Als Teil der Kommune-Info-Tour 2009 (vgl. GWR 336) reiste ich vom 28. Februar bis zum 8. März von der Uckermark an der Ostseeküste entlang bis Flensburg, um dann mit einem "Umweg" über Oldenburg in Hamburg mit einem Infobrunch die Tour zu beenden.
Mit 10 weiteren Leuten aus unterschiedlichen politischen Kommunen erzählten wir über Utopie und Praxis unseres Lebensalltags und stellten uns in Kleingruppen den kritischen, anspornenden und sachbezogenen Fragen und Kommentaren der Besucher_innen. Mit so einer heterogenen Gruppe Kommune-Menschen unterwegs zu sein, die sonst eher weniger miteinander zu tun haben, und dann auch noch mit (meinem) Kleinkind (15 Monate), war eine sehr anregende Zeit für mich.
Durch Gespräche untereinander und mit den unterschiedlichsten Gästen hat sich für mich meine Motivation, warum eigentlich Kommune leben – heute – und nicht erst „nach der Revolution“, in den Vordergrund gedrängt.
Ich selbst bin schließlich über die lokale graswurzelgruppe auf die Kommune-Idee gestoßen und zwar deshalb, weil wir uns regelmäßig über das Thema Anarchie im Alltag ausgetauscht haben.
Was macht also eine libertäre Vision noch mal aus?
Na klar, Herrschaftslosigkeit – aber das umschreibt nur, was wir nicht wollen. Also vielleicht sowas wie „Gleichheit statt Hierarchie, Selbstbestimmung statt Autorität, gegenseitige Hilfe statt Konkurrenz, freie Vereinbarung statt Befehlsprinzip“ (1) und MehrheitsAbstimmung.
Dies setzt voraus, dass die Beteiligten Verantwortung übernehmen, um das Zusammenleben zu gestalten. Das Tolle an Kommune ist, mensch kann genau das schon mal aktiv ausprobieren, experimentieren und lernen.
Und zwar jeden Tag – das ist es aber, was Kommune auch hin und wieder anstrengend macht – ich habe keine Pause, kann mich nicht in meine Kleinfamilie oder mein Single/Pärchen-Dasein zurückziehen und vom Druck der Utopie und meinen bzw. den (Polit-)Gruppen-Ansprüchen erholen. Meine Mitkommunard_innen sind ja auf meine Kooperation und Mitteilungsbereitschaft angewiesen und ich auf ihre. Dennoch kenne ich keine Kommune, die ihre wie auch immer ausgestaltete anarchistische Utopie auch nur annähernd und jeden Tag umgesetzt hätte, das wäre ja auch traumhaft. Wir leben ja trotz aller Rückzugskritik inmitten einer kapitalistischen, konkurrenzorientierten Gesellschaft und haben die entsprechenden Verhaltensweisen verinnerlicht – was keine noch so gute Überzeugung rückgängig machen oder ausschalten könnte. Wir leben in Widersprüchen, und diese verinnerlichten Herrschaftselemente werden (hoffentlich) auch weiterhin bei gegebenem Anlass angesprochen und entlarvt werden.
Dennoch: es sollte möglich sein, mit der Herrschaftsfreiheit im Hier und Jetzt zu beginnen.
An welchen Punkten im Alltag nähern wir uns also den oben aufgezählten Idealen an? In diesem Text meine ich mit „wir“ in erster Linie meine Kommunegruppe, schreibe ich von meinen Erfahrungen auf Hof Rossee und von dem, was ich aus anderen politischen Kommunen so mitbekomme.
Unsere kommunitäre Selbstorganisation beruht auf freier Vereinbarung in einer freien Assoziation: Menschen finden sich aufgrund ihrer Interessen und meist auch persönlicher Zuneigungen zusammen, um ihr Leben selbst zu organisieren und die Lebensbedingungen in der Kommune mitzugestalten und auf die eine oder andere Art und Weise auch nach außen zu wirken. Um zu wissen, auf was mensch sich denn einlassen könnte, haben die meisten Gruppen ein Grundsatzpapier o.ä. entwickelt und in einer Kennen-lern-Zeit können die Mitglieder der Kommune und Neue sich beschnuppern und aneinander gewöhnen.
