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Von abgeschossenen Muezzins und mörderischen Muslimen

Volksinitiative in der Schweiz: "Der Bau von Minaretten ist verboten"

| Sebi

Am letzten Novemberwochenende 2009 wurde in der Schweiz über ein Bauverbot von Minaretten abgestimmt. Knapp 60% der an der Abstimmung teilnehmenden Stimmbürgerinnen und Stimmbürger votierten für die Initiative.

Dem Initiativkomitee gehörten lediglich Exponentinnen und Exponenten der nationalkonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) und der christlich-fundamentalistischen Eidgenössisch-Demokratischen Union (EDU) an.

Umso erstaunlicher war für viele der Ausgang der Abstimmung. Denn obwohl die SVP im Moment die stärkste Partei der Schweiz ist, erreicht sie auf nationaler Ebene zusammen mit der Kleinstpartei EDU nur gerade einmal einen Wahlanteil von gut 30%.

Die „Minarett-Initiative“

Die Volksinitiative ist zusammen mit dem Referendumsrecht das wichtigste Instrument zur politischen Einflussnahme im direktdemokratischen System der Schweiz. Mit ihr kann eine Abstimmung über eine Revision der Bundesverfassung erzwungen werden, sofern innerhalb von 18 Monaten 100.000 Unterschriften von Stimmberechtigten gesammelt werden können. Im Fall der „Minarett-Initiative“ betraf der Änderungsvorschlag den Artikel, der das Verhältnis zwischen Kirche und Staat regelt. Er sollte ergänzt werden mit dem Passus „Der Bau von Minaretten ist verboten“.

Nun könnte man ausgehend vom Abstimmungsergebnis schließen, dass die Forderung des Komitees tatsächlich ein virulentes Problem in der Schweiz zu beseitigen versprach. Doch selbst wenn man der Ansicht ist, dass Minarette eine Gefahr für das Land darstellen, muss man zugeben, dass diese Bauten eine höchst marginale Rolle innerhalb des muslimischen Lebens in der Schweiz spielen: Von den rund 160 Moscheen im Land, die, von außen kaum zu erkennen, oftmals in städtischen Industriequartieren stehen, verfügen heute lediglich vier über ein Minarett. Von keinem ruft ein Muezzin zum Gebet.

Eine Schweizer Abstimmungskampagne

Das Initiativkomitee machte schon zu Beginn der Abstimmungskampagne klar, dass es ihnen um viel mehr geht als um das Minarett-Verbot. In ihrem Argumentarium stand folglich das Minarett nicht als Ausdruck eines architektonischen Bestandteiles eines islamischen Gotteshauses zur Debatte, sondern als „leerer Signifikant“ für eine beliebige Auswahl paranoider Vorstellungen über „den“ Islam. Die dichteste Kumulation dieser Ängste und gleichzeitig Sinnbild der ganzen Kampagne stellte das Abstimmungsplakat der SVP dar. Wie bereits in vergangenen Jahren (1) gelang es der Werbeagentur GOAL mit ihrem Geschäftsführer Alexander Segert meisterhaft, eine gefühlte Bedrohung mit einer überaus starken Symbolsprache zu visualisieren.

Sofort ins Auge springt auf dem Plakat eine dunkle, düster blickende Frau mit schwarzem Ganzkörperumhang und Gesichtsschleier. Der Hintergrund wird dominiert von einer in leuchtendem Rot und Weiß gehaltenen Schweizer Flagge, die von zahlreichen, an Raketen erinnernden schwarzen Minaretten durchstoßen wird.

Das untere Drittel des Plakates ist dominiert von der simplen Botschaft „Stopp“ und „Ja“, gefolgt von einem sehr viel kleiner geschriebenen „zum Minarettverbot“.

