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„Gegen die Gewalt des Staates hilft auch kein Kaffee“

Vom 25. März bis 14. April 2011 war die Grawertstraße 34 in Münster besetzt, bewohnt, belebt. Gedanken zu den geräumten Träumen

Ein Zwischenbericht

In Münster standen in einer Straße fast alle Häuser leer.

Doch in ein Haus kam Leben, es wurde besetzt, bewohnt, belebt. Irgendwie störte sich kein Mensch daran. Die Nachbarn halfen beim Einziehen, die lokale Politik zeigte Verständnis und es gab Raum für Begegnung und Veränderung, der vielen gut tat. Doch dann wurde geräumt, der Staat als abstrakter Rahmen hat weder Herz noch Verstand, sondern Gesetze und findet in der Polizei Menschen, die diese mit Gewalt durchsetzen.

Die Geschichte der Grawertstraße 34 zeigt wie selbstbestimmtes Leben einerseits möglich und von viel mehr Menschen gewollt ist, als zunächst gedacht. Sie zeigt aber auch wie schwer verschiedene Lebensträume und Lebensräume in diesem Staat zu verwirklichen sind. Doch eines bleibt auch nach der Räumung: die Geschichte der Grawertstraße ist noch nicht zu Ende.

Im Norden von Münster steht die Grawertstraße mit 34 Häusern seit drei Jahren komplett leer. Sie wurde der britischen Armee zur Unterbringung von Soldaten und Angehörigen überlassen, kostenlos im Rahmen von NATO-Truppenstatuten. Doch die britische Armee ist schon lange auf dem Rückzug aus Europa und braucht deshalb einen großen Teil der insgesamt über 800 Häuser in Münster nicht. Dieser Leerstand ist in Münster umso prekärer, weil es in der Unistadt für viele Menschen mit wenig Geld, Flüchtlinge, Studierende, Arbeitslose sehr schwer ist Wohnungen zu mieten. Die Stadt wächst und in der Innenstadt verdrängen Wohlhabende alle anderen mehr und mehr.

Es lag also nahe, dass sich irgendwann Menschen ein Herz fassen würden. Theoretisch hätte die Grawertstraße bis 2020 verwaist bleiben können. Doch dem schritt eine von Anfang an offene und friedliche Besetzung entgegen.

Am 25. März zog eine Gruppe von Menschen ein und zum Auftakt gab es eine Party mit 100 Gästen.

Die Türen blieben offen und dies erfreute auch die Nachbarn. Sie brachten Geschirr, Kuchen, Zukunftspläne und besonders viel Solidarität. Eine leerstehende Straße wurde so gemeinsam mit Leben erfüllt.

Die Belebung war für viele eine Initialzündung, die viel Energie und Kreativität im Viertel freisetzte. Die Unterstützung hielt an und zu den Nachbarschaftscafés kamen alle Generationen und Menschen aller sozialen Schichten. In der Presse wurde das Kaffeetrinken zum Symbol des Miteinander und Schaffens von Kontakten innerhalb der Nachbarschaft. Nach den ersten Wochen des Zusammenlebens kamen auch Lokalpolitiker_innen und es eröffnete sich eine Stimmung der allgemeinen Zustimmung. Ein erster Erfolg also: Auch und gerade radikale Aktionen werden angenommen – vielleicht sogar erhofft. Ein zweiter Erfolg folgt: die Britische Armee entschied sich, aufgeschreckt durch diese Öffentlichkeit, die komplette Straße abzugeben.

Aus der Aktion wurde eine Bewegung. Immer mehr Menschen interessierten sich für die Besetzung im Stadtteil Rumphorst und immer größer wurde der Kreis derer, die sich mit Ideen und Zeit einbrachten.

So wurden ein Arbeitskreis gegründet, der Ideen für eine langfristige Nutzung sammelt. Das Ziel ist eine Nutzung, die sicherstellt, dass Wohnraum für Menschen geschaffen wird, die nicht viel Geld haben und mehr als nur nebeneinander wohnen wollen: eine autofreie Siedlung, ökologisches, selbstverwaltetes Leben und Angebote, die sich auch nach außen richten. Von Anfang an kamen auch Flüchtlinge, sie führte die Hoffnung auf günstigen, nicht kontrollierten Wohnraum in das Haus.

Diese Hoffnungen wurden vor allem durch die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA), Verwalterin der Liegenschaften, zerschlagen. Denn die Behörde wollte nichts wissen von dem Münsteraner Frieden. Sie wollte anzeigen, illegalisieren, rausschmeißen, obwohl die Bewohner_innen Gesprächspartner_innen suchten und sich um einen gewaltfreien Umgang mit allen bemühten.

Gewaltfrei ist es aber nicht, wenn 20 Polizist_innen eine Verhandlungsdelegation, die mit der BImA in Dortmund sprechen wollte, vom Bahnhof abholt und den Weg ins Haus versperrt. Gewaltfrei ist es auch nicht, wenn der zuständige Sachbearbeiter der BImA nicht einmal bereit ist das Portfolio mit den Ideen und Konzepten anzunehmen und es stattdessen auf den Fußboden wirft.

Gewaltfrei ist es nie, wenn bewaffnete Polizisten drei Schlafende unsanft wecken und aus dem Haus schaffen.

So endete am 14. April die Bewohnung der Grawertstraße 34 – vorläufig. Ein großes Aufgebot der deutschen Polizei und britischer Militärpolizei drang in das Haus.

Nicht alles war rosig in den Tagen der Besetzung, es ist nicht leicht, Ideen und Ideale zu leben und dabei in einem System zu stecken, das genau davon nichts wissen will. Nicht alle Solidarität galt der Idee, manches war auch Ausländerfeindlichkeit. Und Kaffee und Kuchen allein ändern nichts daran, dass es Gesetze gibt, die keine Rücksicht auf Wollen und Einigung legen.

Aber es ist ermutigend zu sehen, was alles möglich ist. Und es geht weiter.

Anmerkungen

Tondokument. Radio Graswurzelrevolution, 7.4.2011, GWR-Redakteur Bernd Drücke im Gespräch mit Tim, einem Hausbesetzer der Grawertstraße 34 in Münster:

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