antirassismus

Von RassistInnen und „Terrorexperten“

Die Anschläge von Oslo

| Sebastian Kalicha

Eine Autobombe explodiert in einer europäischen Metropole und reißt mehrere Menschen mit in den Tod. Hektisch zusammen geschnittene Amateuraufnahmen von Zerstörung und blutüberströmten Menschen wiederholen sich in Endlosschleifen in den Fernsehgeräten. "Terrorexperten" beginnen Minuten nach der Katastrophe zu analysieren, wer die DrahtzieherInnen sein könnten, und sprechen das aus, was ohnehin die meisten denken.

Der Journalist Karim El-Gawhary schrieb dazu in einem Kommentar in der taz, dass dies „eindeutig der Super-GAU der Terrorexperten“ war, und bezeichnet die Analysen als „größtmöglich anzunehmenden Unsinn“. „Binnen kurzer Zeit hatten sie die Öffentlichkeit zu Fachleuten über die skandinavische al-Qaida-Szene gemacht und Wasser auf die Mühlen der allumfassenden Islamophobie gegossen.“

Islamfeindliche HassbloggerInnen, Rechtsradikale und Neo-RassistInnen hatten bereits zum Gegenschlag ausgeholt.

Der neokonservative Blog „Extrême centre“ veröffentlichte schon einen Artikel mit der Überschrift „Islamische Schlächterei in Norwegen“.

Als bekannt wurde, dass der Wahnsinn mit dem Massaker auf der Insel Utoya erst seinen Höhepunkt erreichen würde und dass der Protagonist des Ganzen eben nicht der bärtige, in Pakistan ausgebildete „Islamist“ ist, sondern jemand, der sich jahrelang durch islamfeindliche Hassblogs und christlich-fundamentalistisches Gedankengut „inspirieren“ ließ und von der wahnhaften Idee getrieben war, Europa gegen Islam, Marxismus und „Multikulturalismus“ zu verteidigen, ging das absurde Theater der radikalen Rechten erst los. Denn das hatten sich die „Retter des Abendlandes“ anders vorgestellt.

Bernhard Schmid fasste die Reaktion von Europas Rechtsradikalen auf Oslo treffend zusammen: distanzieren, leugnen, drohen. Natürlich habe man keinen Nährboden, keine Stimmung unter der Bevölkerung geschaffen, die solche Wahnsinnstaten begünstigt! Es gibt zwar Computerspiele, wo man Muezzine von Minaretten runterballern kann, und Hunderte Hassblogs, in denen Weltverschwörungstheorien von einer heimlichen, hinterlistigen „Islamisierung Europas“ und ihrer vermeintlichen linken UnterstützerInnen noch die harmlosesten Dinge sind, die man zu lesen bekommt.

Die FPÖ z.B., die seit Jahren Wahlen hauptsächlich dadurch gewinnt, indem sie offen gegen „die Anderen“ und ihre „links-linken Verbündeten“ hetzt, veröffentlichte zur Wiener Gemeinderatswahl einen Comic, in dem die Zweite Türkenbelagerung Wiens 1683 nachgestellt wurde. Die Türken waren dabei grüne, entstellte Monster, die Pläne schmiedeten, wie man den Wiener Stephansdom in eine Moschee umwandeln könnte (selbstverständlich unter Mithilfe der Linken). Dem grünen muslimischen Monster gefiel das natürlich, es hatte aber nicht mit der heldenhaften Gegenwehr der WienerInnen gerechnet! Der Held des Comics, verkörpert durch den Parteiobmann HC Strache (ausgestattet mit Schwert und Schild), meint hier zu einem blonden Jungen, er solle „dem Mustafa“ doch bitte mit seiner Steinschleuder eine „aufbrennen“, dann würde er ihm eine heiße Wurst spendieren. Der blonde Junge trifft …

Nicht alle wandten sich nach der Ermordung von 77 Menschen durch einen Islamhasser angewidert ab. Immer wieder hörte man, dass das Ganze zwar bedauerlich, aber verständlich sei, zeige es doch nur auf, wie bedroht sich die Menschen in Europa bereits von der „islamischen Überfremdung“ fühlten und wie fehlgeleitet die Politik „der Linken“ sei. Der Massenmörder als Opfer der „Islamisierung“. Die „Islamisierung“ als eigentliches Problem, das bedauernswerte EuropäerInnen zu derartigen Taten treibt.

Der Front-National-Politiker Jacques Coutela bezeichnete Anders Breivik als „Ikone“.

Der FPÖ-Abgeordnete Werner Königshofer versteht die Aufregung ebenfalls nicht und meint, dass die „islamische Gefahr“ in Europa „schon tausendmal öfter zugeschlagen“ hätte. Dass 2010 laut Europol lediglich 3 von 249 Terroranschlägen in der EU einen islamistischen Hintergrund hatten, spielt hier keine Rolle.

Aber auch aus der US-amerikanischen Rechten gibt es Analysen zu dem Massaker und auch hier findet man die wahren Schuldigen ganz wo anders. Glenn Beck, seines Zeichens Moderator bei FOX-News und Tea-Party-Anhänger, war das ganze Camp der JungsozialistInnen schon etwas suspekt und verglich es sogleich mit einem Lager der Hitlerjugend. Zitat: „Es gab eine Schießerei auf einem politischen Camp, was ein bisschen wie, ihr wisst schon, nach Hitlerjugend klingt. Ich meine, wer organisiert Camps für Jugendliche, wo sich alles um Politik dreht? Verstörend!“

Derartige Wortmeldungen sprechen für sich.