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Massaker der Bundeswehr an AfghanInnen

| The Lamia

Wahrscheinlich waren bei dem von der Bundeswehr Anfang September veranlassten US-Luftangriff auf zwei gekaperte Tanklastwagen keine Taliban mehr vor Ort, als die Bomben fielen und zwischen 56 und 125 Menschen töteten.

Aus einem Bericht, der sich auf Aussagen eines Dorfbewohners von Yaqub Boy bei Kundus stützt und der von Friederike Böge sachlich wiedergegeben und im Innenteil der FAZ vom 10.9.2009 (S. 7) abgedruckt wurde, kann nur ein solcher Schluss gezogen werden.

Danach haben Bundeswehr und US-Armee keine bewaffneten Kämpfer, sondern ausschließlich ZivilistInnen umgebracht.

Das ekelhafte Weltmacht-Gebaren von Jung, Merkel & Co.

Die FAZ hatte nicht den Mut, mit den schrecklichen Tatsachen dieses Berichts ihre Ausgabe auf Seite 1 aufzumachen. Da finden sich Berichte zur Quasi-Entschuldigung und Zähmung der nationalistischen Wut von Angela Merkel und Kriegsminister Franz Josef Jung von Seiten der NATO, Frankreichs und sogar Washingtons, dessen ISAF-Kommandeur McChrystal zuvor schwere Vorwürfe gegen die Bundeswehr erhoben hatte, u.a. den, dass der Angriff vom deutschen Oberst Georg Klein auf nur einer einzigen Quelle basiert habe. Kurz zuvor hatte McChrystal vor der Weltpresse noch die neue Militärstrategie verlautbart, in Zukunft werde es weniger zivile Opfer bei Luftangriffen geben, um die Sympathien der Bevölkerung zu gewinnen – und nun so was.

Was den Kriegsminister, die Kanzlerin und die herrschenden Medien in Deutschland seit Bekannt Werden des Massakers bestimmte, war keine Aufklärung, kein Wort des Bedauerns, sondern ein ekelhaftes Schmierenspiel im Weltmachtgestus. Jung sagte, man verwahre sich gegen vorschnelle Verurteilungen. Merkel stellte sich in einer Regierungserklärung noch Tage danach hinter die Truppe, sie „verbitte“ sich Kritik der Bündnispartner. Von einem Komplott der USA gegen die Bundeswehr war die Rede – eindeutiges Zeichen, dass man im Weltmachtgestus ab sofort bereit ist, auch Machtproben mit den USA durchzustehen. Erst nach langem Zögern und Hinhalten rückten sie gezwungenermaßen raus, im Konditional, dass, wenn es zivile Opfer gegeben habe (was man noch nicht wisse), man dies natürlich bedaure – zu einer Zeit, als längst klar war, dass es zivile Opfer gab.

Ablauf des Massakers

Dabei war der Ablauf des Massakers nach Informationen von Friederike Böge, die sich auf Aussagen eines Dorfbewohners stützen, dessen Vater von den Taliban zur Hilfe gezwungen wurde, wie folgt: Die zwei gekaperten Tanklastwagen waren bei Yaqub Boy im Schlamm steckengeblieben. Der besagte Vater besitzt einen Traktor und wurde gezwungen, die LKWs mit seinem Traktor aus dem Schlamm zu ziehen. Als das scheiterte und bereits ISAF-Flugzeuge über der Stelle kreisten, zogen die Taliban gegen 20 Uhr abends vollständig ab. Daraufhin gingen immer mehr DorfbewohnerInnen zu den Lastzügen, um Benzin für den Hausgebrauch abzuzapfen.

