Malcolm Edwards, besser bekannt als Malcolm McLaren, ist am 8. April 2010 in einem Schweizer Hospital an Krebs gestorben. Er wurde nur 64 Jahre alt. Die Nachrufe loben ihn als Künstler, Paradiesvogel, Erfinder des PUNK, Designer, Postmoderner, Modemacher, Anarchisten, Musikmanager und Musiker. Die Mythenbildungen schießen aus dem Boden, alte Feinde werden freundlicher.
Dabei hat er selbst seinen Mythos am allerbesten inszeniert, es lohnt sich, den Film „The Great Rock’n Roll Swindle“ nochmals anzusehen. Dort rückte er sich als den Erfinder der Sex Pistols ins – für ihn richtige – Licht. Liest mensch die Nachrufe, so geht seine Rechnung auf und sein posthumer Ruhm ist so etwas wie sein letztes geglücktes Spektakel.
McLaren wurde am 22.1.1946 in Stoke Newington im Norden Londons geboren; Seinen Vater Pete kannte er nicht wirklich. Dieser Deserteur des 2. Weltkriegs verabschiedete sich auch von seiner Familie, als Malcolm 2 Jahre alt war. Seine Mutter Emmy heiratete wieder, mit seinem Stiefvater Martin Levi kam Malcolm nie zurecht, so dass er bei seiner Großmutter Rose Corre Isaacs aufwuchs, deren nonkonformistisches Credo „Böse ist gut, gut ist einfach langweilig“ ihm früh viel bedeutete. Malcolm schloss sich Banden an, wurde von Schulen geschmissen, überwarf sich endgültig mit seiner Mutter und landete schließlich – in Ablehnung der Hippies – bei den „Teds“, die ihre Antibürgerlichkeit durch besonders vornehme Kleidung ausdrückten.
„Sei vernünftig – fordere das Unmögliche!“
Im Herbst 1964 begann er sein Kunststudium, das ihn durch diverse Anstaltenführte. Hier kam er in Berührung mit den Theorien, Ideen und spontanen Aktionsformen der französischen SituationistInnen.
Er teilte die Überzeugung, dass sich soziale Veränderungen durch absurde und provokative Aktionen oder Desinformationen erreichen lassen. Er hatte Verbindung zu der situationistischen Gruppe „King Mob“ und beteiligte sich an Uni-Hörsaalblockaden und Sit-Ins.
Schnell begriff er, dass mit gezielten Provokationen in jeder Hinsicht ein großer Effekt erzielt werden konnte.
Auf der Harrow Art School traf er zwei Menschen, die seinen Weg beruflich und privat lange mitgingen und die sich gegenseitig beeinflussten: Mit der 5 Jahre älteren Vivienne Westwood, Modedesignerin, gründete er die Londoner Szeneläden und Jamie Reid entwarf später die provokativen, einfachen und doch so einflussreichen Punkgraphiken der Sex Pistols. Angelehnt an die Manifeste der SituationistInnen schrieb er in dieser Zeit ein Manifest, das gut zur späteren Punkbewegung passte: „Sei kindisch, sei verantwortungslos. Sei respektlos. Sei alles, was diese Gesellschaft hasst.“
„Too fast to live, too young to die“
Um die Gesellschaft provozieren und vorherrschende Trends – wie die Hippies – bekämpfen zu können, eröffneten Malcolm und Vivienne Westwood 1971 den Laden „Let it Rock“ in der 430 King’s Road in Chelsea. Dort verkauften sie die völlig aus der Mode geratenen Outfits der Teddy Boys aus den 50er Jahren, u.a. Schuhe mit Krebssohlen. Dieser Laden wurde zum Subkulturtreffpunkt. Er wurde mehrfach umbenannt und umgestylt, zuerst in „Too Fast to Live, too Young to Die“, dann 1974 in „SEX“.
Dabei wandelten sich sowohl BesucherInnen wie Verkaufsobjekte, Westwood designte verbotene Klamotten, sie verkauften Bondage- und SM-Utensilien.
