Noch heute ist Fahnenflucht in Deutschland nach § 16 Wehrstrafgesetz (WStG) strafbar. „Schutzgut der Fahnenflucht ist die Schlagkraft der Truppe. Danach wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft, wer eigenmächtig seine Truppe oder Dienststelle verlässt oder ihr fernbleibt, um sich der Verpflichtung zum Wehrdienst dauernd oder für die Zeit eines bewaffneten Einsatzes zu entziehen oder die Beendigung des Wehrdienstverhältnisses zu erreichen. Bereits der Versuch der Fahnenflucht ist strafbar“, so Wikipedia.
Kein Wunder also, dass auch die Wehrmachtsdeserteure in der Bundesrepublik jahrzehntelang als „Vaterlandsverräter“ und „Drückeberger“ diffamiert wurden. Während das Land mit unzähligen in den letzten 140 Militarismusjahren hingeklotzten Kriegspropagandadenkmälern übersät ist, gibt es bis heute nur in wenigen Städten Denkmäler, die an die Deserteure erinnern, die zivilcouragiert Sand in die Kriegsmaschinerie der Nazis gestreut haben.
Von Jahr zu Jahr wird die Zahl der noch lebenden ehemaligen Wehrmachtsdeserteure kleiner. Die meisten wurden noch in der Nazizeit hingerichtet oder sind mittlerweile gestorben.
Als Teil der War Resisters‘ International (WRI) unterstützt die gewaltfrei-libertäre Monatszeitung Graswurzelrevolution (GWR) DeserteurInnen und (Totale) KriegsdienstverweigererInnen weltweit. Im Mai 2000 erschien in der GWR Nr. 249 ein Artikel des damals 73jährigen Rainer Schepper: „Ich war Deserteur. Reminiszenzen aus dem Jahre 1945“. Darin heißt es u.a.: „Dulce et decorum est pro patria mori! – Süß und ehrenvoll ist es, für das Vaterland zu sterben! – Eine Parole, die sich von Homer bis Klopstock in vaterländischer Dichtung findet, und die im nationalsozialistischen Deutschland aufgegriffen und uns schon in der Jungvolk- und Hitlerjugendzeit indoktriniert wurde. Die gepriesene Süßigkeit des als erstrebenswert hingestellten Heldentodes hatte für mich von Anfang an einen bitteren Beigeschmack, und auf die Ehre, vielleicht einmal namentlich mit vielen anderen in Schlachten hingemordeten Kameraden auf einer Heldengedenktafel zu erscheinen, war ich keineswegs erpicht.“
Nun hat Rainer Schepper auf den Rat vieler Freundinnen und Freunde gehört und seine Erinnerungen an die eigene Deserteurszeit in Buchform veröffentlicht.
Seine Erzählung dokumentiert anschaulich, wie der Militarismus im Nazideutschland den Alltag der Jugendlichen während des Zweiten Weltkriegs bestimmt hat: Hitlerjugend, Wehrertüchtigungslager, Flakhelfer, Arbeitsdienst und Wehrmacht. Zentral sind die Erlebnisse, die Schepper während der letzten Kriegsmonate gemacht hat. Im Januar 1945 wird der 17-Jährige zum Reichsarbeitsdienst eingezogen und zum Kriegseinsatz an die Ostfront kommandiert. Er flieht während der sowjetischen Panzeroffensive. Mit der permanenten Angst im Nacken, als Fahnenflüchtiger standrechtlich erschossen zu werden, kehrt er nach Hause zurück. Nach einem Krankenhausaufenthalt aufgrund seiner Erfrierungen erfolgt ein weiterer Marschbefehl. Schepper desertiert noch zweimal und entkommt, trotz Standgericht und Strafkommando.
Heute ist Rainer Schepper 83 Jahre alt, aber immer noch reist der Pazifist und Publizist unermüdlich durchs Land und referiert über seine Erfahrungen als Deserteur.
Wer der Geschichtsvergessenheit und den Rekrutierungskampagnen der Bundeswehr in den Schulen etwas entgegensetzen möchte, sollte den Antimilitaristen zu einer Lesung einladen und seinen wichtigen „defätistischen“ Zeitzeugenbericht lesen.
Rainer Schepper: Ich war Deserteur - Reminiszenzen aus dem Jahre 1945, agenda Verlag, Münster, November 2009, ISBN 978-3-89688-386-5, 58 Seiten, 14,80 Euro
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Kontakt zu Rainer Schepper: rainerSchepper@web.de