Lebenslaute ist ein offenes Netzwerk von Musikerinnen und Musikern, die politische Aktionen in Form von Konzert-Blockaden oder -Besetzungen durchführen.
Einmal im Jahr treffen sich Orchester und Chor, um klassische Musik an Menschen bedrohenden Orten aufzuführen. Ein paar Tage wird gemeinsam geprobt, dann kommt die Konzert-Aktion. Neben diesen großen Sommeraktionen, die das Bild von Lebenslaute seit 1986 prägen, gibt es derzeit auch zwei Regionalgruppen. Zu verschiedenen Anlässen tragen sie die Aktionsidee in Ensemble-Stärke in politische Auseinandersetzungen vor Ort.
Der Name
Bei den Blockaden gegen die Atomraketen in Mutlangen Anfang der 80er Jahre wurde viel Musik gemacht. Daraus entstand die Idee, klassische Musik mit Aktionen zivilen Ungehorsams zu verbinden und beides gründlich vorzubereiten.
Mit der Zeit bildete sich ein Netzwerk von einigen hundert Personen, die sich vorstellen konnten, solch eine Aktion mitzumachen. Das Wort „Lebenslaute“ stammt von Uwe Painke vom Friedensbüro in Tübingen. Er wollte damit Laute (Klänge) des Lebens bezeichnen als Kontrast zu der Bedrohung durch die Raketen, die damals auf der Schwäbischen Alb aufgestellt wurden.
Statistik
Alles begann 1986 in Mutlangen. Danach folgte eine Reihe von Orten, von denen die meisten bereits für sich sprechen. Viele sind mehrfach vertreten. Insgesamt gab es dreizehn Aktionen gegen das Militär (Mutlangen 1986, Heilbronn 1987, Fischbach und Großengstingen 1988, Hannover, Münsingen, Frankfurt/M 1991, Wittstocker Heide 1995, 2000, 2004 und 2007, Colbitz-Letzlinger Heide 2010, Leipzig 2011), sechs gegen die Gefahren von Atomanlagen (Wackersdorf 1988, Hanau und Gorleben 1990, wieder Gorleben 1994 und 2009, Biblis 1999), fünf gegen Abschiebungen und Rassismus (Hamburg 1996, Bielefeld 1998, 2005, Frankfurt/M 2001, Lübeck 2008) sowie je eine zu den Themen Gentechnologie (Badingen/ Brandenburg 2006) und Giftmülltransporte (Schlutup/ Holstein 1989).
Das Engagement gegen das Militär steht also eindeutig im Vordergrund der Aktionen. An zweiter Stelle steht die Atomkraft, gleich gefolgt vom Engagement für Geflüchtete. Interessant ist, dass „Lebenslaute“ in 25 Jahren auf 26 Aktionen kommt, trotz zweimaliger Lücken in der Jahresfolge. In den Jahren 1993 und 1997 fanden keine Aktionen statt.
Grundsätze
Konsequente Gewaltfreiheit in Verbindung mit zivilem Ungehorsam war immer der Grundsatz von „Lebenslaute“.
Die Art der Aktionen mit wertvollen und empfindlichen Musikinstrumenten und auch die klassische Musik waren dazu angetan, diesen Grundsatz zu unterstreichen. Das schloss aber nicht aus, dass die Beteiligten sich immer wieder Gedanken machten, wie sie die ungerechten Gesetze und Verbote der Herrschenden pfiffig unterlaufen könnten.
Wesentlich ist auch das Konsensprinzip. Bei „Lebenslaute“ gibt es zwar eine Vorbereitungsgruppe, aber während der Tage unmittelbar vor einer Aktion haben alle Beteiligten die Möglichkeit, ihre Kompetenzen, ihre Ideen und Bedenken zum Ablauf einzubringen. Die Diskussionen um die Einzelheiten einer Aktion sind zwar oft sehr nervenaufreibend, aber nur auf diese Weise ist sichergestellt, dass auch alle die Aktion mittragen können.
Ein weiterer Grundsatz der Aktionen ist der, dass „Lebenslaute“ sich in schon bestehende Bürgerinitiativen oder Aktionen einbindet.
Die Musik
Die Werkauswahl ist in jedem Jahr immer wieder eine der spannendsten Fragen, die die Kreativität aller herausfordert. Die Musik für Chor und Orchester soll das Anliegen der betreffenden Aktion möglichst auch in den Texten widerspiegeln, bei der reinen Orchestermusik kann das naturgemäß nur als Anspielung erfolgen. „Lebenslaute“ hat wiederholt Texte von Kantaten des 18. Jahrhunderts (Telemann, Buxtehude, Bach) den aktuellen Bedürfnissen entsprechend umgeschrieben.
Bei der symbolischen Verwendung reiner Orchestermusik fanden sich immer wieder mehr oder weniger treffende Anklänge. Sehr beliebt waren die Sinfonien Josef Haydns, weil sie so humorvoll und anspielungsreich sind. Ein Satz aus der Sinfonie „Die Uhr“ z. B. diente zur Illustration des Gedankens, dass die Zeit, in der Radioaktivität abklingt, nur extrem langsam zerrinnt.
Konflikte
Was ist wichtiger bei „Lebenslaute“: die Musik oder die politische Aktion? Das ist einer der häufigsten Konflikte, die aufgetreten sind. „Lebenslaute“ kündigt die Aktionen immer öffentlich an und verteilt auch die Aufrufe zum Mitmachen, bei denen deutlich gesagt wird, dass es um einen begrenzten Regelverstoß geht.
Gelegentlich taucht auch die Frage auf, ob sich nicht eine gewisse Beliebigkeit einschleicht. Sind die „Lebenslaute“-AktivistInnen nichts weiter als Polit-TouristInnen?
In einem Jahr ist das Militär das Ziel einer Aktion, im nächsten die Atomtechnologie, dann die Flüchtlingspolitik…
Nun, der Blick auf die Statistik der Aktionen zeigt, dass „Lebenslaute“ sich doch auf wenige zentrale Themen beschränkt, die zudem von hoher gesellschaftlicher Dringlichkeit sind, so lebensbedrohlich, dass sie eine Aktionsform außerhalb des legalen Rahmens rechtfertigen.
Repression
Die Repression von staatlicher Seite hielt sich eigentlich in Grenzen. Es gab gelegentlich Bußgelder und einmal in Bielefeld einen Prozess wegen einer Blockade der dortigen Abschiebebehörde, aber der Prozess endete mit Freisprüchen. Man sollte sich aber nicht immer darauf verlassen.
Ich habe wiederholt die Meinung vertreten, wer an einer Aktion von „Lebenslaute“ teilnehme, solle sich doch bitte den Tag nach der Aktion von Terminen frei halten, denn man könne nie wissen, ob man nicht doch „eingesackt“ werde. Die Sorglosigkeit, mit der manche AktivistInnen davon ausgehen, dass das nicht geschieht, hat gelegentlich irritiert. Natürlich werden vor einer Aktion die juristischen Risiken immer genau durchgesprochen.
Die Aktion 2011
In diesem Jahr wird Lebenslaute am Flughafen Halle-Leipzig zugegen sein und auf die militärische Nutzung dieses Flughafens aufmerksam machen.