anarchismus

„Schreiben und verstehen“

Ein Interview mit Michael Hardt über die gegenwärtige Situation sozialer Bewegungen und die Korrumpierung guter Ideen

| Interview: Konne, Merle und Mandus

Michael Hardt (* 1960) ist ein US-amerikanischer Literaturtheoretiker der Duke University und Professor an der European Graduate School in Saas-Fee, Schweiz. Sein bekanntestes Werk Empire hat er zusammen mit Antonio Negri geschrieben. 2002 wurde Empire auch intensiv in der GWR sowie auf dem Kongress "Trau einer über 30. Graswurzelrevolution 1972 - 2002 ff." diskutiert. In Multitude, dem 2004 erschienenen Nachfolgeband zu Empire, legen Hardt und Negri die Idee der Multitude im Detail dar; sie sehen sie als einen möglichen Katalysator für das Entstehen einer globalen Demokratie.

Am 20. März 2010 stellte Hardt in Leipzig sein zusammen mit Negri verfasstes neues Buch vor: Common Wealth. Das Ende des Eigentums. Darin zeigen die beiden, wie die wachsende Verbreitung von nicht-kapitalistischer Produktion wie Open Source-Software, Wikipedia und vielem mehr Keimzellen für eine Überwindung des Kapitalismus sein können. In einer anschließenden Diskussion wurden von den BesucherInnen im Spinnwerk die Chancen und Grenzen dieser Möglichkeit kritisch hinterfragt. Im Anschluss daran interviewten Mandus, Merle und Konne Hardt für die GWR. (GWR-Red.)

Mandus: Da sich unser erster Fragekomplex an Sie als eine Person mit altersbedingt größerer Erfahrung in sozialen Bewegungen richtet, möchten wir Sie vorab fragen, ob Sie Verbindungen ziehen zwischen Ihrer Theorie und Ihrer Praxis?

Hardt: Nein, ich denke…

…in Ihrem persönlichen Leben!

Oh, mein persönliches Leben! Das ist ein Problem, (lacht) ich habe kaum ein persönliches Leben. Als ich ein Student war, war ich sehr frustriert über meine Unfähigkeit, mein wissenschaftliches Interesse mit meinem politischen Leben übereinstimmen zu lassen. Ich fühlte mich, als ob ich eine Tages- und eine Nachtarbeit hatte und ich konnte die zwei nicht zusammen bringen. Tatsächlich gab es zu der Zeit in den USA, ich ging in den 80ern zur Universität, einen richtigen „Anti-Intellektualismus“ in den Bewegungen. Das machte es noch schwerer, meine Interessen an wissenschaftlichen Dingen, Philosophie und so zu meinem politischen Leben passen zu lassen.

So fing ich dann damals an, über die Ereignisse im Italien der 1970er Jahre und in den Büchern von Toni Negri zu lesen. Ich dachte mir beim Lesen, dass er jemand ist, der es schafft, die zwei zusammen zu bringen: das politische und das wissenschaftliche Leben.

Ich las sein Buch über Spinoza, wovon ich zuvor dachte: „Was könnte abstraktere Philosophie sein als Spinoza?“; doch irgendwie zeigte sich das Buch dann als wirklich engagiert. Es war politisch! Es fühlte sich für mich an, dass das für Toni zusammen läuft. Und so ging ich los, um Toni zu treffen, weil ich dachte, das könnte gegen meine Frustrationen helfen.

Ich war nämlich doppelt frustriert: Neben der fehlenden Theorie-Praxis-Verbindung war es die Tatsache, dass die für mich politisch anregenden Ereignisse nicht in meiner Nähe, sondern in Zentralamerika stattfinden. Das geschah vor allem in El Salvador. Die El Salvadorianer schienen eine Art der Politik zu machen, die sich anscheinend von der US-amerikanischen unterschied. In den USA schien alles moralistisch und mit Schuldgefühlen verbunden zu sein (3x schien!). Die Politik in Salvador war fröhlich und beinhaltete Tanzen und solche Sachen. Aber einmal war ich dort, auf einem dieser Treffen, beim Abendessen und ein gewisser Freund sagte: „Ich möchte den nordamerikanischen Genossen danken, dass sie hier her gekommen sind, aber es würde uns mehr helfen, wenn ihr zurück in die USA gehen und dort eine Revolution machen würdet!“