Im Unterschied zu früheren Abstimmungsplakaten der SVP fehlt ihr Logo – eine lachende, über grünen Hügeln aufgehende Sonne mit kleinem Schweizerkreuz. Dieser Verzicht lässt zwei Schlüsse zu, die jedoch beide auf den suggerierten „Clash of Civilization“, auf eine unüberbrückbare Dichotomie holistisch gedachter Gegensätze hinweisen – „das“ Christentum gegen „den“ Islam, „das“ Abendland gegen „den“ Orient. Einerseits folgt daraus, dass mit dieser Initiative keine Partikularinteressen verfolgt werden sollen: Die Bedrohung geht uns alle etwas an.

Diese Mentalität des „wir gegen die“ hat in der Schweiz eine lange Tradition und wird von nationalkonservativen Parteien immer noch gerne bedient.

Andererseits lässt die Auslassung des Parteisymbols die farblichen Gegensätze noch stärker zum Vorschein treten: Der Islam – bedrohlich bis todbringend, da finster und opak – attackiert die Schweiz, exemplifiziert an dem selbst sehr symbolträchtigen Schweizerkreuz. Dieses hat seinen Ursprung in der christlich geprägten, mythisch überhöhten „Alten Eidgenossenschaft“.

Das Rot im Plakat steht daher nicht nur für Gefahr, sondern ebenso für das durch die märtyrerhaften Eidgenossen vergossene Blut. Analog dazu bezieht sich das Weiß nicht nur auf das „weiße“ Westeuropa, sondern symbolisiert ebenso die Reinheit der urtümlichen Schweiz. Das Schweizerkreuz fungiert hier also auch als Brücke zwischen alter und moderner Schweiz.

Ein weiteres interessantes Detail sind die langen, nach oben links fallenden Schatten der Minarette. Sie besagen nicht nur, dass die Gefahr gleich der aufgehenden Sonne noch zunehmen wird, sondern auch, woher diese kommt – aus dem Osten, präziser: aus den arabischen Ländern. Diese „Gefahr aus dem Osten“ hat ebenfalls eine wichtige historische Dimension, die von isolationistischen Kräften in der kollektiven Seele in so verschiedenen Kontexten wie dem scheinbar unaufhaltsamen Vorrücken der türkischen Armeen in der frühen Neuzeit, dem Bolschewismus im 20. Jahrhundert oder der dank der Personenfreizügigkeit einreisenden Roma und Sinti aus Rumänien aktiviert wird.

Ebenso zielsicher wie in der Gestaltung des Plakates waren SVP und GOAL auch in dessen Promotion. Nachdem die Stadt Basel den öffentlichen Aushang des Plakates wegen ihres als rassistisch taxierten Motivs verboten hatte, wurde es in den Medien breit diskutiert. Diese Diskussion hat nicht nur dazu geführt, dass das Initiativkomitee durch die Abbildung des Plakatsujets massenhaft Gratiswerbung bekam, sondern auch, dass sich die SVP wochenlang als Opfer der staatlichen Zensur zelebrieren konnte.

Just als diese Welle abzuflauen drohte, wurde von GOAL ein Onlinespiel lanciert, das abermals fast zwangsläufig für Aufsehen sorgen musste. Vor einer idyllischen Berglandschaft und untermalt von heimatlichen Klängen hatte die Spielerin oder der Spieler in diesem den Auftrag, den Bau von Minaretten zu verhindern. Im Stile der bekannten „Moorhuhn“-Serie konnte dies mit dem „Abschießen“ (2) von aus dem Boden wachsenden Türmen bewerkstelligt werden. Wurde das Minarett trotz Sperrfeuer fertiggebaut, trat sogleich ein zum Gebet rufender Muezzin auf den Balkon. Dieser konnte dann nur noch durch einen gezielten Klick zum Schweigen gebracht werden. Das Spiel ist inzwischen vom Netz genommen worden – seinen Zweck hat es erfüllt.

