nachruf

Mujer Libre Sara Berenguer ist tot

Ein Nachruf

| Vera Bianchi

Die unermüdliche anarchistische Kämpferin Sara Berenguer starb am 8. Juni 2010 im Alter von 91 Jahren. Ihr politisches Engagement begann sie im Spanischen Bürgerkrieg bei den Juventudes Libertarias und dann in der Gruppe Mujeres Libres in Barcelona. Sie blieb durch Exil und Francodiktatur hindurch bis zu ihrem Tod politisch aktiv.

Jugend in Barcelona

Sara Berenguer (1) wurde am 1.1.1919 in Barcelona in einer Arbeiterfamilie geboren. Bis zu ihrem zwölften Lebensjahr besuchte sie die Schule, dann arbeitete sie in einer Fleischerei. Mit Beginn des Spanischen Bürgerkriegs im Juli 1936 begann sie, sich bei der anarchistischen Jugendorganisation Juventudes Libertarias zu engagieren. Außerdem war sie im revolutionären Komitee der CNT-FAI in ihrem Stadtteil Les Corts aktiv, wo sie unter anderem für die Verteilung der Waffen zuständig war, und gab Kurse im dortigen Ateneo Cultural (2).

Anfang 1938 wurde sie Mitglied der SIA (Solidaridad Internacional Antifascista), wo sie die KämpferInnen an der Front besuchte und unterstützte und neue Ortsgruppen aufbaute.

Ende 1938 wurde sie Mitglied der Mujeres Libres (Freie Frauen) und Sekretärin des dortigen Regionalkomitees.

Mujeres Libres

1936 hatten drei Anarchistinnen in Madrid die Gruppe Mujeres Libres gegründet und sich im Herbst 1936 mit einer anarchistischen Frauengruppe aus Barcelona zusammengeschlossen. Die Idee, innerhalb der anarchistischen Bewegung eine Frauenorganisation zu gründen, war auch unter den anarchistischen Frauen keineswegs unumstritten.

GegnerInnen waren der Ansicht, eine eigene Frauenorganisation führe nur zu Spaltungen und sei nicht notwendig, da mit der Abschaffung des Kapitalismus automatisch die Unterdrückung der Frauen verschwinden werde.

Vor allem jüngere Anarchistinnen empörten sich jedoch über das herablassende Verhalten einiger Anarchisten gegenüber Frauen (3); davon berichtet auch Sara Berenguer in ihrer Autobiographie. (4) Die Gründung einer anarchistischen Frauengruppe sollte nicht eine Geschlechtertrennung zementieren, sondern für eine gewisse Zeit einen geschützten Rahmen für die Aktivitäten und die Entwicklung eines Selbstbewusstseins der Frauen bieten. Zur Unterstützung des Zusammengehörigkeitsgefühls erfand die Gruppe Mujeres Libres sowohl eine eigene Fahne (blau mit einem rot-schwarzen Streifen am Rand) als auch eine Hymne. (5)

Durch den Beginn des Spanischen Bürgerkriegs und der sozialen Revolution erhielten die Mujeres Libres plötzlich enormen Zulauf und hatten in den nächsten drei Jahren über 20.000 Mitglieder (6) in mehr als 160 Ortsgruppen.

Langfristig war das Ziel der Mujeres Libres die Errichtung einer freien Gesellschaft, in der alle Frauen und Männer gleichberechtigt und selbstbestimmt leben können. Um dieser Gesellschaft näher zu kommen, setzten sich die Mujeres Libres zwei kurzfristige Ziele: die Frauen zu befähigen, sich selbst eine Meinung bilden zu können, politische Zusammenhänge zu verstehen, selbstbewusst Arbeiten zu ergreifen – und sie für die Ideen des Anarchismus zu begeistern. Die Mujeres Libres sprechen in ihren Publikationen von der dreifachen Sklaverei der Frau: Sklaverei der Unwissenheit, Sklaverei der Frau und Sklaverei der Arbeiterin.

Nach dem Ausbruch des Bürgerkriegs setzten die Mujeres Libres ihre Priorität darauf, den Faschismus zu besiegen und die Revolution fortzusetzen.

