anarchismus

Fritz Benner – Anarchist

Teil 1. Der antifaschistische Kampf in Deutschland und Spanien

| Dieter Nelles

In einem autoritären Land wie Deutschland hatte die anarchistische Bewegung immer einen schweren Stand. AnarchistInnen waren im Kaiserreich und teilweise auch noch in der Weimarer Republik der permanenten Kontrolle und Willkür der politischen Polizei ausgesetzt. Hinzu kam die scharfe politische Ausgrenzung durch SozialdemokratInnen und KommunistInnen, die AnarchistInnen nicht als politische GegnerInnen, sondern als Feinde behandelten. Selbst Rosa Luxemburg schrieb vom Anarchismus als der "konterrevolutionären Ideologie des Lumpenproletariats".

Aufgrund diesen Drucks hatte die anarchistische Bewegung, mit Ausnahme der Jahre 1919-1923, als die anarchosyndikalistische Gewerkschaft Freie Arbeiter-Union Deutschlands (FAUD) bis zu 150.000 Mitglieder zählte, immer nur einige tausend AnhängerInnen. Soweit die Namen von Anarchisten heute überhaupt bekannt sind, dann die von Schriftstellern und Theoretikern der Bewegung wie Gustav Landauer, Erich Mühsam, Rudolf Rocker und Augustin Souchy. Was es heißt, Anarchist zu sein im Deutschland des 20. Jahrhunderts soll hier nicht an Theoretikern der Bewegung gezeigt werden, sondern am Beispiel von Fritz Benner, der 1907 in Wuppertal geboren wurde.

Wie er Anarchist wurde, was er darunter und unter einem anarchistischen Charakter verstand, formulierte er 1948 gegenüber einem Genossen folgendermaßen:

„Im ersten Krieg war ich zehn Jahre alt, als ich mich zum ersten Mal an Lebensmittelplünderungen beteiligte. Seit der Zeit bin ich alles, womit wir uns zu bezeichnen pflegen. Als Anarchist muß man zuerst mal wissen, daß jeder ein solcher ist, der gegen Ausbeutung und Unterdrückung und für freie Vereinbarung ist! Alles andere sind Richtungen, sind Losungen, Parolen, Taktik! Ich bilde mir ein, von Charakter genügend Anarchist zu sein, daß ich auch die anarchistische Gesinnung von anderen Personen anerkenne, wenn ich deren Auffassungen in keiner Weise teile. Wer das nicht kann, wer nicht begreift, daß dies eine der ersten Voraussetzungen eines Anarchisten ist, beweist wirklich, daß ihm noch viel fehlt, welches ihm das Recht gibt, sich so zu nennen.“

Benner, ein gelernter Riemendreher, schloss sich 1928 der FAUD an und war Betriebsrat in einer großen Textilfabrik.

1931 war er Mitbegründer der Schwarzen Schar, einer militanten, antifaschistischen Kampforganisation. Die Angehörigen der Schwarzen Schar waren schwarz uniformiert und bewaffnet, was in anarchistischen Kreisen nicht unumstritten war. Sie war eine Antwort auf die sich häufenden Übergriffe der SA, die in Wuppertal besonders brutal gegen die Arbeiterbewegung vorging.

Die militante Einstellung Benners kommt in einem Artikel zum Ausdruck, den er Anfang 1933 für die anarchosyndikalistische Presse schrieb:

„In den letzen Monaten hat das Proletariat Anfänge gemacht, die Parolen der Anarcho-Syndikalisten, wenn auch unbewußt anzuwenden. Als vor einigen Monaten die Faschisten wie überall den Versuch machten, die Arbeiterviertel zu erobern, stand das Proletariat in unerwarteter Einheitsfront zusammen. Proleten, die schon viele Jahre in der SPD oder im Reichsbanner waren, vergaßen plötzlich die Parolen ihrer Führer, sich nur ruhig auf die Staatsmacht zu verlassen.

Sie trieben Schulter an Schulter mit Kommunisten und Anarchosyndikalisten die braune Pest zu Paaren. Und das in einer Stadt, wo die Nazis 110.000 Stimmen hatten, bedeutend mehr als SPD und KPD zusammen. Das war die Etappe, die manche SPD- und KPD-Proleten zum Nachdenken über die Stimmenzählerei brachte.

