Der japanische Atomkonzern Tepco hat Mitte Mai 2011 bestätigt, was viele von uns befürchtet haben. In mindestens drei der Atom-Reaktoren in Fukushima findet bereits seit dem Erdbeben am 11. März eine Kernschmelze statt.
Am 4. Juni kam über n-tv die Kurzmeldung, dass die Strahlenwerte rund um die havarierten Meiler so extrem sind wie noch nie zuvor. Beide Meldungen finden sich nur noch in den Randspalten im hinteren Teil der Tageszeitungen.
Die schweren Atomunfälle im russischen Majak 1957/58, im britischen Windscale/Sellafield 1957, der Beinahe-GAU im US-amerikanischen Harrisburg 1979 und der Super-GAU 1986 in Tschernobyl waren lange Zeit kaum präsent. Zu befürchten ist nun, dass die Medienkonzerne den Mantel des Vergessenmachens auch über Fukushima legen. Aber wir werden nicht vergessen!
Hunderttausende haben in Deutschland für die sofortige Stilllegung aller Atomanlagen demonstriert. Allein am 28. Mai 2011 gingen 160.000 Menschen in 21 Städten auf die Straße, um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen. Es war nach den Großdemos am 26. März 2011, wo eine Viertelmillion demonstrierte, die zweitgrößte Anti-Atom-Protestaktion in der Geschichte der Bundesrepublik.
Und siehe da, der Druck der Straße ist effektiver, als jedes Ränkespiel der Parteien. Viele Menschen haben begriffen, dass sie es sind, die den Lauf der Geschichte verändern können, wenn sie kämpfen und demonstrieren. Und sie sind erfolgreich.
Unter einer rot-grünen Bundesregierung hätte es womöglich nach Fukushima nicht so große Proteste gegeben wie jetzt. Trittin und Co. hätten – mit Verweis auf ihren „Atomkonsens“ – wohl kaum sieben Ur-Altmeiler vom Netz genommen.
Damit will ich nicht Merkels Politik loben. Sie macht nur das, was ihrem Machterhalt dient. Und angesichts der Zahl von 80% der BundesbürgerInnen, die sich seit Fukushima für einen Atomausstieg aussprechen, hätte ein Festhalten an der 2010 beschlossenen Laufzeitverlängerung das sichere Ende von Schwarz-Gelb bedeutet.
Wer hätte das vor Monaten für möglich gehalten?
Momentan sind nur vier Atomkraftwerke am Netz, ohne dass es die herbeigeredeten „Stromengpässe“ oder Blackouts gibt.
Bis 2022 will die CDU/CSU/FDP-Regierung schrittweise alle AKWs in Deutschland abschalten. 7 bis 8 der 17 AKWs bleiben abgeschaltet, darunter Krümmel, Brunsbüttel, Esenshamm und Biblis Block A. Diese Schrottreaktoren sind Geschichte. Und das ist einzig und allein der Beharrlichkeit vieler Menschen zu verdanken. Menschen, die sich zum Teil seit Jahrzehnten in der außerparlamentarischen Anti-Atom-Bewegung für die Stilllegung aller Atomanlagen engagieren und sich von keiner Regierung, welcher Farbkombination auch immer, befrieden lassen.
Die AKWs Brokdorf, Grohnde, Lingen, Grafenrheinfeld und Grundremmingen sollen nach dem Willen der Parteien noch mindestens zehn Jahre weiterlaufen. In Ohu an der Isar, in Neckarwestheim und in Philippsburg werden die jeweils älteren Reaktorblöcke stillgelegt, die „jüngeren“ sollen noch jahrelang weiterstrahlen. Ein Skandal!
Nach Informationen von heise.de vom 6. Juni soll eines der acht bereits abgeschalteten und nun dauerhaft stillzulegenden AKW soll möglicherweise bis 2013 noch in Bereitschaft gehalten werden für den Fall von Stromengpässen im Winter. Ob ein solches „Stand-By“-AKW nötig ist, soll die Bundesnetzagentur in den nächsten Wochen entscheiden.
Nach den sofort stillzulegenden AKW sollen die verbleibenden neun noch Strom produzieren Meiler nach folgendem Zeitplan vom Netz gehen: 2015 Grafenrheinfeld (Bayern), 2017 Gundremmingen B (Bayern) und 2019 Philippsburg II (Baden-Württemberg), 2021 Grohnde (Niedersachsen), Brokdorf (Schleswig-Holstein) und Gundremmingen C (Bayern). Als letzte AKWs würden 2022 Isar II (Bayern), Neckarwestheim II (Baden-Württemberg) und Emsland (Niedersachsen) abgeschaltet werden.
Zudem gibt es bisher keinerlei Pläne, die Urananreicherungsanlage in Gronau stillzulegen, welche eine Achillesferse der internationalen Atommafia ist (siehe Interview in dieser GWR, S. 6 f.).
3850 Tage Weiterbetrieb für neun AKWs sind kein Atomausstieg, sondern ein riesiges Damoklesschwert, das an einem brüchigen Faden über den Köpfen der Bevölkerung hängt. Es gibt keine sicheren Atomanlagen. Ein Super-GAU ist jederzeit und in jedem der weltweit 443 AKW möglich.
Und deshalb werden wir weiter kämpfen, für eine atomanlagen- und atomwaffenfreie Welt, für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft.
Weitere Infos
Filmdokumente zum Thema:
Redebeiträge von GWR-Redakteur Bernd Drücke:
Anti-Atom-Demo, 11.4.2011 in Münster: www.youtube.com/watch?v=Id5n8JrAJCg
Anti-Atom-Mahnwache, Münster, 30.5.2011: www.youtube.com/watch?v=WYaOmI5TQdY
Tondokument:
Radio Graswurzelrevolution, 7.4.2011, Bernd Drücke im Gespräch mit einem Freeters-Basisgewerkschaftsaktivisten aus Japan über Fukushima und "Wegwerfarbeiter":