Da niemand über andere entscheiden kann, wird selbstverständlich nicht über die Aufnahme eine_r Neuen abgestimmt, sondern im Konsens entschieden. Auch bei allen anderen Entscheidungen versuchen wir, einen Konsens zu erreichen. Hierbei ist wichtig, mit der Zeit zu lernen, ob und inwieweit eine_r von der anstehenden Entscheidung betroffen ist und sich auch kreativ an einer Lösung beteiligen möchte. Auch in der Kommune müssen nicht alle bei allem mitreden.
Konsens versus Kompromiss
Wichtig (nicht nur) für Kommuneleben ist meiner Meinung nach, grundsätzlich vom Konsensprinzip überzeugt zu sein. Bei uns geht es darum, in der Gruppe zu Entscheidungen zu kommen, die nicht nur eine Aktion prägen, sondern die auch schon mal unseren Alltag wesentlich beeinflussen können. Und das, ohne in allgemein übliche polarisierende Denkmuster zu fallen, die, wenn überhaupt, zu Kompromissen führen. Und ein Kompromiss ist eben kein Naja-Konsens, geschweige denn eine Lösung, die alle mittragen. Viel mehr wird er meist von allen akzeptiert, jedoch nur von wenigen getragen und das oft widerstrebend und von einigen sogar (un)bewußt dagegen gearbeitet. Ein Konsens ist ein Prozess, der als solcher auch ernst genommen und mit entsprechend Zeitvorrat angegangen werden sollte; der manchmal erstaunlich schnell zu einer unerwarteten Lösung führt und manchmal sehr zäh ist und entsprechende Geduld und auch Kraft von den Beteiligten braucht.
Die einzelnen brauchen sowohl ein gutes Gefühl dafür, was ihnen persönlich wichtig ist, können im besten Fall auch noch verständlich formulieren, warum, und gleichzeitig bedarf es auch des Wunsches, dieses von den anderen mitzubekommen und nachzuvollziehen.
Verliert sich dieses „Verstehen Wollen“ irgendwo im Konsensprozess, kommt es oft zu angeblich ganz „logischen, sachbezogenen“ Diskussionen, in denen aber nicht die Suche nach einem Konsens im Mittelpunkt steht, sondern das Durchsetzen Wollen der eigenen Wünsche und Meinungen. Da wir geprägt von entweder-oder, These-Antithese sind, verhaken wir uns und merken nicht, dass es mindestens noch eine weitere Möglichkeit gibt, sich dem Gegenstand zu nähern. Wenn du nur zwei Lösungen siehst, hast du das Problem nicht verstanden.“
Ist also der Gegenstand geklärt und sind Bedürfnisse, Wünsche und Interessen der Beteiligten nachvollzogen, ist mensch schon ein gutes Stück vorangekommen. Im Gegensatz zum Kompromiss, bei dem jetzt alle so lange Abstriche machen würden, bis sie sich schlechter, aber noch nicht ganz schlecht fühlen, geht’s für den Konsens jetzt erst richtig los. Es geht darum, die anderen in ihrer Andersartigkeit auszuhalten und zu verstehen, was nicht gleichbedeutend mit zustimmen ist.
Allen, die es wollen, zuzuhören und nicht vorschnell mit dem Lösungsvorschlag zu kommen. In der folgenden Suche nach einem echten Konsens wird gesammelt und erfunden, um dann etwas zu erreichen, mit dem sich alle ein bisschen besser fühlen.
Soweit die Theorie. Wird der wöchentliche Plenumsabend lang, nimmt die Kommunegruppe auch schon mal eine Abkürzung und es werden Entscheidungen getroffen, hinter denen nicht alle stehen – was sich spätestens bei der Bereitschaft zur Umsetzung zeigt, z.B. am Bau-Wochenende ab sofort immer gemeinschaftlich um 8.30 Uhr zu beginnen. Und das ist aber auch das Schöne an Kommune: irgendwann merkst du dann doch, ob es sich um einen echten Konsens handelt, z.B. dann, wenn du alleine auf der Baustelle stehst. Darauf kannst du dich verlassen, dass die Entscheidungen ohne echten Konsens „einfach“ wieder kommen, dann hat die Gruppe eine neue Chance auf Konsens.
In diesem Sinne gemeinschaftlich auch weitreichende Entscheidungen zu treffen, ist für mich einer der wichtigsten Punkte, wo ich in meinem Alltag Anarchie umsetzte und übe.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist, das Geld gemeinschaftlich zu erwirtschaften und zu teilen.
