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Vorzeichen einer antikapitalistischen Revolte?

Staat und Kapital ohne Ben Ali, Mubarak und Co.

| Ismail Küpeli

Die Revolten in Tunesien, Ägypten und Libyen haben die westlichen PolitikerInnen und ihre BeraterInnen kalt erwischt.

Linksradikale, KommunistInnen und AnarchistInnen in den USA und Europa sind ebenso überrascht, sympathisieren aber mehrheitlich mit den Revolten. Einige sehen in Nordafrika die Vorzeichen einer antikapitalistischen Revolte.

Dies ist nicht nur deswegen voreilig, weil ein relevanter Teil der Protestierenden explizit bürgerlich-demokratische Verhältnisse (freie und faire Wahlen, Mehrparteiensysteme usw.) als ihre Ziele angibt. Eine weitere Hürde für eine explizit antikapitalistische Revolte besteht in den polit-ökonomischen Grundlagen vieler Staaten in der arabischen Welt.

Auch wenn diese Staaten Teil des kapitalistischen Weltsystems sind, gibt es Unterschiede zum westlichen Staatsmodell. Ein wichtiger Unterschied besteht darin, wie der Staat sich finanziert.

Während sich der „klassische“ bürgerliche Staat über die Besteuerung der StaatsbürgerInnen finanziert, ist dies in Staaten wie Ägypten, Syrien und Saudi Arabien weniger der Fall.

Diese Staaten, die auch „Rentierstaaten“ genannt werden, finanzieren sich zum Teil durch Einnahmen aus dem Erdölsektor (z.B. Saudi Arabien), durch Zahlungen von anderen Staaten (z.B. erhält Ägypten Zahlungen von den USA) oder durch eine Kombination von Erdöleinnahmen und internationalen Zahlungen (z.B. Syrien).

Welche Folgen hat jedoch die Herkunft der Staatseinnahmen?

Erstens steht der Rentierstaat durch den weitgehenden Verzicht auf die Besteuerung der StaatsbürgerInnen weniger unter dem Druck, sich zu legitimieren. Statt der bürgerlichen Parole „no representation without taxation“ gilt dann „no taxation, no representation“.

Der Staat kann finanzielle Transferleistungen gezielt einsetzen, um gesellschaftliche Gruppen zu politisch opportunem Verhalten zu bewegen.

Er kann so politische Loyalität (oder zumindest den Verzicht auf offene Opposition) belohnen, indem etwa Schulen und Straßen gebaut werden oder Jobs in der staatlichen Bürokratie geschaffen werden. Wenn die externen Zahlungen nicht sinken oder gar wegfallen, ist ein solches System recht stabil. Dies erklärt die lange Dauer autoritärer Regime in der arabischen Welt – und warum viele BeobachterInnen jetzt so überrascht waren.

Die lange autoritäre Phase erklärt vielleicht auch, warum sich die politischen Forderungen der Protestierenden in Nordafrika mehrheitlich auf bürgerlich-demokratische Ziele beschränken. Die Erfahrung, dass politische Unterdrückung auch trotz (!) freier Wahlen stattfinden kann, muss noch gemacht werden.

Zweitens müssen ArbeiterInnen in Rentierstaaten mehr auf politische Kampfformen (Demonstrationen, Straßenblockaden usw.) zurückgreifen. Streiks und andere „ökonomische“ Kampfformen verlieren an Bedeutung, wenn sie nicht in den wenigen Sektoren stattfinden, die für den Staat lebenswichtig sind. Neben dem Kern der staatlichen Bürokratie sind es mehrheitlich nur der Erdölsektor und andere für das kapitalistische Weltsystem relevante Bereiche (wie der Suez-Kanal in Ägypten).

Auch sektorenübergreifende Arbeitskämpfe durchzuführen, ist schwierig. So sind etwa ArbeiterInnen im Erdölsektor durch höhere Löhne privilegiert und die staatlichen Angestellten sind abhängig vom Staat.

Eine vorsichtige Prognose wäre also, dass die antikapitalistische Revolte auch diesmal ausbleiben wird. Aber die Ereignisse in Tunesien und Ägypten machen auch sichtbar, wie wenig die politischen Eliten Veränderungsprozesse vorhersagen und steuern können.