Sigurd Wendland (*1949 in Münster), studierte an der Kölner Werkschule sowie an der Hochschule der Künste Berlin. Bekannt ist der in Berlin lebende Künstler durch zahlreiche Ausstellungen im In- und Ausland sowie durch Buch- und Katalogpublikationen. Er malt die Vorahnung der Apokalypse. Seine Bilder sind Übersetzungen von Sodom und Gomorra am Ende der Zeiten. Die Gemälde scheinen zu rufen wie einst Paul Zech: "Berlin halt ein, besinne dich - dein Tänzer ist der Tod!" Ralf G. Landmesser (A-Laden Berlin) hat den libertären Künstler für die Graswurzelrevolution interviewt. (GWR-Red.)
Auf dem großen Wannsee unterhalb des dänischen Löwen und neben dem Haus der Wannseekonferenz. Gegenüber von Schwanenwerder, wo Goebbels wohnte. Auf dem mutmaßlichen Holzsegelboot eines ehemaligen Innenministers und vormaligen RAF-Verteidigers mit einem Rettungsring von der ehemaligen Staatsjagd der DDR. Umzingelt von Staat sozusagen … es herrscht Flaute, wir dümpeln. Der Mast der etwas ramponierten Yacht könnte ein umgedrehter überdimensionaler Malerpinsel sein, der über uns steht.
Sigurd Wendland: Da kann man nur eins machen: dagegenhalten. Das kann man auch mit Kunst machen.
Ralf G. Landmesser: Auch bei Flaute?
S: Eigentlich male ich mehr bei Flaute als bei Sturm. Die Bilder sind dann der Sturm.
R: Der Sturm bekommt dir arbeitsmäßig nicht so gut?
S: Wenn du malst, dann ist das so eine Art Trance. Du merkst das gar nicht. Du malst irgendwie vor dich hin, und hinterher wird man wach und sieht dann, was man gemacht hat. Das finden viele Künstler toll und deswegen versuchen sie, diesen Zustand auch ohne Farben, manchmal mit Drogen wieder so herzuholen. Aber der kommt einfach, nur durch das Arbeiten. Ich glaube, es gibt bestimmt auch Handwerker, die so etwas kennen.
R: Brauchst du eher Ruhe oder Phasen, wo du aufgewühlt bist?
S: Beides. Ich mache das ja so, dass ich morgens ins Atelier gehe und da meine Stunden verbringe und sage, um soundsoviel Uhr gehe ich nach Hause; und manchmal gehe ich nachts wieder ins Atelier. Also ganz kontinuierlich, egal bei welcher Stimmung, da wird dann runtergemalt, was gerade zu machen ist. Das Bild muss fertig werden. Und das Schlimme ist: während des Malens habe ich meistens schon Ideen für das nächste Bild. Wenn man dem aber nachgibt, wird das erste nie fertig. Also muss man das zuende machen, bevor man ans nächste dran geht.
R: Du malst also auch bei Kunstlicht?
S: Ja, ich mach da Sachen, die nicht wichtig sind. Hauttöne würde ich nie bei Kunstlicht machen. Ich habe zwar Tageslichtlampen, die 100% dem Sonnenlichtspektrum entsprechen, aber ich habe gemerkt, wenn ich damit nachts was mache, am nächsten Morgen gefällt mir das farblich nicht. Nuancen male ich bei Tageslicht. So grobe Sachen kann man bei dem Kunstlicht malen.
R: Was verbindet dich noch mit deiner Heimatstadt Münster? Da gibt es ja diese Lamberti-Kirche, wo die aufständischen „Wiedertäufer“ dran hochgezogen worden sind und in den Käfigen hingen, bis sie die Raben fraßen.
S: Wenn man über frühe mittelalterliche Philosophie liest, gibt es bereits Anarchisten. Und diese Anarchisten sind die „Wiedertäufer“, sie werden bereits Anarchisten genannt, weil sie davon ausgingen, dass jeder gleich ist und dass jeder gleich vor Gott ist und man also alles ohne ein höheres Wesen auf Erden regeln könne. Das finde ich bemerkenswert und möchte zu dem Thema jetzt etwas machen. Hab mir viel Literatur besorgt und bin an den „Wiedertäufern“ dran.