Anarchistische Ökonomie
Also alles für alle? Auch bei uns gibt es eigene Dinge, aber eben auch vieles, was wir als Gemeinschaft besitzen. Einerseits denke ich da an den kollektiven Besitz an Grund und Boden / Gebäuden, der in den meisten politischen Kommunen an die Stelle von Privateigentum tritt und zumindest den Kommunemitgliedern gemeinsam gehört. Mit den Produktionsmitteln sieht es da schon unterschiedlicher aus, bei Kopf- und Bildungsarbeiter_innen ist das angehäufte Wissen – trotz aller Bemühungen – nun mal an den jeweiligen Kopf gebunden, profitieren kann dennoch die gesamte Gruppe. Bei produzierendem und handwerklichem Gewerbe können zumindest die Produktionsmittel der Kommune gehören, was auch bei vielen Gruppen so ist.
Andererseits die gemeinsame Alltagsökonomie, also alles Geld geht in einen Topf und alle nehmen sich davon, was sie brauchen. Wir praktizieren und üben also eine „dem Bedarf der Menschen entsprechende freie Güterverteilung“ (2). Ralf Burnicki bemerkt dazu lapidar: „dazu bedarf es einer hohen Intensität und Regelmäßigkeit der individuellen Beziehungen.“ (3)
Dies entspricht auch meiner Erfahrung, ist aber leichter gesagt als getan. Einerseits haben wir als Gruppe bestimmte regelmäßige Ausgaben zu tätigen, z.B. unsere Lebensmittel, andererseits wollen auch individuelle Bedürfnisse befriedigt werden. Und über Geld kann mensch auf der vermeintlichen Sachebene prima streiten und der intensiven Begegnung mit dem/der Anderen aus dem Weg gehen. Was ich positiv daran finde bereits im Kapitalismus solidarisch zu wirtschaften, ist die Möglichkeit, der allgemeinen Arbeitsbewertung und -vergütung etwas entgegen zu setzten. Entweder durch eigene Betriebe, in denen es eben anders läuft als in „normalen“, oder, wenn viele „extern“ arbeiten gehen, den Ausgleich von geschlechtsbegründeten und anderen Lohnhierarchien im Kleinen umzusetzen, sodass nicht einige reicher sind als andere, nur weil sie z.B. männlich sind.
Insgesamt können wir Arbeit so definieren, wie wir es für richtig halten, indem wir z.B. reproduktive Tätigkeiten wie Haushalt, Kinderbetreuung und Kochen, unbezahlte Tätigkeiten wie Gärtnern, Bauarbeiten auf dem Kommunegelände, politische Arbeit und externe LohnArbeit als gleich wertvoll bewerten. So sind einerseits Menschen, die kleine Kinder haben/betreuen (typischer Weise also Frauen), nicht mehr von einem sog. „Verdiener“ abhängig und andererseits die klassischen Arbeitnehmer_innen nicht mehr so sehr ihrem Chef oder ihrer Chefin ausgeliefert und können entsprechend mehr auf der Arbeit riskieren, auch an politischen Äußerungen.
Auch stellt sich generell die Frage, ob nur das „Arbeit“ ist, was irgendwie auch anstrengend und/oder produktiv ist?
Die Kommune hat mir gezeigt, dass mein Arbeitsbegriff sich immer wieder mal auflöst, neuentwickelt und in Frage stellt: Es entsteht eher so etwas wie Zeit, für die Gruppe etwas zu tun, und Zeit, für mich etwas zu tun. Wobei auch da die Grenzen fließend sind, z.B. jetzt, indem ich diesen Text hier schreibe, das hat eigentlich von allem etwas und ohne Kommune hätte ich mit Kleinkind und Job nur schwerlich Energien dafür über.
Das „Prinzip der gegenseitigen Hilfe“ (Kropotkin) in den Alltag zu integrieren macht meine libertäre Utopie zumindest ein Stück weit greifbarer. Trotzdem ist Kommuneleben ja keine Insel, sondern ein Leben in Widersprüchen, denn der Konkurrenzkampf außerhalb hinterlässt auch bei uns seine Spuren, sind wir abhängig von Geld/Jobs,…
Individualarnarchist_innen blicken wohl eher skeptisch auf unsere Versuche: Wir wünschen uns Menschen, die sich verbindlich und langfristig einbinden lassen wollen, was viele ja schon aus Prinzip abschreckt. Es gibt eine Skepsis gegenüber festeren Organisationsstrukturen, denn hier können schnell informelle Hierarchien und Gruppendruck entstehen.
