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Die gekaufte Universität

Zum wachsenden Einfluss der Privatwirtschaft auf das Bildungssystem

| Joseph Steinbeiß

Hätte jemand Freude, einen Doktortitel in VW zu erwerben? Nein, das soeben Gelesene enthält keinen Druckfehler: Gemeint ist nicht im VW. Gemeint ist aber auch nicht "Volkswirtschaft". Es geht wirklich und wahrhaftig um einen Abschluss in VW, der Automarke aus Wolfsburg: Dr. med., Dr. phil., Dr. golf. Der höchste europäische Bildungsabschluss, einmal ganz in Blech. Jemand Interesse?

Zugegeben: In Deutschland kann man solch ein apartes Examen bisher noch nicht machen. Etwas Flexibilität ist gefordert. Es geht nach Spanien, genauer gesagt nach Pamplona, an die Universität von Navarra.

Dort nämlich gibt es seit 1998 eine „Cátedra de Calidad Volkswagen Navarra“ [‚Lehrstuhl Qualität Volkswagen Navarra‘].

Selbstbewusst heißt es in der Selbstdarstellung, die für Interessierte auch in einer allerliebsten deutschen Übersetzung zur Verfügung steht: „Das Schaffen des Lehrstuhles ‚Qualität Volkswagen Navarra‘ entspringt der beiderseitigen Überzeugung der Universität von Navarra und Volkswagen Navarra die es für notwendig halten eine enge Zusammenarbeit zwischen Akademie und Wirtschaft zu knüpfen. […] Die Notwendigkeit der Qualitätsfrage zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und Organisationen hat den Anstoß zu dieser Initiative, die Verbreitung der Qualitätsphilosophie gegeben.“

Worin genau ein VW-Studium in Pamplona oder das Geheimnis der „Qualitätsphilosophie“ bestehen, verrät die Seite nicht.

Von „Kompetenzen“ ist die Rede, von „Kommunikation“, „Flexibilität“, „Vielseitigkeit“, und natürlich: von „Erfolg“.

Lächelnd blicken die Gesichter bereits examinierter beziehungsweise promovierter Jahrgänge aus bunten Gruppenfotos dem Betrachter entgegen.

Den Kopf der Seite ziert das Bild des neuesten Modells eines VW Golfs. In Blau metallic. (1)

Die Zukunft hat schon begonnen!

Man hätte eine solche Seite für eine humorige Fälschung gehalten, für ein gelungenes Fake, wenn nicht der Einmarsch – man ist versucht zu sagen: Einbruch – der Privatwirtschaft in den tertiären Bildungssektor, also die Erwachsenenbildung, Universitäten und Fachhochschulen, längst überall zu beobachten wäre.

Die Europäische Union treibt, nur teilweise genötigt durch das GATS-Abkommen [General Agreement on Trade in Services, Abkommen der Welthandelsorganisation (WTO) über die Privatisierung von Dienstleistungen], die Öffnung ihrer Bildungssysteme für private Investoren mit Macht voran.

Die neoliberale Ausrichtung des Lehr- und Forschungsbetriebs auf ausschließliche Verwertbarkeit seiner „Erträge“ als Waren auf dem Markt – sei es in Form von Patenten, Wirtschaftskooperationen oder als künftiges „Humankapital“ – verändert die Lehrinhalte der Universitäten in rasantem Tempo.

Dass Hochschulen mittlerweile zu Litfasssäulen für Großkonzerne herabgesunken sind, hätte man allenfalls noch hingenommen. Ob die Universität Bremen nun Universität Bremen heißt oder Jacobs University Bremen, der Unterschied liegt allenfalls in der Versuchung, ihrem neuen Namen ein „Die mit dem Verwöhnaroma“ hinzuzufügen. Auch, dass Konzerne eigene Bildungs- und Forschungseinrichtungen betreiben, hätte wohl niemanden ernsthaft aufgeregt.

Dergleichen hat Tradition. Die ansonsten chronisch mürrische Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) verfiel 2004 in ungeahnte Heiterkeit, als sie die Vorträge zur feierlichen Eröffnung der Hertie School of Governance [sic!] kommentierte. Im südfranzösischen Toulouse eröffneten AXA und der Ölgigant TotalFinaElf jüngst eine Toulouse School of Economics. In London, dem Sitz der berühmten London School of Economics, war man, dem Hörensagen nach, not amused.

Public-Private-Partnership im Hörsaal

Tatsächlich aber sind es heutzutage, selbst bei derartigen „Konkurrenzgründungen“, kaum je die Konzerne, die die gesamten Kosten für Bauten, Ausstattung und Gehälter ihrer Lehr- und Forschungsanstalten tragen. Immer trägt der Fiskus sein gerüttelt Schärflein bei. Umgekehrt wird die Privatwirtschaft immer dringlicher eingeladen, dort geldbeutelklimpernd einzuspringen, wo der Staat nicht länger allein für Bildung zahlen mag. Dafür winken – kapitalistischer Widersinn – großzügig ausgeschüttete Fördergelder und sonstige Vergünstigungen, natürlich wiederum aus dem Staatssäckel.

„Gerade in Zeiten, in denen die Wachstums- und Verwertungsfelder des Kapitals immer geringer werden“, schreibt Susanne Huss in einer wohltuend kritischen Untersuchung der Bildungspolitik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, „wird es für private Unternehmen immer interessanter, staatliche Subventionen zu lukrieren.“ (*)

Von solchen Public-Private-Partnerships [‚Öffentlich-Private Partnerschaften‘] profitieren in erster Linie die Konzerne. Denn selbstverständlich will ein privater Investor das von ihm investierte Kapital – sei es nun ökonomisch, kulturell oder „human“ – so rasch wie möglich wieder gewinnbringend einfahren. Man mag sich noch so sehr über das jämmerliche Niveau der „Wirtschaftsuniversitäten“ lustig machen – die Übergänge sind längst fließend geworden. Es gibt kaum mehr einen pharmakologischen Fachbereich an deutschen Universitäten, der nicht, mittelbar oder unmittelbar, der pharmazeutischen Industrie zuarbeitet. Manche Hochschulen mögen gar nicht mehr abwarten, dass sich Nestlé, McDonalds oder MBB in ihre Vorlesungen und Seminare einkaufen.

