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Gegen die Militarisierung des linken Diskurses!

Die Inszenierung tendenziell totalitärer Entweder-Oder-Politik in Der kommende Aufstand

| Philippe Kellermann

Unsichtbares Komitee: Der kommende Aufstand, Original: L'insurrection qui vient, La fabrique éditions. Aus dem Französischen übersetzt von Elmar Schmeda, Deutsche Erstausgabe, Edition Nautilus, Hamburg, August 2010, 128 Seiten, 9,90 Euro, ISBN 978-3-89401-732-3

„Du kannst die schmutzige Wäsche der Partei nicht in aller Öffentlichkeit waschen.“
„Dann sollen sie ihre Wäsche nicht schmutzig machen.“
Edith Anderson. Liebe im Exil

Dieses Buch gefällt mir nicht. Leider. Denn: Ist ein Buch Grund für staatliche Repression, möchte man es doch lieber rundherum verteidigen.

Das kann und will ich in diesem Fall nicht tun – womit selbstverständlich das repressive Vorgehen staatlicher Organe nicht gerechtfertigt sein soll.

Was gibt es an diesem Buch auszusetzen? Schon der Gestus des Komitees, das sich zu „Schreibern der Situation“ stilisiert (10), ist zutiefst problematisch, bedeutet dies doch, dass seine Wahrnehmung und Interpretation der Gegenwart als allgemeingültige Wahrheit über die Situation ausgegeben wird.

Versteckt wird dies hinter der Behauptung, dass seine Ansicht von allen geteilt werde. So herrsche „Einvernehmen“ darüber, „dass alles nur noch schlimmer werden“ könne (5), oder es gelte: „Alle sind sich einig. Es wird knallen.“ (113)

An anderer Stelle ist davon die Rede, dass „man“ eben weiß (82) oder dass „alle Illusionen aufgebraucht“ seien (45).

Wenn nun alles so klar ist, warum dann der Drang, „nur die notwendigen Wahrheiten“ auszusprechen (9)? Und aufgrund welchen Wissens lässt sich zwischen notwendigen und nicht notwendigen Wahrheiten unterscheiden?

Ähnlich problematisch die Erklärung, dass sie, die Schreiber, „sich damit begnügt“ hätten, „etwas Ordnung in die Gemeinplätze der Epoche zu bringen, in das, was an den Tischen der Bars, hinter der geschlossenen Tür der Schlafzimmer gemurmelt wird“ (9).

Dahingestellt, woher das Komitee weiß, was an den Tischen der Bars und hinter geschlossenen Türen gemurmelt wird, bedeutet „Ordnung“ in solches Gemurmel zu bringen nicht, selbst eine Interpretation vorzunehmen?

Solche Fragen nicht einmal zu stellen, ist umso verheerender, als das Komitee kurzerhand seine revolutionäre Perspektive in die Situation hineinschreibt: „Es ist das Privileg der radikalen Umstände, dass die Genauigkeit dort in guter Logik zur Revolution führt. Es genügt, das zu sagen, was man vor Augen hat, und die Schlussfolgerung nicht zu umgehen.“ (10)

Was aber, wenn man eine andere Schlussfolgerung zieht?

Ist man dann ein/e Drückeberger/in, die/der der Wahrheit nicht ins Auge sehen will?

Aber vielleicht ist es, solche Fragen zu stellen, schon Hinweis darauf, dass hier keiner der Guten schreibt und überhaupt werden alle schon „zu einem ähnlichen Schluss kommen müssen“ (46). Kommen „müssen“?

Wie meinte doch Bakunin? Ach ja: „[A]uf diesem vermeintlichen und abstrakten Ausdruck dessen, was angeblich das ganze Volk denkt und will, wovon aber das lebendige, reale Volk auch nicht die geringste Vorstellung hat, darauf basiert in gleicher Weise die Theorie der Staatlichkeit und die Theorie der sogenannten revolutionären Diktatur.“

Dass die analytische Übereinkunft, die das Komitee zu vertreten meint, keineswegs gegeben ist, wird an manchen Stellen durchaus eingestanden.