Ganz ähnlich ging die SVP übrigens schon vor zwei Jahren vor, als eine andere Werbeagentur vier Spiele unter dem Titel „Zottel rettet die Schweiz“ entwickelte. Zottel, eine Schweizer Bergziege und Maskottchen der Partei, musste darin unter anderem „schwarze Schafe“ (sprich: kriminelle Ausländer) aus der Schweiz kicken, „Steuervögte“ der EU mit der Armbrust abschießen und Politiker der Grünen überfahren, die am Straßenrand Radarfallen aufstellten.

Weit weniger gekonnt agierte die Juniorpartnerin im Initiativkomitee, die EDU. In einem Beitrag des Nachrichtenmagazins Rundschau des Schweizer Fernsehens wurde ihr eigenes Abstimmungsplakat thematisiert. Dieses zeigt ein Minarett, das mitten in eine idyllische Altstadt retuschiert wurde. Es wurde nicht nur deutlich gemacht, dass die Altstadt mitnichten in der Schweiz, sondern im ostdeutschen Quedlinburg liegt, sondern auch, dass die Besitzer eines der abgebildeten Hotels wegen der nicht genehmigten Verwendung rechtliche Schritte einleiten ließen.

Damit jedoch noch nicht genug. Auch wollte sich die EDU nicht nur mit Scharfmachern aus den eigenen Reihen begnügen, um im Vorfeld des Volksentscheids Stimmung gegen die Muslime zu machen. Mehrmals besuchte beispielsweise der Israeli Avi Lipkin die Schweiz. In seinen Referaten legte er dar, dass Allah Satan höchstpersönlich sei. Zudem bläute er der gebannten ZuhörerInnenschaft ein, dass die Muslime mal eben „die Juden am Samstag und die Christen am Sonntag“ umbringen würden. Friede mit den Muslimen zu fordern, sei folglich dasselbe, wie Frieden mit den Nazis zu wollen. Die Botschaft kam an: „Sie habe nun“, so meinte eine Zuhörerin, „ein viel besseres Bild erhalten, was da auf uns zukomme, wenn wir die Minarett-Initiative annehmen.“ (3)

Gründe für den Erfolg

Nach dieser Abstimmungskampagne herrschte bei den „Expertinnen“ und „Experten“ die Ansicht vor, dass es dem Initiativkomitee tatsächlich gelungen sei, solche diffusen Ängste vor dem Islam zu wecken.

Dies deckt sich mit den statistischen Befunden, die eine große Zustimmung vor allem in den ländlichen Gegenden ausmachen, in denen kaum Muslime leben, geschweige denn ein islamisches Kulturzentrum existiert. Weiter hätten die stetigen Hinweise auf die „Unterdrückung der Frau im Islam“ eine nicht zu unterschätzende Mobilisierungswirkung im „linken, feministischen“ Lager zur Folge gehabt. Tatsächlich haben die Verbotsbefürworterinnen und -befürworter immer wieder auf die „unhaltbaren Zustände“ der Frauenunterdrückung im Islam hingewiesen.

Damit haben sie sicher bis zu einem bestimmten Grad Recht: Wie in allen Buchreligionen ist das Unterdrückungsverhältnis auch im Islam institutionalisiert. Jedoch zeigt dieses Argument ebenso die Heuchelei des Initiativkomitees, das zu drei Vierteln aus Männern besteht.

Während die EDU ihr Parteiprogramm auf die Basis des Alten Testaments stellt und ein dem entsprechendes Frauenbild vertritt, kämpften Vertreter der SVP jahrzehntelang gegen die Gleichstellung von Mann und Frau.

Es zeigen sich aber auch gewisse historische Kontinuitäten auf, die viel weiter in der Zeit zurückgehen als die ausgefeilten Propagandatechniken von SVP & Co. Bereits 1893 hatte eine ähnlich gelagerte Volksinitiative Erfolg. Diese verlangte ein Schächtverbot, angeblich zum Schutz der Tiere, de facto jedoch aus antisemitischen Beweggründen.

