gewaltfreiheit

50 Jahre SNCC

Die Sit-In-Bewegung in den Südstaaten der USA (Feb.-Juni 1960) und das SNCC-Mitglied Howard Zinn (1922-2010)

| The Lamia

Am 27.1.2010 starb der am 24.8.1922 geborene US-amerikanische Autor Howard Zinn. Er war emeritierter Professor der Boston University, einer der einflussreichsten Historiker, Politikwissenschaftler und neben Noam Chomsky der bekannteste US-amerikanische Anarchist des 21. Jahrhunderts. Als Praktiker der Geschichte von unten bot er eine Revision der amerikanischen Geschichtsschreibung, nicht zuletzt auch mit seinem Standardwerk A People's History of the United States, das eine Millionenauflage erreichte. Der folgende Artikel erinnert an sein Engagement als SNCC-Aktivist in den 60er Jahren. (GWR-Red.)

Howard Zinn war u.a. auch Berater und gewaltfreier Aktivist bei der wichtigsten afrikanisch-amerikanischen Bürgerrechtsorganisation Student Nonviolent Coordinating Committee (SNCC). Deren Gründungszeit und gewaltfreie Massenaktionen erlebte er während seiner Zeit als Professor für Geschichte am Spelman College in Atlanta, Georgia, von 1956 bis 1963 mit. Es war wohl die Zeit, die ihn politisch am meisten prägte.

Immer wieder hat Zinn in seinen Arbeiten über US-amerikanische Geschichte von unten oder in seiner Autobiographie Schweigen heißt Lügen (Edition Nautilus, Hamburg, März 2010; siehe Vorabdruck des Nachworts in GWR 342, Okt. 2009, Libertäre Buchseiten, S. 1) die Bedeutung des SNCC für die afrikanischen AmerikanerInnen, aber auch für die Neue Linke, die StudentInnen- und die Anti-Vietnamkriegs-Bewegung hervorgehoben.

Denn diese Basisgruppen-Organisation der Schwarzen hat direkte gewaltfreie Massenkampagnen durchgeführt, die dann in anderen sozialen Bewegungen nicht nur in den USA, sondern weltweit immer wieder aufgegriffen wurden. „Sit-In“, „Go-In“, „Teach-In“ wurden dabei sogar in ihren englischen Originalbezeichnungen zur Beschreibung direkter Aktionen übernommen; in den siebziger Jahren gab es einen internen Rundbrief im graswurzelrevolutionären Netzwerk gewaltfreier Aktionsgruppen mit dem Titel „Info für gewaltfreie Organisatoren“, direkt benannt nach dem Begriff des SNCC-„Organizer“.

Nur um wenige Tage hat Howard Zinn somit das 50jährige Jubiläum der historischen Sit-In-Bewegung gegen die Segregation in den US-Südstaaten verpasst.

Die Sit-In-Bewegung 1960

Am späten Nachmittag des 1. Februar 1960 hatten Joseph McNeil, Izell Blair, Franklin McCain und David Richmond – alle vier schwarze Studenten am North Carolina Agricultural and Technical College – in Greensboro im US-Bundesstaat North-Carolina „einige Sachen im Woolworth-Laden gekauft und setzten sich dann an die Essenstheke, die für Weiße reserviert war. Sie baten darum, bedient zu werden. Das wurde ihnen verweigert. Als eine Bedienung sie aufforderte zu gehen, erklärten sie freundlich, dass sie einige Dinge in einer anderen Abteilung des Geschäfts gekauft hatten und es ihnen nun erlaubt sein sollte, doch auf den Hockern zu sitzen und nicht herumzustehen … Die Studenten hatten eigentlich erwartet, verhaftet zu werden. Stattdessen entdeckten sie eine Taktik, die nicht nur ihren lange zurückgehaltenen Unmut ausdrückte … Die vier blieben fast eine Stunde auf ihren Hockern sitzen, bis das Geschäft schließlich schloss. Nachdem sie zum Campus zurückgekehrt waren, sprachen sie mit dem Vorsitzenden der Studentenvertretung und mobilisierten weitere StudentInnen für ein weiteres Sit-In. Am nächsten Morgen ging eine Gruppe von dreißig Studierenden in das Geschäft und besetzte die Essenstheke.

Wieder gab es keine physische Konfrontation, aber dieses zweite Sit-In, das zwei Stunden dauerte, erregte die Aufmerksamkeit örtlicher Zeitungsreporter. Eine Nachrichtenagentur brachte eine überregional verbreitete Meldung von der Aktion und sprach von einer Gruppe ‚gut gekleideter schwarzer Collegestudenten‘, die ihr Sit-In mit einem Gebet beendet hätten. Am folgenden Morgen, einem Mittwoch, besetzte eine noch größere Gruppe nahezu alle der 66 Plätze an der Essenstheke.