R: Hat dich das damals in deiner Entwicklung irgendwie beeinflusst, dass diese Präsenz da war?
S: Ich fand das immer furchtbar. Ich habe mir vorgestellt, wie da oben Menschen in diesen Käfigen hängen. Diese Präsenz des Katholizismus ist furchtbar in Münster. Da gehört jedes dritte Haus dem Erzbistum. Wir wissen ja auch, dass die Geschichtsschreibung von den Siegern gemacht wird. Somit ist die Überlieferung über die „Wiedertäufer“ wahrscheinlich in keiner Weise richtig. Nichts davon stimmt und man muss die Quellen ganz anders angehen.
Was mich allerdings etwas irritiert, ist die Beliebtheit der „Wiedertäufer“ bei Touristen im Moment. Münster macht richtig Geld mit seinen Täufern. Früher wollten sie damit nichts zu tun haben. Als ich ein kleiner Junge war: „Guck mal, das da oben, das ist von diesen schlimmen Männern gewesen und die sind von den Raben gefressen worden!“, und inzwischen ist das ein Kassenmagnet.
R: Das haben die Eltern also schon erzählt?
S: Ja klar!
R: War das ein Druckmittel gegen Kinder?
S: Nein, denn sie wurden ja eher als Irre dargestellt, die ein riesiges Blutbad in Münster angerichtet haben, wobei das Blutbad eher vom Erzbischof angerichtet wurde.
R: Du hast schon immer gut malen können, auch als Schüler?
S: Seit Kindheit an war das für mich klar, dass ich so etwas werden will. Für meine Eltern war klar, dass ich so etwas nicht werden soll, weil man damit kein Geld verdienen kann. Mein Vater meinte, dass ich damit Lehrer werden könne oder Werbegrafiker. Dann gab es aber zwei Grundsemester und nach dem ersten durfte ich bereits in eine Malklasse wechseln – was eine riesige Ehre auf der Hochschule war. Da konnte mein Vater nicht nein sagen. Damit hatte ich ihn dann irgendwie „umschifft“ und war dann in einer Malklasse.
Ähnlich wie du war ich auch auf Privatschulen und Internaten. Das war in meiner Familie schon immer so. Die Evangelen waren alle auf dem „Grauen Kloster“.
R: Wie hat sich das bei dir thematisch mit der Malerei entwickelt?
S: Wo ich angefangen habe zu studieren, das war die Zeit der RAF. Diese Zeit hat mich politisch geprägt. Anfang bis Mitte der 70er Jahre, wo plötzlich Kneipen abgeriegelt wurden und ne Polizeirazzia losging.
Ich fahr mit dem Fiat, dass ich nicht mehr drüber nachgedacht habe, was jetzt politisch korrekt ist, sondern einfach auf die Leinwand gemalt habe, was im Kopf drin war.
Manchmal ist mir auch nicht bewusst, was ich genau male – dafür erzählen mir aber andere hinterher, was in dem Bild alles drin ist. Das finde ich gut. Es ist nicht mehr so, wie ein Mathematiker da ran geht: also, wenn das drauf ist, muss auch das drauf sein und ums politisch korrekt zu machen, müsste die und die Sache auch noch mit drauf sein. Das ist mir schnurzpiepegal. Eigentlich ist mir auch egal, ob das den Leuten gefällt oder nicht. Ich male das einfach. Da müssen die mit leben – und ich auch. Und da das ja kein kommerzieller Erfolg ist, was ich da mache, kann das schon sein, dass ich auf dem falschen Dampfer bin …
R: Aber doch wohl nur kommerziell?!
S: Es geht für mich nicht anders. Ich könnte mir nichts Anderes vorstellen zu tun. Es entwickeln sich Sachen. Du kommst irgendwo hin oder redest mit jemandem und stellst das in einen bestimmten Zusammenhang. Und schon kommt wieder ne Bildidee zustande.
