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Schön, dass wir drüber geredet haben

Schlichtung und Mediation als aggressives Herrschaftsinstrument mit alternativem Anstrich

| H. Stuhlfauth Jr.

Von den Vermittlungsrunden Heiner Geißlers im Konflikt um Stuttgart 21 hat nur eine Seite profitiert: Die Landesregierung um den grauen CDU-Technokraten Stefan Mappus und das Lager der S21-BefürworterInnen, das sich aus der hochgradig verwobenen Wirtschafts-, Finanz- und Medienelite Baden-Württembergs zusammen setzt. In das Lager der S21-GegnerInnen ist ein dicker Keil getrieben worden, was um so schwerer wiegt, da nach der brutalen Teilräumung des Schlossparks am 30. September 2010 alle Sympathien auf Seiten der S21-GegnerInnen waren und eine geballte bundesweite Energie spürbar wurde aus gerechter Wut, Empörung, ökologischer und städteplanerischer Vernunft und Solidarität.

Mit den Parkschützern hatte sich zwar die vielleicht einflussreichste Gruppe der S21-GegnerInnen von den Geißler-Runden und ihrer „Friedenspflicht“ distanziert.

Jetzt stehen eben diese Parkschützer unter Rechtfertigungszwang, unter dem Verdacht der Halsstarrigkeit, des Fundamentalismus, und nicht die gigantomanischen S21-PlanerInnen, die ein fünfzehn Jahre altes Projekt plötzlich aus der Schublade ziehen, Bürgerbegehren und Volksentscheide mit formalistischen Tricks abwürgen und ihr Verhalten für demokratisch legitimiert, mehr noch als eine Frage der Staatsraison deklarieren.

Man kann Stefan Mappus zu diesem Heiner Geißler-Coup nur gratulieren. Wenn es einen Preis für die am geschicktesten eingefädelte Stimmungswende geben würde – den PR-Lazarus könnte man ihn nennen – Stefan Mappus hätte ihn zweifelsohne verdient.

Historische Wurzeln und Bezüge

Doch wer ist eigentlich auf diese grandiose Idee der Vermittlung des Unvermittelbaren gekommen?

Es war NICHT der Spin-Doktor Dirk Metz, der seit einigen Wochen Stefan Mappus zu Diensten ist – jener gewiefte und skrupellose Strippenzieher Metz, der lange Jahre daran gearbeitet hat, den hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch als Law-and-Order-Aushängeschild der CDU zu profilieren und den viele in Stuttgart für den geistigen Urheber der Knüppelorgie im Schlosspark halten.

Die Mediation hingegen geht auf das Konto der baden-württembergischen Grünen

Das ist kein Zufall. Denn die Methode der Schlichtung, hier gespielt durch einen im Kern autoritären, allmächtigen Vermittler, der als weiser Mann oder Volkstribun daher kommt, hat mindestens drei historische Wurzeln: Einmal ist sie dem bürokratisch überformten (bzw. entstellten) deutschen Streikrecht entlehnt, das zu bestimmten Eskalationsstufen eines Arbeitskampfs bzw. Tarifstreits eine Schlichtung vorsieht.

Geißler hatte sich zuvor im vielleicht wichtigsten deutschen Gewerkschaftskampf der vergangenen 10 Jahre, dem Konflikt zwischen Lokführergewerkschaft GDL und der Deutschen Bahn AG, als Vermittler einen Namen gemacht.

Die andere Wurzel liegt in der Alternativ-Bewegung nach 1968, die auch die Partei der Grünen hervor gebracht hat, in Hippie-Kommunen, Alternativ-Betrieben, Wohnkollektiven, Bürgerinitiativen etc.

Dort herrschte stets ein besonderes Augenmerk auf Redeverhalten, Kritik von Machtstrukturen, eine Lust am Ausdiskutieren und oft auch ein nervenzerfetzender Drang bzw. Zwang zur Harmonie. Und es gibt sicher nicht wenige (ehemalige) AbonnentInnen der Graswurzelrevolution, die aus der Mediation und ähnlichen sozialpsychologischen Methoden inzwischen einen Beruf gemacht haben und dieses Handwerk ursprünglich in alternativen Strukturen erlernt haben.

Eine dritte historische Spur führt möglicherweise zu den Runden Tischen der untergehenden DDR, die von Wiedervereinigung und D-Mark-Einführung vollständig überrollt wurden.

Mediation als Waffe – Beispiel Gate-Gourmet

Im Jahr 2010 haben UnternehmensberaterInnen, Personalabteilungen, PR-StrategInnen, StadtplanerInnen und auch die Polizei die besonderen Möglichkeiten der Mediation längst erkannt und nutzen diese für sich.

Ihr größter Nutzen besteht in der Verschleierung von Machtverhältnissen und im Aufbrechen der Renitenz der strukturell Benachteiligten.

In der arbeitenden Bevölkerung beginnt es sich langsam herum zu sprechen, dass Coaching-Wochenenden und Team-Bildungs-Seminare durchaus nichts Gutes bedeuten.

Dem bislang längsten deutschen Arbeitskampf, dem Kampf der Belegschaft des LTU-Caterers Gate-Gourmet am Düsseldorfer Flughafen 2005, gingen eben solche Methoden voraus. Durchgeführt durch den Unternehmensberatungsmulti McKinsey.

