ökologie

Renaissance der Atomkraft in Britannien?

Langsam regt sich Widerstand

| Andreas Speck

Die englischen Regierungen - ob Blair, Brown, oder möglicherweise bald Cameron - forcieren einen massiven Neubau von Atomkraftwerken, um alte Atomkraftwerke zu ersetzen und - so wird behauptet - die Klimaschutzziele zu erreichen. Im letzten Jahr wurden 10 Standorte für neue Atomkraftwerke benannt. Die Konzerne - insbesondere EDF, RWE, E.on, und die spanische Iberdrola - sitzen in den Startlöchern. Doch so langsam regt sich Widerstand.

Die Anti-Atom-Bewegung in Britannien kann kaum mit der in Deutschland verglichen werden. Praktisch gab es sie seit den frühen 80er Jahren nicht mehr. Als Margaret Thatcher in den 80er Jahren eine erste Renaissance der Atomenergie einläuten wollte, war es letztlich nicht die Anti-Atom-Bewegung, sondern das Geld, das dies verhinderte. Von mehreren geplanten Reaktoren wurde lediglich einer gebaut – Sizewell B in Suffolk. Hinkley Point C (Somerset) erhielt zwar nach einem langwierigen Verfahren die Genehmigung, wurde jedoch nie gebaut.

Planungshoheit zentralisiert – Demokratie ausgehebelt

Diesmal soll das anders werden. Mit der Änderung des Planungsrechtes 2008 wurde die Zuständigkeit für die Genehmigung von Atomkraftwerken (und anderer bedeutender Infrastrukturprojekte) in einer neu geschaffenen ‚Infrastructure Planning Commission‚ (IPC) zentralisiert. Damit sollen langwierige Genehmigungsverfahren vermieden werden.

Nach Verabschiedung eines ‚National Policy Statement‚ zu Atomenergie, das u.a. die zehn Standorte enthält, soll die IPC einen Antrag innerhalb von 18 Monaten entscheiden. Eine lokale Beteiligung am Genehmigungsverfahren gibt es dann nicht mehr.

Parallel dazu läuft derzeit ein sogenannten ‚Generic Design Assessment‚ durch die ‚Health & Safety Executive‚ und die ‚Environment Agency‚. Ziel ist es, zwei Reaktoren – Areva’s European Pressurised Water Reactor (EPR) und Westinghouse’s AP1000 – bis Juni 2011 zu genehmigen. Sobald dies geschehen ist, werden das Reaktordesign selbst und damit zusammen hängende Sicherheitsfragen im Genehmigungsverfahren bei der IPC nicht weiter betrachtet. So zumindest haben es sich die Regierung und die Atomindustrie ausgedacht.

Derzeit hängt alles am ‚National Policy Statement Nuclear Power Generation‚, mit dem die IPC die Grundlage erhalten würde, Anträge für den Neubau von Atomkraftwerken zu bearbeiten und zu genehmigen. Am 22. Februar 2010 endete eine öffentliche Konsultation, die nur als Farce bezeichnet werden kann.

Vor wenigen Wochen veröffentliche der Parlamentsausschuss zu Energie und Klimawandel einen leicht kritischen Report, und forderte eine Abstimmung im Unterhaus zum National Policy Statement. Eine solche ist jedoch eher unwahrscheinlich.

Bereits vor vier Jahren versuchte die damalige Regierung Blair die Weichen für Atomkraft zu stellen. Eine ‚Energy Review‚ konstatierte, dass neue Atomkraftwerke notwendig sind.

Die diese begleitende Konsultation der Öffentlichkeit war jedoch ebenfalls eine Farce, und am 15. Februar 2007 entschied der High Court, dass diese unzulänglich war, und daher rechtswidrig. Greenpeace und Friends of the Earth haben bereits angekündigt, ebenfalls eine Klage gegen das National Policy Statement einzulegen.

Die Standorte und die Konzerne

In Erwartung grünen Lichts für neue Atomkraftwerke haben sich verschiedene Energiekonzerne die notwendigen Baugrundstücke zugelegt.

2008 kaufte die französische EDF den britischen Atomkraftwerkbetreiber British Energy für 12,5 Milliarden Pfund. RWE und Eon gründeten ein Joint Venture genannt Horizon Nuclear Power, und kauften Land in Oldbury und Wylfa von der Nuclear Decommissioning Agency, die für die Entsorgung abgeschalteter AKWs zuständig ist, aber auch die noch laufenden alten britischen Magnox-Reaktoren betreibt. RWE allein erwarb ebenfalls Land in Kirksanton und Braystones – die einzigen neuen Standorte. Und ein Konsortium unter Führung der spanischen Iberdrola erwarb Land in Sellafield, um dort neben der Wiederaufarbeitungsanlage und den alten Reaktoren von Calder Hall (von denen einer 1957 zum „Feuer von Windscale“ führte) neue Reaktoren zu bauen (siehe auch Karte ‚Atomkraft in Großbritannien‚).

