Die "Demokratische Republik Kongo" (DRK) versinkt hoffnungslos im Bürgerkrieg - so oder ähnlich, in jedem Fall fatalistisch, sind die Kommentare der herrschenden Medien angesichts der jüngsten Intensivierung des Krieges in der Provinz Nord-Kivu in der DR Kongo. Doch Bürgerkrieg ist kein Schicksal, er ist verursacht durch bewusste und wiederholte Entscheidungen für die Austragung von Interessenkonflikten mittels bewaffneter Politik und er kann nur durch bewusste Entscheidungen für die Beendigung bewaffneter Politik und die Auflösung der Armeen gestoppt werden. (Red.)
Über die Bodenschätze der DR Kongo (Kautschuk, Kupfer, Diamanten, Gold, Kobalt, Zinn, Coltan) sowie die damit verbundenen Interessen der nördlichen Industrienationen sowie u.a. auch deutscher Profiteure (z.B. die Bayer-Tochter „H.C. Starck“, Weltmarktführer bei der Coltan/Tantalit-Weiterverarbeitung für Spielkonsolen und Handys) wurde in der GWR bereits berichtet. (1) Ohne diese Dimension vernachlässigen zu wollen, konzentriere ich mich hier auf die innerafrikanischen Kriegsakteure und ihre bewaffnete Politik. Daraus entsteht Stück für Stück das Bild eines „afrikanischen Weltkrieges“, wie es Dominic Johnson in seinem informativen neuen Buch über die Kriege in der DR Kongo (2) beschreibt.
Die Maßstäbe für die kongolesischen Kriege hat die Kolonialmacht Belgien geliefert, dessen König 1884 das riesige Gebiet (so groß wie Europa, heute ca. 60 Millionen BewohnerInnen) am Kartentisch der Berliner Kongo-Konferenz zugesprochen bekam. Der Nationalstaat Kongo war ein Konstrukt und umfasste zig Bevölkerungsgruppen, die zum damaligen Zeitpunkt meist nichts voneinander wussten.
Belgien hat die traditionellen Sozialgefüge zynisch übergangen – sie galten als „primitiv und geschichtslos“ – und zum Teil sogar neue Ethnien am Reißbrett geschaffen.
Die Rohstoffausbeutung vollzog sich im wesentlichen per Zwangsarbeit, die Bevölkerung war rechtlos wie sonst nur in der spanischen Kolonisation. Die Städte waren rigoros segregiert, Einheimische blieben ohne Pass und durften ihren Heimatkreis nicht länger als dreißig Tage verlassen – Zustände wie im Südafrika um 1900. Bis heute werden Reisende innerhalb des Kongo an den Provinzgrenzen kontrolliert.
„Der spätere Unabhängigkeitskämpfer Patrice Lumumba beschrieb einmal, wie er aus Lépoldville (Kinshasa) per Boot über den Kongo-Fluss nach Brazzaville reiste, die Hauptstadt von Französisch-Äquatorialafrika, und das ungewohnte Gefühl erlebte, sich in ein europäisches Café zu setzen und bedient zu werden, mit einem Croissant und einem Glas Wasser.“ (3)
Zur Ausbeutung baute Belgien rund 300 Handelsstationen im Kongo-Flussbecken und ein Straßensystem, von dem heute kaum noch etwas übrig ist. Bildung wurde christlichen Missionaren überlassen: „Kongo verlor Schätzungen zufolge zwischen 1880 und 1920 die Hälfte seiner 20 Millionen Einwohner. (…) Bei der Unabhängigkeit 1960 gab es unter der einheimischen Bevölkerung keinen einzigen Arzt und nur 16 Träger eines Universitätsdiploms – aber 600 Priester.“ (4)
Aus dieser christlichen Sozialisation nach europäischen Vorgaben, den sogenannten évoluès, kamen die meisten Vertreter der kongolesischen Unabhängigkeitsbewegung (1958-60).
Der Mythos Lumumba
Als Hoffnungsträger aller emanzipatorischen Bewegungen des nachkolonialen Kongo gilt Patrice Lumumba (1925-1961), erster Premierminister, der legendär wurde, als er bei der Unabhängigkeitszeremonie am 30.6.1960 entgegen der Etikette gegenüber dem anwesenden belgischen König den alltäglichen Rassismus der Kolonialisten anprangerte. Doch Lumumba ist leider ein Mythos. Er spielte die Ethnisierung der belgischen Kolonialpolitik verbunden mit militärischer Repression unter antikolonialem Vorzeichen weiter. Er stammte aus der Gruppe der Tetela.