R: Du hast viele Bilder gemacht, die Sexualität in allen möglichen Formen thematisieren. Wie bist du zu diesen Darstellungsformen gekommen?
S: Es war schon immer so, dass sich Künstler gerne des Aktes annehmen. Im Mittelalter benötigten sie Vorwände dafür und haben antike oder biblische Geschichten rausgesucht, wo man Sexualität oder nackte Körper zeigen durfte. Akte selber sind wahrer, sind etwas Unverhülltes und nicht vordergründig Modisches.
R: Bei dir sind es aber weniger die klassischen Akte, sondern exstatischen Szenen.
S: Das ist das erzählerische Prinzip. Ich habe eine bestimmte Geschichte im Kopf und versuche, sie mit Modellen darzustellen. Die müssen sich dann z.T. gruppenweise im Atelier so verrenken, bis ich das verwenden kann.
Wenn ich Modelle habe, halte ich bewusst Abstand zu ihnen. Also keinerlei körperlichen Kontakt und die wissen genau, was da passiert. Die müssen wie Schauspieler für mich etwas darstellen. Das ist noch schwieriger, weil es nicht lustvoll ist.
Es geht nicht darum, mich anzuregen, sondern ich nutze sexuell Aussehendes, um bestimmte politische Inhalte oder Geschichten zu erzählen. Ein Journalist hat mal gesagt, dass das ein bisschen „süßlich“ sei, was ich male. Aber ehe man sich versehen würde, hätte man den Widerhaken schon im Fleisch.
Ich glaube schon, dass ich das male, was mir Spaß macht. Ja, ich male gerne Leute, sehe sie auch gerne ausgezogen. Es gibt auch nur ganz bestimmte Typen, die ich aussuche. Nie Kinder ausgezogen, sondern etwas ältere Männer oder Frauen, die für mich Modell stehen.
Jüngere Leute haben noch so wenig gelebtes Leben im Gesicht. Michael Rutschky sagte mal über die Schönheit von Frauen: „Damit Frauen schön sind, muss das Sterben schon etwas begonnen haben. An einem jungen, glatten Körper rutschen einem die Augen aus.“ Aber ich habe auch mit schönen Modellen gearbeitet.
Eine lustige Geschichte, ich war vor einiger Zeit in Nordwyk und da kam ein dort ansässiger Galerist, der fragte fünf ausgewählte Künstler, ob sie nicht eine Freundin von ihm am Strand portraitieren könnten. Ich sah dann die junge Frau, wie sie sich auszog, und sie war furchtbar schön und dann habe ich gesagt, in zehn Jahren würde ich sie malen, und bin wieder gegangen. Und dann habe ich ihm hinterher gesagt: „Du, deine Freundin, die konnte ich nicht malen: die sieht ja aus wie ’n Covergirl.“ „She is a covergirl“, meinte der stolz.
R: Was ist augenblicklich dein Thema, mal von dem perspektivischen Thema „Wiedertäufer“ abgesehen?
S: Ich habe in letzter Zeit sehr viel zum Thema „Militarismus“ gearbeitet, zum Krieg.
R: Du hast jetzt zum ersten Mal so offensiv Skelette verwandt.
S: Ich habe mir eins gekauft und ins Atelier gestellt und dann damit rumgespielt. Das wurde dann sogar bei uns zu Hause im Wohnzimmer aufgehängt und dann musste damit getanzt werden.
In einer Nachbarsfamilie und in befreundeten Familien gibt es Leute, die gehen zur Bundeswehr. Da ist dann natürlich immer die Frage
