Venezuelas Staatschef Hugo Cháves rief Ende Februar 2011 noch "Es lebe Libyen!" und meinte Gaddafi, Daniel Ortega (Nicaragua) schickte solidarische Grüße und Weißrussland kam als Ausreiseziel des libyschen Diktators ins Gespräch. Im Rahmen einer "revolutionären Außenpolitik" sind die genannten Länder nicht zufällig bevorzugte Sympathieobjekte der Tageszeitung junge Welt, die in konkret - nicht ganz ohne triftigen Grund - als "nationalbolschewistisch" (1) bezeichnet wurde. Doch auch konkret, das heute Muslime tendenziell als Feinde Israels ansieht, sollte den Mund nicht zu voll nehmen: Im Februar 1980 legte sie ihrer Zeitung ein 16seitiges bezahltes islam-grün umrandetes Heft "10 Jahre libysche Revolution" bei. Eine Ausgabe später beteuerte die Redaktion, sie wisse nicht, was die herausgebende "Volksjamahiria" überhaupt sei. Heute ist sie eifrige Spezialistin auf dem Gebiet der Islamdeutung und recht unduldsam gegenüber anderen Meinungen.
Während sogar der sauerländische Eishockeyclub ECD Iserlohn, der in den 80er Jahren auf den Trikots ihrer Mannschaft Werbung für Gaddafis „Das grüne Buch“ machte, in der taz (2) seine Vergangenheit aufarbeitete, ist es um Gronaus und Almelos Verwicklungen in den libyschen Versuch, sich Atomwaffen zu beschaffen, merkwürdig still.
Hier werden seit Jahrzehnten zwei große Urananreicherungsanlagen betrieben, in denen Uranhexafluorid in mehreren Zwischenschritten zu nuklearem Brennstoff für Dutzende von Atomkraftwerken weiterverarbeitet wird.
Bereits 1969 bekundeten Gaddafi sowie Vertreter Saudi-Arabiens und die Emire aus den Golfstaaten bei einem Treffen mit dem pakistanischen Premierminister Bhutto in Libyen ihr großes Interesse, von den Erfahrungen bei der Entwicklung des pakistanischen Atomwaffenprojekts zu profitieren (3).
„Am Ende erklärten Gaddafi und die Saudis sich bereit, zunächst rund 500 Millionen Dollar für die ‚islamische Bombe‘ zu investieren, möglicherweise langfristig auch mehr; sie verlangten dafür den uneingeschränkten Zugang zur pakistanischen Bombentechnik, die Weitergabe nicht nur von Kow-how, sondern von jedweder Nukleartechnologie, deren Anschaffung die Allianz mit ihrer Finanzspritze ermöglichen würde.“ (4)
1974 besuchte Gaddafi Pakistan und in den folgenden zwei Jahren brachten Geldkuriere Koffer voller Banknoten nach Karatschi, damit die Summen nicht auf offiziellen Konten auftauchten.
URENCO als Ausgangspunkt für Nuklearterrorismus
Ab 1973 arbeitete der fließend deutsch und niederländisch sprechende pakistanische Wissenschaftler Qadeer Khan in dem britisch-niederländisch-deutschen Konsortium URENCO. Ohne große Probleme konnte er sich in kurzer Zeit das Wissen über den Bau von Uranzentrifugen aneignen, Konstruktionspläne entwenden und die für die Produktion der zahllosen Einzelteile in Frage kommenden Firmen ausfindig machen. Khan hatte 1974 Zugang zu den Unterlagen für die deutschen Zentrifugen, die bereits von Nazi-Wissenschaftlern für Hitlers geplante Atomwaffe erfunden und weiterentwickelt wurden (5).
Nachdem er bei URENCO doch noch „auffällig“ wurde und wieder zurück in Pakistan war, organisierte er die nächsten Jahrzehnte lang ein weltweit agierendes Netzwerk zur Beschaffung von Zentrifugen und Einzelteilen. Es wurde sein berühmt-berüchtigter „nuklearer Schwarzmarkt“ (6).
Drei Großgeräte, sogenannte Autoklaven, fielen 1986 beim Schweizer Zoll auf. Die Baupläne kamen von der Jülicher Firma Uranit, die über eine Holding mit der URENCO-Gruppe verbunden und heute eine Tochtergesellschaft von RWE und E.ON ist.