Auch wenn die Vorstellung von freien, jederzeit lösbaren und pflichtlosen Verbindungen faszinierend sein kann, wüsste ich nicht wie eine (kleinere) Kommune so (zumindest heute) überlebensfähig sein könnte. Die Erfahrung zeigt aber, dass viele Menschen sich nur zeitweilig in Kommunen einbringen und selbstverständlich ist ein Ausstieg jederzeit möglich, wenn auch oft für beide Seiten nicht ganz locker.
Der Hinweis, dass Einzelne von der Gruppe vereinnahmt werden können oder zu ihnen nicht genehmen Dingen gedrängt werden können, ist sehr wichtig zu nehmen. Wäre das doch das Gegenteil von dem, was wir wollen. So versuchen wir dem mit unterschiedlichen Methoden entgegen zu wirken. Allgemeiner gesagt: Wir bemühen uns um Überschaubarkeit, Transparenz und Nachvollziehbarkeit aller gemeinschaftlichen Vorgänge.
Die Grundidee unseres Zusammenlebens beinhaltet die direkte Kommunikation, wir wollen Konflikte und Differenzen nicht über Strukturen lösen und wollen achtsam miteinander umgehen. Deshalb besteht in unseren Kommunen strukturelle Gleichberechtigung, diskriminierende Strukturen sollen aufgedeckt und verändert werden.
Da auch das Patriarchat eine Ausdruckform von Herrschaft ist, versuchen wir, (anarcha)feministische Ansätze durch emanzipationsfördernde Strukturen in unseren Alltag einzubinden. In Rossee versuchen wir abwechselnd für alle zu kochen, so dass wir jeden Abend die Möglichkeit haben, ein gemeinsames Essen zu genießen. Alle beteiligen sich an den anfallenden Haus- und Hofarbeiten und teilweise auch an Schreibtisch- und Kinderbetreuungsarbeiten. So schaffen wir uns die Möglichkeit, etwas Neues zu lernen und/oder alte Rollen loszuwerden.
Auch versuchen wir uns den Raum zu nehmen, um über männliche Dominanz (auch in der Kommune) zu reden und um weitere Möglichkeiten zu finden, wie wir mit geschlechtsspezifischen Rollenstereotypen brechen können und wie wir die eigene Hemmschwelle, sich geschlechteruntypisch zu verhalten, überwinden können.
Eine wesentlich Motivation, Kommune zu leben, finde ich in folgendem Zitat sehr schön zum Ausdruck gebracht:
„Wir können die künstliche Trennung von Aktivismus und alltäglichem Leben überwinden, indem wir unseren Alltag revolutionär machen. Warum sollten wir uns mit Genoss_innen und Aktivist_innen zufrieden geben, wenn wir Freund_innen und Liebhaber_innen haben könnten?“ (4)
Genau das versuchen wir in der Kommune Hof Rosse: Wir üben ein verantwortungsvolles und solidarisches Miteinander.
Bei all dem Anspruch sollen aber auch Gemütlichkeit, Lust und Humor nicht zu kurz kommen.
Und das gelingt uns auch – mal besser, mal schlechter – denn im besten Fall sind wir als basisbestimmte Gruppe in einem Erkundungs- und Übungsprozess für eine basisbestimmte Gesellschaft. Und wer weiß, vielleicht sind wir ja durch unsere bloße Existenz schon Teil einer alltäglichen graswurzelrevolution?
(1) Zitiert und inspiriert wurde aus: Ralf Burnicki: Anarchie als Direktdemokratie, Moers, 1998, Curious George Brigade, Crimething; Co-Conspirations, DIY von Anarchie und Dinosauriern, Münster, 2006 und Werkstatt für gewaltfreie Aktion Baden: Konsens Handbuch, Karlsruhe, 2004
(2) Burnicki, S.21
(3) a.a.O., S.22
(4) Curious George Brigade, a.a.O.
Infos/Kontakte
Netzwerk der politischen Kommunen - KOMMUJA
www.kommuja.de
Terminhinweis
Das Kommuja Netzwerk der politischen Kommunen lädt ein: Los geht´s 2009. Pfingsten 2009, 29.05. - 02.06. bei den Gastwerken bei Kassel. Menschen aus Kommunen treffen Menschen, die auf der Suche nach Gemeinschaft sind. Gründungsinitiativen und bestehende Gruppen stellen sich vor, neue Gründungsinitiativen entstehen. Infos: www.losgehts2009.de