1. Warum machst du das?
und
2. Was kann dir passieren dabei?
Im Osten ist es so, dass die Bundeswehr als ein Westinstrument gesehen wird. Sie wollen nicht, dass ihre Kinder zur Bundeswehr gehen, denn für die ist das nicht die NVA, sondern etwas Westliches. Was ich komisch finde. Aber mit ehemaligen NVA-Offizieren habe ich diskutiert und die haben gesagt, das ist völlig egal, in welcher Armee man ist. Prinzip ist, dass den jungen Leuten erst einmal das Rückgrat gebrochen wird, damit sie in der Militärmaschinerie funktionieren. Einen Menschen mit eigenem Bewusstsein kannst du in einer Armee nicht brauchen. Der funktioniert nicht. Und dann, wenn Leute Kinder kriegen, was wollen die? Die wollen immer, dass sie intelligent sind, Widerspruchsgeist haben, das Gegenteil von dem, was beim Militär aus denen gemacht wird, ohne vor dem Ernstfall, was da an Berufskrankheiten und Unfällen auf die zukommen kann, Angst zu haben.
R: „Der nackte Tod“ (siehe Abb. auf Seite 1) ist die Thematisierung des neuen Bundeswehrordens, oder?
S: Der Orden für Tapferkeit. Das Bild heißt auch „Tapferkeit“ oder „Der geile Tod“.
Einem Skelett kann man nur wenig Mimik verpassen. Man kann höchstens den Kiefer verstellen, damit es lacht oder höhnisch guckt. Alles muss aus der Körperhaltung sprechen.
Das ist so entstanden: ich holte ein körperlich ausdrucksstarkes Modell, das sich ausziehen und möglichst lasziv posieren musste. Davon machte ich Fotos, die ich dann mit einem Gerippe nachstellte.
Sonst bin ich immer noch an dieser Thematik – ich male ja Bilder zum Thema Bundesrepublik – immer so im Abstand von 20 Jahren. Ich habe erst eins gemacht zu 1945, da ist ne rote Fahne mit ‚m kreisrunden Loch drauf, da ist das Hakenkreuz rausgeschnitten. Das gleiche gab es 1989 auch. Da haben wir eine schwarzrotgoldene Fahne und ein kreisrundes Loch, da ist Hammer und Zirkel rausgeschnitten. Und jetzt bin ich gerade bei ’68 …
R: Was schneidest du denn da raus?
S: Nee, so etwas wird es nicht sein. Ich habe da versucht, eine Westperspektive zusammen zu bringen. Für Leute, die im Osten großgeworden sind, ist ’68 Prag, was völlig Anderes als für uns. Das versuche ich, jetzt in Einklang zu bringen, und bin auch schon am Thema 2009, das wird dann das vierte Bild. Die Grundidee war, die politischen Hoffnungen, die wir gehabt haben, darzustellen, und was aus denen geworden ist. Das hat sich dann aber sehr reduziert, weil die Ideen nicht darstellbar sind und weil mein Geschichtsbild zum Teil aus Schwarz-Weiß-Fotos zu bestehen scheint.
Für mich ist ein Symbol vom Ende von ’68, das ist aber ’72, das ist die Verhaftung von Holger Meins, der Schrei, wie dem da die Arme ausgekugelt werden. Das ist für mich das Ende einer bestimmten politischen Ära, das Ende von ’68. Und das werde ich auch darin verarbeiten, auch wenn es erst 1972 stattgefunden hat. Danach war es eine andere Gesellschaft.
R: Du hast dich an den Leuten der RAF abgearbeitet, aber dir ist bewusst, dass die RAF politisch problematisch ist?
S: Ach, wir sind doch alle politisch unheimlich problematisch, du und ich und jeder? Ich glaube, ich habe nie jemanden gefunden, der genauso denkt wie ich. Die Auseinandersetzung über innere und äußere Militarisierung der Bundesrepublik, die Reaktion des Staates und der Protestantismus eines Helmut Schmidt haben mich bis heute beeinflusst.
R: Wobei das ja im Grunde genommen gar nichts war gegen das, was die US-Regierung in den letzten Jahren praktiziert hat … es war ja dann schon noch einmal ein Bruch in der Geschichte, dass Folter zur Staatsdoktrin und als notwendig anerkannt wurde.
S: In meinem politischen Weltbild war das kein großer Bruch, das habe ich dem Militär immer schon zugetraut, auch dass es so etwas in Polizeibehörden gibt. Das sind üble Brüche des Menschen- und Völkerrechts, wogegen wir anzugehen verpflichtet sind.