So sei die „Sackgasse der Gegenwart (…) überall wahrnehmbar“, werde aber „überall geleugnet“ (9).

Indem das Komitee mit der Offensichtlichkeit der Situation argumentiert, müssen Andersdenkende fast notwendig pathologisiert und therapiert (zu Bewusstsein gebracht) oder zum Feind gerechnet werden. Apropos Gegner. Im Angebot hätten wir „Man“ (55), die „Herrschenden“ (63) oder den „Westen“ (68).

Gerade die Beschreibung des Westens erinnert in seiner polemischen Schlichtheit an die Ausführungen früherer RealsozialistInnen über die kapitalistischen Gesellschaften und dient allem Anschein nach vor allem der Konstruierung eines absoluten Feindes.

Hieraus resultiert eine erlösende Einfachheit, die Der kommende Aufstand als schlechte Erbauungsliteratur – gute Erbauungsliteratur verfasst Holloway – ausweist: „Dieses Nichts zu vernichten, ist alles andere als eine traurige Aufgabe. Das Handeln findet darin wieder eine neue Jugend. Alles bekommt Sinn, alles wird plötzlich klar.“ (91) Und schließlich teilt sich alles auf, zwischen „denjenigen, die die Ordnung wünschen, und denjenigen, die sie nicht mehr wollen“ (116).

Das Einschwören der LeserInnenschaft auf den Dualismus von Gut und Böse wird durch den Hinweis auf den existierenden Ausnahmezustand legitimiert. So befänden wir uns in einem „laufenden Krieg“ (88), unter „polizeilicher Besatzung“ (92), so dass es nicht verwundert, wenn auch eine ideologische „Losung“ der Herrschenden wie „I AM WHAT I AM“ als „Militärkampagne“ (14) deklariert wird. Leben wir in einer „Partisanenwirklichkeit“ (95), ist folgerichtig, dass es einen „Partisanen-Sinn für den laufenden Krieg“ erfordere (74).

Wohin diese Zustandsbeschreibung führt, ist absehbar: „Die Katastrophe ist nicht das, was kommt, sondern das, was da ist. Wir befinden uns schon jetzt in der Untergangsbewegung einer Zivilisation. Das ist der Punkt, an dem man Partei ergreifen muss.“ (75)

Muss man im großen Kampf von Gut und Böse Partei ergreifen, ist klar, wie diejenigen zu betrachten sind, die sich dieser Logik nicht fügen wollen: „Im jetzigen Stadium macht sich ein rein sozialer Protest, der sich weigert zu sehen, dass das, dem wir uns gegenübersehen, nicht die Krise einer Gesellschaft, sondern das Erlöschen einer Zivilisation ist, dadurch an ihrem Fortbestand mitschuldig.“ (71)

Treffen die Herrschenden „Vorbereitungen“ für einen „offenen Krieg[.]“ (113) und zeigt sich eine verstärkte „polizeiliche Rasterung des Landes“ (8), rückt das Thema der Gewaltanwendung bzw. der „Selbstverteidigung“ in den Vordergrund (92).

Dabei ist dem Komitee von vornherein alles klar: „Es gibt keinen friedlichen Aufstand. Waffen sind notwendig: Es geht darum, alles zu tun, um ihren Gebrauch überflüssig zu machen.“ (105) Gähn…

Aber aufwachen, es geht noch weiter: „Ein authentischer Pazifismus kann nicht die Verweigerung der Waffen sein, nur ihres Gebrauchs. Pazifist zu sein, ohne Feuerkraft zu haben, ist nur die Theoretisierung einer Ohnmacht. Dieser a priori-Pazifismus entspricht einer Art vorbeugender Entwaffnung, es ist eine rein polizeiliche Operation. In Wahrheit stellt sich die Frage des Pazifismus ernsthaft nur für denjenigen, der die Feuerkraft besitzt. Und in diesem Fall wird der Pazifismus im Gegenteil von Stärke sein, weil man einzig durch eine extrem starke Position von der Notwendigkeit befreit wird, zu feuern.“ (106)

Na danke schön. Solcherart Gepolter ist man sonst eher aus den Marxistischen Blättern oder ähnlichem gewöhnt. Gelobt wird dann auch das „Niveau der Gewalt und Entschlossenheit der Bewegung“ der Schüler/innen in Frankreich (123).

