antimilitarismus

Diehl erhält vor Landgericht München recht

Krieg ist Frieden, Streumunition ist Puderzucker

Der milliardenschwere Rüstungs-Konzern Diehl erhielt vor dem Landgericht München I recht: Der Regensburger Journalisten Stefan Aigner darf in Zukunft die von Diehl produzierte Munition SMArt 155 nicht mehr - wie dies von der österreichischen Regierung weiterhin getan wird - als Streumunition bezeichnen.

Die Rüstungsfirma wollte damit Orwellsches Neusprech gerichtlich und bei einem vermeintlich schwachen Gegner durchsetzen. Aigner beruft sich auf das Recht auf freie Meinungsäußerung. Ein Ordnungsgeld in Höhe von 250.000 Euro stand im Raum. Die Anwältin des Journalisten, Britta Schön, bezeichnete das Vorgehen der Firma Diehl als „eklatanten Angriff auf die Meinungs- und Pressefreiheit.“ Sie verweist darauf, daß selbst im Bundestag zur Sprache kam, was alles unter dem Begriff Streumunition zu verstehen sei und daß dabei auch der Nürnberger Rüstungs-Konzern namentlich genannt wurde. Mit der österreichischen Regierung kann sie sich auf eine kaum zu ignorierende Zeugin berufen: Diese hat die fraglichen Diehl-Produkte als Streumunition gewertet und verboten.

Die Verhandlung dauerte nur eineinhalb Stunden. „Die Sache ist erledigt“, meint Tobias Pichlmaier, Pressesprecher des Landgerichts München I. Durchaus als spannend dürfte es sich aber in Zukunft erweisen, ob gerichtlich gegen Formulierungen wie etwa Folgende vorgegangen werden kann: „Die vom Rüstungs-Konzern Diehl produzierte Munition SMArt 155 wird zwar sowohl von Fachleuten als auch von der österreichischen Regierung als ‚Streumunition‘ angesehen, darf aber in Deutschland nach einem Münchner Gerichtsurteil nicht mehr als solche bezeichnet werden.“ Ob sich also der zynische Journalisten-Spruch „Good news is bad news“ für den Diehl-Konzern auf ganz überraschende Weise erfüllen wird, muß sich erst noch zeigen.

Falsch ist in jedem Fall die in den Medien kolportierte Behauptung, SMArt 155 müsse in Zukunft als ‚Punktzielmunition‘ bezeichnet werden. Bis heute ist jedenfalls nicht untersagt, SMArt 155 als Puderzucker zu bezeichnen und auch gegen die Aussage ‚Krieg ist Frieden‘ ist noch niemand gerichtlich vorgegangen.

Beachtlich ist allerdings, daß mit dem gefällten Urteil die Ausbreitung von Orwellschem Neusprech ein kleines Stück vorangetrieben werden konnte – ohne daß sich das Gericht auch nur die Mühe machte, für die Behauptungen des Diehl-Konzerns Beweise zu fordern. Nach wie vor kann – noch ohne gerichtliche Androhung eines Ordnungsgeldes – festgestellt werden, daß vom Diehl-Konzern keine Beweise vorgelegt wurden, daß es sich bei SMArt 155 nicht um Streumunition handelt.

Der Journalist Stefan Aigner konnte nach eigenen Aussagen wegen mangelnder finanzieller Unterstützung keine Revision gegen das Urteil einlegen. Er muß nun die Kosten für das einstweilige Verfügungsverfahren in Höhe von 1.400 Euro und das Honorar für seine Anwältin tragen.

Hintergrund: Streumunition und solche, die es nicht sein soll

Was vor dem Landgericht München I verhandelt wurde, ist für die gesamte Friedensbewegung bedeutsam, so sie denn auch in Zukunft Kampagnen gegen Streumunition führen will. Im Dezember 2008 unterzeichneten zwar fast 100 Staaten den Vertrag von Oslo. Dieser Vertrag sollte Streumunition umfassend verbieten, da diese Waffenart besonders für die Zivilbevölkerung große Gefahren birgt. Der Vertrag, der bisher noch nicht in Kraft getreten ist, nimmt allerdings bestimmte Munition vom Verbot aus.

