Francostatuen, Straßennamen wie „Straße des 18. Juli“ oder „Straße des Generalisimo“, wöchentliche Gottesdienste auf Francos Grab im Valle de los Caídos (Tal der Gefallenen) bei Madrid – diese Zeichen franquistischer Macht werden erst seit wenigen Jahren in Spanien kritisch diskutiert und langsam demontiert. Gleichzeitig mit dem Beginn der öffentlichen Aufarbeitung der jüngsten Geschichte haben sich einige Gruppen gegründet, die sich der Wiedergewinnung des historischen Gedächtnisses widmen; acht davon – lokale Gruppen im Raum Valencia – hat Alexandre Froidevaux untersucht.
Bei dieser sehr gut lesbaren und interessanten Studie handelt es sich um eine Überarbeitung der Magisterarbeit, die er 2006 verfasst hat. In Einleitung und Schluss des Buches nimmt Froidevaux Bezug auf seither veröffentlichte Forschungen bzw. politische Entwicklungen bis Ende 2007.
Die zentralen Quellen der Arbeit sind qualitative, halboffene Interviews mit Angehörigen der memoria histórica-Gruppen sowie als Ergänzung eigene Materialien dieser Gruppen als auch Zeitungsartikel.
Viele der Gruppenmitglieder kommen aus republikanischen Familien und haben Angehörige im Bürgerkrieg oder durch die franquistische Diktatur verloren; so ist eins der Motive für ihr Engagement die Traumabewältigung.
Einerseits wird durch die Erinnerung den Opfern der Repression ihre Würde wiedergegeben, andererseits können die Angehörigen oder FreundInnen im Interview ihre Trauer verarbeiten.
Neben einem Einblick in die Arbeit der Gruppen (zum Beispiel Ausstellungen und Interviews) werden auch die Unterschiede sowohl zwischen als auch innerhalb der Gruppen deutlich; einige Mitglieder möchten nicht nur die vergessene oder unterdrückte Geschichte sichtbar machen, sondern auch juristische Konsequenzen ziehen: eine Verurteilung der in vielen Fällen namentlich bekannten franquistischen Täter. Andere gehen noch weiter und stellen den Gründungsmythos der heutigen spanischen Gesellschaft, den friedlichen Übergang von der Diktatur zur Monarchie nach Francos Tod 1975 (transición), als Lügengebäude infrage. So sei der zugrundeliegende Pakt des Vergessens ein fauler Kompromiss, da nach ihm sowohl Franquisten als auch Republikaner am Bürgerkrieg schuld seien und daher jegliche Aufarbeitung der Zukunft durch eine erneute Spaltung Spaniens schaden würde.
Nach 30 Jahren ohne Diktatur ist die spanische Gesellschaft so gefestigt, dass nun für viele eine Aufarbeitung möglich erscheint. So berichtet eine der Gruppen, dass sie in den 90ern kaum InterviewpartnerInnen fanden, weil die ZeitzeugInnen nicht über ihre Erlebnisse im Bürgerkrieg sprechen wollten, während sie heute offener sind. Eine Ausstellung einer der Gruppen über den Bombenkrieg durfte nicht im Rathaus gezeigt werden, wurde dann aber in einem anderen Gebäude von 3000 bis 4000 Menschen besucht, die zum Teil zum ersten Mal über ihre eigene Geschichte berichteten.
Neben dieser erfreulichen Entwicklung betont der Autor, wie zäh jedoch die öffentliche Aufarbeitung vorankommt. Zwar wurde 2002 mit den Stimmen des PP (Partido Popular, die Konservative Partei, in der viele alte Franquisten sitzen) das Franco-Regime offiziell verurteilt, gleichzeitig setzen sich die Konservativen jedoch gegen die moralische und finanzielle Rehabilitierung ehemaliger politischer Gefangener der Diktatur ein. 2005 und 2006 erließ die Regierung zwei Dekrete, wonach memoria histórica-Gruppen finanzielle Unterstützung erhalten sollen für die Suche und Exhumierung der Verschwundenen, Aktivitäten zu ihrem Gedenken und für die Sammlung mündlicher und schriftlicher Zeugnisse. Ob die angekündigten 2 Millionen Euro für die anstehenden Aufgaben ausreichen, bleibt zu untersuchen.
Alexandre Froidevaux: Erinnerungskultur 'von unten' in Spanien. Eine Oral History-Untersuchung der recuperación de la memoria histórica in Valencia (2000-2005), Wissenschaftlicher Verlag, Berlin 2007, 172 Seiten, ISBN 978-3-86573-328-3, 15 Euro