"Marshall-Plan für Griechenland", "Wirtschaftsminister Rösler kündigt Investitionen an", so Schlagzeilen in der deutschen Presse Ende Juli 2011. Doch bevor investiert wird, braucht es Garantien: "Abbau der Bürokratie", "schnelle Genehmigungsverfahren" und vor allem "weniger Streiks". Alles klar!
Griechenland steht vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch. Die am 22. Juli 2011 auf dem EU-Krisengipfel durch die Regierungschefs und Finanzminister beschlossene erneute Finanzhilfe über 110 Milliarden Euro und die Laufzeitverlängerung für bestehende Kredite ändert nichts daran.
Ursache ist nicht zuletzt die von deutschen Hardlinern durchgesetzte Krisenpolitik, durch die breite Bevölkerungsschichten mit immer neuen aufoktroyierten Spardiktaten ins Elend gestoßen werden. Die so angestrebte „Konsolidierung des Haushalts“ in Athen ist eine Illusion. Unter den gegebenen Bedingungen kann Griechenland weder seine Schulden noch die Zinsen jemals abtragen. Das Land ist eigentlich pleite.
Stichwort Staatsschulden
Bedingt durch die Finanzkrise wuchsen Griechenlands Staatsschulden von 2007 bis Ende 2010 auf 143 % der Wirtschaftsleistung, sie belaufen sich auf ca. 350 Milliarden Euro. Diese hohe „Schuldenquote“ ist der Auslöser, nicht der Grund für Griechenlands Finanzprobleme. „Bei der Schuldenquote gibt es nicht die richtige Höhe – weder in der Theorie noch in der Praxis.“ (BHF-Bank Wirtschaftsdienst, 4.6.2011) So galten Italien mit einer Schuldenquote von 120 % und Japan mit 200 % bisher nicht als pleite. (1)
Da die Finanzmärkte jedoch auf die Pleite Griechenlands spekulieren, wurden die Zinsen für neue Anleihen des Landes seit 2009 derart in die Höhe getrieben, dass sich die Regierung in Athen schlicht kein neues Geld mehr leihen kann. Italien müsste für zweijährige Staatsanleihen 3 % Zinsen bezahlen, Japan gar nur 0,2 %, Griechenland dagegen 25 %. (2) Laut einer Studie des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung würde bei einem Zinssatz von 3 % die Schuldenquote Athens bis 2015 auf 110 % sinken. AnhängerInnen einer gesamteuropäischen Lösung kritisieren folgerichtig Deutschlands Politik der „strikten Haushaltskonsolidierung“, die zur weiteren Verschärfung der Probleme führe.
So fordert die ehemalige französische Finanzministerin und jetzige Vorsitzende des IWF, Christine Lagarde, von „Deutschland, das von der Eurozone am meisten profitiert“, sich „solidarisch“ zu zeigen. (vgl. Jungle World, Nr. 30)
Mit der Ausgabe von so genannten Eurobonds, einer gemeinsamen europäischen Anleihe, würden schwache Eurostaaten von den niedrigen deutschen Zinsen profitieren.
Gleichzeitig wären Zweifel an der Zahlungsfähigkeit einzelner Eurostaaten hinfällig, weil die ganze Eurozone für die Schulden garantieren würde.
Für die Bundesregierung sind solche Ideen inakzeptabel, führen sie doch zur verhassten „Transferunion“. Stattdessen diktieren die erst vor zwei Jahren mit Milliarden von Steuergeldern geretteten Banken den Preis, zu dem sich Staaten Geld leihen können – oder, wie im Falle Griechenlands, eben nicht mehr.
Stichwort Privilegien
Selbst die „Wirtschaftsweisen“ forderten in der FAZ unmittelbar vor dem Sondergipfel einen Schuldenschnitt von 50 %. Doch es scheint, als verfolge die Troika aus EU, IWF und EZB vor allem ein Ziel: die Ausplünderung des letzten Rests gesellschaftlichen Reichtums, den Zugriff auf (griechischen) Staatsbesitz, die Disziplinierung der „privilegierten“ Staatsbediensteten.