Bakunin schrieb einmal: „Um eine radikale Revolution zu machen, muss man also die Stellungen und Dinge angreifen, das Eigentum und den Staat zerstören, dann wird man nicht nötig haben, Menschen zu zerstören und sich zu der unfehlbaren, unvermeidlichen Reaktion zu verurteilen, die in jeder Gesellschaft das Massakre von Menschen stets herbeiführte und stets herbeiführen wird.“

Von einem solchen Bewusstsein ist beim Komitee nicht allzu viel zu bemerken, wenn eine revolutionäre Situation wie folgt beschrieben wird: „In einer Anwandlung von klarem Bewusstsein hat ein Manager gerade, mitten in einer Sitzung, eine Handvoll Kollegen kaltgemacht.“ (110) Ein wahrhaft „klares Bewusstsein“!

Wie sich das Komitee über die „weinerlichen Forderungen“ von Schülerdemos mokiert (123), ist es andererseits ein ganz anderes Subjekt, das vom Komitee herbeigewünscht wird, dass sich – wie sollte es in einem Krieg auch anders sein – vor allem durch Selbstgewissheit und Härte auszuzeichnen scheint.

Dies wird vor allem durch ihre Kritik an einem anderen Subjekttypus deutlich. So sei das „schwache, deprimierte, selbstkritische, virtuelle Ich (…) wesensmäßig das unendlich anpassungsfähige Subjekt“ des modernen Kapitalismus (13).

Und der „westliche Imperialismus heute“ sei gerade der „des Relativismus, des ‚Das ist deine Ansicht‘, das ist der kleine Seitenblick oder der verletzte Protest gegen all das, was dumm genug, primitiv genug oder selbstgefällig genug ist, um noch an etwas zu glauben, um noch irgendetwas zu behaupten. Es ist dieser Dogmatismus der Infragestellung, der in der gesamten universitären und literarischen Intelligenzija komplizenhaft mit dem Auge zwinkert.“ (69f.)

Es ist dann nur konsequent, wenn das Komitee aus strategischen Gründen die „Sichtbarkeit“ der AkteurInnen ablehnt (92), sei man doch sonst „verwundbar“ (91) – und das wollen harte Männer und Frauen wohl nicht sein. Wohl auch kein Zufall, wenn sich das Komitee an der Militanz von Straßengangs orientiert. So seien dann auch die französischen Vorstadtunruhen von 2005 die „ersten Freudenfeuer“, die „Taufe eines Jahrzehnts voller Versprechungen“ gewesen (6).

Und es gelte: „Wie man weiß, quellen die Straßen vor Unhöflichkeiten über. Zwischen dem, was sie real sind, und dem, was sie sein müssten, steht die zentripetale Kraft jeder Art von Polizei, die sich abmüht, die Ordnung wiederherzustellen; und auf der anderen Seite stehen wir (…). Wir können uns über die Wutausbrüche und die Unordnung überall dort, wo sie auftauchen, nur freuen. (…) Lasst sie Methode bekommen, systematisch werden, und schon werden die Unhöflichkeiten in eine diffuse, wirksame Guerilla zusammenströmen, die uns in unsere grundlegende Unregierbarkeit und Disziplinlosigkeit zurückbringt.“ (89)

Scheinbar gibt es also nur das gute Volk und die bösen Herrschenden. Das wird auch an einem anderen Beispiel deutlich: „Man hat das Volk aus seinen ländlichen Gebieten verdrängt, dann aus seinen Straßen, dann aus seinen Stadtvierteln und schließlich aus den Eingangshallen der Wohnblöcke.“ (87)

Wer aber ist das „Volk“?