Dabei konzentrierten sie sich auf die praktische Arbeit, entwickelten aber auch die Theorie des doppelten Kampfes: Weder allein die Befreiung der Frauen noch allein die Befreiung der Arbeiterklasse führten in eine freie Gesellschaft, deshalb sei die Verbindung der beiden Befreiungskämpfe unerlässlich für eine wirkliche soziale Revolution. Da nur die Frauen sich selbst befreien könnten – genau wie die Arbeiterklasse sich nur selbst befreien könne -, müssten die Frauen zwei Kämpfe in Angriff nehmen: einen, gemeinsam mit den Männern, gegen den wirtschaftlich ausbeutenden und politisch unterdrückenden Staat und einen allein, gegen die patriarchalen Strukturen.

Heute werden die Mujeres Libres als Anarchafeministinnen bezeichnet; sie selber lehnten aber den Begriff Feminismus ab, da sie damit die bürgerliche Wahlrechtsbewegung assoziierten.

Die Praxis der Mujeres Libres umfasste neben einem umfangreichen Bildungs- und Ausbildungsangebot – neben den Kursen boten sie auch Arbeit in eigenen Werkstätten an und eröffneten in Madrid die erste Fahrschule für Frauen – auch die Unterstützung der republikanischen Seite im Bürgerkrieg sowohl mit der Waffe an der Front als auch im Hinterland in der Industrie, bei der Kinderbetreuung und der öffentlichen Verpflegung.

Ein wichtiges Instrument zur Bildung und Information war die Zeitschrift „Mujeres Libres“, die in 13 Ausgaben zwischen April 1936 und Oktober 1938 erschien. Daraus konnten die Mitglieder auch erfahren, welche Aktivitäten die anderen Ortsgruppen durchführten.

Es ist beeindruckend, wie viele verschiedene Projekte die Mujeres Libres organisierten, ohne Rückendeckung durch eine große Organisation zu haben. CNT, FAI und FIJL (7) stellten ihnen zwar Räumlichkeiten zur Verfügung und unterstützten sie gelegentlich finanziell, befürworteten jedoch nicht ihre Existenz – deshalb brauchten die aktiven Mitglieder der Mujeres Libres sicher viel Kraft und Selbstbewusstsein, um nicht aufzugeben.

Im Exil

Sara Berenguer gelang es, Ende Januar 1939 mit einer Gruppe von GenossInnen aus Barcelona über die Pyrenäen in einem viertägigen Fußmarsch nach Perpignan in Südfrankreich zu fliehen. Durch die Unterstützung der dortigen Antifaschistischen Hilfe mussten sie nicht in einem der Internierungslager bleiben, die die französische Regierung für die spanischen Bürgerkriegsflüchtlinge an Stränden wie Argelès-sur-Mer ohne Dach über dem Kopf eingerichtet hatte. Nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs waren Sara und ihr Mann Jesús im französischen Widerstand aktiv; nach der Geburt ihrer Kinder kümmerte sich Sara um die Unterbringung von spanischen Flüchtlingen.

Nach dem Sieg der Franquisten am 1.4.1939 gab es bis zu Francos Tod keine Aktivitäten von Mujeres Libres in Spanien mehr. 1962 fand ein erstes Exiltreffen in Paris statt, und 1963 gründete sich dort ein Komitee der Mujeres Libres. Danach wurde auf Initiative von Suceso Portales eine Exilzeitschrift mit Sitz in London, ihrem Wohnort, gegründet: „Mitgliederzeitschrift der Föderation der Mujeres Libres von Spanien im Exil“.

Die erste Ausgabe erschien Ende 1964, war dreisprachig und hatte Leserinnen in Europa, Lateinamerika und sogar in Spanien, trotz der Diktatur. 1972, ab dem Erscheinen der Ausgabe Nr. 30, wurde die Redaktion nach Montady (in der Nähe von Béziers, Südfrankreich) verlegt, also an den Wohnort von Sara Berenguer.

Nach dem Ende der Diktatur

Nach Francos Tod im November 1975 hörte Sara Berenguer, dass sich in Barcelona eine junge Gruppe Mujeres Libres gegründet habe. Sara und andere Mujeres Libres trafen sich mit den jungen Frauen, und die Exilzeitschrift erschien noch bis Ende 1976, dann übergaben die Veteraninnen die Redaktion der Zeitschrift Mujeres Libres an die junge Generation.

