Wegen der Ereignisse seit dem 11. März sind wir fassungslos. Wir empfinden Trauer angesichts der mehr als 13.000 JapanerInnen, die bisher durch das Erdbeben, den Tsunami und den Super-GAU gestorben sind.
Wir sind entsetzt, wenn wir erfahren, dass zunächst nur das Gebiet im Umkreis von 20 (jetzt 30) Kilometern um die strahlende Ruine evakuiert wurde, obwohl im Radius von 80 Kilometern bereits extrem hohe Strahlenwerte gemessen wurden und deshalb u.a. von Greenpeace eine Evakuierung gefordert wurde. Wir sind traurig, wenn wir daran denken, wie viele Menschen in Zukunft an den grausamen Folgen des Super-GAUs leiden und sterben werden.
In unsere Trauer mischt sich Wut. Die Wut auf eine Industrie und auf PolitikerInnen, die nach den weitgehend vergessen gemachten schweren Atomunfällen im britischen Windscale 1957, im russischen Majak 1957/58, im US-amerikanischen Harrisburg 1979, in Tschernobyl 1986 und wenige Wochen nach Beginn der Atomkatastrophe in Fukushima weiter auf die Atomkraft setzen.
Kategorie 7
Vier Wochen lang haben die japanische Regierung, der Atomkonzern TEPCO (Tokio Electric Power Company), die internationale Atomlobbyorganisation IAEO und atomfreundliche Medien versucht, die Gefahren herunter zu spielen, zu vertuschen und die Auswirkungen der Kernschmelze zu verharmlosen.
Erst am 12. April 2011 hat die japanische Atomaufsicht die Gefahr des Atomunfalls in Fukushima auf die höchste Stufe angehoben. Der Unfall hat damit jetzt die Kategorie 7, die bisher nur nach dem Super-GAU in Tschernobyl ausgerufen wurde. Die Auswirkungen der Strahlung in Luft, Wasser und Lebensmitteln seien „umfassend“, hieß es.
Normales Leben im Umkreis um die havarierten Reaktoren wird zu unseren Lebzeiten nicht mehr möglich sein. Die Gegenden in und um Fukushima City und Koriyama sind bereits schwer kontaminiert.
Der russische Wissenschaftler Alexej Jablokow schätzt, dass als Folge der Atomkatastrophe in Tschernobyl von 1986 bis heute etwa 1,4 Millionen Menschen gestorben sind. Dabei war und ist die Region um Tschernobyl im Vergleich mit dem Nordwesten Japans dünn besiedelt.
Am 12. April 2011 hat die japanische Regierung betont, dass „erst“ ein Zehntel der Menge der durch den Super-GAU in Tschernobyl freigesetzten Radioaktivität bisher in Fukushima freigesetzt worden sei. Angesichts der Kernschmelze und der ungebremsten Freisetzung von enormen Mengen Radioaktivität aus den Fukushima-Reaktoren ist Schlimmstes zu befürchten. Nach Berichten der ARD liegt in den Fukushima-Reaktoren 120mal so viel nukleares Material wie im havarierten Tschernobyl-Reaktor.
Laut taz vom 14.04.2011 zahlt TEPCO den meisten jetzt an der Atomruine eingesetzten Tagelöhnern 80 bis 120 Euro pro Tag. 3.300 Euro Tageshonorar wird nur einigen Arbeitern an der Spitze der Pyramide angeboten.
Jeder, der in dieser extrem verstrahlten Umgebung arbeitet, ist dem Tode geweiht. Es sind nicht die verantwortlichen Manager, LobbyistInnen und PolitikerInnen, die diesen tödlichen Job machen, sondern „Wegwerfarbeiter“!
Und was machen die TEPCO-Manager? Sie wollen z.B. eines von zwei geplanten AKWs im türkischen Erdbebengebiet bauen. Das ist eine Verhöhnung der Opfer von Fukushima!
Was haben die Atomkonzerne aus dem Super-GAU gelernt?
Die Atomkonzerne RWE, Eon, Vattenfall und EnBW dominieren den deutschen Strommarkt und behindern seit Jahren eine ökologische und soziale „Energiewende“. Im April 2011 verkündeten sie den Stopp ihrer Überweisungen an den Fonds der Bundesregierung zur Förderung regenerativer Energien. RWE will gegen die Abschaltung seines Uraltreaktors Biblis klagen.
Weltweit will die Atommafia ihre 443 Atomkraftwerke weiter betreiben. Laut World Nuclear Association sind derzeit 62 AKW im Bau und weitere 158 in Planung, nicht zuletzt auch von deutschen Konzernen und mit deutschen Hermes-Bürgschaften finanziert. Trotz Fukushima!
