editorial

Nicht allein gegen die Mafia

International regt sich Widerstand gegen die Atom-Industrie

| Bernd Drücke (GWR-Koordinationsredakteur)

Liebe Leserinnen und Leser,

25 Jahre nach der Atomkatastrophe von Tschernobyl planen Konzerne und ihre PolitikerInnen global den Bau weiterer Atomkraftwerke. Aber es regt sich Widerstand gegen diese Politik, die Millionen Jahre strahlenden Atommüll produziert und zur Profitmaximierung das Leben von unzähligen Menschen gefährdet.

Die Zeiten der heimlich durchgeführten Atommülltransporte sind vorbei. Das gilt auch für das Ostseestädtchen Lubmin, wo im Dezember 2010 trotz klirrender Kälte phantasievolle direkte gewaltfreie Aktionen gegen einen Castortransport stattfanden (vgl. S. 5). Und wenn zwischen dem 15. und 18.2.2011 der nächste Castor aus der ehemaligen Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe ins Atommülllager Lubmin rollt, werden weitere Protestaktionen stattfinden.

Andreas Speck (Kick Nuclear London/Stop Nuclear Power Network) berichtet in dieser GWR vom Widerstand gegen die Atomkonzerne, die auf der britischen Insel acht neue AKWs bauen wollen (S. 5 f.).

Horst Blumes Bericht „Nachrichten-Dienste für die Atomindustrie. ‚Die Firma‘ und das Thorium“ liest sich wie ein Krimi und zeigt, dass sogar (ehemaliges) BND-Personal für die Interessen der deutschen Atomindustrie ungehemmt mitmischt.

Aber, wenn es etwas gibt, das den Atommafiosi das Fürchten lehrt, dann ist das eine kritische Gegenöffentlichkeit.

Als die Umwelt- und Menschenrechtsorganisation urgewald am 20. Januar 2011 den Beginn einer Kampagne gegen die Beteiligung des Energieversorgers RWE am rumänischen Atomkraftwerk Cernavoda ankündigte, gab der Konzern seinen Rückzug aus dem umstrittenen Projekt bekannt.

„Wir freuen uns sehr über diese Entscheidung“, sagt Heffa Schücking von urgewald. Schließlich sei Cernavoda eins der weltweit gefährlichsten Atomprojekte. „Der Standort des rumänischen AKWs befindet sich in einer der heftigsten Erdbebenzonen Europas und der geplante Reaktortyp ist weder in USA, Japan oder Westeuropa zugelassen. Hinzu kommen schlechte Rahmenbedingungen und eine marode Bausubstanz“, sagt Schücking.

In den achtziger Jahren hatte der rumänische Despot Ceausescu den Bau von vier Atomreaktoren am Standort Cernavoda eingeleitet. Nach seinem Sturz konnten nur zwei Reaktoren fertig gestellt werden. Im November 2008 haben jedoch RWE und fünf weitere Investoren gemeinsam mit dem staatlichen rumänischen Energieversorger eine Projektgesellschaft für die Realisierung von Cernavoda 3 und 4 gegründet. Bei den anderen Investoren handelte es sich um vier ausländische Energieversorger (ENEL, Iberdrola, CEZ, GDF Suez) und die Stahlfirma Arcelor Mittal. Mit RWE zogen sich auch zeitgleich Iberdrola und GDF Suez aus dem Projekt zurück. Die offizielle Begründung lautet, dass es zuviel „wirtschaftliche und Marktunsicherheiten gäbe“. Der tschechische Energieversorger CEZ hatte seine Beteiligung an Cernavoda bereits im September 2010 aufgekündigt.

Schücking: „Schon bei der RWE-Aktionärsversammlung im April 2010 hatten wir nicht nur auf die vielen Probleme des Projekts aufmerksam gemacht, sondern auch Auszüge aus einem offiziellen Inspektionsbericht der Anlage verlesen. In diesem weisen Inspekteure auf unhaltbare Baumängel hin, die zu einem schweren Atomunfall in Cernavoda führen können. RWE scheint aber immer wieder aus rein ideologischen Gründen und ohne ausreichende Sicherheits- und Wirtschaftlichkeitsprüfungen auf fragwürdige Atomprojekte zu setzen.“

Schließlich sei Cernavoda nun nach Belene (die GWR berichtete) das zweite AKW-Projekt in Osteuropa, das RWE nach jahrelangem Hin und Her von seiner Investitionsliste wieder streichen müsse. Laut urgewald ist mit dem Rückzug von nunmehr vier Investoren die Wahrscheinlichkeit groß, dass Cernavoda 3 und 4 nicht mehr realisiert werden. Na also!

Atomfeindliche und li(e)bertäre Grüße,

PS: Leider autoritär-"sozialistisch" bzw. orthodox-marxistisch dominiert ist das Programm der "Sozialismus-Konferenz" im Benno-Haus Münster. Am 12.2.2011 sitze ich dort - als Redakteur der Graswurzelrevolution und sozusagen als "Alibi-Anarchist" - ab 15 Uhr auf dem Podium und diskutiere mit Inge Höger (MdB Die Linke), Bettina Jürgensen (Bundesvorsitzende der DKP), Arnold Schölzel (Chefredakteur Tageszeitung junge Welt), Dr. Robert Steigerwald (Philosoph, Vorsitzender Marx-Engels-Stiftung, Wissenschaftlicher Beirat SALZ e.V.) und Kathrin Vogler (MdB Die Linke) und dem Publikum über "Sozialismus-Konzeptionen und Sozialismus-Herausforderungen". Es würde mich freuen, wenn viele FreundInnen teilnehmen. Weitere Infos: www.sozialismuskonferenzmünster.de/images/Sozialismus_Konferenz_Flyer.pdf

Anarchistischer dürfte die Veranstaltung am 4.2.2011 in der "alten Pauline" Detmold werden. Dort referiere ich ab 19.30 Uhr zum Thema: "Anarchismus und Graswurzelrevolution". Infos: www.anarchie-in-lippe.tk