Ich dachte mir: „Scheiße! Reagan war im weißen Haus, was meinst du, wie könnte ich?“

Und so sagte er: „Nun, ihr habt Berge, oder?“ Er sagte es sei einfach: „Ihr geht in die Berge, startet eine bewaffnete Gruppe und macht die Revolution.“

Ich dachte mir noch mal „Scheiße! Es gibt nichts zu tun!“. Dies in den USA zu machen, erschien mir selbstmörderisch und dumm. Es schien einfach nicht zu passen. Das war meine zweite Frustration, dass die Form der Politik, die mich am meisten faszinierte, nicht passend für meine Gesellschaft erschien.

Gerade dann las ich über Italien in den 70ern, über Autonomie, Soziale Zentren und freie Radios. Das schien den USA viel ähnlicher zu sein als die salvadorianischen Berge. Diese beiden Frustrationen zusammen, die Frustration über die Trennung zwischen dem aktivistischen und intellektuellen Leben und die Trennung zwischen den Guerilla-Bewegungen und dem, was in den USA möglich war – das waren die zwei Dinge, mit denen ich zu kämpfen hatte.

Mandus: Für mich ist eine wichtige Verbindung von Theorie und Praxis – vor allem ein wichtiger Nutzen der Theorie für die Praxis, aber auch anders herum – die Frage, ob die Situation für Bewegungen früher besser war als heute?

Denn in Empire schreiben Sie über den Mangel an Kommunikation zwischen einzelnen Kämpfen, aber mit der „globalisierungskritischen“ oder „altermondialistischen“ Bewegung findet genau diese Kommunikation statt – mit „Peoples Global Action“, „Dissent!“ und all diesen Netzwerken – aber es gibt immer noch keine Revolution: Zumindest gibt es immer noch den Kapitalismus und immer noch ist es ein langer Weg oder sogar ein noch längerer und viele Leute sagen, dass die Situation heute schlechter ist als früher.

Dagegen sagt Ihr neues Buch mehr oder weniger, dass die Situation heute viel besser ist – vielleicht nicht speziell für die Bewegungen, aber für einen echten nicht-kapitalistischen Weg von Gemeinschaft. Ist die Situation betrachtet von all diesen Werten also nun besser oder schlechter als früher?

Hardt: Ich denke, dass es große Veränderungen gab zwischen meiner Generation und Eurer und die heutigen Bewegungen bringen die intellektuellen Aktivitäten – sich eine andere Welt vorzustellen und auch die gegenwärtige zu analysieren – und den Aktivismus mehr zusammen. Das fing an mit dem, was die Zapatistas „die Generation von 1994“ nennen – oder man kann es auch die „Millennium-Generation“ nennen. Ich weiß nicht, was der Name dieser Generation ist, aber sie ist aktivistischer und zugleich intellektueller, das ist ein großer Vorteil. Es ist schwierig zu sagen, ob die Bewegung insgesamt jetzt besser oder schlechter dasteht, das kann ich nicht.

Mandus: Gestatten Sie mir einen letzten Versuch: Ob die Situation für die Allmenden (der deutsche Begriff für die in Hardts aktuellem Buch zentralen „commons“) verschlechtert oder verbessert? Z.B. gibt es heute mehr und mehr Privatisierung überall, zum anderen werden manche Dinge besser – wie sieht es also im Gesamten aus?

Hardt: Ich glaube in dieser Hinsicht ist es ein bisschen schwer, die Frage nach „besser oder schlechter“ zu stellen. Und außerdem ändern sich bestimmte Umstände, die für die Bewegung besser oder schlechter scheinen, so schnell, dass man das gar nicht richtig begreift. Wir haben im Moment sicher in vielen Teilen der Welt (den USA und dem größten Teil von Europa) größere Schwierigkeiten beim Organisieren als vor fünf Jahren. Oder die Denkweise darüber verändert sich vielleicht, so dass wir nicht mehr die gleiche Zahl an Menschen haben, die an Aktionen teilnehmen, wie zuvor.