Tatsächlich lassen sich seit der Gründung des Bundesstaates 1848 immer wieder exklusionistische Diskurse unter religiösen und/oder rassistischen Vorzeichen beobachten. Z.B. gab es bis gegen Ende des 20. Jahrhunderts sogenannte „Ausnahmeartikel“ in der Bundesverfassung, die im Zuge des Kulturkampfes in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gegen die Katholisch-Konservativen eingeführt wurden. Vor allem im 20. Jahrhundert gab es dann immer wieder Wellen von „Überfremdungsängsten“. Diese äußerten sich u.a. in politischen Vorstößen wie der „Schwarzenbach-Initiative“ von 1970, die eine Reduktion des AusländerInnenanteils in der Schweiz auf 10% forderte. (4)

Wie weiter?

Wenig erstaunlich wartete die SVP schon Stunden nach dem Abstimmungserfolg mit einer Reihe weiterer Forderungen auf, die die Rechte von vielen gläubigen Muslima und Muslimen einschränken würde.

Bald werden wohl weitere Partikularthemen wie ein Kopftuchverbot für Staatsangestellte diskutiert werden müssen. Aber auch Politikerinnen und Politiker der Mitte versuchen nun, mit antiislamischen Ressentiments zu punkten.

So propagierte der Präsident der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP), Christophe Darbellay, bereits einen Tag nach der Abstimmung nicht nur ein Verbot der „Burka“ (5), sondern ebenfalls von jüdischen und muslimischen Friedhöfen.

Natürlich gab es aber auch dezidiert negative Reaktionen auf den Entscheid.

Wenige Stunden nach der Annahme der „Minarett-Initiative“ versammelten sich in Zürich rund 2.000 Menschen, um gegen das Ergebnis zu demonstrieren. Unterstützt wurden sie dabei von kleineren Manifestationen in zahlreichen anderen Orten.

Zwei Tage später fanden auch in verschiedenen Westschweizer Städten Kundgebungen statt, zu denen sich mehr als 7.000 Menschen einfanden.

Es ist davon auszugehen, dass in den nächsten Wochen noch weitere Demos folgen werden.

Noch nicht geklärt ist allerdings, ob das Minarettverbot überhaupt konform ist mit der Europäischen Menschenrechtskonvention. Für den Fall, dass einer allfälligen Klage vor dem Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg stattgegeben wird, hat die SVP vorsorglich bekannt gegeben, die Kündigung der Konvention zu fordern. Da dieses Vorhaben jedoch kaum durchsetzbar sein wird, würde in einem solchen Fall der entsprechende Absatz in der Verfassung faktisch außer Kraft gesetzt werden.

Doch selbst wenn dies eintreffen sollte, der angerichtete Flurschaden ist beträchtlich.

(1) Zu den früheren Plakatkampagnen der SVP siehe den Artikel "Schwarze Herzen, weiße Schafe und rote Ratten", in: GWR 324, Dez. 2007

(2) Selbstverständlich handelte es sich beim Cursor nicht um ein Fadenkreuz, sondern um ein Verbotsschild. Den "Link" muss der oder die Spielende schon selber denken.

(3) Siehe den Beitrag "Hass gegen Islam" in der "Rundschau" vom 21.10.09, zu finden auf www.sf.tv

(4) Ulrich Schlüer, der damalige Sekretär vom Initiator der Initiative, James Schwarzenbach, ist heute einer der Vordenker des rechten SVP-Flügels und wirkte im "Anti-Minarett"-Initiativkomitee als einer der drei Vorsitzenden.

(5) Mit der Forderung nach einem solchen Verbot wird der Populismus auf die Spitze getrieben, denn eine "Burka" ist nicht gleichbedeutend mit einem Gesichtsschleier (Niqab), der im Gegensatz zu ersterer durchaus in der Schweiz zu sehen ist, allerdings fast ausschließlich getragen von Touristinnen aus der Arabischen Halbinsel.