McLaren: „Wir wollten Dinge verkaufen, die normalerweise in braunem Papier unter dem Ladentisch verkauft wurden“ und „Die Leute trauten sich nicht in den Laden. Es war fantastisch. Ganz am Anfang hatten wir die dreckigen, alten Männer als Kundschaft und bei vielen stellte es sich heraus, dass es bekannte Politiker waren… Dann kamen die Kids in den Laden. … Ich holte T-Shirts von der Christopher Street in New York… mit Penis drauf… Einige Kids wurden verhaftet… wir wurden zweimal durchsucht und mussten vor Gericht, aber gaben nichts darauf. Alles wurde beschlagnahmt, wir ersetzten es und die Kids dachten, das ist der coolste Platz auf Erden.“
Westwood und McLaren kreierten auch T-Shirts mit Großbuchstaben-Slogans wie z.B. „Keep the dialectic open“. Ein Spruch, der etwas Programmatisches hatte, da sie genau wussten, dass das Modische von heute eigentlich schon wieder out war und schon das von morgen angeboten werden musste. Dies erklärt vielleicht die häufigen Umbenennungs- und Umstyling-Aktionen, zuletzt in „Seditionaires“ – in dem sich das Ambiente wieder änderte: Zwischen ausgeschlagenen Wänden, in denen Bilder des zerbombten Dresden als Tapete hingen, wurden die Klamotten Westwoods aufgehängt und angeboten. Da sich Westwood jedoch als Modedesignerin mit Ballkleidern aus dem 18. Jahrhundert durchsetzen wollte, trennten sich die Wege der beiden Lebenspartner.
„Amis schocken“
Bereits 1971 waren Westwood und McLaren in New York gewesen, hatten den Kontakt zu Andy Warhol geknüpft, sich die Popart abgeschaut und die New York Dolls bei einem Auftritt kennengelernt.
1975 wechselte Malcolm erneut nach New York und erstmals ins Musikbusiness. Er traf sich wieder mit den New York Dolls, einer Metal-Männergruppe, die in High Heels, enganliegenden Latexklamotten und geschminkt auftraten. Vivienne Westwood: „You boys look so much better in women’s clothing.“
Malcolm bequatschte den Sänger David JoHansen und den Gitarristen Johnny Thunders, dass sie ihn als Manager brauchten. Unter seinem Einfluss trat die Band im Maoistenlook der chinesischen Roten Garden auf. Dolls-Gitarrist Sylvain erinnert sich: „Malcolm sagte, warum hängt ihr keine Rote Fahne auf? Was eine brillante Idee war.“ McLaren schrieb ein Manifest „Lieber Rot als tot“.
Der Fehler war nur, dass die New YorkerInnen sich wenig provozieren ließen und den tieferen künstlerischen Sinn sowieso nicht verstanden. Sylvain: „Ein berühmter New Yorker sagte zu mir, nun macht ihr auf Kommunismus? Keiner verstand es wirklich. Es war Kunst um der Kunst willen.“ Die Zusammenarbeit endete deshalb bald. Malcolm kehrte jedoch inspiriert nach London zurück.
„Anarchy in the UK“
So wenig erfolgreich er die „Kalten-Krieger-Amerikaner“ provozieren konnte, umso leichter fiel es ihm zu Hause bei den Briten, den Nerv zu treffen.
Doch vorab: Weshalb eigentlich lag der PUNK in der Luft? War nicht der Rock radikal genug, Jimi Hendrix mit seinen brennenden und zerberstenden Gitarren, Frank Zappa mit seinen frechen Texten oder die politisch motivierten Songs von Bob Dylan u.v.a.? Mitte der 70er waren die ersten schon tot, andere so etabliert, dass sie ein tragender Teil der Musikindustrie geworden waren, wieder andere wie Bob Dylan gerade dabei, „religiös“ zu werden.
Noch wesentlicher aber war der Perfektionismus, die angestrebte „Professionalität“ rüstete regelrecht auf. Konzertaufbauten wie die der Rolling Stones oder von Pink Floyd füllten Containerflugzeuge und die Einführung des Synthesizers in die Rock-Musik besorgte den Rest. Pink Floyd wurde zum Antibild für junge Underground-Musiker und so ist es alles andere als ein Zufall, dass John Lydon vom SEX-Mitarbeiter Bernie Rhodes angesprochen wurde, weil er grüne Haare, zerrissene Kleider und ein Pink Floyd-T-Shirt trug, auf das er „Ich hasse“ gekritzelt hatte.