Wenn bis vor kurzem ein Syndikalist auf einer Versammlung oder einer Konferenz das Wort ergriff und von Boykott sprach, wurde seine Forderung immer als ‚syndikalistischer Wahnsinn‘ abgetan. In der Angst vor der Nazi-Flut gaben SPD und KPD auf einmal Klebezettel heraus mit dem Text: ‚Dieser Geschäftsmann ist ein Nazi.‘

Auch unsere Parole des Mieterstreiks war bei den Kommunisten erst Wahnsinn, bis sie die Forderung von den Anarcho-Syndikalisten stehlen mußten. Vor kurzem versuchte man in Wuppertal einen Gasboykott zu organisieren! Wir sehen also, daß die Ideen des Anarchosyndikalismus im Proletariat immer mehr um sich greifen. Daß sich das noch nicht organisiert auswirkt, liegt natürlich zum größten Teil an der anerzogenen Denkfaulheit des deutschen Arbeiters. Aber zum größten Teil, und das soll hier mit aller Schärfe gesagt werden, liegt es an der Lauheit mancher Anarcho-Syndikalisten.“

Nach der Machtübergabe an Hitler hofften die Wuppertaler AnarchosyndikalistInnen vergeblich auf einen Aufruf zum Generalstreik und bewaffneten Aufstand, auf den sie sich vorbereitet hatten. Statt dessen wurden ihre führenden Funktionäre inhaftiert. Nachdem er auf einer Betriebsversammlung gegen die Nazis Stellung bezogen hatte, wurde Fritz Benner im Mai 1933 verhaftet.

Bis April 1934 saß er in mehreren Gefängnissen und in den Konzentrationslagern Börgermoor, Oranienburg und Lichtenburg. Nach seiner Entlassung begann er wieder mit der illegalen Arbeit. Im Januar 1935 emigrierte er nach Holland, nachdem in Wuppertal Massenverhaftungen einsetzten.

In Amsterdam leitete er die Gruppe Deutsche Anarchosyndikalisten im Ausland (DAS), die Kontakt zu den illegalisierten GenossInnen in Deutschland hielt, Agitationsmaterial über die Grenze brachte und die oft mit einem Deckblatt der Nazi-Zeitschrift „Deutschtum im Ausland“ getarnte anarchosyndikalistische Zeitschrift „Die Internationale“ herausgab.

Über seine Erfahrungen im KZ und in der Emigration schrieb Benner 1950 einem niederländischen Genossen:

„Ich war selbst in drei Konzentrationslagern. In einem mußte ich ansehen, wie man den Menschen, den ich am meisten auf der Welt verehrte, den Menschen, durch dessen Schriften ich Revolutionär und Anarchist geworden war, langsam sadistisch zu Tode quälte. Erich Mühsam. Ich mußte schweigen.

Sehr schnell merkte ich in Holland, daß auch die Elite eines Volkes, die Arbeiterklasse, nicht in der Lage ist, durch Zeitungen und Bücher sich ein Bild von der wirklichen Lage eines anderen Landes zu machen. Es fehlt die praktische Erfahrung, die Phantasie. Wie tief ein Mensch durch Mißhandlungen sinken kann, konnten die Genossen einfach nicht begreifen. Es war Pflicht, daß Du schwiegst! Wenn man etwas tun will, dann einem solchen Kerl in einer dunklen Ecke ein Messer in den Rücken stechen; das ist das einzige, was solche Lumpen verstehen. Offenheit, Bekennermut ist in einem solchen System wie dem nazistischen nicht am Platze. ‚Mit Gift, Dolch und Schlinge…‘ sagt Bakunin.“

Mit dem bewaffneten Aufstand des spanischen Proletariats gegen den Militärputsch Francos begann am 19. Juli 1936 der Spanische Bürgerkrieg und – was oft vergessen wird – eine beispiellose soziale Revolution, in der die AnarchistInnen eine herausragende Rolle spielten. Als sie vom Aufstand in Barcelona erfuhren, brachen Fritz Benner und drei Genossen sofort nach Spanien auf. Ende Juli trafen sie in Barcelona ein. Im Windschatten ihrer spanischen GenossInnen erlebten auch die deutschen AnarchosyndikalistInnen einen kurzen Sommer der Anarchie. Aus einer kleinen, isolierten Exilorganisation war die Gruppe DAS zur politisch einflussreichsten deutschen Gruppe in Katalonien avanciert.