„Die Tetela im Osten, die erst mit den arabischen Sklavenhändlern des Sansibarers Tippu Tip und dann mit den belgischen Eroberern eine entscheidende Rolle beim Sieg der Kolonialisten Ende des 19. Jahrhunderts gespielt hatten, waren (…) eine Schlüsselgruppe. Patrice Lumumba, der Unabhängigkeitsheld, war ein Mutetela, und seine Partei MNC (Mouvement National Congolais) rekrutierte ihre Kämpfer, nachdem sie in den Untergrund ging, vor allem aus dieser Ethnie. (…) So stand Lumumbas MNC paradoxerweise in der Tradition der Anfänge der verhassten Kolonialarmee Force Publique, die ebenfalls zunächst aus Tetela-Söldnern bestand. Dies zeigte sich schon vor der Unabhängigkeit. 1959 spaltete sich die MNC: Die MNC-Lumumba (MNC-L) löste sich von der Restpartei, die als MNC-Kalonji (MNC-K) bekannt wurde. Weil Albert Kalonji zum Volk der Luba aus Kasai (Diamanten-Provinz; d.A.) gehörte, warb Lumumba erfolgreich um die erbittertsten Rivalen dieser Volksgruppe, die Lulua (…). Mit MNC-L-Unterstützung gab es blutige Pogrome der Lulua gegen die Luba; über eine Million Luba mussten das Gebiet verlassen, noch vor Kongos Unabhängigkeit. Es ist also kein Wunder, dass sich die Luba Kasais unter Kalonji kurz nach Kongos Unabhängigkeit selbst für unabhängig erklärten (ebenso wie das Kupfer-Kobalt-Gebiet in Katanga; jenes allerdings stärker mit belgischen Söldnern durchsetzt; d.A.); sie wollten von Premierminister Lumumba nichts wissen. Der schickte sofort Truppen nach Kasai, unterstützt von der sowjetischen Luftwaffe, und kämpfte die Sezession in einer Art nieder, die ihm von UN-Generalsekretär Dag Hammarskjöld den Vorwurf des Völkermords eintrug. Und es waren Luba in Kasai, die bei Lumumbas Flucht aus dem Hausarrest in Leopoldville Ende 1960 der Armee die Hinweise gaben, die zu seiner Verhaftung und damit zu seiner Ermordung führten.“ (5)
Was folgte, waren fünf Jahre Bürgerkrieg, bis General Mobutu alle noch aufständischen lumumbistischen und anderen Organisationen niedergeworfen und dann geputscht hatte. Doch schon Lumumba hatte es sich durch seine Kriegspolitik zur Durchsetzung des neuen Nationalstaates bei einigen Bevölkerungsgruppen verscherzt und kannte nur bewaffnete Politik als Mittel des Einheitsstaates. Das hat sich bis heute bei allen lumumbistischen Milizen fortgesetzt, intensiviert und so verselbständigt, dass eine erklärte lumumbistische Orientierung nichts mehr über emanzipatorische Inhalte aussagt.
Diktatur Mobutu: Keine Alternative zum Krieg
Dem ersten Bürgerkrieg des unabhängigen Kongo 1960-1965 setzte der Putsch Mobutus 1965 ein Ende. Anfangs wurde Mobutu bejubelt. Die Menschen, gezeichnet von fünf Jahren Krieg und Flucht, erhofften sich Frieden durch einen starken Staat. Mobutu verstaatlichte den Bergbau, setzte den Einparteienstaat durch.
1969 schlug seine Armee einen studentischen Aufstand nieder. Es wurde gefoltert, eine Vielzahl an Geheimdiensten und militärischen Organisationen entstand.