Gegen diesen Wahnsinn regt sich Widerstand
Seit dem Super-GAU in Fukushima-Daiichi demonstrieren Hunderttausende für die sofortige Stilllegung aller Atomanlagen. Während die bisher noch kleine Anti-Atomkraft-Bewegung in Japan erst langsam wächst und bisher noch nicht mehr als 17.000 DemonstrantInnen mobilisieren konnte, ist die Bewegung in der Bundesrepublik bereits groß.
Am 12. März forderten 60.000 DemonstrantInnen bei einer Menschenkette zwischen Stuttgart und dem AKW Neckarwestheim den Ausstieg. Am 14. März demonstrierten in 400 Orten der Bundesrepublik rund 120.000, am 21. März in über 700 Orten 140.000, am 26. März ging eine Viertelmillion, am 4. April gingen bundesweit 70.000 und am 11. April 52.000 Menschen in 470 Städten für die sofortige Stilllegung aller Atomanlagen auf die Straße. Und die Protestaktionen reißen nicht ab!
Termine: Protest- und direkte gewaltfreie Aktionen
Auch in den nächsten Wochen wird es vielerorts an jedem Montag Anti-Atom-Mahnwachen und Demos geben. (1)
Vom 24. bis zum 26. April sind wegen Fukushima global actiondays geplant.
Am 25. April werden in Deutschland an 12 Standorten große Demos und direkte gewaltfreie Aktionen stattfinden. (2)
Der Tschernobyl-Jahrestag bestimmt auch die thematische Schwerpunktsetzung der diesjährigen Ostermärsche. „Atomkraft: Ein Bombenrisiko“ ist das Motto der Ostermärsche sowohl am Atomwaffenstandort Büchel (Eifel) am Ostermontag als auch am US-Kriegsflughafen Ramstein (Pfalz) am Karsamstag. (3) Der Ostermarsch in Frankfurt/M. fordert „Atomwaffen verschrotten – AKWs abschalten – Afghanistankrieg sofort beenden!“ (4)
Vom 16. bis 19. Mai soll das Atomforum in Berlin blockiert werden.
Am 28. Mai gibt es Demos in 20 Städten. (5)
Ab Pfingsten wollen Anti-Atom-AktivistInnen zum Moratoriumsende AKWs blockieren.
Ab dem 10. Juni gibt es ein Aktionscamp der gewaltfreien Initiative x-tausendmal quer zur Vorbereitung der „schlussendlich“-Aktion ab dem 13. Juni. (6)
Diverse Initiativen wollen im Juni ein „neues“ AKW blockieren, in Brokdorf, Grohnde, …
Vom 16. bis 20. Juni wird es Aktionen zur Tagung der internationalen Atomlobbyorganisation IAEO in Wien geben. (7)
Voraussichtlich im Spätsommer wird gegen den neuesten Reaktor Neckarwestheim 2 eine große Stilllegungsblockade durchgeführt, die mehrere Tage dauern und die Stilllegung erzwingen soll. (8)
Am 20. August wird eine Blockade in Olkiluoto (Finnland) stattfinden. (9)
Im November kann sich die Atommafia auf viele direkte gewaltfreie Aktionen und Proteste gegen den Castortransport nach Gorleben einstellen. (10)
Auf der Anti-Atomkonferenz im April in Kassel sprachen AktivistInnen vom „Blockadendreiklang“: Mitte Juni zum Ende des Moratoriums, Spätsommer in Neckarwestheim, November im Wendland. Geplant ist auch eine Kampagne gegen das Image der Energiekonzerne und der Atomlobby.
Der Druck auf die Herrschenden ist so groß, dass sich in Deutschland nun alle Parteien zum Atomausstieg bekennen
Durch das von der CDU/CSU/FDP-Regierung verkündete Moratorium wurden die Laufzeitverlängerungen für drei Monate ausgesetzt, um „die Sicherheit zu überprüfen“, das heißt: 8 der 17 deutschen AKWs sind momentan nicht am Netz.
Jürgen Trittin, der einst als grüner Bundesumweltminister den butterweichen „Atomkompromiss“ mit den Atomkonzernen mit ausgekungelt und sich damals auch von Anti-Castor-Demos distanziert hat, empörte sich über die Verkündung des Moratoriums. Er forderte ein Zurück zum rot-grünen „Atomkonsens“. Grüne PolitikerInnen wie Trittin, Roth und Künast wollen keine sofortige Stilllegung aller Atomanlagen. Sie wollen zurück an die Macht.
