiven Polizeieinsatzes das Ziel nicht erreicht, aber die Beteiligung von rund 5.000 Menschen an einer öffentlich angekündigten Gesetzesübertretung brachte nicht nur eine enorme Medienresonanz, sondern auch die Stadtpolitik in die Defensive.
Allein der militante „Märzaufstand“ direkt nach der Räumung hätte wahrscheinlich nicht den Druck aufbauen können, der heute eine Situation geschaffen hat, in der die „Ungdomshuset“-Bewegung die Verhandlungen mit der Stadt um ein neues Zentrum aus einer Position öffentlicher Akzeptanz und Stärke führen kann.
Mit Beiträgen zur Freien Stadt Christiania wird zudem eine bis ins Jahr 1971 zurückreichende „Geschichte zwischen Utopie und Normalisierung“ ausgelotet. Reflexionen zum Autonomiebegriff u.a. am Beispiel der Roten Flora in Hamburg runden den Band ab.
Peter Birke und Chris Holmsted Larsen (Hg.): Besetze deine Stadt! - BZ din by! Häuserkämpfe und Stadtentwicklung in Kopenhagen!, Assoziation A, Berlin/Hamburg 2008, 224 Seiten, ISBN 978-3-935936-67-5, 14.80 Euro