Die Veteraninnen blieben jedoch weiter aktiv; neben zahlreichen Treffen innerhalb Mujeres Libres und auch mit anderen antifaschistischen Gruppen machten sie sich in den 80er Jahren daran, ihre Erfahrungen zusammenzutragen und zu veröffentlichen.

Nach einem ersten Anlauf, der daran scheiterte, dass die Manuskripte mit dem Tod von Mercedes Comaposada unauffindbar waren, veröffentlichten Sara Berenguer und einige weitere Mujeres Libres 1999 das Buch „Luchadoras Libertarias“, in dem Texte aus den Zeitschriften während der Spanischen Revolution neben ihren heutigen Erinnerungen an die damalige Zeit stehen. (8)

Ich lernte Sara im März 2005 kennen, als ich den Spanienkämpfer und Historiker Abel Paz auf einer zehntägigen Vortragsreise durch Aragonien und Kastilien begleitete.

Mit Dieter Gebauer, einem Freund von Abel Paz, der die Reise organisiert hatte und mitreiste, fuhr ich zu einem spontanen Besuch zu Sara nach Südfrankreich. Wir wurden sehr herzlich empfangen, und ich war beeindruckt, dass Sara auch noch in hohem Alter AnarchistInnen aus ganz Europa empfing, Gedichte schrieb und veröffentlichte und historische Bücher über Frauen schrieb.

Während des interessanten Nachmittags vereinbarten wir, dass ich versuchen würde, die Herausgabe von „Las Libertarias“ auf deutsch in die Wege zu leiten. (9)

Mit Saras Tod verlieren wir nicht nur eine Zeitzeugin einer der freiesten und radikalsten Epochen des 20. Jahrhunderts, sondern auch einen Menschen, der seine libertären Ideale von Freiheit und Solidarität über 70 Jahre lang aktiv lebte.

(1) Berenguer ist ihr am häufigsten angegebener Nachname. Die unterschiedlichen Nachnamen, unter denen sie bekannt ist, resultieren aus den Unterschieden in der spanischen und französischen Handhabung der Nachnamen: Geboren ist sie als Sara Berenguer Laosa, oft abgekürzt auf Sara Berenguer. Durch ihre Heirat im französischen Exil mit Jesús Guillen hieß sie in Frankreich Sara Guillen, da dort (damals) die Frau den Nachnamen des Ehemannes erhielt, während in Spanien keine Namensänderung durch die Heirat passiert.

(2) Ateneos sind eine Art Volksbildungshäuser, die unter anderem von anarchistischen Gruppen betrieben werden.

(3) Martha A. Ackelsberg: Free Women of Spain. Anarchism and the Struggle for the Emancipation of Women. Bloomington 1991

(4) Sara Berenguer: Entre el sol y la tormenta. Revolución, guerra y exilio de una mujer libre. Eixam, Valencia 2004 (2. erweiterte Auflage; die 1. ist von 1988)

(5) In Martha A. Ackelsberg: Free Women of Spain ist die Hymne auf spanisch und in englischer Übersetzung abgedruckt; in meinem Buch befindet sich eine deutsche Übersetzung: Vera Bianchi: Feministinnen in der Revolution. Die Gruppe Mujeres Libres im Spanischen Bürgerkrieg. Unrast, Münster 2003

(6) Cornelia Krasser/ Jochen Schmück: Frauen in der Spanischen Revolution 1936-39. Berlin 1984. Und: Mary Nash: Mujeres Libres 1936-1978. Ausgewählt und aus dem Spanischen übersetzt von Thomas Kleinspehn. Berlin 1979

(7) Die drei Organisationen der spanischen anarchistischen Bewegung; CNT: Confederación Nacional de Trabajo (Nationaler Arbeitsbund), FAI: Federación Anarquista Ibérica (Iberischer Anarchistischer Bund), FIJL, auch JJLL: Federación Ibérica de Juventudes Libertarias (Iberische Föderation der libertären Jugend)

(8) Mujeres Libres: Luchadoras Libertarias. Fundación Anselmo Lorenzo, Madrid 1999. Das Buch wurde bereits auf Französisch übersetzt und publiziert.

(9) Eine Übersetzerin und vielleicht einen Herausgeber habe ich bereits, leider fehlt es noch an finanzieller Unterstützung. Interessierte SponsorInnen melden sich bitte bei mir: bianchi@arcor.de