‚Handicap International‘, eine Organisation der Friedensbewegung, die sich besonders für die Ächtung von Streumunition und Minen einsetzt, kritisierte diese Ausnahme-Regelung bereits während der Vertragsverhandlungen in Oslo – ohne Erfolg. „Interessant ist, daß die Ausnahmeregelung recht genau die deutsche SMArt-Munition und die französische BONUS beschreibt. Es gibt bisher jedoch keine öffentlich zugänglichen Testergebnisse, die beweisen könnten, daß die ausgenommenen Waffen für die Zivilbevölkerung keine Gefahr darstellen,“ erklärt Eva Maria Fischer, Kampagnensprecherin von Handicap International.

Bis vor einigen Jahren war Diehl noch an der Produktion klassischer Streumunition beteiligt, die nun durch den Vertrag von Oslo geächtet werden sollte. Nun will die Rüstungsfirma nichts mehr mit dem in die öffentliche Diskussion geraten Begriff „Streumunition“ zu tun haben. „Eigentlich können wir ja zufrieden sein, wenn Diehl sich durch die Behauptung, der Betrieb produziere Streumunition, angegriffen fühlt,“ meint François De Keersmaeker, Geschäftsführer von ‚Handicap International‘. Es stelle sich aber zugleich die Frage, warum Diehl gerade gegen einen eher unbekannten Journalisten aus Regensburg prozessiert und nicht gegen größere Medien, die bei ihrer Berichterstattung zum Oslo-Verbotsprozeß die von Diehl produzierte SMArt-Munition ebenfalls als Streumunition bezeichneten.

Streumunition und Streubomben verteilen nach ihrem Abschuß oder ihrem Abwurf eine Vielzahl kleinerer Geschosse auf einer größeren Fläche. Statt einem einzelnen Ziel kann mit ihnen die gesamte erreichte Fläche in eine Todeszone verwandelt werden. Ein beträchtlicher Teil der mit Streumunition eingesetzten verteilten Geschosse bleibt im Kriegseinsatz erfahrungsgemäß liegen, ohne zu explodieren. So blieb rund eine Million der 4,25 Millionen Geschosse vom Typ M85, die die israelische Luftwaffe im Sommer 2006 auf Ziele im Libanon abfeuerte, im Gelände und gefährdet ZivilistInnen und insbesondere Kinder. Ähnlich wie Minen bedrohen sie auch noch lange nach dem Ende eines Krieges Leben und Gesundheit der Zivilbevölkerung.

Diehl schuf für die Produktion technisch weiterentwickelter Streumunition zusammen mit dem Rüstungs-Konzern Rheinmetall das Kooperationsunternehmen ‚Gesellschaft für intelligente Wirksysteme‘ (GIWS). Diese „alternative Streumunition“ sei für die GIWS ein Milliardengeschäft, sagt Thomas Küchenmeister, Leiter des ‚Aktionsbündnisses Landmine‘. Die „Intelligenz“ dieser vom deutschen „Verteidigungs“-Ministerium gerne als „Punkt-Ziel-Munition“ bezeichneten weiterentwickelten Streumunition sei äußerst fragwürdig.

Ihre angebliche „Ungefährlichkeit“ für Zivilisten sei unter Militärfachleuten sehr stark umstritten und bis heute nicht nachgewiesen, kritisiert Küchenmeister. Unter dem Druck der deutschen Bundesregierung wurden während der Verhandlungen über den Vertrag von Oslo Weiterentwicklungen, die von ExpertInnen als „intelligente Streumunition“ bezeichnet werden, in letzter Minute von der Verbotsliste gestrichen. Die deutsche Regierung hatte damit gedroht, die Unterschrift unter die Konvention andernfalls zu verweigern. So könnte die Wirkung des Vertrags von Oslo in Zukunft statt in der Ächtung von Streumunition darin bestehen, daß technisch rückständige Konkurrenz auf dem Rüstungsmarkt ausgeschaltet und der Marktanteil von Rüstungs-Konzernen wie Diehl ausgeweitet wird.

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