Die DAS übernahm die Funktion einer Ausländerpolizei. Sie war zuständig für die Kontrolle aller deutschsprachigen AusländerInnen in Barcelona. Auch Fritz Benner übte zunächst eine sehr ungewohnte Funktion aus: Er zensierte Briefe, die nach Deutschland gingen. Über die Aktivitäten der DAS berichtete der deutsche Generalkonsul nach Berlin:

„Die Hauptunruhe wurde aber unter den hiesigen Deutschen und auch anderen Ausländern dadurch hervorgerufen, daß von bewaffneten Horden wilde Hausdurchsuchungen wahllos vorgenommen wurden. Diese erfolgten meist unter der Begründung, daß sich im Haus Waffen oder ‚faschistisches‘ Material befänden. Wenn auch in vielen Fällen von den Bewaffneten rücksichtslos vorgegangen wurde, so ist mir nichts darüber bekannt geworden, daß einem Deutschen hierbei etwas zugestoßen wäre. Ein Kapitel für sich sind die bereits gemeldeten Durchsuchungen der Räume und Häuser deutscher Institutionen und deren Plünderung bzw. Zerstörung.

Die Wohnung des Leiters der hiesigen Vertretung der Firma Merck, Darmstadt, Andress, wurde mehrfach durchsucht und zum Teil ausgeraubt. Bei einer Hausdurchsuchung verhinderte die Polizei die Mitnahme eines bereits gefüllten Sackes durch die deutschen Anarchisten, worauf diese sich bei der nächsten Hausdurchsuchung schadlos hielten.

Das Haus wurde beschlagnahmt und am letzten Sonntag fand dort ein Eröffnungstee für 17 Anarchisten mit ihren ‚Damen‘ statt, bei der das bisherige Dienstmädchen die Bedienung übernehmen mußte und dafür zur Belohnung ins Kino mitgenommen wurde.“

Fritz Benner blieb nur einige Wochen in der Postzensur.

Bis zum August 1937 kämpfte er an der Front in militärischen Einheiten der AnarchistInnen. Er musste Spanien verlassen, weil er eine Verhaftung durch die KommunistInnen befürchtete, mit deren Funktionären er an der Front scharfe Zusammenstöße hatte.

Innerhalb der Republik hatten sich dank der Unterstützung der Sowjetunion die anfangs schwachen KommunistInnen gegen die AnarchistInnen und oppositionellen KommunistInnen der POUM durchgesetzt und nach den sogenannten Maitagen 1937 begann die stalinistische Repression.

Unter Führung deutscher KommunistInnen wurden bis auf wenige Ausnahmen alle Mitglieder und SympathisantInnen der DAS inhaftiert.

Die sich abzeichnende Niederlage im Bürgerkrieg und die Erfahrung der stalinistischen Repression aber auch die Enttäuschung über die mangelnde Solidarität der spanischen GenossInnen, führte bei einem Teil der deutschen AnarchosyndikalistInnen zu einer Dogmatisierung anarchistischer Grundsätze.

Fritz Benner wandte sich folgendermaßen gegen die abstrakte Ablehnung des Staates: „Für uns als Anarchisten ist es gleichgültig, welcher Staat uns unterdrückt, nicht gleichgültig ist es uns aber, wie stark die Unterdrückung ist. Wenn im Saargebiet und jetzt im Sudetenland bei einem großen Teil des Proletariats die ‚Wahnidee‘ des nationalen Staates stärker ist, als das Gefühl für eine, wenn auch ‚relative‘ Freiheit, so ist es für uns tief bedauerlich, aber es ist uns nicht gleichgültig. Weil ich ‚antinationalistisch‘ bin, erkläre ich, daß mir, trotz meiner starken Heimatliebe, zehn Jahre in einem schwedischen Gefängnis lieber sind als ein Jahr Konzentrationslager im deutschen ‚nationalen‘ Einheitsstaat.

Wir sind ‚anational‘, wir sind gegen jeden Staat. Aber – solange wir die Staaten nicht beseitigen können, wählen wir unter Umständen ‚das kleinere Übel‘. Staat ist Staat, Hering ist Hering, Pisse ist Pisse. Aber es ist doch noch ein ‚kleiner‘ Unterschied, ob ich Hering nach meinem Geschmack fressen kann, oder ob mich faschistische Sadisten durch grauenhafte Mißhandlungen dazu zwingen können, die Heringe zu fressen, die sie mit Stauberfett beschmiert und auch noch bepißt hatten.

Anmerkungen

Fortsetzung folgt: "Rückkehr nach Deutschland", der zweite Teil dieses Artikels erscheint im Mai 2009 in der Graswurzelrevolution Nr. 339