Khan wurde in Abwesenheit zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. Das Urteil wurde aber in Berufung kassiert und URENCO zog es vor zu schweigen, um einen Imageschaden zu vermeiden.
Komponenten aus Köln, Hanau, Dortmund ….
Khan kümmerte sich in den folgenden Jahren um seine Kunden im eigenen Land und in Nordkorea, wobei ihn die Firma Leybold-Heraeus aus Köln und Hanau mit der Lieferung einer Gasreinigungsanlage, Schweißmaschinen, Pumpen und Ventilen tatkräftig unterstützte. Insgesamt 70 bundesdeutsche Firmen lieferten Einzelteile für die Realisierung der in der URENCO-Bauanleitung beschriebenen Zentrifugen (7).
Nachdem diese Kunden bedient waren, wurden die Verhandlungen mit Mohamad Matuq Mohamad aus der Chefetage des inzwischen begonnenen libyschen Atomprogramms intensiviert. 1998 erhielten die Libyer zwanzig komplette P1-Zentrifugen aus Aluminium und Komponenten für 200 weitere Uranmaschinen (8).
Im Jahre 2000, so recherchierte der Khan-Kenner Egmont R. Koch, bestellte Libyen für weitere 100 Millionen Dollar das nukleare Komplett-Paket für die Atombombe: „Projektstudie für die Gesamtanlage, Baupläne und Hardware der Zentrifugen, elektrische und elektronische Steuereinrichtungen, Ein- und Ausspeisesystem für Uranhexafluorid einschließlich 20 Tonnen des Gases als Starter-kit, Design für computergesteuerte Drehbänke zum Selbstbau der Zentrifugen, Ausbildung und Training der Fachleute.“ (9) Im September 2000 erfolgte die Lieferung von P2-Modellen der Zentrifugen und eines kleineren Kanisters mit Uranhexafluorid, damit die Techniker in Al Fallah schon einmal das Anreichern „üben konnten“ (10).
Bei der Dortmunder Firma Tridelta, die aus dem Unternehmen Thyssen Magnettechnik (Dortmund-Aplerbeck) hervorgegangen ist (11), bestellten und erhielten Khans Mittelsmänner Ringmagneten, die dann zusammen mit anderen Komponenten in Istanbul zusammengebaut und nach Dubai verschifft wurden, um den Weg nach Libyen anzutreten.
Südafrika
Von den URENCO-Bauplänen profitierte ebenfalls der in Südafrika lebende deutsche Maschinenbau-Ingenieur Wisser, der dort eine Firma für Vakuumtechnik betrieb und schon als Zulieferer für die sechs Atombomben des Apartheidstaates fungierte. Für die seit 1999 durchgeführte Produktion von Zentrifugenteilen erhielt er mit seinem Kompagnon Johan Meyer, der im südafrikanischen Vanderbijltpark eine Werkshalle betrieb, 28 Millionen Euro (12).
Als im August 2003 mehr als 2.200 nach deutschen Plänen produzierte Uranzentrifugen Shah Alam, die Hauptstadt des malaysischen Bundesstaats Selangor, in Richtung Libyen verlassen hatten, war dieser Lieferung längst die CIA auf den Fersen (13). Denn den Geheimdiensten waren nicht alle Aktivitäten Khans verborgen geblieben. Im Mittelmeer wurde das Transportschiff kurz vor Libyen nach Taranto in Süditalien umdirigiert. Der Nuklear-Deal Gaddafis flog auf, die CIA konnte einen Erfolg verbuchen. Gaddafi versprach, seine Ambitionen auf Atomwaffen aufzugeben, und arbeite von nun an mit den Inspektoren der IAEA zusammen.
Das Nachspiel
Informationen über involvierte Mittelsmänner, Lieferanten, Unternehmen und Koordinatoren des Nukleardeals wurden von Libyen weitergegeben. Es waren lauter „alte Bekannte“, über die die Geheimdienste der USA und Großbritanniens schon auffällig gut Bescheid wussten.
Die in der Schweiz, BRD und Südafrika erfolgten Prozesse gegen die Verantwortlichen zeigten deutlich, wie sehr die Geheimdienste rund um den Erdball nicht nur auf Trapp gehalten wurden, sondern bei den Geschäften sogar eifrig mitmischten. Ist der nukleare Geist erst einmal aus der Flasche entwichen, ist es nahezu unmöglich, ihn wieder einzufangen.