Mich haben die Aktionen zum Kopenhagener Klimagipfel interessiert, die als neuer Auftakt gedacht wurden. Ich weiß nicht, ob es ein neuer Anfang war, aber es gab einen wichtigen Sprung der Denkweise. Ich denke dabei an nichts in Zusammenhang mit dem Gipfel – was auch immer sich auf der Konferenz abgespielt hat, kümmert mich nicht. Was mich interessiert, ist, dass die den Gipfel umringende Bewegung ein Zusammentreffen zwischen der antikapitalistischen – oder alter-globalistischen – und der ökologischen Klimabewegung war.

Ein Zusammentreffen, das mir relativ neu erscheint und das, wie ich glaube, viele konzeptionelle Schwierigkeiten hat wegen der wirklichen Unterschiede zwischen den Bewegungen und ihrer Wünsche und sogar ihrer Slogans. Zum Beispiel ist einer meiner Lieblings-Slogans der alterglobalistischen Bewegung der letzten zehn Jahre „Wir wollen Alles für Alle!“- „Todo para todos!“ Ein exzellenter Slogan. Von der Perspektive der „Climate Change“-Leute jedoch scheint das wie ein Aufruf zur Zerstörung.

Wohingegen von der anderen Perspektive eines meiner Lieblings-Banner aus dem „Legal March“ in Kopenhagen war: „There is no Planet B!“. Das ist ein kluger Slogan, aber aus der Perspektive der antikapitalistischen Kämpfe hört es sich sehr nach Margret Thatcher’s „There is no alternative!“ an.

Ich glaube, beide Seiten lassen sich zusammen bringen, wenn man die unterschiedlichen Definitionen von Gemeingut verknüpft: Das eine Gemeingut, gedacht als die Erde und das Ökosystem, ist grundsätzlich begrenzt und wir müssen uns mit diesen Grenzen auseinandersetzen. Wohingegen das Gemeingut, wenn man an Ideen, Wissen, Bilder und Informationen denkt, grundsätzlich unbegrenzt ist. Und so fokussieren alle antikapitalistischen Anstrengungen primär die Idee der Unbegrenztheit des Gemeinguts, während die Ökologie- und Klimawandel-Bewegung primär auf die Idee der Begrenztheit des Gemeinguts fokussiert ist. Ich sage nicht, dass dies eine Unmöglichkeit der Zusammenarbeit bedeutet, aber ich denke, es ist eine interessante Konfrontation, die Herausforderungen aufwirft, durch die wir durch müssen.

Konne: Die begrenzten Ressourcen sind näher an der Basis der Gesellschaft, sie sind mehr mit der Produktion verbunden, mit wirklicher und nicht ideeller Arbeit.

Ja, aber es ist auch mit der Luft und dem Klima verbunden, auch diese Dinge sind begrenzt, wie die Erde.

Natürlich, aber auch sie werden nicht von Ideen oder dem Nachdenken verbraucht, sondern nur, wenn etwas materiell produziert wird. Es ist also eine Hinwendung zum Gemeingut auf beiden Seiten. Auf verschiedenen Ebenen, aber es ist ein grundsätzlicher Wandel hin zu einem nicht-kapitalistischen Zugang. Man kann nicht alles verbrauchen, aber auf der anderen Seite kann man alles gebrauchen. Für alles die angemessene Herangehensweise – so könnte das Gemeingut die materielle Verbindung darstellen. Sie sprachen in Ihrem Vortrag über die Bauern in Bolivien und den deutschen Hacker, der diesen relativ einfach helfen könnte, ihnen zum Beispiel ein Programm für ihre Organisation schreiben könnte. Ist es das, worum es in Ihrem Buch geht? Wird das die Zukunft sein? Die Basis, das Sein, das wie Marx sagt, das Bewusstsein bestimmt. Die Entwicklung einer neuen Art von Materialismus, eine Basis für die Verbindung zwischen den Menschen?

Hardt: Ja, das scheint richtig. Es könnte sein, dass Toni und ich vielleicht noch auf einer früheren Ebene denken, als diejenigen, auf die du dich in gewisser Weise zu bewegst. Diese ist, zunächst die Verbindungen anzuerkennen zwischen den Kämpfen in Bolivien um das Wasser oder dem Kampf um das Wissen der Eingeborenen am Amazonas und dem Kampf des Hackers für freie Informationen. Zu versuchen all diese verschiedenen Kämpfe zu verbinden, ist wenigstens ein erster Schritt dahin.