„Mindestens einer der Lastwagenfahrer sei vor Ort gewesen und habe sich mit den Leuten unterhalten. ‚Er hat gewartet, weil er sein Fahrzeug zurückholen wollte, sobald es leicht genug ist, um aus dem Schlamm zu kommen‘, vermutet Hamid“ – so heißt es im Bericht von Böge. Der Angriff erfolgte nachts um 1:39 Uhr, als schließlich auch anfangs zögernde DorfbewohnerInnen hingingen, um Benzin abzufüllen: „27 Bewohner seines Dorfes seien in den Flammen, die der Luftangriff entzündete, umgekommen, unter ihnen auch seine fünf Schwager … Der Jüngste von ihnen sei elf Jahre alt gewesen … Selbst bei den Überlebenden seien die Verbrennungen so schwer gewesen, dass manche zwei Tage später in einem Kabuler Krankenhaus gestorben seien. ‚Dabei konnten sie vorher sogar noch laufen.‘ Hamid glaubt deshalb, dass die abgeworfenen Bomben ein ‚gefährliches Material‘ enthielten.“

Ja, Waffen habe es vor Ort gegeben, weil einzelne Dorfbewohner immer Waffen mitnehmen, wenn sie nachts außer Haus gehen.

Die US-Aufklärer, die seit dem Abend um die Stelle kreisten, hätten Infrarotkameras gehabt, wodurch Oberst Klein die Bilder angeblich direkt und genau verfolgen konnte und wodurch die von der Bundeswehr angegebene Zahl von 56 Toten zustande kam. Aber in der ersten Besprechung des Untersuchungsteams, das auch der Washington-Post-Reporter besucht hatte, der dann von 125 Opfern geschrieben hatte, hieß es, die Menge um die LKWs habe permanent „abgeebbt und zugeflossen“. Die Opferzahl kann also gar nicht eindeutig angegeben worden sein.

Nach dem Feuerbefehl gab es zudem eine Verzögerung um 20 Minuten, weil ein Flugzeug zu wenig Kerosin im Tank hatte und abdrehen musste, so dass zwei neue US-F-15-Kampfflugzeuge übernahmen.

Was ist ein Massaker?

Fast alles spricht dafür, dass es sich so zugetragen hat. Ein Massaker, das der deutsche Bundeswehr-Oberst zu verantworten hat. Es erfüllt den Tatbestand eines Kriegsverbrechens.

Zum Vergleich: Bei dem bis heute noch nicht völlig geklärten Massaker von Raçak, das 1999 als Vorwand für die NATO-Bombardierungen auf Belgrad diente, starben 45 Menschen.

Doch wozu reden wir hier von Kriegsverbrechen, wo doch bereits der Krieg an sich das Verbrechen ist! Und durch den Krieg der NATO-Besatzungstruppen sind seit 2001 nach offiziellen Angaben mehr als 50.000 Menschen in Afghanistan getötet worden!

War die Bombardierung der Tanklaster eine außergewöhnliche Verkettung unglücklicher Umstände – so lässt sich die nächste Verteidigungslinie der Bundeswehr und Jungs schon erahnen? Oder läuft nicht viel eher im Krieg sowieso nie etwas nach abstrakten Plänen am Reißbrett? Sind die „chirurgischen Schnitte“ weder chirurgisch noch lediglich Schnitte?

Deshalb möchte ich hier die immer wieder zugrunde liegende, nie in den herrschenden Medien thematisierte Propaganda kritisieren, nach welcher ja alles in Ordnung gewesen wäre, wenn die Opfer denn zu 100 Prozent bewaffnete Taliban gewesen wären. Nehmen wir mal den umgekehrten Fall an, dass Taliban etwa 100 Bundeswehrsoldaten am Boden gefangen genommen und dann hingerichtet hätten. Wie hätten das wohl Merkel und Jung interpretiert? Ja natürlich, da hätte überhaupt keine Rolle mehr gespielt, ob da ZivilistInnen dabei gewesen wären! Alle Motoren der Heldenverehrung, der neuen Wimpel und Tapferkeitsabzeichen wären aufgefahren worden. Das wäre sofort als Massaker übelster terroristischer Ausmaße gebrandmarkt worden.

Es ist bezeichnend, dass noch immer technisch überlegene, aber umso verheerender wirkende Luftangriffe nie als Hinrichtung, Massenmord oder Massaker gebrandmarkt werden. Was ist für die Opfer denn quälender? Den Hals mit dem Messer aufgeschnitten zu bekommen oder elend zu verbrennen, zum Teil über zwei Tage hinweg? Wenn es zudem überhaupt einen Begriff von Feigheit geben mag, dann ist nichts so feige wie ein Luftangriff auf Wehrlose! Soldaten sind Mörder! Und Bundeswehr-Oberst Klein ist ein Massenmörder!