Am Nachmittag kamen noch drei weiße Studenten aus dem Greensboro College hinzu.

Staatliche Stellen versuchten vergeblich, die Leitung des Colleges zu zwingen, mäßigend auf die StudentInnen einzuwirken. Die Proteste weiteten sich aus und am Donnerstagmorgen nahmen bereits Hunderte schwarzer StudentInnen an ihnen teil. Viele weiße Jugendliche hatten sich ebenfalls im Stadtzentrum von Greensboro versammelt. Sie beschimpften und bedrohten die schwarzen Protestierenden und versuchten, Plätze für die weiße Kundschaft freizuhalten.

Nach wiederholten Unterbrechungen des Geschäftsbetriebs und einer telefonischen Bombendrohung entschloss sich der Geschäftsführer am Ende dieser Woche, den Laden zu schließen.“ (Carson, S. 46f.) (1)

Die Ereignisse in Greensboro und die überregional verbreiteten Berichte darüber waren der Startschuss für ähnliche direkte gewaltfreie Massenaktionen in vielen Städten über die gesamten US-Südstaaten hinweg. Sie alle gingen von schwarzen StudentInnen – den Söhnen und Töchtern weniger wohlhabender Schwarzer, die ihren Kindern ein Studium finanzieren konnten – aus, erreichten aber schnell die gesamte schwarze Bevölkerung in den Städten und sogar vereinzelt ländliche PlantagenarbeiterInnen. Segregierte Restaurants, Hotels, Läden, Geschäfte, Kneipen, Parkbänke, Busse, Wartesäle, Toiletten, öffentliche Trinkstellen mit Wasserhähnen, regionale Verwaltungen und Parlamente, sogar Strände und Schwimmbäder wurden Zielobjekte von Sit-In-Aktionen. Die Welle direkter gewaltfreier Aktionen – alle durchweg illegal nach den Gesetzen in den US-Südstaaten – ging bis in den Juni hinein. Über 50.000 AktivistInnen beteiligten sich daran. Es kam zu Hunderten von Verhaftungen.

„Für die schwarzen StudentInnen in den Südstaaten des Frühlings 1960 war die gewaltfreie Aktion ein nahezu unwiderstehliches Modell für soziale Aktion. Im gesamten Jahrzehnt sollte sich die Anzahl der am Protest beteiligten StudentInnen nicht mehr derjenigen annähern, die in den von Schwarzen besuchten Colleges des Südens vom Februar bis Juni 1960 erreicht wurde. An vielen Colleges war die Unterstützung der Sit-Ins fast durchgängig. Mehr als neunzig Prozent der StudentInnen am North Carolina Agricultural and Technical College sowie drei nahe gelegener Colleges nahmen an den Demonstrationen teil oder halfen der Bewegung durch Boykotts oder Mahnwachen vor Läden, die die Segregation praktizierten. Manche AktivistInnen meinten, es sei ‚wie ein Fieber‘ gewesen. ‚Jeder wollte dabei sein. Wir waren so glücklich.'“ (S. 50f.)

Ella Baker und die Gründung des SNCC am 16.-18. April 1960 in Releigh, North Carolina

Ella Baker (1903-1986) hatte bereits zu Beginn der dreißiger Jahre mit dem anarchistisch angehauchten schwarzen Genossenschafter George Schuyler zusammengearbeitet und war in Harlem in der Arbeiterbildung tätig gewesen. 1955-56 war sie als Geschäftsführerin für Martin Luther Kings Pastorenorganisation SCLC (Southern Christian Leadership Council) während des Busstreiks von Montgomery tätig gewesen.

Sie sah dort, wie die gerade begonnene Bewegung trotz ihres Erfolgs zusammenbrach, als Martin Luther King 1957 von Montgomery wegging, und führte dies auf ihre Abhängigkeit von charismatischen Führungspersonen wie King zurück.

Als die Welle der Sit-Ins im Februar 1960 ausbrach, trat sie alsbald aus dem hierarchisch strukturierten SCLC aus und lud ihr bekannte AktivistInnen der Sit-In-Bewegung aus verschiedenen Städten mit einem Rundbrief zur Konferenz von Raleigh ein, wo Mitte April 1960 das SNCC gegründet wurde.