Es darf nicht sein, dass Soldaten nicht haftbar sind für das, was sie machen.
Erschüttert bin ich, wenn ich erfahre, nach welchen Abmachungen welche Gerichtsurteile getroffen wurden, und von der herrschenden Korruption.
R: Ich war erschüttert davon, dass sich ein amerikanischer Präsident vor alle Öffentlichkeit hinstellen, Folter propagieren und rechtfertigen kann und die Öffentlichkeit das weitgehend ohne Widerspruch hinnimmt.
S: Aber nach diesem 11. September war doch alles Recht außer Kraft gesetzt. Man konnte Staaten überfallen, man konnte alles machen.
R: Ist das Recht nicht immer noch außer Kraft gesetzt?
S: Ich denke ja. Ich hatte eigentlich auch erwartet, dass das noch weitergehen würde. Dass da noch der Iran oder andere Staaten folgen würden, aber aus irgendwelchen Sachen heraus hat das nicht geklappt.
Aber erstaunen tut mich das nicht mehr.
R: An der Bundesrepublik hast du dich abgearbeitet, aber internationale Szenen hast du bisher noch nicht genommen, oder?
S: Ich habe mal zum Thema Kuba gearbeitet. Wenn man westliche Touristen da am Strand liegen sieht … die lesen da Noam Chomsky, während hinter ihnen die einheimische Bevölkerung durchsucht oder nicht an den Strand gelassen wird.
Das war der Strand von Havanna, das Bild heißt ja auch „Havanna Beach“.
Aber das Ausland ist eigentlich nicht mein Thema.
R: Dieses eine Bild mit der Gruppenerschießung, das du gemalt hast, wo war das?
S: Das war ein Foto aus dem Iran. Das habe ich in „Die Zeit“ gefunden und gemalt, als der erste Bundeswehreinsatz stattfand. Ich habe das ausgeschnitten und dann so verarbeitet. Ich habe mir vorgestellt, was machen deutsche Soldaten dann im Einsatz, was wird dann passieren?
Es gibt ja auch Leute vom Militär, wenn du mit denen über bestimmte Sachen redest, z.B. über Waffen, dann sagen die: „Waffen sind gefährlich. Waffen ziehen Gewalt an.“ Du sollst auch keine Waffen zu Hause haben. Da passiert das Gegenteil von dem, was du denkst – es ist kein Schutz!
R: Das sagen auch ehemalige „Stadtguerillas“.
S: Mit dieser Auseinandersetzung kenne ich mich besser aus, als wenn ich etwas über die USA machen würde oder andere Länder, über Polen, Tschechien oder andere Nachbarn, ich war da, kenne die Probleme, aber nicht hautnah, das habe ich nicht erlebt. Am besten kann ich wiedergeben, wo ich auch mitrede.
R: Aber du reist viel?
S: Ja, Reisen schon, aber fast nur in Europa.
Ich habe eine Zeit lang in Lissabon gelebt, damals als die EXPO war, das muss so ’98 gewesen sein, und hatte da auch eine Galerie, die mich mit vertreten hat.
Jetzt arbeite ich mit der Kulturfabrik zusammen, die wird von einem Philosophieprofessor geleitet, die heißt „Fabrica Praco de Braca“, ist eine ehemalige Waffenfabrik, in der jetzt ein privates Kulturzentrum ist.
R: Echte Konversion!
S: Ohne Staatsgelder, wunderbar … schönes Restaurant drin und ein riesiger Buchladen, Platz für Ausstellungen und viele schöne Projekte. Ein Teil meiner Bilder ist in Lissabon, darauf kann zurückgegriffen werden. Ende der ’90er habe ich die damalige Szene portraitiert. Das sieht man im Internet, den Portugal-Katalog.
R: Das heißt, das ist kein temporäres Atelier von dir, sondern du bist da fester angesiedelt?
S: Da lebt eine Freundin unserer Familie mit ihrer Tochter und wir können immer hinfahren.