Sie machen es ihnen schon vorher gemütlich, getreu dem neoliberalen Credo, dass allein der Markt die Menschen selig macht. Ihr wissenschaftliches Programm sieht dementsprechend wunderlich aus.

So richtete die Uni Münster in diesem Jahr trotz galoppierender Stellenstreichungen innerhalb nur weniger Monate gleich zwei neue Professuren ein (eine davon als Juniorprofessur): für Marketingforschung.

Aufgabe der neuen Fachleute, so erläuterte die Homepage der Uni gut gelaunt, werde es sein, herauszubringen, warum Menschen ipods und Flachbildschirmfernseher kaufen.

Über den wissenschaftlichen Wert von solcherlei „Forschungen“ für die Allgemeinheit darf man gewiss geteilter Meinung sein. Ihr Marktwert dagegen erschließt sich sofort. Nur sollte die Frage gestattet sein: Warum muss eine staatliche Hochschule eine Arbeit verrichten, für die die Firma Siemens einen ganzen Mitarbeiterstamm beschäftigt? Möchte die Universität Münster in Zukunft selber Flachbildschirme verkaufen?

Flach ist, was sie über ihr Marketingforschungsinstitut anbietet, ja unbestreitbar schon heute.

Der französische Denker und Mathematiker Pascal hätte seine Freude gehabt: Unfähig, ihre Wissenschaft zu vermarkten, erklären die Menschen das, was sie vermarkten können, kurzerhand zur Wissenschaft.

Es wird wohl nicht mehr lange dauern und Lehrstühle für Profildicke an Autoreifen von Firestone oder Stabilisierung von synthetischer Schlagsahne werden den verstaubten Wissenskanon der Universitäten bereichern. Wie gesagt: Einen Promotionsstudiengang in VW gibt es schon.

Die Ware „Gedanke“

Diese Entwicklung hat natürlich eine Kehrseite: Jene Fachbereiche, die naturgemäß Schwierigkeiten haben, ihre Arbeit in griffige Konserven für den Markt zu pressen, geraten unter zunehmenden Druck.

In der internen Finanzierung der Universitäten fließt das Geld großzügig den „zukunftsträchtigen Institutionen“ – wie etwa der Marketingforschung – zu. Traditionelle Fachbereiche, wie etwa die Philologien, die in erster Linie auf die Lehre ausgerichtet sind, müssen mit immer weniger Personal auskommen und verkommen bei steigenden Studierendenzahlen mehr und mehr zu Bildungsruinen.

Es verwundert nicht, dass bereits laut darüber nachgedacht wird, die Lehrerausbildung aus der Universität auszusondern: Welcher Konzern mag schon investieren in eine Horde Pauker? Die zunehmende Verschulung des Studiums ist dabei nur eine Folge der Neudefinition von Bildung als Ware: Kinder aus reichen Elternhäusern legen sich an der Hochschule eine schicke Bildung zu.

Wenn die nix taugt, geht es flux zum Reklamationsschalter. Bildung bedeutet nach dem Willen der europäischen Kommission heute fast nur noch Ausbildung. Dass Bildung vor allem das Ergebnis eigener, kreativer Aneignungsleistung ist; dass es nicht Aufgabe kritischer geisteswissenschaftlicher Forschung sein kann, mit den Wölfen zu heulen und sich – und die Studierenden – unter abenteuerlichsten Verrenkungen „marktförmig“ zu machen, mutet unter diesen Umständen schon fast wie ein Märchen aus Großmutters Zeiten an.

Gewiss: Kein Wirtschaftsunternehmen, das etwas auf sich hält, stellt ausschließlich ahnungslose, denkunwillige und demütige Kopfnicker ein.

Eine vollständige Verarmung des Bildungsangebots kann im Interesse der Wirtschaft nicht liegen.

Die „kreativen Ideen“ aber, nach denen so medienwirksam geschrieen wird, beziehen sich wohl nicht auf die naheliegende Idee, die neoliberale Zurichtung der Gesellschaft als Ganzes für gemeingefährlich zu erklären; oder einmal zu fragen, ob es tatsächlich Sinn allen menschlichen Lebens auf diesem Planeten sei, als Geldwert dahinzuvegetieren, bis alle zusammen im Ozean geschmolzener Polarkappen baden gehen?

Es verwundert, wie selten in einer Zeit aggressiver Durchkapitalisierung sämtlicher Lebensbereiche die konkreten sozialen Kosten beziffert werden, die auf die Gesellschaft zukommen, wenn die Entwicklung – keineswegs nur im Bildungssektor – so weitergeht wie bisher. Der intellektuelle Kahlschlag jedenfalls wird sich an den Universitäten fortsetzen. Denn, mal ehrlich: Wie viel Intelligenz braucht es schon, um sich selbst – siehe Paris Hilton – erfolgreich zu vermarkten? Da genügt im Zweifelsfall ein Doktorhut von Skoda oder Lada.

(*) lu|krie|ren: (veraltet) gewinnen, einen Gewinn bei etwas machen. Quelle: Duden

(1) Wer das nicht glauben mag, kann sich gerne selber überzeugen: www.calidad.unav.es/Ger/default.html