Das SNCC verstand sich fortan als gewaltfreie Basisorganisation mehrheitlich schwarzer AktivistInnen, die selbstbestimmt und unabhängig durchgeführte Gruppenaktionen vor Ort lediglich „koordinieren“ – und eben nicht von oben nach unten dirigieren – wollte, daher der Name „Coordinating Committee“. Das SNCC war fortan neben CORE (Congress for Racial Equality; der jedoch mehr im Norden als in den Südstaaten beheimatet war) und dem SCLC die radikale Speerspitze der Bürgerrechtsbewegung und der direkten gewaltfreien Aktionen der Schwarzen.

Das SNCC führte praktisch diejenigen Aktionen an der Basis durch, für die dann Martin Luther King weltweit berühmt werden sollte, obwohl dieser gar nicht Mitglied im SNCC war. Das Verhältnis war gespannt, wegen des Basisanspruchs des SNCC und des führungsorientierten Politikstils im SCLC, aber King ließ sich tatsächlich auch von den radikalen Aktionen und Inhalten des SNCC herausfordern, so dass über die Jahre hinweg ein gegenseitiger Respekt entstand. In dieser Konstellation wurden die weiteren Kampagnen der Civil-Rights-Bewegung durchgeführt, die Freiheitsfahrten in Überlandbussen 1961, die Kampagnen in McComb/Mississippi und Albany/Georgia 1961/62, die Kampagnen der Begleitung analphabetischer schwarzer PlantagenarbeiterInnen zur Eintragung in die Wahllisten, die bis zum „Summer of Freedom“ 1964 dauerten, bis dann schließlich als greifbarer Erfolg 1964 das Antidiskriminierungsgesetz und 1965 das Wahlgesetz für Schwarze von Präsident Johnson unterzeichnet wurde.

Howard Zinns politische Sozialisation als Berater und Aktivist des SNCC

In seiner Zeit am Spelman College war Howard Zinn nach Gründung des SNCC zugleich juristischer Berater und Aktivist. Er war einer der rund 20 Prozent weißen AktivistInnen innerhalb der mehrheitlich afrikanisch-amerikanischen Organisation, bevor das SNCC dann im Rahmen seiner Black-Power-Phase ab Dezember 1966 ihre weißen AktivistInnen ausschloss.

Zu den studentischen AktivistInnen, mit denen Zinn zusammenarbeitete, zählten u.a. Alice Walker (spätere Autorin von Die Farbe Lila) oder die schwarze Feministin, Abtreibungsbefürworterin und Kämpferin gegen den weit verbreiteten Besitz von Schusswaffen in den USA, Marian Wright Edelman.

Obwohl Zinn eigentlich eine unkündbare Stelle auf Lebenszeit am Spelman College in Atlanta hatte, wurde er dort 1963 aufgrund seiner Beteiligung an Sit-Ins, seiner vielen Zeitungsartikel und seiner Solidarisierung mit direkten gewaltfreien Aktionen der Schwarzen gegen die Segregation entlassen, worauf er 1964 an die Universität von Boston ging. Dort schrieb er zwei Bücher über diese erste, gewaltfreie Phase des SNCC, The Southern Mystique (1964) und eine erste Aktions- und Organisationsgeschichte, SNCC: The New Abolitionists (1964). Letzteres Buch hatte großen Einfluss und wurde in den USA bereits 1965 ein zweites Mal aufgelegt. Clayborne Carson benennt es bereits in der Einleitung seiner Gesamtdarstellung der Geschichte des SNCC, Zeiten des Kampfes, als erste seiner Hauptquellen (S. 42, 573), die er dann immer wieder zitiert.

Es ist bezeichnend für den Rezeptionswillen und die Rezeptionsgeschichte der deutschsprachigen Linken, dass diese Bücher Howard Zinns bis heute nicht übersetzt wurden, wohlweislich weil sie „nur“ die gewaltfreie Phase und nicht die spätere, ebenso militante wie identitäre und separatistische Phase des SNCC behandelten – dabei können im Rückblick Gründe dafür angeführt werden, dass diese erste Phase nicht nur die erfolgreichere, sondern auch die basisorientiertere und damit eigentlich libertäre Phase im Gegensatz zum Zentralismus verbalradikaler Kader und ihrer bewaffneten Strategie der „Selbstverteidigung“ der zweiten Phase war, was auch die Gesamtdarstellung von Carson anhand einer Fülle von Materialien verdeutlicht.

Zinn war damals durch seine Erfahrungen vor Ort von der von ihm erlebten Zusammenarbeit einer schwarzen Mehrheit und einer weißen, in weiten Teilen gleichzeitig jüdischen Minderheit ziemlich euphorisch.

