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… und wieder gingen wir ein paar kleine Schritte zu einer freien Gesellschaft

Subjektive Eindrücke von der ersten Rostocker A-Woche

| Ulf

Vom 6. bis 10.10.2010 fand im Peter Weiss Haus die erste Rostocker A-Woche statt (vgl. GWR 352, S. 20).

Am Mittwoch, den 6. Oktober ging es los und ich fand mich zusammen mit sieben anderen Menschen zum Forumtheaterworkshop ein. Wir wärmten uns locker auf, begannen zu spielen, entwickelten Szenen und versuchten, gemeinsam Lösungen und Verhaltensmöglichkeiten in Konfliktsituationen zu erforschen. Die kleine Gruppe fühlte sich familiär und vertraut an, wir sahen viel und lernten voneinander. Ein schöner Einstieg.

Tags drauf nahm ich am Workshop „Emma und ich“ teil. In einem in Szene gesetzten Seminarraum, mit einer illustrierten Chronologie von Emmas Leben, Ereignissen der Zeit, einer bildlichen Geschichte der Anarchie und vielen schönen kleinen Details lässt sich toll arbeiten und reden. Das Seminar hat Lust gemacht auf mehr.

Exkurs: emma und ich

„Ich bin angefixt“ – sagt eine Teilnehmerin in der Schlussrunde des vierstündigen Workshops rund ums „Gelebte Leben“ (1) von Emma Goldman.

Ähnlich erzählen die anderen, dass sie durch den Ritt durch die Biographie und die gemeinsame Bearbeitung von Textstellen zu verschiedenen Themenblöcken (z.B. „Propaganda der Tat“ oder „Russischer (Alp)Traum“) Lust bekommen haben, sich mit dieser Frau, ihrem Leben und dem reichlich Drumherum an Zeitgeschichte weiter zu beschäftigen. Ich freue mich und finde es einen gelungenen Auftakt zur Rostocker A-Woche und am Ende wieder einmal einen Startpunkt zu geteilter Theorie und Praxis.

Zum Schluss denke ich: Warum nicht einfach zur Kernaussage des Konzeptes der „Propaganda der Tat“ zurückkehren (die Bomben beiseite lassend :-) ) und die eigenen Taten sprechen lassen, selber verwirklichen, was ich mir wünsche, und darüber kleine und große Veränderungen ermöglichen.

Klar, oft schon so oder anders auf Hauswänden und in schlauen Büchern gesehen: „sei die Veränderung, die du wünschst“ etc., aber wie kommen wir von einer guten Idee zu einem überzeugten (und überzeugenden) Tun?

Also erst mal nicht zögern – wir starten (u.a.) gleich an Ort und Stelle einen neuen „Libertären Lesekreis“. Vielleicht lassen wir ja mal Emma mit Hannah (Arendt) sprechen übers TätigSein und schauen, was die beiden Frauen uns für unsre eigene Theorie und Praxis zu sagen haben. Jess

Anders als im Programm geplant, entschließen sich die beiden Dozenten am Abend, die Veranstaltung zu einer offenen Diskussion zu machen, die sie mit einer Frage zum zivilen Ungehorsam eröffnen.

Nach kurzer Zeit sitzen wir zu zehnt im Kreis und wie von selbst entspinnt sich eine ernste Diskussion zur Organisationsfrage der Gesellschaft und mehr und mehr kommen wir zur Anarchie. Die Beteiligten äußern kontroverse Auffassungen, aber die Diskussion bleibt wohlwollend und niemals feindlich. Alle machen den Anschein, ernsthaft interessiert zu sein, an dieser Auseinandersetzung, die sich drei Stunden nimmt. So eine schöne Diskussion habe ich lange nicht erlebt, denke ich währenddessen und freue mich über die anwesenden Menschen.

Am Freitag kommt dann Bernd Drücke von der GWR in Rostock an, zu zwei Veranstaltungen zur Libertären Presse und der anarchistischen Bewegung im Laufe der Zeit (2). Mit einigen mehr Menschen folgen wir ihm am Abend und am Samstagmorgen durch die Zeit und die vielen schönen Titelblätter und Inhalte der libertären Zeitungen aus vergangenen Jahren: die libertäre Frauenzeitung mit den neuesten Moden und Tipps zur Emanzipation, anarchistische Kinder- und Jugendzeitungen, die Frage der Gewalt, der Kampf zwischen Freiheit und Autorität, die Repression,… Die Formen haben sich etwas verändert, denke ich, die Themen nicht. Unser Ziel ist immer noch das Gleiche.

Am Nachmittag des Samstags dann mein eigener Workshop: Anarchistische Kommunikation. Zusammen mit zehn Teilnehmenden betrachten wir die Kommunikationen, in denen wir so stecken, und versuchen, die Herrschaft und die Freiheit darin zu entlarven, zu verstehen und vor allem letzteres dann auch zu üben. Wieder arbeiten wir in vertrauter Atmosphäre und kommen schnell an das, was uns wichtig ist.

Ich freue mich, dass ich endlich mal direkt über Anarchie sprechen kann. In den Workshops, mit denen ich mein Geld verdiene, geht es zwar auch darum, doch dort überlasse ich es den Teilnehmenden, drauf zu kommen, wohin das führen könnte, wenn man lernt, freiheitlich und gewaltfrei zu kommunizieren. ;-)

Und nun war ich auch echt kaputt und meine A-Woche damit vorbei. Bei den zwölf anderen Veranstaltungen war ich nicht dabei, aber ich hörte Gutes. Für mich ein sehr schönes Erlebnis, diese Woche: schöne Menschen, spannende Themen und das Vertrauen in die Freiheit. Wann kommt denn der Schneeballeffekt?

Vielleicht mit der nächsten A-Woche oder mit …

(1) Die fast 1000seitige Autobiographie wurde neu aufgelegt bei Edition Nautilus, Hamburg, August 2010

(2) Im Anschluss an die Veranstaltungen des GWR-Redakteurs hat Sören Weber ihn für "herrschaftsfrei.org" interviewt. Das 54minütige Interview findet sich als Podcast auf: http://herrschaftsfrei.org/podcast/001_bernd_druecke.html