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Umstrittene Tourismusprojekte in Chiapas

Big business auf Kosten der indigenen Bevölkerung?

| Luz Kerkeling

Der an Guatemala grenzende mexikanische Bundesstaat Chiapas ist reich an Bodenschätzen, Süßwasser, biologischer Vielfalt, schöner Natur und Kulturen. Auf den ersten Blick scheint für die TouristInnen alles wunderbar zu sein: Wasserfälle, Regenwald, Ruinen, Kolibris, Brüllaffen, Aras, bunte indigene Trachten und ein beschauliches Landleben. Doch die Mehrheit der Bevölkerung kann nicht am Reichtum der Region teilhaben.

Die politische und wirtschaftliche Macht ist bis heute auf wenige Familien, GroßgrundbesitzerInnen, politische FunktionärInnen sowie mexikanische und internationale Unternehmen verteilt. Neben Guerrero und Oaxaca gilt der Bundesstaat, der etwas größer als Bayern ist, als die ärmste Region Mexikos.

Hintergrund

Schon seit Jahrzehnten spielt der Tourismus eine wichtige Rolle in dieser subtropischen, stark agrarisch geprägten Provinz. „Wir haben archäologische Zonen, ein öko-touristisches Kulturerbe, die ‚Montes Azules‘ – das größte Naturreservat Zentralamerikas -, sowie eine Entwicklungsregion, einerseits Palenque, wo ein neuer Flughafen gebaut wird, sowie den Korridor Tuxta-San Cristóbal-Chiapa de Corzo mit einer Kapazität von 5.000 Wohnungen, wo Konventionen jeder Art organisiert werden können“, wirbt der amtierende Gouverneur Juan Sabines in der Mai-Ausgabe des Magazins „Lideres mexicanos“.

Sabines ist ein Machtpolitiker alter Schule. Er ist kurz vor seiner Wahl 2006 wegen innerparteilicher Querelen von der ehemaligen Staatspartei PRI, die Mexiko 71 Jahre dominierte, zur sozialdemokratischen PRD übergetreten. Heute arbeitet Sabines sowohl mit der PRI als auch mit der konservativen PAN zusammen, die den aktuellen mexikanischen Präsidenten Felipe Calderón stellt, mit dem der Gouverneur befreundet ist.

Sabines scheint keine Berührungsängste zu haben; mit dem deutschstämmigen Constantino Kanter berief er einen mächtigen Viehzüchter in sein Kabinett, der wegen seiner Äußerung „Ein Huhn ist mehr wert als ein Indio“ berühmt-berüchtigt wurde.

In seiner ersten Regierungserklärung betonte Sabines, dass er die gesellschaftliche Vielfalt im Bundesstaat schätze und pflegen wolle, wobei er auch explizit die zapatistische Befreiungsarmee EZLN erwähnte, die sich 1994 zwei Wochen bewaffnet für „Land und Freiheit“ erhoben hatte, seitdem zivil gegen Rassismus und Ausbeutung kämpft und in rund 1.000 Dörfern autonome Strukturen in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Landwirtschaft, Justiz, Medien und Verwaltung aufbaut.

Der Gouverneur versprach eine Verbesserung der fatalen Menschenrechtssituation, soziale Maßnahmen und ein enormes Wirtschaftswachstum. Der Tourismus soll massiv ausgebaut werden. Er kündigte an, Chiapas in ein „neues Cancún“ – ein umstrittenes touristisches Mekka an der mexikanischen Karibikküste, das den Massentourismus auf Mallorca in den Schatten stellt – und ein „öko-archäologisches Musterprojekt“ zu verwandeln.

Die progressiv gefärbte Ausrichtung der Umgestaltung des Bundesstaates richtet sich an internationale AkteurInnen aus Politik und Wirtschaft – darunter die EU, die Investitionen in Höhe von 55 Millionen Euro für „nachhaltige Entwicklungsprogramme“ plant.

Öko-Tourismus?

Die Öffentlichkeit soll davon überzeugt werden, dass Chiapas nicht mehr das korrupte und brutale Hinterland ist. Dagegen spüren immer breitere Teile der Landbevölkerung die Auswirkungen: Was für die Ohren der potentiellen InvestorInnen „Öko-Tourismus“ und „Partizipation der Bevölkerung“ genannt wird, bedeutet für die meist indigene Bevölkerung vor Ort Vertreibung, Landenteignung, Migration oder Konvertieren in LohnarbeiterInnen.

