Joan Baez kreierte das Antikriegslied „Where have all the flowers gone“ vor nunmehr fast einem halben Jahrhundert im Protest gegen den Vietnam-Krieg. Marlene Dietrich trug es mit ihrer unnachahmlichen Stimme als „Sag mir wo die Blumen sind“ noch eindrucksvoller vor. Jene, die an einschlägigen Heldengedenktagen zu den diversen Monumenten militaristischer Verherrlichung pilgern, mögen davon unbeeindruckt sein.
Dabei ist es kein wesentlicher Unterschied in der Mentalität, ob solche Gedenkstätten in Washington, Dakar, Harare, dem Teutoburger Wald, am Rhein, auf diversen Anhöhen in der Windhoeker Innenstadt bzw. den Auasbergen oder vor der Sommerresidenz des Staatspräsidenten in Swakopmund ihre Pseudo-Autorität durch architektonische Einfältigkeit ehrfurchtgebietend einfordern.
In nahezu allen Kulturen und Traditionen steht die latente Kriegs- und damit Gewaltverherrlichung auf einem Sockel. Indem vermeintlich an die Opfer erinnert wird, werden Pseudo-Helden geschaffen, denn es geht dabei ja keinesfalls um die Abschaffung einer Gewaltkultur. Dabei sollten Denkmäler doch eigentlich – so es Denkmäler geben sollte – den Kriegsverweigerern, Fahnenflüchtigen und Pazifisten gewidmet werden. Jenen Überzeugungstätern, die als Feiglinge verunglimpft werden, und dabei doch die eigentlich Mutigen sind. Jenen, die dafür hingerichtet wurden und werden, weil sie sich weigern, anderen Menschen Gewalt an zu tun.
Das sind die Helden, und sie bleiben fast immer namenlos. Aber mit namenlosen Helden lässt sich nirgendwo Staat machen. Denn Staat versinnbildlicht Macht, und Macht wird noch immer mit Gewalt in Verbindung gebracht. Dabei sind die Schwachen keinesfalls immer die Machtlosen. Viele unter diesen sind die eigentlichen Helden im täglichen Überlebenskampf, auch wenn ihrer an Heldentagen nicht gedacht wird.
Am 26. August wird ungeachtet solcher Gedanken vermutlich ohnehin nur hauptsächlich gefeiert, dass dieser auf einen Donnerstag fällt. Damit wird vielen, die das Privileg haben arbeiten und damit Geld verdienen zu können, ein verlängertes viertägiges Wochenende beschert. Die wenigstens werden dies zum Anlass nehmen besinnliche Gedanken darauf zu verwenden, wem eigentlich wofür dank dieser zusätzlichen Freizeit gedacht werden sollte.
Für den Fall, dass unter den Hörerinnen und Hörern welche sind, die diesen Kommentar als Anregung nehmen darüber noch ein wenig nachzudenken, hätte ich einige Vorschläge zu machen: Wie wäre es mit den vielen alleinerziehenden Müttern im Lande, die sich unter schwierigsten Bedingungen abmühen, ihren Kindern Nahrung, Kleidung, ein Dach über dem Kopf und eine Schulbildung zu ermöglichen.
Deren tägliches Heldentum versucht dazu beizutragen, dass wir eine Nachkommenschaft haben, die das anständige Leben bejaht und respektiert. Sie hätten einen Heldentag nur ihnen zu Ehren verdient, auch wenn sie zu sehr mit wichtigeren Dingen beschäftigt sind, als sich darüber den Kopf zu zerbrechen.
Auch die Jugendlichen und Kinder sind Helden, die als AIDS-Waisen versuchen, ihren jüngeren Geschwistern die Eltern zu ersetzen, während sie doch eigentlich selbst noch den Schutz und die Fürsorge eines behüteten Heimes nötig hätten, das sie nie hatten. Auch sie werden wohl kaum registrieren, dass da anderer Helden gedacht wird, während sie versuchen, den Alltag zu meistern.
Aber auch der weiße Farmer aus Simbabwe, der sich lieber halb tot schlagen lässt als sein Recht und Land aufzugeben, gehört zu den wirklichen Helden – auch wenn er einer der wenigen ist, der durch seine Zivilcourage aus dem Schatten der Anonymität zu treten vermochte. Der Dokumentarfilm „Mugabe and the white African“, in dem er im Mittelpunkt steht und der die Verhandlungen am SADC Tribunal in Windhoek festhält, zeigt auch ein anderes Heldentum. Das der schwarzen namibischen Anwältin, die angesichts der Fotos des misshandelten Farmers in Tränen ausbricht und die den Fall für ihn gewinnt, weil für sie Gerechtigkeit nichts mit Hautfarbe zu tun hat.
Namenlos sind diese beiden im Unterschied zu den unzähligen Müttern und jugendlichen Ersatzeltern nicht. Dennoch wird auch ihnen wohl kaum am Heldentag gedacht.
Sie zeigen aber, dass es reichlich Auswahl gäbe, anderen als den in Gedenkstätten und Denkmälern Gehuldigten die Ehre zu erweisen und Respekt entgegen zu bringen, so es denn einen solchen Gedenktag geben soll. Denn das eigentliche „Heldentum“ spielt sich im alltäglich Unscheinbaren ab. Es ist wenig spektakulär und wird oft gar nicht zur Kenntnis genommen. Auch nicht von den „Helden“ selbst.
Ein Heldentag aber dient wohl ohnehin weniger den zu Helden er- und verklärten, zumal diese meist bereits tot sind. Er ist eher denen nützlich, die eine bestimmte Sorte Heldentum brauchen, um ihr Weltbild zum gesellschaftlich bestimmenden Leitmotiv zu erheben und damit ihr eigenes Herrschaftsverständnis zu festigen. Egal wo und fast egal wie. Das mag manchmal subtiler und mitunter auch recht drastisch vermittelt werden. Aber im Wesensgehalt ist das offizielle Heldentum eigentlich überall mit Vorsicht zu genießen. Die wirklichen Helden kommen darin fast nie vor.
Eigentlich müsste jetzt Marlene Dietrich singen. Und die Strophe hätte den Beginn „Sag mir wo die Helden sind…“
(1) Dr. Henning Melber ist geschäftsführender Direktor der Dag Hammarskjöld Stiftung im schwedischen Uppsala und seit 1974 Mitglied der SWAPO (South-West Africa's People Organisation). Gerade ist er von einer vierwöchigen Tour ins Südliche Afrika zurück gekommen, wo die Stationen Pretoria, Kapstadt und Windhoek gewesen sind. In der dortigen deutschsprachigen community erfreut er sich mittlerweile ungeahnter Popularität. Seinen im Februar in der GWR 346 erschienenen Artikel "Befreiungskämpfe, die nicht befreien: Gewalt und Herrschaft im Südlichen Afrika" hat die lokale deutschsprachige 'Allgemeine Zeitung' unverändert nachgedruckt.