Ein handfester Skandal offenbarte sich 2008 während eines Prozesses, als die Schweizer Behörden auf Geheiß und unter Beaufsichtigung der USA wichtige Beweismaterialien vernichteten: „Und immer mehr verdichtet sich die Gewissheit, dass die ‚Aktion Reißwolf‘ auf Druck Washingtons beschlossen wurde, um die Rolle des US-Geheimdienstes CIA im illegalen Handel mit Komponenten von Atomwaffenprogrammen zu verschleiern.“ (14)
Nachdem 2007 in Mannheim ein Prozess gegen Beteiligte an der Zentrifugenlieferung aus Südafrika geplatzt war, weil die Beweisführung aufgrund der massiven Vertuschungsaktionen der an den dubiosen Operationen beteiligten Geheimdienste unmöglich war, fand 2008 in Stuttgart ein Folgeprozess statt, bei dem es nur noch zu Strafen kommen konnte, die mit den bereits abgesessenen mehrmonatigen Untersuchungshaftzeiten verrechnet wurden. Der vorsitzende Richter monierte, dass nicht nur die Geheimdienste, sondern ausgerechnet auch das „neue“ befreite Südafrika jegliche Hilfestellung bei der Aufdeckung des libyschen Nukleardeals strikt ablehnte (15).
Die sonst so konservative Rheinische Post kam nicht umhin, die Verwicklung der Geheimdienste folgendermaßen zu kommentieren: „Deren Involvierung hat es nahezu unmöglich gemacht, die Wahrheit zu recherchieren.“ (16)
Die UAA in Gronau nimmt durch ihre Brennstoffproduktion für Dutzende von Atomkraftwerken in Europa nicht nur eine Schlüsselposition ein, sondern stellt aufgrund ihrer Eignung für die Produktion von atomwaffenfähigem Material und die Weitergabe des Know hows hierfür eine große Gefahr für den Weltfrieden dar.
Seit Beginn der Produktion vor mehreren Jahrzehnten reiht sich ein Skandal an den anderen, ohne dass die Anti-Atom-Bewegung die Gefahren und die Notwendigkeit erkannt hatte, massiv und mit Nachdruck tätig zu werden. Die UAA Gronau fristete immer ein Schattendasein im Bewusstsein der Bürgerinitiativbewegung, obwohl sie einer der gefährlichsten Bausteine der Atomindustrie ist.
Wenn sich die Umweltschutzbewegung ihr vielbeschworenes „Denken in Zusammenhängen“ wirklich zu eigen gemacht hätte, wäre die UAA in Gronau heute im öffentlichen Bewusstsein genauso bekannt wie Gorleben oder Brokdorf. Grund genug, am 25. April 2011 endlich für einen Paukenschlag zu sorgen, bei dem alle Beteiligten wach werden (siehe dazu Artikel in dieser GWR)!
(1) Konkret, März 2011, Seite 24
(2) TAZ vom 1.3.2011
(3) Egmont R. Koch "Atomwaffen für Al Qada", Aufbau-Verlag, Seite 55
(4) Siehe 3., Seite 56
(5) Siehe 3., Seite 63
(6) Siehe THTR.Rundbrief Nr. 95, 99, 104, 111 und 125 unter www.reaktorpleite.de
(7) Freitag vom 16.11.2007
(8) Siehe 3., Seite 211
(9) Siehe 3., Seite 242
(10) Siehe 3., Seite 243
(11) Siehe 3., Seite 244. Tridelta ist zusammen mit der Firma Uhde Bestandteil eines Unternehmensgeflechts, das vor wenigen Jahren die nuklearen Brennelemente für den inzwischen gescheiterten PBMR in Südafrika gebaut hat.
(12) Aus: PR Inside.com vom 14.11.2007 und: Liechtensteiner Wirtschaftswochenzeitung Wirtschaftregional vom 8.8.2007
(13) Siehe 3., Seite 261
(14) Frankfurter Rundschau vom 29.5.2008
(15) Aus: Focus Online vom 16.10.2008
(16) Aus: Rheinische Post vom 16.10.2008