1971 wurde der Kongo in Zaire umbenannt; Mobutu verkündete eine Ideologie der „Authentizität“ und verpasste sich und allen BürgerInnen per Dekret afrikanische Namen. Seine Staatswirtschaft florierte bis 1974, als nach dem ersten Ölschock die Exportpreise für Kupfer und Kobalt einbrachen. Nun setzte er auf Korruption und finanzierte mit den Staatseinnahmen nur noch die eigene politische Klasse und familiäre Entourage. Das koloniale Straßensystem verfiel; in den 1980er Jahren wurde nichts mehr in die Infrastruktur investiert. Mobutu herrschte von der Luft aus, durch regionale Flughäfen. Mobutu vergab private Konzessionen seiner Staatsbetriebe, gegen Pfründe versteht sich – und wurde in den 1980er Jahren zum Verbündeten des Westens, der USA und Südafrikas. Nach einigen Jahren des Aufschwungs zeigte sich also, dass die Diktatur für die Menschen keine Alternative zum Krieg darstellt.
Ruanda und der Siegeszug Laurent-Désiré Kabilas 1996/97
Als die Diktatur Mobutus in Zaire immer mehr verfiel, geschah der Völkermord in Ruanda. Die Geschichte der Ostprovinzen Kongos, in denen heute wieder Bürgerkrieg tobt, ist die Geschichte einer Migration von Bevölkerungsgruppen aus dem heutigen Ruanda und aus Uganda. Das Gebiet um Afrikas große Seen gehörte ursprünglich zusammen und war ein – allerdings kriegerisches – traditionelles und dicht bevölkertes Königreich, das die koloniale Grenzziehung plötzlich trennte. Ruanda gehörte kurzzeitig zu „Deutsch-Ostafrika“, bevor es Belgien übernahm.
Hutu und Tutsi sind gar keine „Ethnien“, sie waren Stände im ruandischen Königreich (Tutsi mächtige Viehzüchter, sie stellten auch König und Hofstaat; Hutu Ackerbauern/bäuerinnen) und wurden dann von der belgischen Kolonialmacht zwischen 1926 und 1931 in Rassen umdefiniert, wie das im Kongo bereits üblich war. 1959 stürzten die Hutu das Tutsi-Königreich, unterstützt von Belgien. „Diese sogenannte ‚soziale Revolution‘ war das Werk einer Gruppe von Hutu-Intellektuellen, die in der Missionierung durch die katholische Kirche zu Bildung gefunden hatte.“ (6)
Die Tutsi-Opposition schaffte nun das Kunststück, gleichzeitig monarchistisch, anti-belgisch und pro-lumumbistisch zu sein. Viele Tutsi flohen in die Kivu-Provinzen des Kongo.
Ende der 1980er Jahre wollten die Exiltutsi nach Ruanda zurückkehren. Als Verhandlungen scheiterten, nahm von Uganda aus 1990 eine RPF (Rwandan Patriotic Front) den Guerillakrieg auf. Wie der englische Name zeigt, spielte nun auch die Sprachgrenze zwischen frankophonem und anglophonem Afrika eine Rolle. Wes‘ Sprache ich sprech‘, dessen Verträge liegen mir näher – so kann das Eingreifen Frankreichs auf Seiten der Hutu-Regierung Ruandas im ruandischen Bürgerkrieg 1990-1994 definiert werden.
Frankreich rüstete das Regime massiv auf und bildete die späteren Völkermörder an den Tutsi militärisch aus. Noch während des Völkermords (von April bis Juni 1994 wurden ca. 800.000 Tutsi abgeschlachtet) lieferte Paris Waffen an die ruandische Hutu-Armee über den Flughafen Gomas.
Die Hutu-Bevölkerung flüchtete wiederum nach Einzug der RPF im Juli in Kigali/Ruanda nach Kivu/Zaire, rund 1,25 Millionen nach UN-Angaben. Nun ereignete sich allerdings ein Bankrott ganz anderer Art, das Versagen aller internationalen Hilfsorganisationen nämlich.
Sie ließen es zu, dass sich die mitgeflohenen Völkermord-Milizen (die „Interahamwe“) der Hutu in den Flüchtlingscamps reorganisieren konnten, von den Hilfslieferungen profitierten, sich gleichzeitig hochrüsteten und Anti-Tutsi-Rassismus propagierten. Der sofortige Boykott und notfalls Abzug aller Hilfsorganisationen aus Protest wäre die einzige Möglichkeit gewesen, diese Praktiken an den Pranger zu stellen. Doch dazu waren sie nicht willens. Darum muss den internationalen HelferInnen eine Mitschuld an der Fortsetzung des Krieges attestiert werden.
