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Eine junge Frau als Stimme Ägyptens

Frauen waren entscheidend in den sozialen Bewegungen Nordafrikas beteiligt. Jetzt besteht die Gefahr, dass sie wieder zurückgedrängt werden

| Sigrid Lehmann-Wacker

Die junge Frau mit Kopftuch spricht ohne Pause, atemlos. Sie beginnt mit der Mitteilung, dass vier Ägypter sich selbst in Brand gesetzt hätten, um gegen Demütigung, Hunger, Armut und Erniedrigung zu protestieren (vgl. GWR 357, S. 10). Sie hätten das außerdem in der Hoffnung gemacht, eine Revolution wie in Tunesien zu entzünden.

Die junge Frau auf dem Video sagt, sie selber wolle sich nicht verbrennen: „Vielleicht können wir Freiheit, Gerechtigkeit, Ehre und Würde des Menschen haben. Wir wollen am 25. Januar zum Tahrir Platz gehen. (…) Ich werde nicht über irgendwelche politische Rechte, ich werde nur noch über Menschenrechte reden und sonst über gar nichts. Das ganze System ist total korrupt. (…) Bring fünf Leute oder zehn mit zum Tahrir Platz. (…) Nur zu Hause sitzen und die Revolution über Facebook oder Fernsehen zu verfolgen, führt zu unserer Demütigung. Führt zu meiner eigenen Demütigung. (…) Wer sagt, Frauen sollten nicht zu Protesten gehen, weil sie geschlagen werden könnten, dem sag ich, lass uns Ehre und Würde und komm mit mir am 25. Januar. Wenn du Ehre oder Würde als Mensch hast, komm her. Komm und beschütze mich und andere Mädchen in dem Protest.“ (frei übersetzt aus dem Arabischen).

Nachdem Asmaa Mahfouz am 18. Januar das Video gepostet hatte, ging sie mit einer Fahne alleine auf den Tahrirplatz, drei junge Männer kamen noch dazu. Alle vier wurden vorläufig von der Polizei festgenommen. Die 26-jährige studierte Betriebswirtin Asmaa Mahfouz hatte schon im Frühjahr 2008 mit anderen die 6. April-Jugendbewegung gegründet. Im Jahr 2008 nutzten die AktivistInnen dieser Bewegung Facebook, um Unterstützung für einen Generalstreik der ArbeiterInnen in El-Mahalla zu mobilisieren.

Daraufhin wurde Mahfouz von ägyptischen Sicherheitskräften schikaniert und verlor aufgrund ihrer politischen Aktivitäten ihren Job als Buchhalterin.

Nach dem 18. Januar griffen zu ihrer eigenen Überraschung Dutzende von anderen Menschen ihre Botschaft auf und begannen, ihre eigenen Bilder zu posten. Sie hefteten sich Zeichen auf die Brust, die ihre Absicht erklärten, am 25. Januar auf die Straße zu gehen. Was sich daraus ergeben sollte, hatte zu Beginn der Bewegung kaum jemand für möglich gehalten.

Medien vergessen gerne die Rolle der Frauen in sozialen Bewegungen

Auch die Medien vergessen gerne die Rolle der Frauen. Oft heißt es, die Frauen hätten sich „den Protesten angeschlossen“. Die westliche Presse will vielleicht nicht wissen, dass sich Frauen nicht einfach nur anschlossen, sondern ihre ureigensten Anliegen voller Mut und Kraft vertraten. Sie erwähnen oft nicht, dass der führende Kopf in der dreijährigen Demokratiebewegung Ägyptens eine 26-jährige ägyptische Frau war. Asmaa Mahfouz gilt als eines der wichtigsten Symbole der Bewegung. Auch auf der Straße waren es meistens die Frauen, die anfingen, „Mubarak hau ab!“ zu skandieren.

Man fragt sich allerdings: Wo bleiben jetzt die Stimmen der Frauenrechtlerinnen, die in Tunesien die Proteste mit unabhängigen Radios oder auch als Bloggerinnen initiiert haben? Wo werden ältere Frauenrechtlerinnen, die die soziale Lage und mangelnde Gleichberechtigung von Frauen schon seit drei Generationen einklagen, interviewt?

Man sieht auf Bildern viele glückliche Frauen und Mädchen, mal mit Schleier, mal ohne. Aber sie werden selten zitiert.

Viel ist über die Rechte der Frauen in muslimischen Ländern geschrieben worden. Dieses Problem galt als eine Rechtfertigung für westliche Militär-Invasionen. Merkwürdigerweise schwiegen und schweigen sich die westlichen Medien aber weitgehend über die starke Rolle der Frauen im Widerstand aus.

Frauenrechte in Ägypten vor der Revolution

Ägypten ist seit 1971 eine moderne, demokratisch verfasste, soziale Republik. Schon seit 1956 garantiert Ägypten allen volljährigen Frauen das Wahlrecht. Die Diskriminierung der ägyptischen Frau ist jedoch in fast allen Schichten der Gesellschaft tief verankert. Obwohl es in Ägypten viele gut ausgebildete Frauen gibt, die voll im Berufsleben stehen, wurde bis zur Revolution alle sechs Minuten eine Ehe geschieden.

Fast immer wurde den Frauen die Schuld daran gegeben. Das hatte zur Folge, dass Frauen selbst mit Kindern kein Recht auf Unterhalt hatten.