Mandus: Ich muss dabei an eine der Fragen denken, die Ihnen in der Diskussion nach dem Vortrag gestellt wurde: Ob es möglich ist, die „common wealth“-Revolution zu machen, ohne das Buch dazu zu lesen – weil der Kapitalismus ebenfalls funktioniert, weil CO2 ebenfalls emittiert wird, ohne dass jemand zuvor ein Buch darüber liest – oder vielleicht sogar genau, weil niemand ein Buch dazu liest.

Meine Frage ist also, ob es einen ebenso intuitiven, affektiven Weg dazu gibt, das Empire zu überwinden, wie es zu erschaffen?

Ich muss dabei an eine indirekte These des Poststrukturalismus denken, dass der Kapitalismus zusammenbrechen würde, wenn die Leute einfach aufhören würden, ihr Geld und ihre Arbeitskraft zu sparen für die Akkumulation und stattdessen anfangen würden, einfach jeden Tag zu leben und die Gegenwart zu genießen – wie Foucaults Philosophie zur Lebenskunst von Manchen interpretiert wird.

Ich denke, dass die Arbeit von Umwelt-NGOs sich dann dahin ändern müsste, Leute zu dieser Lebenskunst zu ermuntern, da genau dies den Akkumulationsprozess verhindert und damit die Emissionen von Abgasen, Abwässern etc.

Ich würde gerne wissen, ob Sie dieser Logik zustimmen und welche politischen Implikationen daraus für Sie folgen?

Hardt: Ich denke ich stimme zu. Wogegen ich allerdings argumentieren würde, ist eine Art individualistischer Interpretation dieser ethischen Forderung, sowohl in ökologischer, aber dann auch in politischer Hinsicht. Denn manchmal wird das, was du gerade gesagt hast, als individuelle Ethik interpretiert. Wie: „Ich werde die Erde retten, indem ich meine Plastikflaschen recycle und mit dem Fahrrad zur Arbeit fahre!“ Und ich denke, als individuelle Entscheidung rettet das weder in ökologischer Hinsicht die Erde, noch funktioniert das politisch. Andererseits denke ich, wenn man es als politisches Projekt versteht, anstatt als individuelle ethische Entscheidung, dann ist das etwas, was Toni und ich oft als den „Weg neue Formen des Lebens zu schaffen“ bezeichnen. „Neue Formen des Lebens zu schaffen“ bedeutet nicht, eine Art ethische Entscheidung, sondern eher neue soziale Beziehungen zu erschaffen, die auch manchmal beinhalten können, meine Plastikflaschen zu recyceln und zur Arbeit zu radeln, aber eher als ein kollektives politisches Projekt anstatt als ein individuell-ethisches. Ich habe daran gedacht, weil du dich auf Foucault und die „Kunst zu Leben“ beziehst, das oft gelesen wird und ich glaube in einigen Fällen hat er es eher als individuelle ethische Entscheidung denn als politisches Projekt gemeint. Ich bin mehr an anderen Teilen von Foucaults Werk interessiert, wo es eher um ein kollektives politisches Projekt als um eine individuelle ethische Entscheidung geht.

Mandus: Ich denke, dass das keinen Widerspruch darstellt, aber das lässt sich hier vielleicht nicht klären.

Merle: Neulich kam eine deutsche Professorin von mir auf Ihr Konzept von Empire und Multitude zu sprechen, erklärte es und fügte es in eine Art neue Design-Theorie ein: Sie sagte, dass letztlich die Multitude nur entsteht als eine für das Empire nötige Antwort oder als nötiges Gegengewicht. Das Empire ist demnach groß genug, um den Exodus der Leute wieder zu vereinnahmen und die Multitude zu verwandeln, so dass die Leute nicht direkt faul, aber unfähig werden, das Empire zu verlassen. Sie zeigte dafür u.a. Bilder von Slums, die neben großen Häusern koexistieren als Beispiel zweier im Empire vereinigter Welten. Meine Frage ist, ob es Ihrer Meinung nach diesen Prozess der Vereinnahmung durch das System oft bei revolutionären Bewegungen oder Strategien gibt und was die Ursache dafür ist, ob diese speziell mit der Frage der Gewalt zusammenhängt?

