transnationales / antirassismus

Deutsche Geschäfte mit Folterstaaten

Während ein abgeschobener syrischer Jugendlicher in Haft sitzt, bahnt eine niedersächsische Wirtschaftsdelegation in Syrien Geschäfte an

| Bernd Mesovic

Bernd Mesovic ist stellvertretender Geschäftsführer von PRO ASYL. Er analysiert er die deutsche Wirtschafts-, Asyl- und Menschenrechtspolitik am Beispiel Syriens. (GWR-Red.)

Februar 2011: Die Demokratiebewegung in der arabischen Welt kommt voran. Die Despotenregime in Tunesien und Ägypten brechen zusammen. In Libyen wird gekämpft – gegen das Gaddafi-Regime, für die Menschenrechte.

Bundesaußenminister Westerwelle äußert selbstkritische Worte zum bisherigen Umgang mit diesen Regimen und kündigt eine menschenrechtsorientierte Politik in der Region an.

Doch parallel zu diesen Entwicklungen zeigt sich, was von diesen Ankündigungen zu halten ist.

Ebenfalls im Februar reist eine niedersächsische Wirtschaftsdelegation mit dem niedersächsischen Wirtschaftsstaatssekretär, Oliver Liersch (FDP), nach Syrien, in einen der berüchtigtsten Folterstaaten des Nahen Ostens.

Während das zaghafte Pflänzchen der Demokratiebewegung, das auch in Syrien zu blühen beginnt, vom Regime niedergetreten wird, stellt Niedersachsens Landesregierung in der delegationsbegleitenden Öffentlichkeitsarbeit Syrien als weltlich, tolerant und modern dar. Dem Assad-Regime wird eine große Zukunft prophezeit: „Eine Entwicklung wie z. B. in Ägypten wird derzeit als unwahrscheinlich angesehen, da Präsident Assad bedeutend jünger ist als die anderen Machthaber in der arabischen Welt und somit dem Volk näher steht. Ein Generationswechsel vom Vater zum Sohn ist bereits vollzogen und hat bereits für eine Modernisierung des Landes gesorgt.“

Sollte die aktuelle arabische Demokratiebewegung für das niedersächsische Wirtschaftsministerium also nur die Reaktion auf ein Generationsproblem sein, das mit der Macht von Assad Junior in Syrien längst gelöst ist?

Nicht wirklich. So naiv ist auch im niedersächsischen Wirtschaftsministerium niemand.

Die gezielte Verharmlosung eines Regimes, bei dem der folternde Sohn die Macht von seinem folternden Vater übernommen hat, ist zweckdienlich. Sie ist Wirtschaftsförderung. Und sie steht in einer Tradition der deutschen politischen Kollaboration mit dem syrischen Folterregime, die sich unter anderem mit den Namen Otto Schily und Frank Walter Steinmeier verbindet.

Syrien ist seit Jahren ein geschätzter Ansprechpartner der deutschen Nahostpolitik und gilt als Schlüsselstaat bei der Suche nach Frieden in Palästina und im Nahen Osten. Syrien ist den deutschen Interessen durch die Unterzeichnung eines Abkommens über die „Rückführung von illegal aufhältigen Personen“ entgegengekommen. Seitdem wird verstärkt nach Syrien abgeschoben.

Von 73 zwischen Januar 2009 und Juni 2010 aus Deutschland abgeschobenen Flüchtlingen wurden 14 nach Angaben der Bundesregierung selbst umgehend von den syrischen Behörden inhaftiert. Da die Bundesregierung von syrischer Seite in der Regel keine Auskünfte erhält, liegt diese Zahl vermutlich wesentlich höher.

