ökologie

Nachrichten-Dienste für die Atomindustrie

"Die Firma" und das Thorium

| Horst Blume

Uran wird knapp und seine Herstellung und Verwendung birgt große Risiken. Um in der Bundesrepublik die Akzeptanz von Atomkraftwerken wieder deutlich zu erhöhen, wird versucht, von den Gefahren der Uran- und Plutoniumwirtschaft abzulenken, indem ein neuer, angeblich ungefährlicher Ersatzstoff für das Uran in die öffentliche Diskussion eingebracht wird. Es ist das in der Erde reichlich vorhandene Thorium.

Aber in Wirklichkeit ist seine Anwendung gar nicht so neu. Denn in der Bundesrepublik gibt es mit dem Thorium Hochtemperaturreaktor (THTR) Hamm-Uentrop und Jülich und in den USA mit Fort St. Vrain bereits Erfahrungen, die allerdings nicht sehr erfolgversprechend ausfielen.

Aus diesem Grund musste eine spezielle, bisher unbekannte Variante des Thoriums ins Spiel gebracht werden. Statt der kristallinen ist es jetzt seine amorphe (formlose) Variante. Und statt der von vielen BürgerInnen misstrauisch beäugten Atomindustrie ist jetzt der Überbringer der frohen Kunde der ehemalige deutsche Botschafter in Indien, wo es die weltweit größten Thoriumvorkommen gibt.

Ganz zufällig ist dieser Botschafter Hans-Georg Wieck auch noch der ehemalige Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND) und verfügt über das entsprechende Handwerkszeug, die für die Atomindustrie entlastende Thoriumbotschaft auffällig unauffällig in Schriftenreihen und auf seiner Homepage der Öffentlichkeit unterzujubeln.

Die Vergangenheit eines Dienstleisters

Wieck ist kein unbeschriebenes Blatt. Nach seiner diplomatischen Karriere im Auswärtigen Amt ab 1954 brachte er es zum ständigen bundesdeutschen Vertreter in der NATO, Leiter des Planungsstabes im Verteidigungsministerium und von 1985 bis 1990 zum Präsidenten des BND.

Der ehemalige ARD-Korrespondent Ulrich Schiller beschreibt in seinem Buch „Deutschland und ’seine‘ Kroaten. Vom Ustasa-Faschismus zu Tudjmanns Nationalismus“ die Rolle des BND und seines damaligen Chefs Wieck bei der Zerstörung Jugoslawiens zur Sicherung der schon unter Nazideutschland angestrebten Einflusssphären.

Nach seiner Karriere als Botschafter in der Sowjetunion, Iran und Indien blieb Wieck „zivilgesellschaftlich“ aktiv, indem er im Jahre 2003 zusammen mit Kollegen aus dem BND, dem Bundesamt für Verfassungsschutz, dem Militärischen Abschirmdienst (MAD) und verschiedenen Wissenschaftlern und Politikern den „Gesprächskreis Nachrichtendienste in Deutschland“ (GKND) gründete. Diese Organisation hat als offizielles Ziel, „zu einer konstruktiven und öffentlichen Diskussion über die geheimen Nachrichtendienste sachlich beizutragen“.

Im Jahre 2005 zeigte eine pikante Auseinandersetzung mit dem damaligen Bundesaußenminister Joseph Fischer, welches Bewusstsein selbst 60 Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus die Funktionseliten des deutschen Staates immer noch prägt.

Es ging um die Nachrufpraxis im Hausmitteilungsblatt des Auswärtigen Amtes (AA). Außenminister Fischer verfügte, dass im Todesfall bei zahlreichen ehemaligen NSDAP-Mitgliedern im Dienste der BRD die Todesnachricht nur noch neutral verfasst werden sollte.

Siebzig Mitarbeiter des Diplomatischen Dienstes forderten in ihrer Unterschriftenaktion, dass die Verstorbenen auch weiterhin mit folgendem Zusatz gewürdigt werden sollten: „‚Wir werden ihm/ihr ein ehrendes Angedenken bewahren‘. (…) In dem Brief der Kritiker heißt es laut Zeitung, die Ehrung der Toten gehöre zum ‚kulturellen Kernbestand‘ aller Zivilisation.“ Wieck war einer der Befürworter dieser ganz besonderen Ehrung von ehemaligen Nazis.

Rechte Blätter als Publikationsmedien

Als die US-amerikanische Zeitschrift Foreign Affairs über die zahlreichen NSDAP-Mitglieder und Kriegsverbrecher, die die „Organisation Gehlen“ als Vorläufer des BND aufgenommen hatte, berichtete, verurteilte Wieck den angeblich „polemischen Ansatz“ des Kritikers.

Wieck selbst scheute sich nicht, 2006 in der rechten Monatszeitschrift „MUT“ die Aufgaben des BND genauer zu erklären. Es ist das gleiche Magazin, das Ende der 60er Jahre Sprachrohr des militanten NPD-Flügels „Aktion Widerstand“ war und „Brandt an die Wand“ und „Hängt die Verräter“ skandierte! Der rechten Wochenzeitung Junge Freiheit gab er 2010 ein Interview.