Insbesondere EDF prescht voran. Bereits im August 2010 soll der Genehmigungsantrag für Hinkley Point C bei der IPC eingereicht werden.

In naher Zukunft wird ebenfalls bei den lokalen Behörden ein Antrag auf vorbereitende Erdarbeiten erwartet. EDF hat die Arbeiten bereits ausgeschrieben, und will diese noch vor der Genehmigung durch die IPC „auf eigenes Risiko“ beginnen. Wenn es nach EDF geht, könnten bereits Anfang nächsten Jahres die Baumaschinen in Hinkley Point rollen. 2013 soll die Konstruktion der zwei geplanten EPR-Reaktoren beginnen, die nach Plan 2017 ans Netz gehen sollen.

Sizewell C – wo ebenfalls zwei EPR-Reaktoren gebaut worden sollen – hinkt etwa ein Jahr hinterher.

Horizon (RWE & Eon) setzt derzeit im wesentlichen auf Wylfa B. Geplant sind entweder zwei EPR oder drei AP1000 – die Entscheidung für den Reaktortyp ist hier noch nicht gefallen.

Derzeit wird mit dem Antrag bei der IPC im November 2011 gerechnet – Baubeginn soll 2015 sein. Oldbury wird eventuell später folgen – hier gibt es Probleme mit der Kühlung, da nicht ausreichend Meerwasser zur Verfügung steht. Auch wenn mit einem Antrag bei der IPC ebenfalls im November 2011 gerechnet wird, so ist mit einem Baubeginn doch eher nach 2015 zu rechnen.

Iberdrola dagegen hat bisher lediglich angekündigt, dass eine endgültige Entscheidung über den Bau neuer Reaktoren erst 2015 fallen wird. Hier könnte es sich ebenfalls um entweder zwei EPR oder drei AP1000 handeln.

Zu den anderen benannten Standorten gibt es bisher keine weiteren Informationen.

Widerstand

Widerstand gegen diese wahnsinnigen Neubaupläne wächst nur langsam. Zwar gibt es an fast allen Standorten lokale BürgerInneninitiativen, doch diese sind meist recht schwach. Einigen der neu gegründeten Inis fehlt eine über den lokalen Tellerrand hinausreichende Perspektive gegen Atomenergie.

Es bestehen teilweise auch Berührungsängste mit erfahrenen AktivistInnen, die auf direkte gewaltfreie Aktionen setzen.

Die großen Umweltorganisationen – Greenpeace und Friends of the Earth – sehen derzeit Anti-AKW-Arbeit nicht als einen Schwerpunkt an. Zwar engagieren sie sich mit Lobbying und drohen auch mit einer erneuten Klage, doch eine Mobilisierung der Mitglieder gegen Atomkraft findet nicht statt. In Sachen Bewegung klafft eine riesige Lücke.

Um diese zu schließen, haben verschiedene Gruppen und Einzelpersonen im November 2009 ein neues Basisnetzwerk ‚Stop Nuclear Power Network‚ gegründet, das sich im wesentlichen auf direkte Aktionen, Vernetzung und Erfahrungsaustausch konzentrieren will. Bei dem Gründungstreffen im November wurde beschlossen, sich zunächst auf die Konsultation zum ‚National Policy Statement‚ zu konzentrieren.

Am 27. Januar störten AktivistInnen des Netzwerkes eine Anhörung des Parlamentsausschusses zu Energie und Klimawandel mit VertreterInnen der Atomindustrie. Am 22. Februar, dem letzten Tag der Konsultation, wurde das AKW Sizewell erfolgreich für acht Stunden blockiert.

Dies kann jedoch nur der Anfang sein

Die Aktionen sind bisher klein und vereinzelt. Mit einem drohenden Baubeginn in Hinkley Point bereits im nächsten Jahr (vorbereitende Arbeiten) ist ein Wachsen der Bewegung dringend notwendig. Eine Aktion wie die Blockade von Sizewell – auch wenn sie klein war – ist derzeit in Hinkley Point noch schwer vorstellbar. Erst langsam muss Vertrauen in direkte gewaltfreie Aktionen geschaffen werden – doch die Zeit ist knapp. Ein Sommercamp in Hinkley Point ist derzeit angedacht, und kann hoffentlich dazu beitragen, Berührungsängste abzubauen und lokal Unterstützung für gewaltfreie Aktionen zu schaffen.

Trotz alledem – im Netzwerk ist man zuversichtlich, dass diese Renaissance der Atomkraft in Großbritannien verhindert werden kann.

Wann, wenn nicht jetzt?

Anmerkungen

Andreas Speck war von 1996 bis 1999 Koordinationsredakteur der Graswurzelrevolution. Seit 1999 arbeitet er im Londoner Büro der War Resisters' International (www.wri-irg.org).

Kontakt

Kontakt zum Netzwerk:

Stop Nuclear Power Network
c/o 5 Caledonian Road
London N1 9DX
Britain

network@stopnuclearpoweruk.net
http://stopnuclearpoweruk.net