Damit hängt für mich auch die Frage der Lösung der Vereinnahmungsproblematik zusammen: Wenn der Kapitalismus so schnell selbst Dinge wie Kommunikationsguerilla vereinnahmen kann, braucht es dann irgendwie Gewalt, um das zu lösen?

Hardt: Das ist eine große Frage. Dazu habe ich zwei verschiedene Sachen zu sagen.

Zunächst: Das wäre eine Interpretation, dass es eine Art grundlegende Natur des Kapitalismus und der aktuellen globalen Ordnung ist, dass alles, sogar das Widerständische, in es zurückgeführt werden kann.

Und so ist dann die Frage: Welche Art von Sabotage wäre möglich?

Man kann sich das alles als Maschine vorstellen, die alles schluckt was in sie hinein kommt. Guerilla-Kunst, Subkulturen, sogar städtische Revolten lassen es als eine Maschine erscheinen, die funktioniert. Dann fragt man sich, was für eine Sabotage möglich ist, Sabotage im ursprünglichen Sinne, wenn man einige Dinge in die Maschine wirft um sie zu stoppen. Man fragt sich „Was kann sie nicht aufnehmen?“, denn auf eine Art scheint sie alles aufnehmen, schlucken und weiterarbeiten zu können. Es wird an uns sein, herauszufinden was es nicht aufnehmen kann, was es nicht schlucken kann, was das System wirklich unterbrechen würde. Es scheint wie eine wichtige strategische politische Frage. Und es heißt nicht, dass wir das Gegenteil tun sollten. Das heißt es nicht, weil das Kapital sogar durch die Idee der ethnischen Vielfalt funktioniert, wie bei der Benetton-Werbung. Was nicht heißt, dass wir gegen ethnische Vielfalt sein sollten! Ich denke manchmal, dass der Übergang passieren wird, indem wir durch das Innere des Kapitalismus durchgehen. Das war ein Teil des Deleuze’s & Guattari’s Buch „Anti-Ödipus“, indem sie metaphorisch sagen, dass Revolution nicht durch ein Losketten, eine Trennung vom Kapital passiert, sondern eher dadurch, es weiter zu treiben als es gehen kann. Das verweist dann zurück auf die Frage, was es heißen würde, es weiter zu treiben als es gehen kann. In Bezug auf Guerilla-Kunst und auch der ethnischen Vielfalt habe ich keine definitive Antwort darauf. Es ist wichtig, die Flexibilität der Herrschaftssysteme anzuerkennen und das dann als Ausgangspunkt zu nehmen. Das beantwortet das nicht wirklich, aber damit kann der schwierige Weg beginnen.

Mandus: In einem Kapitel von Empire sagen Sie, Sie würden gerne eine Art postmodernen Republikanismus einführen. Das habe ich nicht verstanden, warum nicht Kommunismus oder Anarchismus oder vielleicht Nomadismus.

War der Republikanismus nur eine kleine Idee, die Sie im Laufe der letzten 10 Jahre über Bord geworfen haben, oder ist diese Idee immer noch aktuell?

Hardt: Das ist sie nicht wirklich. Tatsächlich ist das erste Kapitel des aktuellen Buches eine komplette Kritik der Republik. Denn die Bedeutung der Republik, ist die Republik des Eigentums. Und so ist irgendwie das ganze erste Kapitel gegen die Republik und für das Gemeinsame.

Ich denke, es trifft für all unsere Bücher zu, aber definitiv für das aktuelle Buch, dass wir den Begriff Kommunismus nicht oft gebrauchen, weil er so einfach missverstanden wird. Er wird oft als das genaue Gegenteil von dem verstanden, was wir meinen. Wenn man Kommunismus sagt, denken die Menschen oft an absolute Kontrolle des Staates über die Wirtschaft und die Gesellschaft, was das Gegenteil von dessen, was wir meinen. Deshalb schreiben wir anstatt über den gesamten Begriff oft über das, was wir als grundlegende Elemente des kommunistischen Denkens verstehen: die Kritik des Eigentums, absolute Demokratie, neue Formen der sozialen Organisation, Revolution… Das ist eine Art Strategie der Kommunikation, aber ich möchte nicht den alten Gebrauch des „Republikanismus“ verteidigen – ich kritisiere ihn, da hast du recht.