Aber damals hatte ich auch eine Wohnung und ein Atelier in Lissabon gemietet. Das war aber dieses eine Projekt für die Ausstellung. Jetzt werden die Berliner Bilder da ausgestellt.
R: Was ist dein Zugang zum Anarchismus?
S: Es fing mit einer Kropotkin-Ausgabe aus dem Antiquariat an.
Die habe ich heute noch, die ist von 1910. Später habe ich Proudhon gelesen, alles mögliche, aber das hatte schon wieder mit Kunst zu tun, weil es das berühmte Portrait von ihm und seiner Familie gibt.
Ich habe mich mit der Räterepublik beschäftigt, mit Landauer, Mühsam und anderen anarchistischen Klassikern, weil es mich interessierte.
Bei meinem ersten Studium, das war von 1969-73, habe ich bei Leo Kofler Philosophie studiert. Der ist ein relativ wichtiger Sozialphilosoph gewesen. Er war zwar Marxist, aber es kann schon sein, dass das von dem ausgegangen ist.
Es gab in Köln schon früh eine Anarchoszene und besetzte Häuser.
R: Willy Huppertz mit der „Befreiung“, das Anarchosyndikat …
S: … und die „Tabernakel“-Leute. Die waren gleich gegenüber von der Kunsthochschule. Das war eine Musik-Kommune, die hatten einen Laden, dazu gehörten Klaus von Wrochem (Klaus der Geiger) und Karl Heinz Stockhausen. Und das war sehr libertär angehaucht.
Als ich dann in Berlin ankam, waren da diese K-Gruppen. Da musste man durch, bis man merkte, wie wenig Praxis hinter deren Theorie stand.
Über das „Libertäre Forum“ und den Antiquar und Herausgeber der „Schwarzen Protokolle“, Hansjörg Viesel, habe ich Bernd Kramer vom anarchistischen Karin Kramer Verlag kennen gelernt. So kam ich in diese Berliner Szene.
R: Du bist also gezielt auf die Anarchos zugegangen, aufs Libertäre Forum?
S: Ich habe da von Anfang an mitgemacht und bei Kramers diese Zeitschrift „Engel Luzifer“ gemeinsam gemacht, ein paar Zeichnungen dafür gemacht. Alle, die mitgemacht haben, mussten auch mitfinanzieren.
R: Ja, den letzten „Engel Luzifer“ habe ich auch noch mitgemacht. Da sind ein paar Cartoons von mir drin. Ich habe dann noch das Sterben des Libertären Forums mitgekriegt.
S: Ich glaube, dass es in der Kunst schwierig ist, irgendwas festzumachen, als einen … Ismus irgendwo in eine Schublade zu tun, weil es sich entwickelt hat und weiter entwickelte, meist bis zur nächsten schlimmen politischen Zäsur.
Ich bin auch fasziniert von den italienischen Futuristen. Geniale Sachen, die da entstanden sind. Das waren absolut verrückte Leute. Die kamen teils aus Häusern mit viel Geld, aber haben deswegen oder trotzdem wunderbare Sachen gemacht.
R: Was würdest du als die Aufgabe einer libertären Kunst ansehen? – Gibt es so etwas überhaupt, kann es so etwas überhaupt geben?
S: Man darf sich als Künstler auf keinen Fall in eine politische Gruppe integrieren, nicht Sprachrohr von jemandem werden, sondern seine eigenen Gedanken verarbeiten und wiedergeben. Das ist wichtig.
Heidi Paris vom Merve-Verlag hat mal etwas Schönes über mich gesagt: Wichtig sei es, kein malender Anarchist zu sein, sondern ein anarchistischer Maler.
R: Vielen Dank für das Gespräch!
Weitere Infos und Bilder
Kommende Sigurd Wendland-Ausstellungen:
in Berlin, Januar bis März 2010 große Retrospektive, Ort und Datum ab November auf: www.sigurdwendland.de
in Hamburg, Galerie Rose. Datum ab November: www.galerierose.com
in Berlin Werkstattgalerie. Datum ab November: www.werkstattgalerie.org