Carson zitiert ihn: „Im Frühling 1964 sprach Howard Zinn optimistisch vom ‚magischen sozialen Effekt, der dadurch entsteht, dass Leute zusammen leben, arbeiten und leiden.

Freundschaften und Liebesbeziehungen haben die Rassenschranken im SNCC überschritten.‘ Zinn versicherte, ‚jüngste Aufrufe von Malcolm X und anderen, die Schwarzen sollten zur Selbstverteidigung greifen, sogar zur Vergeltung gegen Gewaltakte der Weißen, haben innerhalb des SNCC keine Zustimmung gefunden‘, auch wenn ‚einzelne SNCC-Mitglieder zuweilen ihre Sympathie für solche Positionen ausgedrückt haben.‘ Aber Zinns Glaube, die Arbeit des SNCC ‚zeige den Weg zur antirassistischen Gesellschaft auf‘, kontrastierte mit den Befürchtungen unter vielen älteren SNCC-AktivistInnen, dass der entgegengesetzte Trend entstehe.“ (S. 205) Hier sollten die älteren AktivistInnen gegen den damals euphorischen Zinn leider Recht behalten.

Besonderen Anteil nahm Zinn am großangelegten Projekt des „Summer of Freedom“ von 1964, das vor allem auf die Idee und die Aktionsstrategie des gewaltfrei-libertären Aktivisten Robert („Bob“) Moses im SNCC zurückging. In diesem Sommer wurden die jungen schwarzen und weißen Mittelklassen-Söhne und -Töchter in den Nordstaaten dazu aufgefordert, über mehrere Monate hinweg in den Süden zu kommen, dort den analphabetischen schwarzen PlantagenarbeiterInnen Lesen und Schreiben beizubringen und sie zur – komplizierten und mit einem Fragenkatalog verbundenen – Eintragung in die Wahllisten auf die Behörden zu begleiten. In den vielen „Freedom Schools“ dieses „Summer of Freedom“ entstand das, was für Zinn später Geschichtsschreibung von unten ausmachen sollte.

Den Schwarzen wurde nicht nur Lesen und Schreiben gelehrt, sondern erstmals überhaupt stand auch die Geschichte der Schwarzen selbst im Zentrum des Lehrplans. Es waren Volksuniversitäten in bester Absicht, durchgeführt von Freiwilligen wie Howard Zinn. Carson schreibt dazu: „Die Freiheitsschulen überlebten den Sommer und gehörten zu den ersten Versuchen des SNCC, bestehende Institutionen durch alternative zu ersetzen. Howard Zinn schrieb, sie seien eine Herausforderung für die US-amerikanische Erziehung gewesen, weil sie ‚die provokante These untermauerten, ein ganzes Schulsystem könne von einer Gemeinschaft außerhalb der bestehenden Ordnung und in Kritik an deren Grundlagen aufgebaut werden.‘ Für Zinn stellten die Freiheitsschulen die Zukunft des US-amerikanischen Erziehungssystems in Frage. Können LehrerInnen und SchülerInnen ‚durch die Faszination herausfordernder sozialer Zielvorstellungen statt durch Titel zusammenfinden?‘ Können LehrerInnen Werte vermitteln, ‚ohne gleichzeitig den Schülern die Idee des Lehrkörpers aufzuzwingen?‘ Und können LehrerInnen ‚mutig erklären, dass es zu den Aufgaben der Schule gehört, Antworten auf gesellschaftliche Fragen wie Armut, Ungerechtigkeit, Rassismus und nationalistischen Hass zu finden und alle Bildungsanstrengungen auf die landesweite Lösung dieser Fragen zu lenken?‘ Wenngleich nur wenige SNCC-Kader direkt an der Fortsetzung der Freiheitsschulen beteiligt sein sollten, wurden die Schulen weiter durch die antiautoritäre Grundhaltung des SNCC geprägt. Sie waren Modell und Experimentierfeld für spätere alternative Schulformen und TutorInnenprojekte im gesamten Land.“ (S. 239f.)

Die letzte wirklich einflussreiche Tat Howard Zinns im Rahmen des SNCC war seine Aufforderung, dass das SNCC sich im Rahmen der entstehenden Anti-Vietnamkriegs-Bewegung in einer öffentlichen Erklärung explizit gegen den Krieg aussprechen müsse – eine Erklärung, die schließlich nach langer Diskussion und dem Mord am schwarzen Marinesoldaten Sammy Younge, der bei SNCC-Projekten mitgeholfen hatte und erschossen wurde, als er versuchte, den Wartesaal für Weiße an einer Tankstelle zu betreten, am 6. Januar 1966 abgegeben wurde.

