Redebeitrag von Bernd Drücke (als Sprecher von Freundeskreis Paul Wulf und Umweltzentrum-Archiv e.V.), gehalten am 5.11.2010 anlässlich der Übergabe der Paul Wulf Skulptur an die Öffentlichkeit
Liebe Freundinnen und Freunde,
wer Paul Wulf gekannt hat, der weiß, dass er ein Außenseiter war. Für viele war er nur ein kauziger und anstrengender Typ. Viele, auch viele Linke haben ihn zu seinen Lebzeiten nicht ernst genommen.
Das hat sich jetzt geändert, auch dank Silke Wagner, dank der von uns gemeinsam entwickelten Skulptur „Münsters Geschichte von unten“, die wir hier jetzt endlich der Öffentlichkeit wieder präsentieren können.
Paul Wulf
Paul Wulf wurde 1921 geboren. Er war in einem proletarischen Elternhaus aufgewachsen. Seine Eltern waren so arm, dass sie ihn schließlich 1928 als Siebenjährigen in ein Heim geben mussten.
In der Zeit, die er in verschiedenen Heimen verbrachte, wurde ihm Bildung de facto verwehrt. 1938 ist er als angeblich „Schwachsinniger“ auf bestialische Weise zwangssterilisiert worden. Das hat ihn zu einem Antifaschisten gemacht. Zeit seines Lebens hat ihn das bewegt. Er ist einer von über 350.000 Menschen, die von den Nazis als „Lebensunwerte“ zwangssterilisiert wurden.
Er war einer der ganz wenigen, die dieses Thema immer wieder auf die Agenda gebracht haben, die andere Leute mit der Geschichte konfrontiert haben, die informiert und aufgeklärt haben.
Paul Wulf war ein glühender Aufklärer. Er verstand sich selbst als „Anarchist und Kommunist“ und war aktiv in den sozialen Bewegungen, auch als Anti-Atom-Aktivist und Hausbesetzer.
Seine antifaschistischen Ausstellungen haben viele Menschen bewegt. Paul hat aufgeklärt über die Verbrechen des Nationalsozialismus und die systemübergreifenden Faschisten, die ihre in der NS-Zeit begonnenen Karrieren in der Bundesrepublik oft nahtlos fortsetzen konnten.
Schon zu seinen Lebzeiten gab es viele Menschen, denen diese direkte Form von Aufklärung ein Dorn im Auge war. Und natürlich gibt es auch heute noch viele Menschen, die sich eher an biologistischen Brunnenvergiftern und Rassisten wie dem Ex-Banker Thilo Sarrazin orientieren als an dem Anti-Eugeniker und Menschenfreund Paul Wulf.
Die Paul Wulf gewidmete Skulptur wurde als „linksextremistisches“ Ärgernis geschmäht.
„Wir wollen nicht ständig an die Vergangenheit erinnert werden“, so begründete 2007 ein Münsteraner Politiker der damaligen CDU/FDP-Ratskoalition seinen nun gescheiterten Versuch, den Erhalt der Skulptur zu verhindern.
Die Skulptur ist ein Ärgernis für viele, die sich eher an den vielen, den Militarismus verklärenden Kriegerdenkmälern hier an der Promenade orientieren als an dem Antimilitaristen Paul Wulf.
In der letzten Nacht gab es einen Anschlag auf die Skulptur. Die Brille wurde, wie schon bei den Skulpturprojekten 2007, zerstört, Plakate wurden beschädigt. Gleichzeitig mussten wir in den letzten Tagen hier an der Promenade vermehrt „Rudolf Hess“-Aufkleber der „Nationalen Sozialisten Münster“ an Laternen entdecken und abreißen.
Aber es gibt auch das andere, das tolerante, weltoffene, menschenfreundliche Münster.
Während der Skulpturprojekte 2007, an der sich 36 international bekannte KünstlerInnen mit neuen Werken beteiligten, entwickelte sich die Paul Wulf-Skulptur zum Publikumsliebling. Sie schaffte es sogar auf die Titelseite der International Herald Tribune. Die Obdachlosenzeitung draußen! wählte sie zur menschenfreundlichsten Skulptur und verlieh ihr den „Berberpreis“. Und die Leserinnen und Leser der Münsterschen Zeitung wählten „Paul“ zur beliebtesten Skulptur der „Skulptur Projekte Münster“, die 2007 von rund 575.000 kunstinteressierten Menschen aus aller Welt besucht wurde.
