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Der erste Kriegsdienstverweigerer in Ägypten

Maikel Nabil Sanad braucht unsere Solidarität

| Lotta Viktualia

Maikel Nabil Sanad hatte am 20.10.2010 erklärt: "Ich habe sehr viel darüber nachgedacht. Meine Entscheidung ist, dass ich die Ableistung des Militärdienstes verweigern werde. Ich werde die Konsequenzen tragen, was auch immer das bedeutet, obwohl ich weiß, dass die Konsequenzen Leid bedeuten, weil ich der erste ägyptische Jugendliche bin, der den Militärdienst aus pazifistischer Überzeugung verweigert. (…) Meine Worte bedeuten aber nicht, dass ich ein Militärdienstentzieher bin. Ich verweigere, ich entziehe mich nicht. Ich lebe unter der Adresse, die in meinem Ausweis steht und der Rekrutierungsbehörde und dem Militär bekannt ist. Sie steht auch in meinem Schreiben an den Verteidigungsminister, den Premierminister, den Präsidenten beider Parlamente und den Präsidenten der Republik. Ich verstecke mich nicht irgendwo, so dass mich die ägyptische Polizei verhaften könnte. Ich bin bereit dazu, mich der Justiz auszuliefern, wenn ich darüber informiert werde, dass ich gesucht werde."

Entsprechend seiner Erklärung folgte Maikel Nabil Sanad im Oktober 2010 nicht der Einberufung zum Militärdienst. Am 12. November wurde er vom Geheimdienst verhaftet, zum Militär gebracht, für untauglich erklärt und nach zwei Tagen wieder freigelassen. Kurz darauf erhielt er seine offiziellen Entlassungspapiere.

Begegnung in Kairo

Am 4. Januar 2011 trafen wir, eine Minidelegation der DFG-VK Hessen, mit Maikel am Flughafen von Kairo zusammen.

Nach zwei Wochen Rundreise durch Ägypten auf den Spuren der Vergangenheit war dieser Gegenwartsbezug eine willkommene Ergänzung , kurz nach den Anschlägen auf eine große koptische Kirche in Alexandria. Vorher hatten wir Gelegenheit mit den ägyptischen Reiseleitern über die politische Situation im Land zu sprechen, von den Anschlägen erfuhren wir am ersten Januar in Luxor und das Entsetzen war auch bei unseren Begleitern zu spüren.

Wir erfuhren vieles über die soziale und ökonomische Ungleichheit im Land, die Armut, Arbeitslosigkeit und Unzufriedenheit mit dem Regime. Viele Ägypter waren geschockt, da das Nebeneinander verschiedener Religionen von der Mehrheit nicht als problematisch angesehen wird.

Als wir mit Maikel in seiner Kairoer Junggesellenwohnung diskutierten, war ich positiv überrascht von seiner derzeitigen Analyse, also noch bevor es dort richtig los ging.

Er war überzeugt, dass etwas passieren müsse, dass es nicht nur um diesen einen Anschlag gehe, sondern um die Rechte und die Freiheit im Land; es gäbe keine Demokratie und es sei das erste Mal seit zwei Jahren, dass die Polizei wieder auf DemonstrantInnen schießen würde.

Nach dem Bombenanschlag gingen viele Menschen auf die Straßen: in Kairo, Assiut und Mansura, um einige Städte zu nennen. Das war neu auch für die koptischen ChristInnen, die zuvor ausschließlich innerhalb der Kirche protestiert hatten. Der Papst der Kopten bekannte sich zu Mubarak.

Es zeichnete sich hier schon ab, dass der Protest ein übergreifender sein würde. Es gehe nicht um Religionen, sondern darum demokratische Strukturen zu entwickeln. Immerhin braucht mensch die Erlaubnis des Staates, um politisch aktiv sein zu dürfen, eine sog. party licence, ohne die politische Aktionen strafbar sind.

Maikel vertrat die Ansicht, dass die Regierung das Problem sei und die Religionsgemeinschaften gegeneinander hetzt, um von sich abzulenken; das Mubarak Regime habe ausgedient.

Im Hinblick auf seine Kriegsdienstverweigerung äußerte ich meine Überraschung, dass er nach zwei Tagen Arrest als freie zivile Person von der Armee entlassen wurde. Wir erklärten uns diese Reaktion mit der Vermeidung irgendwelchen Aufsehens kurz vor den Wahlen. Es hätte vielleicht Nachahmer gegeben, wenn Maikel als kriminalisierter Kriegsdienstverweigerer Aufmerksamkeit und Solidarität erfahren hätte.

Er ist nicht der einzige antimilitaristisch Aktive in Ägypten, sondern Teil einer Gruppe gegen Zwangsmilitärdienst, ‚No For Compulsory Military Service´ Movement, bestehend aus etwa 30 Personen.