Die Abgeschobenen werden einem Regime ausgeliefert, über dessen kontinuierliche Brutalität und die Allgegenwärtigkeit politischer Verfolgung auch der Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom September 2010 berichtet. Er lässt an Deutlichkeit wenig zu wünschen übrig: „Unabhängig von der offiziellen organisatorischen Zuordnung (zum Militär, zum Innenministerium oder als eigenständige Behörde) sind die Geheimdienste unmittelbar nur dem Staatspräsidenten gegenüber verantwortlich. Die Befugnisse der Dienste unterliegen keinen definierten Beschränkungen. Jeder Geheimdienst unterhält eigene Gefängnis- und Verhörzentralen, bei denen es sich um rechtsfreie Räume handelt.“

„Bürgerrechtler und Oppositionelle (…) sind staatlichen Repressionen ausgesetzt und unterliegen dem Risiko strafrechtlicher Verfolgung.“

Wer sich über die Behandlung durch Sicherheitskräfte beschwert, läuft Gefahr, dafür auch noch strafrechtlich verfolgt zu werden, was im Vorfeld gleichbedeutend mit einem Risiko ist, misshandelt oder gefoltert zu werden.

Die niedersächsische Wirtschaftsdelegation reist zu einem makabren Zeitpunkt.

Während ihres Aufenthaltes sitzt ein aus Niedersachsen abgeschobener Jugendlicher bereits die vierte Woche ohne Kontakt zur Außenwelt in syrischer Haft. Den 15-jährigen Anwar hatte man zusammen mit seinem Vater am 1. Februar 2011 abgeschoben.

Der niedersächsische Flüchtlingsrat bat das Auswärtige Amt sowie den deutschen Botschafter in Damaskus um Aufklärung und Intervention, weil zu befürchten sei, dass die beiden in Haft nicht nur verhört, sondern auch misshandelt würden. Das niedersächsische Innenministerium verweigerte hierfür seine Mitwirkung.

Nach 14 Tagen werde man gegebenenfalls nachfragen. Syrien sei nun einmal kein Rechtsstaat. Längere Inhaftierungen „zur Überprüfung“ seien durchaus üblich.

Man könnte zynisch ergänzen: Auch Folter ist in syrischer Haft durchaus üblich. Kein Wort etwa verliert der niedersächsische Innenminister über die Tatsache, dass die Abgeschobenen wochenlang ohne Kontaktmöglichkeit zur Außenwelt verhört wurden. Welchem anderen Zweck dient diese Incommunicado-Haft denn, als ungestört mit rechtlosen Gefangenen nach Gusto des Regimes umspringen zu können?

Das Assad-Regime hat Zehntausende Menschenleben auf dem Gewissen. Trotzdem attestiert das niedersächsische Wirtschaftsministerium einem Staat, in dem allein vier Geheimdienste die gesamte Bevölkerung bespitzeln und ihre eigenen Folterkeller betreiben, es sei seit Jahren ein „Transformationsprozess zu einer sozialen Marktwirtschaft im Gange“.

Da meint man, auf die Betrachtung der Menschenrechtssituation wohl verzichten zu können.

Gruseln muss man sich nicht nur vor solch liberalen Menschenrechtspraktikern.

Dem Folterregime in Damaskus hatte kurz zuvor auch Bundesverkehrsminister Ramsauer die Aufwartung gemacht. JournalistInnen diktierte er seine relativistische Vorstellung von Demokratie in die Feder: „Unsere Vorstellungen von Demokratie und Menschenrechten sind nicht einfach eins zu eins auf Länder in anderen Weltregionen übertragbar.

Das gilt auch für Syrien.“ Würde diese Äußerung vom iranischen Staatspräsidenten Ahmadinedschad stammen und hätte dieser sie auf ein besonderes islamisches Verständnis von Menschenrechten gemünzt, hätte es gewiss einen Aufschrei in der Öffentlichkeit gegeben.

Aber Ramsauer ist eben nur das, was deutsche Verkehrsminister schon immer waren: ein Infrastrukturtechnokrat, Spritpreis- und Versorgungssicherheitslobbyist, ranghoher Handelsvertreter.

So geben sich die Wirtschaftsförderer in Syrien und anderen Folterstaaten die Klinke in die Hand, als gäbe es keine Demokratiebewegung in den arabischen Staaten. Business as usual mit Diktaturen – buchstäblich bis zu deren letzter Stunde.

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