Zusammen mit der SPD wollen sie bis 2022, frühestens bis 2017 aussteigen.
Das ist nicht akzeptabel!
Menschen können Fehler machen. Und natürlich ist auch die atomare Technik selbst, entgegen allen Beteuerungen, nicht fehlerfrei. Ein Super-GAU ist überall möglich. Wie Atomwaffen bedrohen auch Atomanlagen das Menschenrecht auf Leben. Deshalb müssen weltweit alle Atomwaffen abgeschafft und alle Atomanlagen abgeschaltet werden – sofort!
Auch wenn das viele nicht gerne hören: Der einst von der rot-grünen Bundesregierung beschlossene „Atomausstieg“ war nur eine Bestandsgarantie für die Atomindustrie. Er diente, so SPD-Chef Siegmar Gabriel (11), zur „Befriedung“.
Aber: Wir wollen uns nicht befrieden lassen. Wir machen weiter Druck, bis alle Atomanlagen stillgelegt sind.
Wir wissen: Der Ausstieg aus dem atomaren Wahnsinn kann nur durch Druck von unten erreicht werden.
verrückt und unrealistisch?
Wir brauchen eine Gesellschaft, in der menschheitsbedrohende Technologien wie Atom- und Gentechnik, Atomwaffen, Kriege und Hunger der Vergangenheit angehören. Der Kapitalismus, in dem profitorientierte Konzerne und ihre PolitikerInnen mit der Menschheit Russisches Roulette spielen, hat keine Zukunft.
Unser Kampf gegen Atomkraft ist auch ein Kampf für ein menschenwürdiges, selbstbestimmtes Leben für alle Menschen, in dem freie Vereinbarung und gegenseitige Hilfe Maximen des Handelns sind.
Wer eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft anstrebt und die Enteignung aller Atomkonzerne fordert, wird allerdings immer noch von den meisten als „verrückt und unrealistisch“ belächelt.
Aber wurden nicht bis zum 11. März 2011 auch unsere jahrelangen Warnungen vor einem möglichen Super-GAU als „verrückt und unrealistisch“ bezeichnet?
Eine dezentrale, ökologisch und sozial verträgliche Energiewende ist gegen Konzerne, die mit jedem ihrer Atomreaktoren täglich einen Gewinn von einer Million Euro einfahren, kaum durchzusetzen.
Atomgiganten wie TEPCO, Areva, RWE, Eon, EnBW und Vattenfall werden nicht freiwillig auf die enormen Profite verzichten, die sie mit Hilfe einer mächtigen Lobby und auf Kosten der nächsten 45.000 Generationen mit ihren Atomanlagen machen können.
Wenn die weltweit agierende Atommafia nicht zerschlagen wird, wird sie weiterhin zur eigenen Profitmaximierung 1.000.000 Jahre strahlenden Atommüll produzieren, nicht kontrollierbare Atomkatastrophen, Verstrahlung und unzählige Menschenopfer in Kauf nehmen.
Wenn die Menschheit also eine würdige und lebenswerte Zukunft haben soll, dann wird uns nichts anderes übrig bleiben, als „verrückt und unrealistisch“ zu werden.
(1) Infos dazu: www.ausgestrahlt.de
(2) Infos: www.tschernobyl25.de
(3) Infos: www.dfg-vk-rlp.de
(4) Ein Überblick über 68 Ostermarschtermine: www.friedenskooperative.de/om2011ndx.htm
(5) www.anti-atom-bayern.de ; www.bund.net
(6) Infos: www.schluss-endlich.de
(8) Infos: www.neckarwestheim.antiatom.net
(9) www.greenkids.de/europas-atomerbe
(10) www.bi-luechow-dannenberg.de
(11) Gabriel und die Industrie: www.faz.net/s/Rub469C43057F8C437CACC2DE9ED41B7950/Doc~E689E98B4CF02439C97B11C6FCB56EA05~ATpl~Ecommon~Scontent.html
Weitere Infos
Filmdokument: Ein Redebeitrag, den GWR-Redakteur Bernd Drücke auf der Anti-Atom-Demo am 11.4.2011 in Münster gehalten hat, ist dokumentiert unter www.youtube.com/watch?v=Id5n8JrAJCg. Obwohl mehr als 2.000 Menschen in an dieser Demo teilgenommen haben, haben die Westfälischen Nachrichten erneut nicht berichtet.
Tondokument: Radio Graswurzelrevolution, 7.4.2011, GWR-Redakteur Bernd Drücke im Gespräch mit einem Freeters-Basisgewerkschaftsaktivisten aus Japan über Fukushima und "Wegwerfarbeiter": www.freie-radios.net/40253