Carson dazu: „Howard Zinn schrieb, das SNCC könne keine Unterstützung von der schnell wachsenden Antikriegsbewegung erwarten, wenn es sich nicht deutlich zum Krieg positionierte. Zweifellos riskierte das SNCC als Ergebnis einer Antikriegserklärung einen großen finanziellen Verlust (Rückgang von Spenden; d.A.), der nicht wieder aufgefangen werden konnte, aber Zinns Warnung war ein Appell an die moralischen Grundlagen des SNCC und beeinflusste wahrscheinlich einige unentschiedene Kader. Zinn fragte, was die Mitglieder des SNCC wohl denken würden, wenn Mitglieder von Friedensorganisationen keine klare Position zur Situation in Mississippi äußerten, weil sie nicht zu Themen Stellung nehmen wollten, die nicht ihr zentrales Anliegen sind. ‚Ich glaube, die Leute aus der Bewegung würden verärgert reagieren, und sie hätten Recht. Sie würden fragen: ‚Geht uns nicht das Leid aller Menschen an?'“ (S. 348f.)

Die Rezeption Zinns durch die US-StudentInnenbewegung

Als sich das SNCC bereits mitten im Streit um den Ausschluss seiner weißen AktivistInnen und einen künftigen Kurs des schwarzen Separatismus befand, wurde es besonders von den weißen StudentInnen der Nordstaaten als Vorbild rezipiert.

Das geschah oft direkt über Zinns SNCC-Bücher, wie Carson bemerkt: „Zinn bezeichnete als wichtigste Qualität des SNCC, dass es, ‚ohne anmaßendes Märtyrertum den betrügerischen Schein eines verzerrten Wohlstands ablehnte. Es geht zudem darum, sich einen lange verschütteten emotionalen Zugang zum Leben wiederanzueignen, der über Politik und Ökonomie hinausgeht, um die Hindernisse aus dem Weg zu räumen, die die Menschen davon abhalten, zueinander Kontakt aufzunehmen.‘

In einer lobenden Rezension von Zinns Buch behauptete der führende SDS-Aktivist Tom Hayden, die Quelle des ‚unverwechselbaren Charakters‘ des SNCC sei ‚dessen Ursprung in der Erfahrung unterdrückter Schwarzer.‘ Die schwarzen SNCC-OrganisatorInnen erhielten ihre Stärke von den Schwarzen in den Südstaaten, die weit außerhalb ‚der städtischen industriellen Gesellschaft‘ lebten und die es gelernt hätten, das Leid auszuhalten. ‚Die Würde, Einsicht und das Vorbild des Schwarzen vom Lande demonstriert den Studenten, dass sie auf der Grundlage eines Lügengespinstes aufgewachsen sind‘, schrieb Hayden. ‚Diese Bewegung wurzelt in Regionen, die auf tragische Weise den Makel der amerikanischen Moral und ihrer Versprechen bezeugen.‘ Dieser Blick weißer Aktivisten auf das SNCC war manchmal von einer romantischen Sicht auf die Schwarzen getrübt, aber er beschleunigte wirksam die Entwicklung der Neuen Linken.

Der führende SDS-Aktivist (hier „Students for a Democratic Society“; d.A.) Norm Fruchter (Redaktionsgruppe der Zeitung Studies on the Left; d.A.) sprach in der damals üblichen Art und Weise in einem Essay über das SNCC, den er direkt nach einem einwöchigen Aufenthalt bei SNCC-Kadern in Mississippi geschrieben hatte: ‚Die wichtigste Grundsatzthese des SNCC ist die, dass ein Individuum erst frei genannt werden kann, wenn es all die Entscheidungen, die sein Leben betreffen, wirksam kontrollieren und ausführen kann.‘ Fruchter blieb von den organisatorischen Problemen des SNCC unberührt. Das SNCC mag, so Fruchter, in manchen Bereichen Fehlschläge erlitten haben, aber seinen wichtigsten Zweck habe es erfüllt, nämlich ‚die Frage zu provozieren, ob all die Organisationen, die auf bürokratischen Grundlagen innerhalb der Mehrheitsgesellschaft aufgebaut sind, überhaupt der menschlichen Freiheit gedient haben.'“ (S. 334)

(1) Clayborne Carson: Zeiten des Kampfes. Das Student Nonviolent Coordinating Committee (SNCC) und das Erwachen des afro-amerikanischen Widerstands in den sechziger Jahren, Verlag Graswurzelrevolution, Nettersheim 2004. Alle weiteren Zitate und nahezu alle Informationen in diesem Artikel stammen ebenfalls aus diesem Buch.