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Tödliche Repression

Todesfall bei gewaltfreier Demonstration in Bil'in

| Sebastian Kalicha

Die Repression der israelischen Armee (IDF) gegen die gewaltfreie Widerstandsbewegung gegen Barrierebau und Besatzung im Westjordanland wird zusehends brutaler. Der gewaltfreie Aktivist Basem Abu Rahme wurde am 17. April 2009 in Bil'in von der IDF getötet.

Nachdem in dem palästinensischen Dorf Ni’lin innerhalb weniger Monate vier Aktivisten von der IDF bei Demonstrationen gegen die Barriere getötet wurden, hat nun auch Bil’in seinen ersten Todesfall zu beklagen. Basem Abu Rahme, 30 Jahre alt, wurde bei der wöchentlichen Demo am 17. April von einer neuen Art Tränengaskanister im Brustbereich getroffen, fiel sofort in Ohnmacht und starb wenige Zeit später auf dem Weg ins Krankenhaus. Er rief den SoldatInnen, die auf der anderen Seite der Barriere standen und für die keine Gefahr bestand (es wurden keine Steine geworfen), zuvor noch zu, dass sie nicht schießen sollten und dass dies ein gewaltfreier Protest sei.

Basem Abu Rahme ist der achtzehnte Aktivist, der im Zuge von Demos gegen die Barriere von israelischen SoldatInnen getötet wurde.

Tödliche „nicht-tödliche“ Waffen

Die neuartigen Tränengaskanister, welche die IDF seit einiger Zeit einsetzt, fliegen mit weit höherer Geschwindigkeit als herkömmliche Geschosse. Für den Einsatz solcher Waffen hat die IDF spezielle Auflagen, wie z.B. auch bei den „Hartgummigeschossen“ (die eigentlich Stahlkugeln mit einer dünnen Hartplastikschicht sind), da viele dieser als „nicht-tödlich“ bezeichneten Waffen in bestimmten Situationen – oder bei widerrechtlicher Anwendung – sehr wohl tödlich sind.

Wie die Erfahrung zeigt, werden selbst die IDF-internen Regeln im Umgang mit diesen Waffen in der Praxis zumeist ignoriert.

So sind bereits mehrere Menschen getötet oder schwer verletzt worden, da sie mit diesen „Hartgummigeschossen“ am Kopf aus einer viel zu geringen Distanz getroffen wurden, was, folgt man den IDF-Vorschriften, verboten ist.

Dies hatte – selbst bei Todesfällen – für SoldatInnen bislang in keinem Fall rechtliche Konsequenzen.

Der Fall des israelischen Aktivisten Lymor Goldstein vom August 2006, der in Bil’in durch eine Kugel der IDF beinahe getötet wurde, ist ein Beispiel dafür, wie die IDF mit solchen Vorfällen in der Folge umgeht. Im Falle von Goldstein wurden bewusst Unwahrheiten lanciert, dass z.B. Steine geworfen worden seien oder dass die DemonstrantInnen selbst den Abtransport des Schwerverletzten verhindert hätten. Videos der Demonstration zeigen jedoch, dass die Armee ohne Vorwarnung und ohne dass Steine von Seiten der Demonstration geworfen wurden, damit begann, Schock-Granaten und „Hartgummigeschosse“ einzusetzen. Und der für diesen Einsatz zuständige Kommandant ist ebenfalls auf einem Video zu sehen wie er sich weigert, eine israelische Ambulanz zu verständigen. Die Geschichten hunderter anderer Demonstrationen in den letzten Jahren ähneln sich in dieser Hinsicht frappant.

Was den nachlässigen Umgang der SoldatInnen mit ihren eigenen Regeln angeht, so verhält es sich mit den Tränengaskanistern ebenso. Eigentlich dürfen diese nur in einem hohen Bogen auf eine Demo geschossen werden, in der Praxis werden diese Kanister aber oft als Geschosse verwendet und direkt auf die DemonstrantInnen gefeuert. Die herkömmlichen Tränengaskanister waren offensichtlich nicht schnell genug um potentiell lebensbedrohlich zu sein, wobei z.B. der israelische Anarchist Jonathan Pollak, der am Kopf von einem derartigen Kanister getroffen wurde, schwere Kopfverletzungen und eine Gehirnblutung erlitt. Mit den neuen „44 mm“-Hochgeschwindigkeits-Kanistern jedoch sind nun auch diese Geschosse zu einer tödlichen Gefahr geworden, wie Basem Abu Rahmes Fall tragisch veranschaulicht.

Schon eine Woche zuvor gab es in dem palästinensischen Dorf Ni’lin einen ähnlichen Zwischenfall. Dort wurde bei einer Demo der US-amerikanische Aktivist Tristan Anderson von der selben Art Geschoss am Kopf getroffen und lebensbedrohlich verletzt. Er liegt zur Zeit im Tel Hashomer Hospital im Koma und musste mehrmals operiert werden. Sein Zustand ist kritisch.

Die Absurdität des Falles Bil’in

Dass es palästinensischen Gemeinden – egal ob in moralischer oder rechtlicher Hinsicht – nicht an Legitimität fehlt, egal wo gegen diese Barriere und ganz allgemein gegen die Besatzung zu protestieren, bestreitet wohl kaum jemand. Im Falle von Bil’in ist die Situation jedoch doppelt absurd. Die Gemeinde protestiert mit ihren Demonstrationen gegen die Barriere nämlich nicht nur gegen ein Projekt, das schon 2004 vom Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag für völkerrechtswidrig erklärt wurde, sondern auch gegen eine Route, die 2007 selbst vom Obersten Gerichtshof Israels verurteilt wurde. Dieser forderte – anders als der IGH, der den vollständigen Abriss auf besetztem Gebiet gebauter Teile verlangte -, dass die bestehende Barriere in Bil’in abgerissen und entlang einer neuen Route wieder aufgebaut werden solle, da die momentane Route, so die Erkenntnis des Obersten Gerichtshofes Israels, offensichtlich mit der Expansion der nahe gelegenen israelischen Siedlung Modi’in Illit und nicht mit dem so gerne vorgebrachten Sicherheitsaspekt erklärt werden könne. Das Problem: Das Urteil wurde bis dato schlichtweg nicht umgesetzt. Michael Sfard, Rechtsanwalt von Bil’in, sagte hierzu, dass der Gerichtshof mittlerweile schon „drei mal zu dem Urteil gekommen ist, dass die Route illegal ist und verändert werden muss“, es sei jedoch „noch nicht einmal ein Meter der Mauer“ verändert worden. Folglich demonstrieren die BewohnerInnen von Bil’in mit ihren israelischen und internationalen UnterstützerInnen nun seit mehreren Jahren gegen eine Barriere, die sowohl nach internationalem als auch nach israelischem Recht eindeutig rechtswidrig ist, sie werden aber ungeachtet dessen unentwegt von der Armee Woche für Woche beschossen, verprügelt, verletzt, verhaftet, eingeschüchtert und nun auch getötet.

Abdullah Abu Rahme vom Popular Committe of Bil’in meinte nach dem Vorfall, dass es Israel große Sorgen bereiten würde, „wenn sich diese Form des gewaltfreien Widerstandes von Bil’in, Ni’lin und anderen Gemeinden ausbreiten und ein allgemeines Modell würde.

Also versuchen sie, dieses Modell zu unterdrücken bevor es sich noch weiter ausbreitet, da sie genau wissen, dass unser Kampf gerechtfertigt ist und dass sie ihn verlieren werden.“