Man lädt die Arbeitenden zu mondänen Wochenenden mit Hotel und lecker Essen ein, sagt schön „Du“ zueinander, macht lustige Spielchen. Man gewinnt ihr Vertrauen, füttert sie an wie scheue wilde Tiere, forscht sie aus, kartographiert sie – und dann strukturiert man ihren Arbeitsplatz um – kühl, berechnend, erbarmungslos. Schmeißt die Low-Performer raus oder besser noch: treibt sie in die Kündigung, indem man ihnen das Gefühl gibt, den Anforderungen und dem Gruppendruck nicht standhalten zu können und nicht etwa Opfer eines bösartigen Plans zu sein, sondern objektiv unfähig, nicht passend für diesen Arbeitsplatz.

Bei Gate-Gourmet waren diese sozial-psychologischen Techniken getrieben von einem gigantischen Profit-Druck, den der Hedge-Fonds „Texas Pacific Group“ auf die Belegschaft wirken ließ.

Dass daraus ein erbitterter Streik wurde, darf heute durchaus als Vorbote einer Zeitenwende gelten. Irgendwann ist auch beim geduldigsten Arbeiter – selbst in Deutschland – mal Schluss.

Die Form kann den Inhalt nicht ersetzen

Jetzt, nach dem Geißler-Desaster, gilt es, diesem Mediations-, Teambildungs- und Coachingzauber auch in sozialen Bewegungen und sogenannten alternativen Arbeitsplätzen, auch in libertären Organisationen die Stirn zu bieten.

„Schön, dass wir drüber geredet haben“ reicht heute absolut nicht mehr aus. Eine merkwürdige Verirrung libertärer Organisationsformen besteht darin, dass Treffen vor allem dann für gut befunden werden, wenn die Art des Redens vermeintlich konfliktfrei, egalitär und spannungsarm war. Und wenn möglichst viele zu Wort gekommen sind. Aspekte, die wichtig sind – dieser Text soll nicht als Plädoyer für einen Rückfall in autoritäre Strukturen verstanden werden – eine durchaus entscheidende Frage an ein Treffen muss aber dennoch bleiben: Was ist heraus gekommen? Was hat sich bewegt? Was ging voran?

Möglicherweise muss es für einen Fortschritt hin und wieder auch mal ordentlich im Karton rappeln. Es sei denn, wir einigen uns darauf, dass wir unsere Treffen tatsächlich nicht abhalten, um die Wirklichkeit zu verändern, sondern als sozialpsychologische Sondermaßnahme, als soziale Wärmstube und Feel-good-event.

Eine Mediation – sowohl im gewerkschaftlichen als auch im Hippie-Sinne – nützt immer denen, die in der stärkeren Position sind. Das sind meist die AuftraggeberInnen, am Arbeitsplatz also die UnternehmerInnen und Vorgesetzten. In sozialen Konflikten wie in Stuttgart oder im Wendland sind die Ressourcen Geld, Macht, Wissen und Medien ebenfalls eindeutig asymmetrisch verteilt.

Eine Mediation im ursprünglichen Sinne der Alternativbewegungen ist nur möglich, wenn eine wirkliche Gleichberechtigung der Beteiligten existiert und der Mediator (die Mediatorin) unabhängig und unbefangen ist.

Eine Mediation unter hierarchischen Bedingungen und mit asymmetrisch verteilter Macht ist abzulehnen. Wenn wir uns diesen Sondermaßnahmen – z.B. am Arbeitsplatz – nicht entziehen können, gilt es, höchste Wachsamkeit einzunehmen und sich taktisch möglichst geschickt zu verhalten, sie wenn möglich durch eine Mischung aus Überaffirmation, Verstellung und Renitenz zu sabotieren. Eine andere Möglichkeit wäre der Krankenschein.

Grüne mal wieder ganz große Klasse

Die Grünen haben sich mit der Einberufung der Geißler-Mediation im Konflikt Stuttgart 21 ein weiteres Denkmal gesetzt – nach der Bombardierung Jugoslawiens 1999, dem fadenscheinigen „Atomkonsens“ (2002), der Einführung der Hartz-Gesetze (2003-2005).

Sie haben ein Verfahren eingeleitet, mit dem sie wieder einmal ihr eigenes Lager – oder was man dafür gehalten hat – geschwächt haben. Die Besonderheit diesmal: Die Grünen haben vermutlich nicht aus machtpolitischem Kalkül gehandelt, sondern aus Blödheit. Sie kommen sich toll dabei vor, sich selbst live im Fernsehen und im Netz zu sehen. „Auf Augenhöhe“ mit den Herrschenden reden zu dürfen. Respekt zu erhalten. Bekannt zu werden.

Es gehört zu den abstoßendsten Symptomen der bürgerlich-repräsentativen Demokratie, dass dieses lauwarme, spießige Gutmenschentum, das die Grünen so geschickt mal mit „Bauchschmerzen“, mal ohne verkörpern, beim Wahlvolk derzeit so gut ankommt.

Nur wenige scheinen zu fühlen, dass dieses Gutmenschentum im Kern höchst aggressiv ist, weil es seine historische Mission darin erfüllt, radikalere und unversöhnliche Elemente einer Bewegung zu isolieren und auszugrenzen.

Fazit: Distanz und selbstkritische Auseinandersetzung

Eine ernst zu nehmende Graswurzelbewegung sollte sich entschieden von diesen kapitalistisch eingebundenen Mediationsprofis distanzieren. Auch und gerade wenn sie aus den eigenen Reihen stammen. Eine tiefer gehende Debatte über die Wurzeln neoliberaler Herrschaftsinstrumente und -formen in der Alternativbewegung, über die Alternativbewegung als Motor und Laboratorium des Kapitalismus steht noch aus.