Die intensive Zusammenarbeit von Wiecks „Gesprächskreis“ GKND mit den Stiftungen von CDU/CSU und FDP auf Fachtagungen und bei der Herausgabe von Schriftenreihen ist nicht zu übersehen und zeigt an, wer vorrangig zu seinen bevorzugten Kooperationspartnern und Nutznießern gehört. Wiecks Thorium-Werbeartikel auf seiner Homepage und in den Publikationen der CSU-nahen Hans Seidel Stiftung haben die Aufgabe, die international ins Hintertreffen geratene „heimische“ Nuklearvariante wieder verstärkt in die öffentliche Diskussion zu bringen, zumal sich die Ausgangsbedingungen hierfür mit der Abwahl von Rotgrün auf Bundesebene deutlich verbessert haben. Das (ehemalige) BND-Personal ist somit zum Sprachrohr einer spezifischen Fraktion der Atomindustrie geworden.

„Nur“ ein Prozent Plutonium ist ungefährlich?

Obwohl Wieck grundsätzlich ein Befürworter der Atomkraft ist, betont er gewisse Nachteile der „konventionellen“ Atomkraft (Störfallrisiko, hohe Strahlenintensität, Atommüllproblematik), um die angeblichen Vorteile des Einsatzes von amorphem Thorium anzupreisen: Die neuen Thoriumreaktoren seien „nicht waffenfähig, außerhalb des Anwendungsprozesses nicht strahlend“. Sie gewähren demnach „weitestgehenden Schutz vor terroristischen Anschlägen und Unfällen“ und selbstverständlich wäre die „sichere und umweltfreundliche unterirdische Aufbewahrung der verarbeiteten Materialien“ gewährleistet!

Die von Professor Maximow aus Nowosibirsk patentierte Anwendung benötigt allerdings immer noch „ein oder mehr Prozent spaltbares Uran oder Plutonium“.

Diese auch in allerkleinsten Mengen hochgefährlichen Stoffe kommen also mit diesem Verfahren immer noch zur Anwendung. Über Umwege entsteht hierbei das nicht minder gefährliche Uranisotop U-233, welches wie Plutonium-239 wegen der kritischen Masse sowohl für Kernreaktoren als auch für Kernwaffen benutzt werden kann.

Die sehr problematische Wiederaufarbeitung, in der Plutonium und Uran aus abgebrannten Brennelementen abgetrennt werden, um es wiederverwerten zu können, ist entgegen der Angaben von Wieck sehr wohl bei Thoriumreaktoren notwendig.

Denn wenn aus dem gebrauchten Brennstoff frischer Reaktorbrennstoff produziert (erbrütet) wird, benötigt dieser schnelle Brüter eine Wiederaufarbeitung. „Es gibt den dringenden Verdacht, dass unter dem Deckmantel der Generation IV versucht wird, die aus Sicherheitsgründen längst verworfenen Konzepte für Brutreaktoren wiederzubeleben,“ schreibt das „Österreichische Ökologieinstitut“.

Die Propagierung von Thoriumreaktoren als Ausweg aus den knappen Uranvorräten ist ein geschickter Versuch, die gefährliche Wiederaufarbeitung durch die Hintertür wieder in die energiepolitischen strategischen Überlegungen einzubringen. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass gerade bei (Ex-)“Nachrichtendienstlern“ nicht nur von Bedeutung ist, welche wohlgefälligen Redewendungen von ihnen über „völlig neuartige ungefährliche Thoriumreaktoren“ in die Welt gesetzt werden, sondern welche tatsächlichen Absichten und Interessen sich hinter ihnen verbergen.

Norwegen hat die drittgrößten Thoriumvorkommen der Welt und die dortigen PolitikerInnen haben in der Studie „Thorium as an Energy Source – Opportunities for Norway“ im Jahre 2008 prüfen lassen, ob Thoriumreaktoren für dieses Land eine realistische energiepolitische Option darstellten. Die Ergebnisse der Studie waren ernüchternd, schrieb die taz am 6.1.2009: „Ein Thorium-Reaktor produziere zwar weniger langlebigen Atommüll als ein AKW mit Uranbrennstäben. Dieser sei auch stabiler als konventioneller Atommüll. Dafür strahle er stärker, was Transport und Lagerung kompliziert. Entscheidend sei aber, so die Studie, dass auch die Thorium-Technik das Atommüllproblem nicht löse. Hinzu komme auch beim Betrieb des Reaktors eine viel stärkere radioaktive Strahlung. (…) Zudem ist auch völlig unklar, ob diese Technik in 20 oder 30 Jahren zu ökonomisch vertretbaren Kosten verwirklicht werden könnte.“

Regierung und Strahlenschutzbehörde erteilten in Norwegen dem Bau von Thoriumreaktoren im Jahre 2009 eine Absage.