Mit der War Resisters‘ International (WRI) arbeitet er eng zusammen, und er ist interessiert an internationalen Kontakten.

Insbesondere sei es wichtig, Erfahrungen in Demotechnik weiterzugeben (das war vor den Massendes in Ägypten; inzwischen dürften es die ägyptischen Erfahrungen sein, von denen andere lernen können).

Sie suchen ohne ideologische Vorbedingung die Zusammenarbeit mit Gruppen

Maikel ist gegen jeden Nationalismus und lehnt die in der arabischen Welt weit verbreitete Feindseligkeit gegen Israel ab.Israel schätzt er als modernen liberalen Staat.

Er spricht sich gegen antisemitische Bestrebungen aus, die das Existenzrecht Israels verneinen, hat Freunde in Israel, arbeitet mit KriegsgegnerInnen in Israel zusammen, lernt selbst Hebräisch und bietet auf seiner Homepage Texte nicht nur in Arabisch und Englisch, sondern auch auf Hebräisch an.

Als kurz nach unserem Besuch der zivile gewaltfreie Aufstand gegen Mubarak begann, war Maikel Nabil Sanad dabei.

Am 4. Februar wurde er von der Militärpolizei festgenommen.

WRI und DFG-VK forderten sofort zu Protestschreiben auf und machten bei der Ägypten-Demonstration in Frankfurt auf die Festnahme aufmerksam.

Nach 29 Stunden kam Maikel wieder frei: Er schrieb unmittelbar nach seiner Freilassung: „Liebe Freunde, der Geheimdienst ließ mich heute Morgen um sieben Uhr frei. Sie schlugen mich, misshandelten mich sexuell und drohten mir mit einem Militärstrafverfahren. Sie drängten mich, in die Armee zu gehen, stahlen meinen Pass und mein Mobiltelefon. Es waren die schlimmsten Tage meines Lebens. Ich denke, sie taten es, um sich an mir wegen meiner Kriegsdienstverweigerung zu rächen. Ich werde einige Tage brauchen, um mich von diesen schrecklichen Erfahrungen zu erholen…“ (Mail vom 5.2.)

Einige Tage später ergänzte er: „Als ich davor über meine frühere Verhaftung schrieb, habe ich diese als gewaltfreien Kampf zwischen mir und dem Regime betrachtet. Aber diesmal schreibe ich auf eine andere Art, weil dies das erste Mal ist, dass ich mich als Opfer fühle und das erste Mal, dass ich derart stark beleidigt wurde. Ich schreibe diesmal nicht um Revanche zu nehmen, aber um die Menschen wissen zu lassen was ihnen bevorsteht, wenn diese Revolution fehlschlägt.

Unsere Revolution schützt uns davor, dass derartige Aktionen gegen mich und alle von Euch wiederholt werden. (…) Der Geheimdienstbeamte kam und schlug mir ins Gesicht. Und was mich wirklich deprimiert hat, Leute vom Volkskomitee halfen der Armee, mich festzunehmen, weil sie dachten, die Armee sei auf unserer Seite.“

Diese pro-militärische Einstellung teilen viele ÄgypterInnen, wie wir auch bei der Ägypten-Demonstration am 5. Februar in Frankfurt a.M. hören konnten. So war ein Argument gegen die Solidarität mit Maikel, dass das Militär die einzige demokratische Organisation sei, in der die Menschen Gleichberechtigung erführen, und die größte Gefahr sei die Zersetzung der Armee. Verräter sollten bekämpft werden.

Sechs Jahrzehnte militaristische und nationalistische Indoktrination gehen offensichtlich nicht spurlos an den Menschen vorbei. Auch westliche Medien verbreiten das Märchen des schützenden und volksnahen Militärs, nur weil es nicht gleich geschossen hat.

Was diese Volksnähe bedeutet, konnte Maikel Nabil Sanad am eigenen Leib spüren. Einer der Geheimdienstoffiziere erklärte ihm, dass sie in drei Stufen vorgingen. Bei der ersten Festnahme im November hätten sie ihn gut behandelt. Jetzt habe er die zweite Stufe erlebt. Wie brutal nach den Schlägen und Misshandlungen bei der zweiten Festnahme die dritte Stufe aussehen würde, erläuterte der Geheimdienstmann nicht.

Nach dem Abgang Mubaraks hat in Ägypten das Militär die Macht übernommen.

Ausgerechnet Kriegsminister Tantawi führt nun den Staat

Maikel zeigt sich auf seiner Homepage darüber besorgt, dass die Militaristen die Macht an Islamisten und arabische Nationalisten übergeben: „Wir machten diese Revolution für Demokratie, nicht für Faschisten. Nieder mit den Militaristen!“

Maikel und die ägyptischen PazifistInnen und AntimilitaristInnen sind gerade dann, wenn das Militär herrscht, besonders gefährdet. Sie benötigen weiterhin transnationale Solidarität.