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Das Lächeln der Barbaren

Ein etwas anderer Nachruf auf Loriot

| Joseph Steinbeiß

Man kann sie im Grunde an einer Hand abzählen, die Humoristen und Künstler, Kleinkünstler zumal, die erreicht haben, was Loriot erreicht hat: nämlich, dass ihre Sätze in den deutschen Sprachschatz übergingen, ohne dabei die schwungvolle Handschrift ihres Schöpfers zu verlieren.

Kein Blick auf vorbeischnaufende Jogger ohne ein leises: „Ja, wo laufen sie denn?“. Keine Gummiente auf der Badewannenkante ohne stilles Gedenken an Herrn Müller-Lüdenscheidt und Herrn Doktor Klöbner. Und keine Beziehungskrise ohne die Erkenntnis: „Männer und Frauen passen nicht zueinander“.

Vielleicht hat im 20. Jahrhundert nur Karl Valentin einen vergleichbaren Status als humoristischer Sprachschöpfer erreicht. Ohnehin verband manches Loriot mit dem (beileibe nicht nur körperlich) großen Bayern. Loriots Liesl Karlstadt war die großartige Evelyn Hamann. Sein Sketch über den Lottogewinner Erwin Lindemann war eine direkte Fortsetzung von Valentins leidgeplagtem Buchbinder Wanninger, der sich – wie Lindemann – zuletzt hoffnungslos im Gestrüpp der Sprache verheddert. Ein feiner, hintergründiger, manchmal sogar etwas rätselhafter, nie jedoch platter oder anbiedernder Humor war das Geheimnis beider Künstler.

Da nimmt es schon Wunder, dass ausgerechnet Loriot nun, nach seinem Tod, von manchen zum Gewährsmann eines neuen, besseren Deutschlands hochgespielt wird – ganz so, als sei das schallende Gelächter über seine großartige Kunst tätige Reue gewesen für die üble Art, in der das Dritte Reich seinem Vorgänger Valentin mitgespielt hatte. Die Verfechter eines neuen, positiven Patriotismus hatten sich ja bislang mit Verweisen auf diverse Fußballweltmeisterschaften begnügen müssen. Kultivierten Geistern wie dem Kritiker Joachim Kaiser oder dem Regisseur und Schriftsteller Alexander Kluge wird dieses Absinken von Heinrich Heine zu Lukas Podolski nie recht gefallen haben. Nun wird Loriots Erfolg für Kaiser zum Beweis dafür, dass die Deutschen endlich über die Richtigen zu lachen gelernt hätten, und sogar zur Trennlinie zwischen Kultur und Unkultur. „Loriots Lächeln konnten nur Barbaren widerstehen“, schreibt er in der Süddeutschen Zeitung und freut sich, dass Loriot so offen zu seiner Verehrung für Richard Wagner gestanden habe. Während Alexander Kluge zum Tod seines Freundes nichts Besseres einfällt als ein markiges Soldatenlied von Uhland: „Ich hatt‘ einen Kameraden“.

Kein Künstler darf verantwortlich gemacht werden für die Nachrufe, die ihm gedichtet werden. Aber die Art und Weise, wie etablierte Intellektuelle vaterländische Duftmarken auf einen gerade erst verschlossenen Sarg setzen, kann einem schon stinken. Die Tatsache, dass Loriot sich niemals als politischer Humorist begriff, macht dieses unappetitliche Geschäft leicht.

Theodor W. Adorno hat einmal von der „strukturellen Macht des Witzes“ gesprochen, und auf Johan Huizinga geht die Erkenntnis zurück, dass in der Menschheitsgeschichte der „Falschspieler“ oft größeres Ansehen genossen habe als der „Spielverderber“. Man verdirbt allerdings nur den Falschspielern das Spiel, wenn man daran erinnert, dass auch ein inspirierter Meister seines Fachs wie Loriot nicht der Kritik enthoben ist. Zum unantastbaren Standbild seiner selbst taugt er nicht.

Gelegentlich nämlich unterlief Loriot in seinen fast schon goldschmiedartig gefertigten Fernsehminiaturen ein Fehler, der einem Profi wie ihm eigentlich nicht hätte passieren dürfen: Er kritisierte von oben herab. Die Satire darf bekanntlich alles – beleidigen, verletzen, töten. Schonung ist nicht ihr Geschäft. Trifft ihr Pfeil aber immer nur die anderen, verfehlt er im Grunde sein Ziel.

Der gekränkte Idealist darf nie zum Oberlehrer werden. Manche von Loriots Sketchen, seine Ehesketche zumal, erwecken den Eindruck, als fühle sich ihr Verfasser der skurrilen Spezies, die er da porträtiert, gar nicht zugehörig. So machen sie es dem Publikum leicht, sich, anstatt sich ertappt zu fühlen, in einer Pose des vorgeblichen Besserwissens zu gefallen. Die absichtsvoll inszenierte Kultiviertheit des Stils wird zur Kühle, und das Gesellschaftsporträt gerät zum Laborversuch. Selbst der herrliche Lindemann-Sketch ließe sich mit einigem bösen Willen noch als Ständesatire über einen dummen Parvenü verstehen, und nicht als Spott über die Unzulänglichkeiten eines Menschen, dem man ein Mikrophon vor die Nase hält. Loriot wird in solchen Momenten wieder zu Vicco von Bülow.

Ob es gerade diese klinische Distanz zum Pöbel ist, die für Menschen wie Joachim Kaiser Kultur bedeutet? Sollte dem tatsächlich so sein, wäre ein Platz auf Seiten der Barbaren keineswegs ehrenrührig. Und, wer weiß, vielleicht kann man von hier aus viel besser Freude und Vergnügen haben an Leben und Werk eines Künstlers, dessen Leistung zu groß ist, als dass andere eine Fahne darauf pflanzen könnten.