Paul, der zu Lebzeiten von so vielen nur belächelt wurde, wird heute endlich von vielen Menschen ernst genommen. Seine Lebensgeschichte bewegt. Viele Menschen haben Paul Wulf und die ihm gewidmete Skulptur in ihr Herz geschlossen.
Ich freue mich, dass sich so viele für den Erhalt der Skulptur eingesetzt haben. Über 100 Menschen haben Geld für die Wiederaufstellung gespendet, darunter Schülerinnen und Schüler, aber auch Prominente wie der Münster Tatort-Kommissar Axel Prahl.
Das finde ich großartig.
Ich möchte Euch in diesem Zusammenhang etwas präsentieren, das Ihr noch nicht kennt. 2007, inspiriert durch die Paul-Skulptur, haben die „Kängurus“, eine Grundschulklasse der Wartburgschule, mit ihrer Lehrerin ein Projekt zum Thema „Paul Wulf“ gemacht. Sie haben ihren eigenen Paul gebastelt und aufgeschrieben, was sie ungerecht finden, was sich ändern muss. Ihre Wünsche haben sie dann auf ihre selbst gebastelte Skulptur geklebt: „Wenn andere über mich bestimmen, finde ich das ungerecht“, „Ich will, dass es in der Welt keinen Krieg mehr gibt“, … (siehe Abbildung).
Es ist toll zu sehen, wie Paul Wulf heute, 11 Jahre nach seinem Tod, gerade bei Kindern und Jugendlichen wirkt.
Bewegend finde ich oft auch die Reaktionen von Menschen, die hier an der Skulptur stehen bleiben und die darauf plakatierten Dokumente auf sich wirken lassen.
Mich hat ein Obdachloser angesprochen, der meinen hier plakatierten Text zu Paul gelesen hat. Er hat gesagt, er habe das gelesen und dann wären ihm die Tränen gekommen, weil ihm dieses Schicksal, dieses Leben von Paul Wulf so bewegt hat. Paul, der einerseits Opfer war, aber immer wieder als Kämpfer in gewisser Weise aus dieser Opferrolle herausgetreten ist, der sich immer getraut hat zu sagen, was ihm Grausames angetan wurde, der benannt hat, wer verantwortlich für solche Verbrechen war. Die meisten der heute noch lebenden Zwangssterilisierten trauen sich nicht, in der Öffentlichkeit zu sagen, was ihnen angetan wurde.
Paul Wulf hat das immer getan. Und von daher ist er auch ein „Held der Aufklärung“, der sich das Bundesverdienstkreuz, das ihm 1991 für seine antifaschistische Aufklärungsarbeit verliehen wurde, mehr als verdient hat.
Er hat auch verdient, dass sich die Öffentlichkeit in den nächsten Jahren intensiv mit seinem Leben und seiner politischen Arbeit beschäftigen wird, auch mit seinem Handeln als Antifaschist, als libertärer Aktivist in den Sozialen Bewegungen.
Ich danke Euch dafür, dass Ihr das zusammen mit vielen ermöglicht habt.
Der größte Dank gebührt Silke Wagner.
Als Freundeskreis Paul Wulf haben wir uns 1999 direkt nach Pauls Beerdigung zusammengeschlossen. Wir haben versucht, Öffentlichkeitsarbeit zu machen, um das Andenken an unseren Freund lebendig zu halten. Wir haben Gedenkveranstaltungen gemacht, 1999 eine Paul Wulf-Broschüre und 2007 im Verlag Graswurzelrevolution das Buch „Lebensunwert? Paul Wulf und Paul Brune. NS-Psychiatrisierung, Zwangssterilisierung und Widerstand“ herausgegeben. Wir haben eine Initiative ergriffen zur Umbenennung des nach einem NS-Arzt benannten „Wilhelm Jötten Wegs“ in „Paul Wulf Weg“.
Aber ohne die Künstlerin Silke Wagner, mit der wir die Skulptur und das Projekt „Münsters Geschichte von unten“ seit 2006 gemeinsam entwickelt haben, wäre Paul heute wahrscheinlich noch so unbekannt wie vor den Skulptur Projekten 2007. …