Malcolm brachte seine gemanagte Band „The Strand“ mit dem SEX-Mitarbeiter und Bassisten Glen Matlock zusammen, tauschte deren Sänger Wally Nightingale mit Sid Vicious aus, taufte John Lydon wegen seiner schlechten Zähne in Johnny Rotten und die Band in Sex Pistols um. Und es konnte losgehen.
Die Texte der Band waren nicht nur provokativ, sondern nutzten auch die aktuelle Situation. Pünktlich zum silbernen Thronjubiläum der Queen erschien im Mai 1977 „God save the Queen / the fascist regime, there is no future / in England’s dreaming“. Die BBC reagierte prompt und verbot das Abspielen des Songs. McLaren organisierte ein Boot und beschallte mit den Sex Pistols London mit dem Titel von der Themse aus; es kam zu einer Polizeiboot-Verfolgungsjagd und zur Verhaftung McLarens. Die Provo-Aktion war geglückt.
Im Oktober 1977 erschien das Album „Never Mind the Bollocks“ mit den ausgeschnittenen Buchstaben, die nicht nur das Layout revolutionärer Zeitschriften in aller Welt veränderten, sondern auch die KünstlerInnen der 80er und 90er Jahre wesentlich beeinflussten.
Auch weiterhin gelang es Malcolm, die Finger auf gesellschaftliche Tabus zu legen, so besuchte er z.B. mit der Band den berühmten englischen Posträuber Ronald Biggs in Rio de Janeiro und ließ das gemeinsame Foto um die Welt gehen – nicht ohne die zusätzliche Provokation, dass der Schauspieler Paul Cook aus „The Great Rock’n Roll Swindle“ in Naziuniform als Martin Bormann mit auf die Platte musste.
Für Malcolm McLaren wurde es der perfekte Start als Musikmanager und die Plattenfirmen reagierten, es hagelte Verträge für Punkbands, die skandalträchtig zu sein schienen. Aber – frei nach Bakunin – war für Malcolm selbst etwas anderes wichtiger: „Man zerstört, um Dinge zu erschaffen, und da muss man dann schon rücksichtslos vorgehen. Die Sex Pistols waren ein Kunstwerk.
Mein Material ist nicht Farbe oder Ton, sondern Menschen. Ich benutze sie, missbrauche sie, manipuliere sie, weil ich an meine Idee glaube. Die Sex Pistols waren eine Idee, keine Band. Und sie waren das schillerndste, spektakulärste Scheitern, das ich je erlebt habe, einfach großartig.“
Dass diese Offenlegung keine Show, sondern für die Bandmitglieder bittere Realität war, erfuhren die Sex Pistols bereits im Januar 1978. Vielversprechend zur USA-Tournee aufgebrochen, mit dem gerade erschienenen Album im Gepäck, erlebten sie ein Desaster, mussten bei McLaren um Geld kämpfen und lösten sich noch auf der Tournee selbst auf. Wie es dazu kam? Wohl, um Skandal zu machen, hatte Malcolm die Band vorzugsweise in Redneck-Kneipen gebucht, wer den Film „Blues Brothers“ in Erinnerung hat, kann sich vorstellen, was dort abging. Das geplante frühe Ende der Sex Pistols hielt McLaren allerdings nicht davon ab, den erworbenen Ruf im Film „The Great Rock’n Roll Swindle“ und über die Plattenverträge weiter auszuwerten. Erst 1986 gelang es John Lydon auf gerichtlichem Weg, die Rechte für die Band zurückzugewinnen und McLaren zu einer Tantiemen-Rückzahlung von 1 Million Pfund zu zwingen. Tantiemen, die z.B. entstanden waren, weil McLaren aus unveröffentlichtem Material im Alleingang das zweite Sex Pistols Album „Flogging A Dead Horse“ herausgebracht hatte.
„Ich jage einem Regenbogen nach, und das lässt nach, sobald du einen Job hast.“
In den Jahren zwischen 1979 und 1986 wurde weiter promotet; Adam and the Ants wurden in Indianer-Outfits gesteckt; die Musiker von Adam Ant zudem mit der 14-jährigen Sängerin Annabella Lwin zusammengesteckt und als Bow Wow Wow in Piraten-Outfits vermarktet, inklusive eines Fotos, das die Band beim Frühstückspicknick à la Manet zeigte – mit der halbnackten Lwin.
