Wer zur Castorzeit im Wendland unterwegs ist, sollte auf fast alles vorbereitet sein.
Die Zahnbürste, eine Notration Wasser, der eiserne Vorrat an Schokolade, die kleine Hausapotheke, warme Unterwäsche und natürlich der Pass der Republik Freies Wendland sollten immer dabei sein.
Da ich mich an diese Weisheit gehalten hatte, war ich gut vorbereitet, als am Samstag, den 8.11. während der Auftaktdemo über den SprecherInnenrat von X-tausendmal quer entschieden wurde, die Blockade nicht erst am Sonntag und in Gorleben, sondern gleich im Anschluss an die Demo und direkt vor dem Zwischenlager zu beginnen.
Als sich am späten Samstag Nachmittag ca. 500 Menschen auf der Straße vor dem Zwischenlager niederließen, begann die Dämmerung schon herein zu brechen. Eine Nacht auf der Straße, für viele ganz spontan, ohne Isomatten, Schlafsäcke oder gar Zelte?
Alles kein Problem, denn die Aktionsunterstützung von X-tausendmal quer übertraf sich diesmal selbst. In kürzester Zeit wurden hunderte von Strohsäcken gebracht, Rampenplan baute neben der Blockade eine Küche auf, eh man sich’s versah standen mobile Klohäuschen am Straßenrand, und als die ersten ans Schlafen gehen dachten, wurden auch schon hunderte von hauchdünnen, goldfarbenen Rettungsdecken verteilt.
Die Frage, wann die Aktion beginnen soll, war bei früheren Blockaden von X-tausendmal quer oft heiß diskutiert.
Sollen wir bald anfangen, so lange es noch nicht so schwer ist auf die Straße zu kommen? Oder warten wir noch auf Leute, die auf dem Weg zu uns sind?
Sollten wir erst kurz vor dem Castor auf die Straße, um ihn „wirklich“ zu stoppen? Ich fand es sehr erfrischend, diesmal bei einer Aktion zu sein, wo diese Frage so überhaupt keine Rolle spielte. Zu einer Zeit, wo wir sonst noch diskutierten, saßen wir hier einfach schon auf der Straße, und wer dazu kommen wollte, konnte das tun. So entstand eine ganz andere Stimmung als sonst – entspannter, kreativer, fröhlicher. Wir konnten einen Ort schaffen und halten, an dem die ganze Zeit des Transports hindurch unser Widerstand sichtbar war und wuchs. Für die Überraschungsaktionen kurz vor der Abfahrt des Straßentransports sorgten Greenpeace und die Bäuerliche Notgemeinschaft.
Ohne den Dauerregen am Sonntag Vormittag wäre sicher nicht passiert, was für mich eine der eindrucksvollsten Entwicklungen beim diesjährigen Castor war: Die Entstehung eines Hüttendorfes mitten auf der Straße vor dem Zwischenlager. Waren es zuerst noch einzelne Planen, die als Schutz vor Regen gespannt wurde, so setzte nach und nach ein reges Bauen der verschiedenen Bezugsgruppen ein. Bis Sonntag Abend war aus Planen, Schnüren und Holz aus dem angrenzenden Wald ein eindrucksvolles Dorf aus vielen miteinander verwobenen Unterständen und Hütten gewachsen, in dem jede Bezugsgruppe unter „ihrem“ Dach schlief.
Am Sonntag morgen lagen überall zwischen und hinter den Hütten weitere Menschen, die zuvor an der Schiene aktiv und nun über Nacht eingetroffen waren.
Während der gesamten Blockade waren wir von Rampenplan rundum mit warmem Essen und Getränken versorgt. Aus zwei Lautsprecherwagen kamen Musik und Infos, oft wurde Radio Freies Wendland übertragen, das umfassend über die vielen Aktionen auf Schiene und Straße informierte. So bekamen wir von unserem Platz vor dem Zwischenlager einen guten Überblick, was sich alles bewegte in diesen Tagen des Widerstands.
Dabei wurde klar: Es sind wieder viel mehr Leute unterwegs als in den letzten Jahren. Es fehlt nicht an tollen Aktionsideen. Und während es sonst auch nach gelungenen Aktionen doch immer ein emotionaler Tiefpunkt war, wenn der Castor schließlich doch ins Zwischenlager Einfuhr, war diesmal selbst in dem Moment die Stimmung gelassen und fröhlich.
Schließlich hatte schon Stunden vorher Radio Freies Wendland verkündet: „Den Punktsieg haben wir schon. Wir spielen jetzt nur noch auf Tore.“
Nach solch beflügelnden Tagen werden manche es vielleicht kaum abwarten können, bis im Herbst 2010 das nächste Mal im Wendland die fünfte Jahreszeit heran bricht.
Aber so lange sollten wir ohnehin nicht warten: Zu tun gibt es auch zwischendurch genug, um den Atomausstieg voran zu treiben. Zum Beispiel die „argumentative Umzingelung“ der Wintertagung des Deutschen Atomforums in Berlin Anfang Februar.