Mit dem Zusammenbruch der DDR 1989 schienen auch die politischen und ökonomischen Alternativen in der BRD den Bach runter zu gehen.
Es reichte nicht aus, dass der Kapitalismus einen gefühlten Sieg davon tragen sollte, die einsetzende (kapitalistische) Globalisierung schien jedem alternativen Ansatz den Gar aus zu machen. Die in den 1970ern und 80ern gewachsene Alternativbewegung schien Geschichte zu sein. Dem ist aber nicht so!
Elisabeth Voß, schon lange Aktivistin in den Zusammenhängen einer solidarischen Ökonomie, legt nun mit einem Wegweiser ein Büchlein vor, welches eine große Bandbreite bestehender Projekte präsentiert, deren Umfang ich selbst kaum für möglich gehalten habe. Bei der Vielzahl der Projekte, deren Wirtschaften nicht den herrschenden Kapitalinteressen unterliegen, sondern dem Menschen, seiner Umwelt und möglichst generationenübergreifend nachhaltig angelegt sind, sowie darauf bedacht Ressourcen möglichst gerecht und schonend zu ver- und gebrauchen, kommt Hoffnung auf.
Die Autorin räumt selbst ein, dass u.U. nicht alle der aufgeführten Projekte strengen Maßstäben standhalten können. Für die einen mag dies ein Anzeichen von Naivität sein, aber ich denke, dass hier eher einem Kalkül gefolgt wird möglichst viele Ansätze mit ins Boot der Solidarischen Ökonomie zu holen. Dies scheint mir auch die richtige Herangehensweise zu sein, denn jeder Ansatz, der weg vom kapitalistischen Verwertungssystem führt, schärft das Bewusstsein dafür, dass Alternativen machbar sind.
Neben den Einführungen ins Thema und einer kleinen Geschichte der Solidarischen Ökonomie in Deutschland folgen zahlreiche Praxisbeispiele zu den Themen Anders Arbeiten und Wohnen, Frauenprojekte, Widerstand gegen (kapitalistisch orientierte) Privatisierungen von Energie, Gesundheit, Bildung etc., Ernährung, Genossenschaften, Tauschringen, Umsonstläden usw. Neben einem theoretischen Ansatz der Gesellschaftsveränderung werden hier die praktischen Beispiele aufgeführt, die mittlerweile den gesamten Alltag umfassen können. Die Hauptsache ist, dass neben dem Theoretisieren auch ein praktischer Weg beschritten werden kann.
So überraschte es mich, dass ca. 3.200 Menschen heute in Deutschland in Kommunen / Gemeinschaften leben (ohne Anthroposophen oder sonstige religiöse Gemeinschaften), dass es ein Wiki zu Wagenburgen gibt. dass 2009 ein internationaler Kongress für Solidarische Ökonomie rund 700 TeilnehmerInnen aus 55 Ländern zusammenbrachte,… Wie überhaupt eine internationale Vernetzung diverser Projekte und Dachverbände – dank dem Internet – heute einen hohen Standart zu haben scheint.
Dementsprechend empfinde ich dieses Büchlein als eine der wichtigsten Neuerscheinungen in diesem Jahr. Es macht Mut sich dem kapitalistisch orientierten System, welches wir abschaffen wollen, etwas Praktisches entgegen zu setzen.
Hier gibt es für alle einen Ansatzpunkt aktiv zu werden, sich mit einzuklinken, oder neue Ideen zu entwickeln. Wir sind mit unserem Bio-Bäcker, der Arbeitslosen-Ini, dem Kiezbündnis usw., sowie dem Kampf gegen eine (kapitalistisch-entfesselte) Globalisierung nicht allein, sondern Teil einer wahren Globalisierung, die über alle Grenzen hinweg, den Menschen in den Mittelpunkt stellt und nicht den kurzfristigen Profit für wenige.
Als Einstieg in die Möglichkeit des solidarischen Handelns ist dieses Buch ein hervorragender Leitfaden für alle, die Handeln wollen, und nicht nur reden.
Elisabeth Voß, Wegweiser Solidarische Ökonomie. ¡Anders Wirtschaften ist möglich! Hg.: NETZ für Selbstverwaltung und Selbstorganisation e.V., AG SPAK Bücher, Neu-Ulm 2010, ISBN 978-3-930830-50-3, 86 Seiten, 9 Euro