Auf der Suche nach den Tätern überschritt Ruandas Tutsi-Militär die Grenze und griff die Flüchtlingslager an. „Zurückkehrende zairische Tutsi begingen nach der Eroberung Gomas und Bukavus gezielte Tötungen und Racheakte, vor allem an Hutu. (…) Aus Bukavu und den umliegenden Flüchtlingslagern entwickelte sich eine Massenflucht in den Wald, die hunderttausende Menschen Hunderte von Kilometern tief ins Land trieb.“ (7)
Ausgehend vom Vormarsch der ruandischen und ugandischen Armee entstand in der DR Kongo die Rebellenkoalition AFDL (Alliance des Forces Démocratiques pour la Libération du Congo) mit ihrem Guerillaführer Laurent-Désiré Kabila, einem früheren Lumumba-Anhänger.
Sie besiegte das sieche Mobutu-Regime in Kinshasa binnen sieben Monaten (1996/97), unterstützt von immer mehr Verbündeten, von Simbabwe über die südsudanesische Rebellenbewegung bis hin zu Angola.
Die Kehrtwende Kabilas und der afrikanische Weltkrieg 1998-2002
Die AFDL war die letzte sich noch auf emanzipatorische Ideen berufende Bewegung in der DR Kongo und ihr Einzug in Kinshasa im Mai 1997 wurde noch bejubelt.
Kabila hat aber sogenannte kadogos (Kindersoldaten) eingesetzt, was ihm dann schnell alle Guerillas nachmachten.
Nach dem AFDL-Siegeszug lohnt nicht einmal mehr die Nennung der Namenszüge der verschiedenen Truppen und Guerillas in Kongos Bürgerkrieg, sie könnten sich alle auch gleich Vereinigung zur Abschlachtung feindlicher Ethnien (VAE) betiteln.
Kabila enttäuschte die Massen und wurde zum neuen Diktator. Wohl selten vorher hat ein Regime so schnell alle Hoffnungen zerstört. „Das Kabila-Regime war ein Willkürregime, ohne einklagbare Regeln und ohne Einflussmöglichkeiten auf politische Entscheidungen.“ (8)
Kabila war in Kinshasa unbeliebt, weil er kein Lingala, die multiethnische Sprache des West-Kongo, sprach, sondern nur Swahili, die Sprache des Ostens. Seine Militärs sprachen kein Französisch, was den WestkongolesInnen bewies, dass sie aus dem englischsprachigen Ausland stammten.
Bald machte Kabila eine ideologische Kehrtwende, setzte seinen ruandischen Armeechef ab, verwies alle ruandischen Soldaten des Landes und verbündete sich mit den verbliebenen Hutu-Milizen und lokal-ethnischen Mai-Mai-Milizen im Ostkongo gegen Ruanda.
Seither gilt Kabila in Ruanda als Verräter und der Bürgerkrieg in der DR Kongo flammte erneut auf, brutaler als je zuvor.
An Hunger und Krankheiten infolge dieses Hauptkrieges und zahlreicher Nebenkriege starben in dieser Zeit (1998-2002) bis zu drei Millionen Menschen.
Am 16.1.2001 wurde Laurent-Désiré Kabila in seinem Büro in Kinshasa mitten im Gespräch erschossen, von wem, weiß niemand. Am 26.1. führte sein Sohn, Joseph Kabila, die Regierungsgeschäfte bruchlos weiter.
Ein kurioser Bündnispartner Kabilas waren von nun an lokale Milizen einer kriegerischen Tradition in Ostkongo, die „Mai-Mai“, die bis zum Mai-Mai-Aufstand 1905-07 in „Deutsch-Ostafrika“/Tansania zurückreichen. Ihre kriegerische Tradition wurde auf fatale Weise mit moderner Kriegsführung konfrontiert und verselbständigte sich dann. Ihre Ideologie geht auf einen traditionellen Wunderheiler, „Doktor Kanyanga“, zurück, der die Behauptung aufstellte, moderne Gewehrkugeln würden von mit seinem heiligen Wasser geweihten Kämpfern wie Wasser („Mai“ heißt Wasser) abtropfen, wenn sie strikte Regeln (z.B. sich nicht waschen, um den Zauberschutz nicht zu verlieren) einhielten. Durch die Brutalisierung des Bürgerkrieges wurden die Regeln angepasst: „So sollten sich Kämpfer nicht waschen, aber sie sollten Frauen vergewaltigen.“ (9) Durch den Selbstbeschuldigungskomplex der Mai-Mai-Ideologie wurde der Bürgerkrieg verlängert, denn wenn ein Mai-Mai-Kämpfer getroffen wurde, war er eben selbst schuld (und nicht die bewaffnete Politik), weil er die Regeln nicht befolgt hatte.
