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Ziviler Ungehorsam oder Demokratie?

Zu konfrontativen Kampagnen und Repression gegen TierrechtlerInnen in Österreich

| The Lamia

Martin Balluch hat ein langes Leben als politischer Aktivist hinter sich, das 1978 beim Widerstand gegen das AKW Zwentendorf begann und sich mit der Besetzung der Hainburger Au im Dezember 1984 fortsetzte. Seit 1989 war er in England und Österreich beim Aufbau von Tierrechtsgruppen beteiligt und ist heute Obmann des Verbands „Verein gegen Tierfabriken“ (VGT).

Konzeptionell und strategisch steht diesem Verband die österreichische „Basisgruppe Tierrechte“ (BAT) gegenüber.

AktivistInnen aus beiden Lagern sitzen derzeit auf der Anklagebank eines großangelegten Repressionsprozesses, bei dem die gesamte Tierrechtsbewegung in Österreich zu einer „kriminellen Organisation“ nach § 278a (vergleichbar § 129a) erklärt und als quasi terroristisch eingestuft werden soll, wer auch nur Kontakte zu dieser Bewegung hat. Die Prozessstrategien beider Lager sind unterschiedlich (siehe: antirep2008.tk), die einen sagen aus, die anderen nicht.

Die österreichische Tierrechtsbewegung ist in den letzten zwei Jahrzehnten ziemlich erfolgreich gewesen. Nach konfrontativen Kampagnen zivilen Ungehorsams gibt es seit 2005 in Österreich keine Wildtier-Zirkusse mehr und seit 2009 dürfen auch in Supermärkten keine Eier aus Legebatterien mehr verkauft werden.

Seit 2005 gibt es ein fortschrittliches Gesetz gegen Tierquälerei. Nach direkten Aktionen gegen die Pelzindustrie kam die staatliche Repressionskampagne mit der Einrichtung einer eigenen „SOKO Pelztier“ im April 2007 ins Rollen, die dann über alle denkbaren Überwachungsmaßnahmen zur Razzia vom 21. Mai 2008 (bei 32 Wohnungen bzw. Tierschutzbüros) und zum gegenwärtigen Prozess führten, worauf Balluch als Betroffener im Buch ausführlich eingeht. Er führte nach der Razzia 2008 einen 33-tägigen Hungerstreik durch.

Balluch ordnet die Aktionen zivilen Ungehorsams der österreichischen Tierrechtsbewegung in seinem Buch allerdings nach einem formalen Schema an und beschreibt nur die VGT-Kampagnen genauer, lässt also die direkten Aktionen der BAT und anderer unabhängiger Gruppen weitgehend weg. Das ergibt eine Schieflage, die seinem inhaltlichen Ansatz geschuldet ist.

Ethik und Politik/Demokratie stehen sich bei Balluch richtiger Weise schroff gegenüber. Balluch akzeptiert aber als Konsequenz die Spielregeln der herrschenden Demokratie, weil er meint, dass kompromisslose Ethik handlungsunfähig macht – was ich grundsätzlich bestreiten würde.

Durch das Einlassen auf die Politik kommt Balluch zur programmatischen Grundaussage: „Das Gewaltmonopol (des Staates; d.A.) ist grundsätzlich zu bejahen und zu respektieren.“ (S. 35) Das Weitere gleicht dann einer Diskussion, die in Deutschland seit den Achtzigerjahren bekannt ist, als die Grünen das staatliche Gewaltmonopol akzeptierten und unabhängige Basisinitiativen, darunter auch gewaltfreie AnarchistInnen, dies bestritten.

Besonders naiv wird Balluch, der doch selbst von der Repression so hart Betroffene, gegenüber Polizei- und Justizgewalt: „Für das Funktionieren der Demokratie ist es wesentlich, dass sich auch politische AktivistInnen nicht vor Gewalt durch die Polizei oder vor repressiven Gesetzen oder gar Gefängnisstrafen fürchten müssen. Natürlich kann und soll die Polizei gegen Gesetzesübertretungen vorgehen. Aber genauso wie die AktivistInnen demokratiepolitisch zu Gewaltfreiheit verpflichtet sind, muss das auch die Exekutive sein.“ (S. 35f.)

Die Exekutive kann sich gar nicht auf Gewaltfreiheit verpflichten, denn in der Demokratie ist die Exekutive immer Exekutivgewalt. Gewalt ist integrativer Bestandteil, ja Kern einer Exekutive. Die AktivistInnen sollten hierüber aufgeklärt werden und müssen daher Polizeigewalt fürchten und immer mit ihr rechnen, auch und gerade bei gewaltfreien Gegenstrategien. Besonders problematisch ist Balluchs Verwendung des Begriffs der „demokratiepolitischen Legitimität“.

Als gewaltfreier Anarchist definiere ich das, was ich unter direkter gewaltfreier Aktion verstehe, selbst oder kollektiv mit Gleichgesinnten und lasse mir diese Definition nicht von außen durch ein Verdikt des demokratiepolitisch Bedenklichen oder gar Illegitimen absprechen.

Das bedeutet nicht, dass ich die von Balluch vorgestellten konfrontativen Kampagnen und Strategien einfach in den Wind schlagen würde. Aber es ist keineswegs so, dass eine soziale Bewegung zusätzlich zum Widerstand auch immer noch gleich die Gesetze dazu machen muss. Die neueren österreichischen Tierschutzgesetze, die Balluch zu Recht als so fortschrittlich herausstellt, sind an sich eben keine „Systemänderung“ (S. 39ff.), sondern nur ein Schritt auf dem Weg zu einer gesamtgesellschaftlichen Systemänderung. Die Gesetzeslage reflektiert dabei nur die Stärke der momentanen gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse.

Für Balluch ist der Zivile Ungehorsam nur das Pendant oder Korrektiv zur Finanzstärke der herrschenden Unternehmen und Interessengruppen, mit der letztere die an sich gute und neutrale Demokratie korrumpieren. Balluch übersieht leider, dass diese Korruption in der Regel überaus legal und integrativer Bestandteil der Demokratie ist, während der Zivile Ungehorsam, wie die Prozesse zeigen, illegal bleibt. Die Demokratie kann deshalb nicht neutral sein, wie Balluch fordert, sondern sie ist Herrschaft und Gewalt. Sie sollte von uns – parallel zu einem Aufbau gesellschaftlicher Alternativen – zurückgedrängt und durch eine libertäre Basisdemokratie ersetzt werden.

Martin Balluch: Widerstand in der Demokratie. Ziviler Ungehorsam und konfrontative Kampagnen. Promedia Verlag, Wien 2009, ISBN 978-3-85371-304-4, 157 Seiten, 9,90 Euro