Gehört hier z.B. auch die junge Frau dazu, die sich freut, dass sie beim Durchqueren des Hauseingangs nicht mit den sexualisierenden Blicken konfrontiert wird? Und wenn es heißt: „Wir erkennen die Notwendigkeit an, Geld zu finden, ganz gleich mit welchen Mitteln, weil es gegenwärtig unmöglich ist, darauf zu verzichten“ (27), schließt das auch den Überfall der alten Oma mit karger Rente mit ein?

Das Komitee wird dem wahrscheinlich (hoffentlich) widersprechen, aber im unreflektierten Groß-Reine-Machen entgeht ihm die Komplexität der Gesellschaft mit all ihren Widersprüchlichkeiten. Wenn beispielsweise das Komitee anmerkt, dass die jugendlichen Banden „Passanten auf der Straße anmachen“ – nur anmachen? – würden (20), dann ist dies von vornherein unproblematisch, da sich schon immer über die angebliche „Barbarei der jugendlichen Banden“ aufgeregt wurde (20), so schon beim Auftauchen der Rocker. Aber von den Kämpfen zwischen Rockern und Punks erzählt uns das Komitee nicht.

Und impliziert diese Logik nicht auch, dass, wenn sich grüne Spießer über junge Neonazis aufregen, man die Partei der Neonazis zu ergreifen hat?

Aber eine wie von mir geäußerte Kritik wird präventiv als pathologisch gekennzeichnet: „Diese Banden, die vor der Arbeit flüchten, den Namen ihres Viertels annehmen und gegen die Polizei Widerstand leisten, sind der Albtraum des, auf französische Weise individualisierten, guten Staatsbürgers: Sie verkörpern all das, worauf er verzichtet hat, die ganze Freude, die möglich ist und die er nie erreichen wird.“ (20)

Denn: „Sein Hass gegen den Fremden verschmilzt mit dem Hass gegen sich selbst als Fremden. Seine mit Entsetzen vermischte Eifersucht auf die ‚Vorstädte‘ drückt nur sein Ressentiment aus gegen alles, was er verloren hat.“ (18) Da muss ich wohl in Therapie.

Es ist ein wirkliches Ärgernis, dass die auch interessanten und bedenkenswerten Gedanken des Komitees in einer Form vorgetragen werden, die weder Lust auf noch die Möglichkeit zu einer ernsthaften Auseinandersetzung fördern.

Für das Komitee jedenfalls ist „[j]eder Kontrollverlust (…) allen Szenarios des Krisenmanagements vorzuziehen“ (60).

Denn: „Was die Krise wünschenswert macht, ist, dass in ihr die Umwelt aufhört, Umwelt zu sein. Wir werden dazu getrieben, erneut einen Kontakt, sei er auch tödlich, mit dem aufzunehmen, was da ist, die Rhythmen der Wirklichkeit wiederzufinden.“ (60f.) Das hört sich alles wunderschön romantisch an, erinnert aber irgendwie an die Stimmung vor dem Ersten Weltkrieg, wo man sich eine Erlösung aus der bürgerlichen Tristesse durch das reinigende Stahlgewitter versprach. „Es geht nicht darum, sich zu engagieren – in diesem oder jenem Bürgerkollektiv, in dieser oder jener linkextremen Sackgasse, in der neuesten Vereinshochstapelei. All die Organisationen, die behaupten, die gegenwärtige Ordnung in Frage zu stellen, haben selber Form, Sitten und Sprache von Miniaturstaaten, nur noch marionettenartiger. All die Anwandlungen, ‚Politik anders zu machen‘, haben bis heute immer nur zur unbegrenzten Erweiterung der staatlichen Pseudopodien beigetragen.“ (74) Bei aller berechtigten Kritik ist dies immer noch besser als das selbstverliebte Posen, in dem sich das Komitee zu gefallen scheint. Und sollte sich eine emanzipatorische Antwort auf die Militarisierungstendenzen der Gegenwart nicht gerade darum bemühen, so lange und so weit es geht, zu versuchen, jener Logik des Militärischen zu widerstehen, um den eigenen pluralen Raum einer radikalen Alternative denk- und lebbar zu gestalten?