Konne: Aber ist das nicht auch ein bisschen das Problem mit dem Begriff „Demokratie“? Wenn man von Demokratie redet, denke ich immer: „Oh nein, wir haben das gerade – wir wollen darüber hinaus kommen!“

Hardt: Ja, das weiß ich auf eine Art! Ich glaube, dass fast alle unserer primären Konzepte unseres politischen Vokabulars korrumpiert wurden. Auch Demokratie und Freiheit. Wenn man Bush zuhört, ich glaube es war seine zweite Antrittsrede, dann ging es da nur über Freiheit und Demokratie und doch meint er mit diesen Begriffen genau das Gegenteil von uns. Weil für ihn Demokratie nicht einmal die reguläre parlamentarische Wahl bedeutet, sondern im Wesentlichen, Leute zu bombardieren, damit sie sich seinem Willen fügen – genau das Gegenteil dessen, was wir denken.

Und deshalb kann man Begriffe wie diesen entweder einfach aufhören zu benutzen – was glaube ich die hauptsächliche Entscheidung in DER bzw. genauer UNSERER Linken ist – einfach nicht mehr über Demokratie zu reden, weil sie so korrumpiert wurde, sie einfach liegen zu lassen und dann einen neuen Ausdruck zu schaffen. Oder man kann über das Konzept streiten, weil man denkt, dass es so viele Bemühungen und Leiden durchgemacht hat, dass es vielleicht wert ist, es neu zu definieren, es das meinen zu lassen, was es meinen sollte.

Ich bin nicht sicher, ob das die richtige Herangehensweise ist, aber ich erkenne auf jeden Fall und fühle es auch oft selbst, dass die Leute etwas anderes darunter verstehen, wenn ich Demokratie sage. Wie bei Kommunismus oder Freiheit oder Liebe. Also ist es ein wichtiger Teil unserer Arbeit, das politische Vokabular zu redefinieren. Manchmal kreieren wir auch neue Wörter, aber die Leute hassen das.

Multitude war ein gutes Wort.

Ja das war ein Gutes.

Konne: Sie kreieren die Multitude durch ihre Bücher und wir versuchen es, indem wir dies hier verbreiten, durch dieses Interview. Und natürlich wissen Sie nicht, was die Menschen tun sollen, und natürlich sollen die Menschen ihnen nicht „folgen“. Aber jetzt, da Sie wissen, dass Tausende das hier lesen werden, was wollen Sie den Leuten mitteilen, was sollen sie tun? Was können sie tun, um mitzumachen? Was ist im Moment das Wichtigste?

Hardt: Nein, ich glaube, so kann das nicht laufen! Ich betone das manchmal vielleicht zu sehr, aber ein wesentlicher Gedanke unserer Bücher ist es, zu schreiben und zu verstehen, was die Bewegungen schon denken.

Es ist genauer so, dass da ein Theoretisieren in den Bewegungen passiert, das oft und speziell in letzter Zeit Konzepte erfand und Probleme gelöst hat – viel effizienter als irgendwelche Intellektuellen an den Universitäten. Was Toni und ich oft machen, ist der Versuch, auf eine Art zurück zu reflektieren, was die Leute schon sagen, schon denken. Ich denke, dass das Konzept des Empire und der Multitude schon von den Bewegungen erfunden worden waren und die Formen der horizontalen Organisation schon da waren – also haben wir versucht, zu interpretieren, was schon passierte.

Ich gehöre vielleicht einer anderen Generation an als ihr, aber vielleicht teilen unsere Generationen die Abneigung gegen Intellektuelle, die Leuten sagen wollen, was sie zu tun haben. Oder eben gegen politische Führer, die den Menschen sagen, was sie zu tun haben. Es gibt da eine Art von nicht nur Angst, sondern eher Abneigung dem gegenüber, es scheint einfach hässlich, falsch – deshalb fühle ich hier irgendwie ein Zögern, zu antworten.

VIELEN DANK!