Seit dem Krieg 1998-2002 wird von „Afrikas Erstem Weltkrieg“ gesprochen, weil sich hier das südliche Afrika und das östliche Afrika gegenüberstanden, mit dem Kongo als Schlachtfeld. Kabila hatte Angola, Sambia, Simbabwe, Namibia und Tansania um Hilfe gebeten; Frankreich und frankophone Länder wie Tschad und die Zentralafrikanische Republik unterstützten Kabila ebenfalls. Militärisch waren besonders Angola und Simbabwe in der DR Kongo aktiv. Auf der anderen Seite standen Ruanda, Uganda, die UNITA-Rebellen Angolas, südsudanesische Rebellen und die ostkongolesische, heterogene Rebellenfront RCD (Rassemblement Congolaise pour la Démocratie), die beanspruchte, die kongolesischen Tutsi zu schützen.
Das alles mündete 2003 in einen angeblichen Friedensschluss mit einer gemischten Übergangsregierung und integrierten Armee, begleitet von neuen Kämpfen in Ostkongo, bis zu den kongolesischen Wahlen von 2006 zwischen Joseph Kabila und dem Rebellenpolitiker Jean-Pierre Bemba unter UN-Aufsicht. Die Wahlen wurden zur neuen Hoffnung für die Menschen auf Beendigung des Bürgerkriegs. Die Wählerregistrierung war ein hochtechnisiertes Verfahren, bei dem die Menschen erstmals einen computerisierten kongolesischen Pass bekamen. Innerhalb eines Jahres wurden 25 Millionen WählerInnen registriert. Davon wählten 62 Prozent 2006 in zwei Wahlgängen Kabila, der bezeichnender Weise im Osten, wo sein Staat kaum einmal regiert hatte, absahnte, während in Kinshasa und im Westen Bemba siegte.
Die betrogene Hoffnung auf Demokratie, Nkunda und der neue Krieg im Ostkongo
2006 beteiligte sich auch die Bundeswehr an der UN-Sicherung der Wahlen in der DR Kongo. Joseph Kabila hat den Wahlsieg, den Bemba anerkannt hat, nur dazu benutzt, Bemba und seine Miliz militärisch zu vernichten, was 2007 zu den bisher schlimmsten Massakern in Kinshasa (338 Tote) geführt hat. Bembas Leibgarde floh schließlich über den Fluss nach Brazzaville. Joseph Kabila hatte die Wahlen zur Machtkonsolidierung benutzt. Das kommt davon, wenn die Warlords mit internationaler Anerkennung Staatschefs werden.
Die Rebellenkoalition RCD war von vielen Spaltungen gekennzeichnet, u.a. bekriegten sich zeitweise auch die beiden verbündeten Armeen Ruandas und Ugandas um die nordkongolesische Stadt Kisangani.
RCD-Rebellen-General Laurent Nkunda hatte zunächst zusammen mit Ruandas Paul Kagame in Ruanda die Macht übernommen und sich dann an Laurent-Désiré Kabilas Feldzug gegen Mobutu beteiligt. Er wollte 2003 eigentlich der Übergangsregierung in Kinshasa beitreten, blieb aber in Goma und Bukavo, weil er sich in Kinshasa nicht sicher fühlte (Kabila hatte gerade zwei RCD-Generäle aus der Übergangsregierung rausgeworfen). Nkundas ca. 4.000 -Mann starke Miliz wendete sich schnell gegen Kabila, weil dieser die Hutu-Milizen nicht oder nur zögernd auflöste. 2006 gründete Nkunda die CNDP (Congrès National pour la Défense du Peuple). Er operierte von den Masisi-Bergen westlich von Goma aus, im Bündnis mit Ruandas Präsident Kagame. In den Kämpfen gegen die Kabila-Armee war Nkunda überlegen, weil seine Truppen die Region Kivu kannten, während in der Armee Kabilas Soldaten aus anderen Landesteilen nach Kivu verfrachtet wurden. Nkunda ist ein kriegerischer evangelischer Erweckungsprediger und trägt einen Button „Rebellen für Christus“.