Während Investmentbanken und Hedgefonds schon auf die nächsten Staatspleiten wetten, sollen diese durch Renten- und Lohnverzicht der ArbeitnehmerInnen verhindert werden.
Dem Wahlvolk wird das so erklärt: „Es geht auch darum, dass man in Ländern wie Griechenland, Spanien, Portugal nicht früher in Rente gehen kann als in Deutschland.“ Oder: „Wir können nicht eine Währung haben, und der eine kriegt ganz viel Urlaub und der andere ganz wenig.“ (Angela Merkel, Mai 2011)
Mit der Realität hat solcherart Hetze nichts zu tun, Merkel weiß das. Laut OECD gehen Männer in der BRD mit durchschnittlich 61,8 Jahren in Rente, in Griechenland mit 61,9 Jahren. Die so oft zitierten Luxusrenten bekommen sie dann jedoch nicht.
Die griechische Durchschnittsrente beträgt knapp 640,- Euro im Monat, zwei Drittel der RentnerInnen müssen mit noch weniger auskommen. Ein Ehepaar in meiner Nachbarschaft bei Vólos erhält aktuell z.B. 596,- Euro, zu zweit. Beide haben ihr Leben lang geschuftet und tun es noch immer. Viel Urlaub genossen sie währenddessen nicht. Heute haben GriechInnen mit durchschnittlich 23 Urlaubstagen im Jahr gegenüber Deutschen mit 30 Tagen das Nachsehen. (EU-Agentur Eurofound) Darüber hinaus arbeiteten die „faulen Griechen“ laut Eurostat vor der Krise mit durchschnittlich 44,3 Wochenstunden länger als die „fleißigen Deutschen“ mit 41 Stunden. (3)
Um Missverständnissen vorzubeugen: Abgesehen davon, dass Arbeit nichts prinzipiell Gutes und viel Freizeit schon mal gar nichts Schlechtes ist, macht die Statistik deutlich, dass GriechInnen mehr als genug Zeit ihres Lebens mit Lohnarbeit verbringen müssen.
Grundsätzlich falsch ist es, die Ursache von Wirtschaftskrisen eines Landes in der Faulheit seiner EinwohnerInnen zu suchen. Momentan ist es genau umgekehrt. Durch die andauernde Krise sind immer mehr GriechInnen gezwungen, nicht zu arbeiten. Im April betrug die Arbeitslosenquote offiziell 16,5 %, inoffizielle Schätzungen gehen von 25 % aus, die Jugendarbeitslosigkeit stieg innerhalb von sechs Monaten von 30 auf 42,5 % an.
Stichwort Haushaltskonsolidierung
Befeuert wird der Zusammenbruch der griechischen Wirtschaft gerade durch die drastischen Sparprogramme mit massiven Lohn- und Gehaltskürzungen, die zu einem regelrechten Kollaps der Industrieproduktion in den letzten Jahren führten. So lagen die Löhne im ersten Quartal 2011 um 17,2 % unter denen des ersten Quartals 2009, Hauptgrund für den katastrophalen Einbruch der Binnennachfrage. Nach Angaben des griechischen statistischen Amtes sank der industrielle Warenausstoß des verarbeitenden Gewerbes von 2007 bis April 2011 um 30 %. Im Einzelhandel waren die Umsätze im April 2011 um 27,7 % unter die vom März 2008 gefallen.
Noch dramatischer die Zahlen für das verarbeitende Gewerbe. Bis März 2011 sanken die Inlandsaufträge für die Industrie gegenüber Juli 2008 um 47 %. Knapp 65.000 Kleinunternehmen gingen in den letzten anderthalb Jahren pleite, was zugleich rückläufige Steuereinnahmen und steigende Ausgaben für das anschwellende Arbeitslosenheer nach sich zog.
Jetzt verkürzt die Regierung den Zeitraum, in dem das Arbeitslosengeld von 500 Euro gezahlt wird, von 20 auf 16 Monate. Sozialhilfe gibt es nicht, wodurch mehr und mehr GriechInnen durch das ohnehin löchrige soziale Netz fallen.