McLaren: „In dieser Zeit gab es eine heiße Diskussion darum, dass die Kids mit Kassettenrecordern und Ghettoblastern Musik umsonst aus dem Radio kopierten. Die Plattenindustrie versuchte, eine Lizenzgebühr auf Leerkassetten durchzudrücken, weil die Kids ihre eigene Musik aufnahmen. Deshalb sprach alles von Piraterie und meine Kids sahen aus wie Piraten.“
Nach einigen Top-Hits hörte die Gruppe auf. McLaren arbeitete mit anderen wie Sinead O’Connor, die Red Hot Chili Peppers verzichteten.
Was folgte, waren Eigenkreationen als Musiker: Mit „Duck Rock“ spannte Malcolm US-amerikanischen Square Dance mit afrikanischer Zulu-Musik und Hip Hop zusammen. Bei seinen Alben „Buffalo Gals“ und „Double Duck“ brachte er Hochkultur und Nonsenskultur zusammen, Puccinis Oper „Madame Butterfly“ und Bizets „Carmen“ mit einem Sprechgesangs-Gelächter oder einem schief singenden Mädchenchor. 1994 erschien die nächste ironisierende Abmischung.
Unter dem Titel „Paris“ hören wir Catherine Deneuve, Francoise Hardy und Malcolm McLaren singen, sprechen und hauchen, alles zweisprachig und verjazzt. Erklärtes Ziel der Mixturen, unerwartete Hörerlebnisse sollten „unerwartete Emotionen“ auslösen und so ist es folgerichtig, dass noch ein paar Verfremdungen eingebaut werden, wie bei der gedemütigten und zum Selbstmord getriebenen Madame Butterfly, deren Geschichte aus der Perspektive des US-Marines erzählt wird, der kalt feststellt: „She got a little problem.“
Anfang 2000 – anlässlich der Bürgermeisterwahlen in London – forderte McLaren eine „authentische Kultur, nicht diese Karaoke-Kultur“; zu seinem Maßnahmenkatalog gehörte der freie Eintritt in Museen, ein Bierausschank in Bibliotheken und Bordelle neben dem Regierungssitz. Im September 2000 kam er nach Karlsruhe ins Zentrum für Kunst und Medientechnologie und verdeutlichte sein Anliegen: „Wir leben in einer Welt der Zweitverwertung, die ohne jeglichen Standpunkt auskommt. Es geht nur noch um Product Placement, Marketing, Verkaufen.“ Und er, der das alles selbst mitgemacht hatte, sieht nur eine mögliche Reaktion: alles, was er anfange, auch wieder zu zerstören, um Neues zu schaffen.
Slow Culture
So schnelllebig, wie McLaren und Westwood Namen und Inhalte ihrer Subkulturläden veränderten; so vielfältig er mit seinen Aktionen provozieren und damit zu einer Kulturveränderung beitragen wollte, hat er doch dem herrschenden Kulturbetrieb mit seiner Sucht nach Abwechslung, Sensationen und Vermarktbarkeit innovativ entsprochen bzw. ihm neues Leben eingehaucht.
In seinen Interview-Beiträgen für ARTE (Sendung am 17.4.2010) zeigt er jedoch, dass er auch diesen Mechanismus durchschaut, und er fordert, abgeleitet von slow food statt fast food, eine slow culture. Als Herausforderung aller kulturellen Anstrengungen sieht er die Aufgabe, für eine Verlangsamung oder Entschleunigung zu sorgen. „Die Leute haben es satt, in einer Kultur der Sehnsüchte gefangen zu sein.“ Gute Aktionsformen oder gar eine soziale Bewegung gegen die visuelle Umweltverschmutzung der Werbeindustrie wären dringlich! Wir sind es schließlich, die zulassen, dass unsere Kinder via Müslitüten mehr Pokémon-Figuren kennen als wirkliche Tiere (belegt durch eine wissenschaftliche Untersuchung an englischen Kindern, veröffentlicht in „Science“).
Oder – um mit Malcolms Worten zu schließen: „Sprich mit Deiner Tochter, bevor es die Schönheitsindustrie tut.“