In Kisangani hatte er die ruandischen Truppen bei der Vertreibung der Ugander unterstützt und sich den Namen „Schlächter von Kisangani“ eingehandelt. (10)
Die jüngste Tragödie mit Krieg und Massenflucht begann mit einem Angriff von Mai-Mai-Milizen auf die Tutsi-Minderheit von Kiwanja in Nord-Kivu, wo sie 60 Menschen ermordeten. Nkundas Miliz schlug zurück, vertrieb die Hutu-Mehrheit von ca. 35.000 BewohnerInnen aus Kiwanja und rückte dann auf Goma vor. (11)
Das löste wiederum eine Massenflucht aus, die dann kurzzeitig die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf den kongolesischen Bürgerkrieg lenkte. Flüchtlinge berichteten von Morden und Gräueltaten der Nkunda-Milizen, weil diese Hutu-ZivilistInnen generell verdächtigten, mit den ruandischen Hutu-Völkermördern zu kooperieren.
Überhaupt ist die Unterscheidung zwischen Kriegern und Zivilgesellschaft schwierig. Viele zivile Bevölkerungsgruppen erklärten bereits lokale Mai-Mai-Milizen zu ihren Selbstverteidigungskräften – so sehr „zivil“ ist also das Bewusstsein der Zivilbevölkerung nicht.
Aktuell droht Joseph Kabila, im Gegenzug die angolanische Armee nach Kivu zu Hilfe zu rufen, weil seine eigene Truppe schlecht ausgerüstet ist, sich durch Raub der Bevölkerung ernährt und bei Kämpfen in Scharen davonläuft. Eine neue Runde des afrikanischen Weltkrieges ist also möglich. (12)
Solange es um Einflusssphären und Nutzungsrechte in dieser rohstoffreichen Region geht; solange Hutu und Tutsi eng aufeinander in bevölkerungsreichem Gebiet bei gleichzeitiger hasserfüllter Propaganda der Ethnisierung leben; und solange eine kongolesische Kriegertradition sich immer wieder selbst (und nicht dem Militarismus und der Gewalt) die Schuld gibt, wenn Menschen sterben und „heiliges Wasser“ Gewehrkugeln durchlässt, wird die bewaffnete Politik in der DR Kongo weitergehen. Einziger Hoffnungsfunke ist die enorme Fähigkeit der armen und hungernden Massen, in diesen Kriegszeiten (mehr schlecht als recht) für ihr Überleben zu sorgen; z.B. durch das selbstorganisierte Schürfen von Gold und Diamanten, wodurch Konzernen und der Schmuggelmafia ein klein wenig von dem entwendet wird, was eigentlich sowieso der Bevölkerung gehören sollte.
(1) Bernd Drücke: Coltan, Gold und Diamanten. Der Kongo-Krieg und die Interessen der EU. In: GWR 281, Sommer 2003, S. 1-2, www.graswurzel.net/281/coltan.shtml ; Bernd Drücke: Deutschland wird auch in Kinshasa "verteidigt", Der neokoloniale Militäreinsatz der EU in der DR Kongo. In: GWR 309, Mai 2006, S. 1-2, www.graswurzel.net/309/kongo.shtml
(2) Dominic Johnson: Kongo. Kriege, Korruption und die Kunst des Überlebens. Verlag Brandes & Apsel, Frankfurt/M. 2008. Soweit nicht anders ausgewiesen, stammen die Informationen und Zitate dieses Artikels aus diesem Buch.
(3) Dominic Johnson: Kongo, S. 26.
(4) Ebenda, S. 25 und 29.
(5) Ebenda, S. 36.
(6) Ebenda, S. 63.
(7) Ebenda, S. 75.
(8) Ebenda, S. 82.
(9) Ebenda, S. 117.
(10) Tristan McConnel : Laurent Nkunda, le boucher du Kivu, in: Courrier International, 13.-19.11.2008, S. 40
(11) Chris McGreal: Une sale impression de déjà-vu, in: Courrier International, a.a.O., S. 41.
(12) Le Potentiel: L'Angola, meilleur allié du régime de Kinshasa, in: Courrier International, a.a.O., S. 40.