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Nichts sehen, nichts hören, nichts lernen!

Bildungspolitik in der (Finanz)krise

| Joseph Steinbeiß

Manch einer hat sich schon verwundert die Augen gerieben: Da wird allenthalben vom "Umdenken" im Banken- und Wirtschaftswesen gesprochen - reumütige Topmanager klagen vor deutschen Gerichten ihre Millionen-Ansprüche auf Boni, Gehälter und Pensionen vermutlich nur mehr mit schlechtem Gewissen ein -, und ein Buch nach dem anderen mit Enthüllungen über den ebenso mörderischen wie selbstmörderischen Irrsinn der marktliberalen Ideologie und ihre Folgen kommt auf den Markt. Wollte man den gängigen Medienberichten glauben, so ist die Welt sich einig: Gut, dass es vorbei ist!

Nur an den Universitäten will sich diese „neue“, ohnehin höchst flüchtige Erkenntnis nicht so recht durchsetzen. Dort baut man weiterhin auf Drittmitteleinwerbung bei solventen Wirtschaftsunternehmen, Uni-Rankings von Bertelsmanns Gnaden und vor allem private bzw. privatisierte Studiengänge und Bildungseinrichtungen – als habe es nie eine Finanzkrise gegeben.

Nicht einmal der Jargon hat sich verändert. Verständlich: Es hat schließlich lange genug gedauert, bis man all die Phrasen in scheußlich bastardisiertem Englisch gelernt hatte, mit denen man, zeitgemäß und scheinbar voll im Trend, die Segnungen eines unkontrollierten kapitalistischen Marktes für die Bildung beschwören konnte.

Für irgendetwas soll die Mühe des Vokabellernens schließlich gut gewesen sein.

Sie war für nichts gut. Sie schadet.

Denn gegenwärtig erweist sich, dass nicht nur der Handel mit US-amerikanischen Wertpapieren eine höchst risikoreiche Sache sein kann:

Sich für seine berufliche Zukunft in Deutschland auf eine private Hochschule zu verlassen, offenbart sich als kein bisschen weniger bedenklich. Eine nach der anderen muss die Pforten schließen. Während die Privatuniversität Witten seit Jahren ums Überleben kämpft, war der Todeskampf der Hanseuniversität Rostock erschreckend schnell vorbei. Nun trifft es die International University (IU) im baden-württembergischen Bruchsal, spezialisiert auf Wirtschaftsstudien und Kommunikationsmanagement. Beide wurden bislang betrieben von der privaten Educationtrend GmbH. Es ist zu erwarten, dass sich in absehbarer Zeit noch weitere Wirtschaftsunternehmen aus dem tertiären Sektor zurückziehen und ihre „Bildungsbranchen“ abtrennen werden. Gerät ein Konzern in Schwierigkeiten, kann er auf eine private Hochschule leichten Herzens verzichten.

„Humankapital“ rentiert sich naturgemäß spät: nach dem Abschluss eines Studiums oder womöglich erst nach der Übernahme eines Absolventen in den Konzern. Dafür können private Investoren bei der Gründung ihrer Hochschulen bereits große Summen einstreichen – an staatlichen Fördergeldern.

Hinzu kommt, dass, wer ein Studium an einer privaten Hochschule aufnimmt, meist mit horrenden Gebühren zu rechnen hat. An der International University kostete ein Abschluss 20.000 Euro.

Solche Summen gibt natürlich nur aus, wer sich dafür Vorteile auf dem Arbeitsmarkt verspricht – genauer: versprechen lässt. Eben die versprachen die neuen „Wirtschaftsunis“: mit vielen bunten Bildchen, lockenden Internetpräsentationen, der Aussicht, nach dem Studium zur Verdienstelite zu gehören, und dankend sekundiert von einer Politik, die nicht müde wurde, die Segnungen der „Diversifizierung“ und „Spezialisierung“ der (Aus)Bildung durch das Engagement der Wirtschaft zu preisen. Für 200 Studierende in Bruchsal ist dieser Traum nun ausgeträumt. Es war ein teurer Traum.

Ironischer weise scheinen Professorinnen und Professoren dagegen nie dem Sirenengesang der „schönen, neuen Bildungswelt“ der Reichen und Privaten erlegen zu sein. Das zumindest legen die Schwierigkeiten nahe, die nahezu alle deutschen „Wirtschaftsunis“ dabei hatten, kompetentes Personal einzustellen.

Ihr Niveau bot lange Zeit Stoff für Gelächter in den Fluren der altehrwürdigen Universitäten des Landes. Und als dann, mit lukrativen Angeboten und windigen Versprechungen von „Prestige“ und „Fortschritt“, doch einige Fachleute angelockt werden konnten, hatten diese meist nichts Eiligeres zu tun, als sich auf eine staatliche Professur zu bewerben.

Selbst jetzt wird laut darüber nachgedacht, ob nicht der Staat verpflichtet sei, das wissenschaftliche Personal der havarierten „Wirtschaftsunis“ zu übernehmen. Nachteilige Konsequenzen haben Unternehmen, die sich im Bildungsbereich engagieren, demnach kaum zu fürchten: Gewinne werden privatisiert, Verluste sozialisiert. Ihr bildungspolitisches Engagement dauert für gewöhnlich nur solange, wie es die Bilanzen nicht stört. Tut es das, entschwinden die vorgeblichen „Retter der Bildung“ wie ein Spuk. Ein forciertes Bündnis staatlicher Universitäten mit der Wirtschaft ist für die Sicherung einer vernünftigen, fairen gesellschaftlichen Bildung schlichtweg unsinnig.

Es ist an der Zeit, dass, wo schon nicht die bildungspolitisch Verantwortlichen, so doch zumindest die Universitäten Konsequenzen aus den jüngsten Entwicklungen ziehen und etwas weniger eifrig versuchen, ihre Chemiestudien an die Bayer AG und ihre Geisteswissenschaften auf dem nächsten Flohmarkt zu verscherbeln.