„Die Firma“ tritt auf den Plan

Um dem eigenen Anliegen der Entwicklung von neuen Reaktoren mehr Nachdruck zu verleihen, wurde die „Gesellschaft zur Förderung zukunftsträchtiger Patente – Entwicklung, Bewertung, Veröffentlichung und Verwertung“ mit dem etwas umständlichen Namen „SBE Sichere Saubere Bezahlbare Energie“ gegründet.

Der bereits erwähnte Prof. Lew Maximow ist Geschäftsführer, Wieck einer der Gesellschafter. Mit „fünf bahnbrechenden Erfindungen für den Bau und die Modernisierung von Kraftwerken“ wollen die im rüstigen Rentenalter befindlichen Herren den weltweiten Energiemarkt aufmischen. Von der „Harnstoffproduktion“ bis hin zum Einsatz von amorphem Thorium für die umweltfreundliche Verstromung hat die agile Firma einiges im Angebot.

Die verschiedenen Beiträge der Firma SBE sollen offensichtlich bei der internationalen Internet- und Bloggergemeinde den Eindruck verstärken, dass die wichtigsten Entwicklungsschritte und Patente für die Realisierung des Thoriumwunderreaktors schon längst vollzogen worden wären. Und nun sollte sich die bundesdeutsche Regierung endlich mehr engagieren bei Forschung und Entwicklung von Generation IV-Reaktoren. Das ist die Botschaft, die dahinter steckt.

In bestimmten Foren und auf den Internet-Leserbriefseiten etlicher konservativer Zeitungen wird seit Jahren die Litanei angeblicher Vorteile der neuen Reaktorlinie heruntergebetet und sorgenvoll gefragt, wann „unsere CDU/CSU endlich aus dem Schatten von Rotgrün heraustreten und mutig eine neue nukleare Option in Angriff nehmen“ wird.

Diese Stoßrichtung soll durch die Lancierung spezieller Nachrichten verstärkt werden.

Thorium und Atomkraft in Indien

Angefeuert wird Wieck, der von 1996 bis 2008 Vorsitzender der Deutsch-Indischen Gesellschaft (DIG) war, durch die energiepolitischen Weichenstellungen in Indien. Hier setzt die Regierung auf eine rücksichtslose Industrialisierung, was auf Kosten der Umwelt, der Indigena und der ärmeren Menschen geht. Etwa 60 Millionen Menschen wurden durch Industrieansiedlungen und Landraub vertrieben.

Um den enormen Energiebedarf zu befriedigen, setzt Indien verstärkt auf Atomkraft

Inzwischen produzieren 19 AKWs etwa 2,5 Prozent des indischen Stroms. Bis zum Jahre 2050 sind 25 Prozent angestrebt. Der „Energiebericht Indien 2007“ der Botschaft New Delhi beschreibt die vergangene und die geplante Entwicklung wie folgt:

„Das zivile indische Atomprogramm ist in drei Stufen angelegt und zielt darauf ab, die Abhängigkeit von Uran, das in Indien nur in geringen Umfang vorkommt, zu minimieren und stattdessen mittelfristig die reichhaltigen Thoriumreserven zu nutzen. Die erste Stufe des Programms, die Beherrschung des kompletten Brennstoffzyklus, wurde inzwischen erreicht.

Der in Bau befindliche Prototyp des Schnellen Brüters, der das in den bestehenden KKWs erzeugte Plutonium nutzt, markiert den Beginn der zweiten Stufe des Programms. In den schnellen Brütern wird auch Thorium zur Gewinnung von Uran-233 eingesetzt, das dann – dies wäre die dritte Stufe des Nuklearprogramms – in ferner Zukunft der Brennstoff für Atomkraftwerke der modernsten Generation sein soll.“

Im Bhabha Kernforschungszentrum (BARC) wird gerade an einem 300 MW Thorium-Reaktor mit dem Namen Advanced Heavy Water Reactor (AHWR) gebaut

Durch die Kooperation mit den USA und durch die Unterzeichnung des 2006 vielbeachteten „Nukleardeals“ zwischen den beiden Staaten haben sich aktuell neue Perspektiven für die Wiederaufarbeitung ergeben.

Know-how-Transfer auf dem Gebiet der Thorium-Reaktoren ist ebenfalls vereinbart worden.

Das indische Engineering- und Bauunternehmen „Punj Lloyd“ hat mit dem in den USA beheimateten Unternehmen „Thorium Power“ ein Kooperationsabkommen abgeschlossen.

In Zusammenarbeit mit Russland, Frankreich und Kanada sind im Jahr 2010 verschiedene weitere Kooperationen und Lieferverträge für Atomkraftwerke unterzeichnet worden.

Auch die deutsche Atomindustrie will endlich wieder ungehemmt mitmischen und schickt den umtriebigen Wieck vor, der ihnen mit besonderen „Nachrichten“ gerne zu Diensten steht.

Anmerkungen

Quellenangaben und weitere Infos:
www.reaktorpleite.de