„Die indigenen Gemeinden profitieren nicht von dieser Art von Entwicklung“, betont Hermann Bellinghausen, Mitgründer der Tageszeitung La Jornada: „Der sogenannte Öko-Tourismus schafft die Schneisen für die später vorgesehene Ressourcenausbeutung der Zone, darunter Öl, Uran und die immense biologische Vielfalt. Außerdem zerstören die Projekte das soziale Miteinander in den Dörfern.“

Die vermeintlich „kommunitären“ und „ökologischen“ Tourismusprojekte in Ixcán, Guacamayas, Lacanjá Chansayab und weiteren Gemeinden des Lakandonischen Regenwalds sind nach Angaben von Miguel Angel García von der Umweltorganisation Maderas del Pueblo „weder umweltfreundlich, noch nutzen sie den Gemeinden als Ganzes“. Das ehemals unverkäufliche Gemeindeland werde über vorgebliche Hilfsprogramme privatisierbar gemacht. „Nur wenige Familien profitieren davon, und nicht selten wird das Land an wohlhabende Unternehmer verkauft, was ein hohes Maß an sozialer Ungleichheit und unumkehrbare Spaltungsprozesse in den Dörfern mit sich bringt“, erklärt García.

Von den betroffenen Gemeinden werden die im Volksmund als „Mega-Projekte“ bekannten Vorhaben als große Gefahr für Mensch und Natur eingeschätzt. „Jetzt wollen sie hier eine Schnellstraße zwischen San Cristóbal und Palenque bauen. Aber sie zerstört die Umwelt und bringt uns Armen nur Nachteile. Es kommen immer mehr reiche Touristen und sämtliche Preise schnellen nach oben“, so José Pérez, ein 60jähriger indigener Bauer, der ein karges Stückchen Land in der Nähe der Ruinen von Palenque besitzt.

Sein Sohn Camilo fügt verärgert hinzu: „Die Regierung macht uns ständig Probleme. Sie fragt nie, ob wir mit den Projekten einverstanden sind, wir werden nicht einmal informiert, obwohl die Regierung internationale Abkommen unterzeichnet hat und verpflichtet ist, die indigenen Gemeinden zu konsultieren.“

Anhaltende Menschenrechtsverletzungen

Menschenrechtsorganisationen wie amnesty international oder die Deutsche Menschenrechtskoordination Mexiko stellen der aktuellen mexikanischen Regierung schlechte Noten aus. Immer wieder komme es zu illegalen Festnahmen, Folter und Mord an sozialen AktivistInnen. „Die Drogenbekämpfungspolitik der Regierung Calderón wird oft als Vorwand missbraucht, ländliche Regionen mit einem hohen Anteil indigener Bevölkerung zu militarisieren“, analysiert die Koordination in ihrem aktuellen Bericht.

Erst Mitte April 2009 wurden acht Aktivisten aus der Nachbarschaft der berühmten Wasserfälle von Agua Azul willkürlich festgenommen. „Sie wurden in gleichlautenden, offenbar bezahlten Artikeln in 20 Zeitungen als Schwerkriminelle – wie die großen Drogenbosse – präsentiert, die für Überfälle auf mit TouristInnen besetzten Autobussen verantwortlich sein sollen. Die lächerlichen Beweise sind drei Macheten, ein Autoschlüssel und ein Funkgerät, alles ganz normale Werkzeuge hier“, stellt Hermann Bellinghausen klar.

Das Menschenrechtszentrum Fray Barolomé de las Casas und die Angehörigen betonen, dass die Inhaftierten unter Folter zu Geständnissen gezwungen wurden und unschuldig seien. „Das einzige Delikt, das mein Bruder begangen hat, ist, dass er gegen die Vertreibung durch neue Tourismusprojekte protestiert hat“, so Pedro Sánchez aus Bachajón. Er kritisiert weiter, dass Agua Azul von Paramilitärs geführt werde, die offen mit der Polizei zusammenarbeiten.

Alternativen?

„Es geht auch ganz anders“, betont Anna Blanke, Politikstudentin aus Münster, die kürzlich als Menschenrechtsbeobachterin in Agua Clara gearbeitet hat. „Hier haben die Zapatistas den Fluss gesäubert und ein leerstehendes Hotel ausgebaut, das nun den TouristInnen offen steht. Alle Gewinne fließen an die Gemeinde, sogar andere Dörfer, die in der EZLN organisiert sind, sollen davon profitieren. Das passt den Leuten, die der Regierung nahe stehen, überhaupt nicht. Unsere Aufgabe ist, durch unsere bloße Anwesenheit Provokationen und Ausschreitungen zu verhindern.“

Die Landbevölkerung ist nicht gegen den Tourismus an sich, aber die Menschen wollen endlich respektiert werden. Camilo Pérez appelliert daher an die internationalen BesucherInnen: „Die TouristInnen sollten die Reiseunternehmen auffordern, Druck auf ihre mexikanischen PartnerInnen und die Regierung zu machen, damit die neuen zerstörerischen Megaprojekte nicht realisiert werden.“

Weitere Infos

www.chiapas98.de