Nachdem Löhne, Gehälter und Renten gedrückt und soziale Standards zerschlagen sind, wurde die Gewährung des zweiten Pakets von Krisenkrediten nun „an die schnelle Durchführung des Privatisierungsprogramms“ gekoppelt.
Angestrebte Einnahmen in Höhe von 50 Milliarden Euro werden als Zielmarke genannt. Umgehend bot Finanzminister Wolfgang Schäuble der Privatisierungsbehörde „deutsches Know-how“ und „Unterstützung durch erfahrene Mitarbeiter“ an. Weniger zum Erreichen der Marge von 50 Milliarden, als eher um den Privatisierungsprozess voranzutreiben. Damit alles glatt geht, „sollen die Aktiva der Staatsbetriebe und die Immobilien an die Privatisierungsbehörde abgetreten werden“, berichtete die FAZ.
Angesichts der anhaltenden Wirtschaftskrise und der damit verbundenen schlechten Verhandlungsposition Griechenlands können die 50 Milliarden getrost als Propaganda verbucht werden. Denn die Staatsbetriebe sollen als Schnäppchen verramscht werden. Wie beim geforderten Verkauf der staatlichen Lotterie Opap, der Schätzungen zufolge nur eine Milliarde einbringen wird – was mal eben den jährlichen Abgaben an Steuern und Gewinnen von Opap für den griechischen Fiskus entspricht. (FAZ, 13. Juli 2011)
An vorderster Front beim geplanten Ausverkauf steht deutsches Kapital. Ein erstes Schnäppchen hat die Deutsche Telekom schon unter Dach und Fach gebracht. Für schlappe 400 Millionen erhöhte sie ihren Anteil am Telekommunikationsunternehmen OTE von 30 auf 40 %. Vor drei Jahren musste sie noch 4 Milliarden investieren, um 30 % zu erwerben. In den Startlöchern stehen außerdem der Flughafenbetreiber Fraport für die Übernahme von 55 % des Flughafens in Athen und der Energiekonzern RWE, der den staatlichen Strommonopolisten DEI übernehmen will.
Stichwort Direkte Demokratie
Entschiedener Widerstand gegen die Verschärfung des Klassenkriegs von oben findet alltäglich statt. Eine Rückkehr zum alten, vor der Krise herrschenden Patronagesystem wollen allerdings immer weniger Menschen. Die aus den Platzbesetzungen vom 25. Mai hervorgegangenen Stadtteilplena wenden ihre Kraft zunehmend dafür auf, Alternativen zur „Demokratur“ der „kapitalistischen Junta“ zu entwickeln.
So mobilisiert ein Bündnis aus „empörten Bürgern“ der zentralen Platzbesetzung Thessaloníkis, AktivistInnen der Antiautoritären Strömung (AK), ArbeiterInnen der Wasserwerke Thessaloníkis (EuATh) und BewohnerInnen des Dorfes Arabisós, auf dessen Grund sich die Trinkwasserquellen befinden, für ein direkt-demokratisches Übernahmekonzept der Wasserwerke. Ziel ist es, die geplante Privatisierung zu verhindern und stattdessen die „tatsächliche Vergesellschaftung von Staatseigentum“ zu erreichen.
Als Startschuss der Kampagne, um über Thessaloníki hinaus in die Offensive zu kommen, gilt der nach 2010 erneut stattfindende „Kongress der direkten Demokratie“ vom 5. – 7. September 2011 in Thessaloníki. (Aufruf unter www.fau.org) Unterstützung erhält das „Bündnis für Demokratie beim Wasser“ vom „Berliner Wassertisch“, der im Frühling eine Volksabstimmung gegen den Berliner Senat gewann und für den Rückkauf der Wasserwerke Berlin kämpft.
In beiden Städten haben es die Initiativen außer mit dem jeweiligen lokalen Filz mit dem Konzern Veolia Environnement als gemeinsamen Gegner zu tun.