Uneheliche Kinder haben nach wie vor keine Rechte und dürfen nicht zur Schule gehen.

Ägyptischen Mädchen wurde aus Kostengründen oft die schulische Ausbildung vorenthalten, daher gibt es viele Analphabetinnen. Viele Frauen können nicht das staatliche Gesundheitssystem in Anspruch nehmen, da sie nicht im Besitz einer Geburtsurkunde sind.

Deshalb werden viele Mädchen schon vor dem gesetzlichen Alter von mindestens 16 Jahren verheiratet, oft gegen ihren Willen. Sexuelle Belästigungen auf der Straße waren gang und gäbe. Deshalb trauten sich Frauen selten ohne ihren Mann oder ihre Brüder in die Öffentlichkeit.

Die tabuisierte, aber krasseste Grausamkeit gegenüber Mädchen und Frauen spiegelt sich in der weit verbreiteten Praxis der Verstümmelung der Geschlechtsorgane junger Mädchen wider.

Ägypten liegt weltweit an der Spitze, was diese archaische Tradition betrifft: Mehr als 85 % der 13- bis 19-jährigen Schülerinnen sind heute beschnitten, auch solche aus gebildeten Kreisen. 2005 waren es nach USAID-Angaben sogar noch 96 %. Genitalverstümmelungen, unter deren Folgen Frauen und Mädchen ein Leben lang zu leiden haben, sind in Ägypten seit 2008 offiziell verboten. Es bleibt zu hoffen, dass praktische Rechtsprechung und Aufklärungsarbeit diese grausame Praxis bald beenden.

Frauen sind im Verfassungsrat ausgeschlossen

Es besteht durchaus die Gefahr, dass die Ägypterinnen nach der Revolution, die sie entscheidend mitgetragen haben (vgl. GWR 357), wieder abgedrängt werden. In dem vom Militär ernannten Komitee, das die Verfassung umschreiben soll, war jüngst keine einzige Frau mit beteiligt. So wie damals in Algerien nach dem Befreiungskampf oder nach der Revolte im Iran, die maßgeblich von Frauen mitgetragen wurde, die dann nach dem Sieg der Revolution brutal unterdrückt wurden.

Offene und verdeckte Männermachtbünde oder die Angst und mangelnde Solidarität der Frauen schwächen den Kampf der Frauen um ihre Rechte und ihre Anerkennung. Diese Forderungen jetzt im Wahlkampf weiter durchzuhalten, wird eine schwere Aufgabe.

Die neue gewaltfreie Opposition ist im Unterschied zu den Muslimbrüdern und der alten Elite, die beide über mächtige Seilschaften und Geld verfügen, kaum organisiert. Während der 18 Tage der Besetzung des Tahrirplatzes schliefen Frauen und Männer nebeneinander auf dem Platz. Bis zum Sieg der Revolution wurden keine sexuellen Belästigungen gemeldet.

Es besteht die Befürchtung, dass dieser Geist der Gleichheit nicht bestehen bleibt und die Ägypter und Ägypterinnen wieder in traditionelle Rollenverteilungen zurückfallen.

Die wohl bekannteste ägyptische Frauenrechtlerin, Nawal al-Saadawi (79), mahnt an, diese Rückschritte nicht stillschweigend hinzunehmen.

Die Schriftstellerin und Ärztin wurde im Kindesalter selbst „beschnitten“ und kämpft seit Jahrzehnten gegen diese und andere Menschenrechtsverletzungen an. Für ihre Überzeugungen musste sie schon ins Gefängnis gehen, ihre Bücher standen in ihrer Heimat bis vor kurzem auf dem Index. Auf der Todesliste der Islamisten steht sie immer noch. Die „Überreste des Mubarak-Regimes“ sind ihrer Meinung nach immer noch an der Macht. Al-Saadawi glaubt nicht, dass es in fünf Monaten freie und faire Wahlen geben wird.

Sie moniert: „Sie ändern die Artikel, die zum Beispiel die Amtszeit des Präsidenten festlegen. Sie beschäftigen sich mit oberflächlichen politischen Dingen. Aber die Ungerechtigkeiten der Verfassung, egal ob in Bezug auf Frauen oder Christen, werden nicht geändert.“

Immer noch steht im Artikel 2 der Verfassung, dass der Islam die Staatsreligion sei und die Hauptquelle der Gesetzgebung. Das bedeutet Diskriminierung gegenüber ChristInnen und Frauen. Und wenn es auch später im § 11 der Verfassung heißt, dass Männer und Frauen gleichberechtigt seien, würde die Gesetzgebung hauptsächlich im Sinne der Scharia ausgelegt, wenn die neue Verfassung nicht ausdrücklich Staat und Religion trenne.

Nawal al-Saadawi sieht einen Zusammenhang zwischen Kapitalismus, zunehmender Armut und zunehmendem Sexismus und Gewalt. Kürzlich sagte sie auf eine Frage, ob es eine andere Art der islamischen Kultur gebe, „die Natur der Frauen zu schätzen“: “ So ein Quatsch! Was soll denn das für eine Natur der Frauen sein? Es gibt sie nicht. (…) Unter der Unterdrückung durch die Klassenherrschaft und den Kolonialismus tauchte dieser Begriff der weiblichen Natur auf. Dessen einziger Zweck ist es, uns zu spalten, damit wir besser unterdrückt werden können. Hier gehen die Diktatoren und die Interessen des Westens Hand in Hand.“